Schnipsel zum Wochenende II

Ich drück mich grad ein wenig vor dem langen Text, der immer länger wird. Unter anderem  deshalb hab ich mir jetzt endlich „Sonneborn rettet die Welt“ angeschaut. Zu Martin Sonneborn hab ich ein eher ambivalentes Verhältnis: Irgendwie ist er mir als Mensch nicht besonders sympathisch. Andererseits: Ich kenne ihn ja gar nicht persönlich, also ist das, was ich da unsympathisch finde – abgesehen davon, dass es sich sowieso nur um ein unbestimmtes Bauchgefühl handelt – auch nur ein durch Medien vermitteltes Bild.

Sonneborns Arbeit allerdings, soweit ich diese verfolgt habe, hat mir fast immer uneingeschränkten Respekt und Zustimmung abgenötigt, sowohl bei der Titanic, seinen Fernsehbeiträgen als auch mit der PARTEI – unsere Kneipenrunde überlegt derzeit ernsthaft, eine Schankwirtschaftsortsgruppe zu gründen. Endgültig überzeugt von seinem Schaffen hat mich Sonneborn mit dem Film „Heimatkunde“ – die unbestimmte Antipathie war hier fast völlig verschwunden.

Nun versucht sich der vielbeschäftigte Journalist und PARTEI-GröVaZ also auch noch als Weltenretter. Er lässt die Leute reden, und das ist nicht immer zu ihrem Vorteil, die Methode Dennis Mascarenas sozusagen. Der ehrwürdige Club of Rome schickt einen Professor vor`s Mikro, immerhin Ko-Autor vom vielbeachteten  „Grenzen des Wachstums“, der ernsthaft vorschlägt, Unmassen von Geld zu drucken und an die Armen zu verteilen, damit der Kapitalismus was zu tun bekommt und seine eigene Krise überwindet. Münchausen, der sich am Schopfe aus dem Sumpf zieht. Keine Rede vom Systemfehler, das erwähnt der Professor nicht, aber selbst die auf den ersten Blick vielleicht etwas skurril anmutenden Gestalten vom Friedrichshainer Schenkladen (eine der nächsten Stationen Sonneborns) haben das verstanden und sich über die Türe gepinselt. Das ist so einfach zu verstehen, da gibt es sogar ein Kinderlied drüber: Wenn der Topp aber nun ein Loch hat… dann kann man, um den Wasserstand zu halten, immer weiter nachkippen. Oder, wie in dem Lied, verzweifelte Flickversuche starten – letztendlich beisst sich die Katze in den Schwanz und man braucht, um den Topf zu flicken, einen Topf zum Wasserholen: Systemfehler.

Bemerkenswert – und wohl in dem „reden lassen“-Konzept begründet – ist, dass Sonneborns Gespräch mit Gysi eher farblos bleibt: die beiden Profis passen hier nicht. Was nicht heisst, dass mit dieser Besetzung keine Unterhaltung zu machen ist, im Gegenteil. Das Bloßstellen des gestellten Interviews mit dem Banker passt da schon eher, ganz zu Schweigen von der parallel geführten Strassenumfrage in Charlottenburg und Neukölln: Für mich der Höhepunkt der ganzen Sendung.

Nicht nur wegen der Schonungslosigkeit und der Schamlosigkeit, die einige Antworten entlarven. Sondern auch wegen der Szene ab 23:15: Erst das grandiose „Wat für`n Ding?“  – und dann der Ata-Moment: Die sukzessive Entblößung der Verzweiflung und Hilflosigkeit einer (gerade noch die perfekte „Dreieinhalb“-Armani-kostümierte Charaktermaske darstellenden) Zehlendorferin (vermute ich jetzt mal), und das nur wegen der einfachen Frage nach dem aktuell verwendeten Putzmittel. Soweit wäre sogar alles noch im Klischee, aber was folgt ist der wirkliche Schlüsselmoment: Irgendwann sagt die Dame „Ata“ – das kennt sie noch, und beide, Reporter und vermeintliches Opfer, wissen um die Komik und die Verschrobenheit, die dieser Antwort inneliegt. Weder die Charaktermaske „Sonneborn als kritischer Journalist“ noch die der reichen Dame aus der Villensiedlung, die putzen lässt, sind jetzt präsent, sondern zwei Menschen, die sich an Zeiten erinnern können, als es Ata noch gab, und viele, viele Annehmlichkeiten eben noch nicht. So sind beide ganz kurz in einem herzhaften  Lachen vereint, der klassische Comic Relief, mit dem der spannungsgeladenen Situation plötzlich komplett die Luft rausgelassen wird.

