Endlich einmal ist auch irgendwann mal vorbei

(Von der Berg- und Talfahrt der letzten Tage nun die Talfahrt. Und damit abschliessend das Ende jedweder Ära.)

Ich hatte schon im November abgeschlossen, zumindest ernsthaft damit angefangen; Nierenversagen, das hörte sich nicht so an, als ob da noch viel zu machen sei, vor allem bei dem Alter und der Vorgeschichte. Und dann schaffte sie es doch über die Nacht. Ich bin damals nicht hingefahren, und ich weiss nicht, ob ich es jetzt machen werde. Doch ich weiss jetzt, dass es zu Ende geht. Die Spritze ist bestellt.

Vor einem Jahr habe ich sie das letzte Mal gesehen. Noch einen schönen halben Sommer mit ihr gehabt, am Kanal und im Grunewald. Ihre alten Reviere; Westentasche. Den einen hohlen Baumstamm am Trimm-Dich-Pfad, der selbst im heissesten Sommer wenigstens immer noch ein bisschen Modderwasser für sie übrig hatte – sofort wiedergefunden. Und das, obwohl sich ihr Revier zu dem Zeitpunkt schon zwei Jahre lang am Rhein erstreckte. Davor pendelte sie, danach ebenfalls, ein Jahr noch als Scheidungskindhund. Bis zum letzten Sommer, als sie langsam schwächer wurde.

Dann beschlossen wir, dass es besser für sie wäre, an einem Ort zu bleiben, und die Vernunft sprach gegen Berlin. Entgegen den Erwartungen hat sie es doch über den Jahreswechsel geschafft, im Frühling sogar noch ihren Fünfzehnten erreicht. Sicher, sie baute merklich ab, ich konnte das nur aus der Ferne verfolgen. Das schmerzte. Anfangs sehr, dann (dachte ich – und war überrascht) nicht mehr so sehr. Dann dachte ich genau darüber nach und fand heraus, dass es noch genauso weh tat, ich nur nicht mehr ganz so oft an sie dachte.

Es mag verrückt klingen, aber es gab nichts und niemanden,den ich mehr geliebt hätte als diesen Hund. So bedingungslos, ohne jeden Groll. Nichts tat mir mehr weh und nichts machte mich ohnmächtiger als ihre gelegentlichen Panikattacken, Verletzungen, Unfälle. Sie hat nicht viel ausgelassen. Kaum etwas machte mich glücklicher, als ihr dabei zuzuschauen, wie sie sich im Schnee oder im Strandsand wälzte, wie sie spielte, rannte, träumte – und vor allem schwamm. Das wäre mein Wunsch gewesen, hätte ich einen frei gehabt: Zu wissen, wo die Angst herkommt. Wo der Schmerz sitzt. Warum sie wie irre geworden Gras frisst. Wie sich das anfühlt, mit allen Vieren in der Luft auf dem Rücken rumzuzappeln, im Gras oder im Sand, oder in einem toten Fisch.

Natürlich kann man einem Hund nichts erklären, und doch macht man es manchmal. Schlimmer ist es aber umgekehrt: Wer weiss, wie oft der Hund vergebens versuchte, einem etwas mitzuteilen. Trotz aller Hundeflüsterertips und jahrelanger Verhaltensforschung: Hunde können Menschen tausendmal besser lesen als umgekehrt. Encyclopaedia Britannica versus Räuber Hotzenplotz. Nur einmal wissen, was in diesem Kopf vorging…

Eigentlich bin ich ganz arglos und rein aus Interesse dabei geblieben, als bei der Hündin von unseren Freunden die Wehen einsetzten. Und dann war plötzlich dieses braune Fellbündel da. Und jetzt ist es weg. Bis dahin war ihre Mutter mein einziger Bezugshund: aus einem schrecklichen Haushalt gerettet, für den sie nicht Rottweiler genug war & wo sie mehr gelassen hat als ihren Schwanz, der gleich als erstes abkam. Ein großartiger Hund, die beste Mutter und viel zu früh gestorben – bei ihr schlug der Krebs mit sechs Jahren zu, ihre letzten beiden Kinder wurden erst jetzt von ihm erwischt. Neun Jahre von oben.

Endlich einmal ist auch irgendwann mal vorbei. Es ist schwer, passende Worte zu finden, doch dazu schweigen würde ihr nicht gerecht werden. Ich hoffe, ich konnte ihr mehr als einen Namen geben. Bei all dem, was ich von ihr und durch sie bekam, wäre ich froh, hätte ich ihr nur einen Bruchteil der Freude zurückgegeben, die sie mir schenkte.

tollsterhundderwelt
(15:30)

5 Replies to “Endlich einmal ist auch irgendwann mal vorbei”

  1. Fahr hin, nimm Abschied, wenn die Umstände (Dein Umzug) es erlauben.
    Ich kann diese Zuneigung zu Deinem Hund so gut nachempfinden. Sie begleiten einen wie ein Schatten überall hin und schreiten dabei viel schneller durch das Leben als wir.
    Nun wirst Du in eine neue Gegend ziehen (Glückwunsch!). Etwas Neues beginnt und sie kann leider nicht mehr dabei sein.
    Ich denke sehr an Dich und Euch und wünsche Dir viel Kraft und Vertrauen!

    Liebe Grüße von Kathe

    1. Vielen Dank für deine lieben Worte, auch damals schon, als es fast soweit war. Die Freude über die neue Wohnung und die neue Gegend ist natürlich ein wenig getrübt, aber so ist es nun mal.
      Die Umstände erlaubten es nicht mehr, sie zu sehen (der Anfang des Textes lag schon eine Weile rum) – vielleicht war es auch besser so für mich, für den Hund war es auf alle Fälle das Beste. Jeder, der schon mal da durch musste, diese Entscheidung zu treffen hatte, sagte mir „Lieber vorgestern als übermorgen“. Und so war es vorgestern dann soweit, und es war gut so.

  2. Während ich das jetzt schreibe, liegt meine 19 Monate alte Schäferhündin in blühender Jugend neben mir und mir graut es jetzt schon vor dem Tag, an dem ich sie begraben muss. Ich weiß genau wie es Dir geht. Es ist, als stürbe auch ein Teil Deines Selbst. Ich habe das schon einmal erlebt.

    Hauptsache der Tollstehundderwelt ist nicht allein, wenn sie die erlösende Spritze bekommt. Wenn Du dazu bei Deiner Ex betteln und zu Kreuze kriechen musst, dann muss das wohl sein. Nicht für Deine Ex, aber für sie.

    Ich denke an Dich und Deine Hündin.

    „Der Hund ist ein Ehrenmann; ich hoffe, einst in seinen Himmel zu kommen, nicht in den der Menschen.“

    Mark Twain

    1. Danke Dir Olaf! Ich wünsche Dir viele Jahre voller Freude und Spass mit deiner Hündin.
      Ich hätte nicht betteln müssen, das wäre alles gut gegangen – nur die Zeit zur Entscheidung war schon gekommen (und ich hier nicht so schnell weg). Alles gut, was das betrifft – auch wenn unsere Liebe vorbei war, hatten wir die zu der Kleinen noch gemeinsam, ohne irgendwelche Instrumentalisierungen etc. Ich kann also sicher sein, dass auch ihr Ende so gut gestaltet wurde, wie es nur möglich war.

      (Schönes Zitat, übrigens. Mein liebstes war immer das von Loriot, aber das kommt mir grad nicht so leicht über die Lippen.)

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