Sicher, da ist noch viel Luft nach oben für „Sonneborn rettet die Welt“. Es scheint trotzdem eines der guten Projekte zu werden und der Abspann offenbarte, dass der schon für „Heimatkunde“ verantwortliche Regisseur Andreas Coerper hier ebenfalls dabei war. Leider ist „Sonneborn rettet die Welt“aber auch eines der vielen guten Projekte, die samt und sonders in die Belanglosigkeit der öffentlich-rechtlichen Digitalkanäle verbannt werden. Nun ja, wenn diese durch Politik ferngesteuerten Programmdirektoren das so wollen, lassen wir sie doch in ihrer Zwanzigsten-Jahrhundert-Ecke ihr Spielchen weiter spielen, solange wir uns das Zeug im Netz anschauen können. Natürlich nicht.

Irgendwann werde ich mir also bestimmt auch die nächsten Weltrettungsversuche anschauen, jetzt jedoch erst mal die Sonne geniessen und vielleicht später ja sogar noch ein, zwei Seiten weiter schreiben. Übermorgen gehts nämlich schon wieder Richtung Sonnborner Kreuz und darüber hinaus, dann werde ich da nämlich nicht zu kommen … 🙂 Ein nettes Detail am Rande: Eingestellt wurde das Video auf Youtube von Max Utthoff. Einer, der den Abschied Georg Schramms etwas leichter macht, wo Olaf und ich grad beim Thema waren…

Wer für das Wochenende Thrill braucht, sollte sich diesen krassen, guten Text durchlesen (gefunden bei reportagen.fm). Aber dann nicht sagen, ich hätte niemanden gewarnt.

Wenn alte Männer die Welt nicht mehr verstehen (II)

Jegliches hat seine Zeit: Kürzlich schrieb ich über Günther Wallfraff, dass er wohl nicht mehr in diese passt. Jetzt bin ich durch Fefe auf einen Videoschnipsel mit Noam Chomsky gestossen. Chomsky ist ein Grosser, keine Frage. Auch wenn seine lingustischen Theoreme – das ist schliesslich sein Fachgebiet – inzwischen überholt oder falsifiziert wurden, hat er doch, ähnlich wie Wallraff, wertvolle Beiträge für den gesellschaftlichen Diskurs beigesteuert. Die Berufsbezeichnung für beide wäre mit „Kritischer Geist“ wohl am besten erfüllt.

Fefe schreibt nun, mit dem Hinweis auf einen Artikel, der sich auf ein nicht mal 4-minütiges Youtube-Video bezieht:

Noam Chomsky erklärt das Internet.

In an interview uploaded to YouTube, Noam Chomsky answers the question “[d]oes the generative potential of the internet help to form new kinds of social or cultural associations” by saying that he knows of “actual cases” of “adolescents who think they have 500 friends, because they have 500 friends on Facebook, but these are the kinds of friends who, if you say, ‘I had a sandwich,’ they ask ‘Did it taste good?’”

Mir persönlich fehlen da noch Katzenbilder, aber ansonsten ist das doch eine akkurate Zusammenfassung der Lage, meint ihr nicht?

Soooo falsch ist das alles gar nicht, was der Herr Chomsky da erzählt. Früher war alles besser, vor acht Wochen zB war noch Sommer. Allerdings möchte ich hinzufügen: Wenn im Internet jemand – speziell „adolescents“ –  erzählt, er hätte ein Sandwich gehabt, würde ich als Nachfrage erwarten „Who were the guys?“. Oder, um Chomskys Bemühungen um die englische Sprache zu würdigen, „With whom?“.

Doch, doch…

… ich bin noch da, auch wenn die dank des Kiezneurotikers hier Gelandeten einen gewissen Stillstand verspüren mögen. Es ist sogar ein etwas längerer Beitrag in Arbeit, der in der nächsten Zeit wohl seinen Weg auf diese Seite finden  wird. Ein Hauptgrund für meinen Blog-Neustart war, dass ich nicht mehr so wütend gegen dieses charaktermaskendurchsetzte Polittheater anschreiben wollte, weil mich (und viele andere scheinbar auch, das lese ich in letzter Zeit oft) das nur noch frustierte. Sondern eher wieder persönlichere Geschichten, natürlich voll aus der Deckung der Anonymität heraus und mit bedeutungsschwangerem Anspruch an das Große Ganze. Hat bisher super geklappt, schon klar.

Genau deswegen verkneife ich mir zur aktuellpolitischen Gesamtsituation sämtliches „Hab ich doch schon tausendmal geschrieben und schreib’s halt jetzt nochmal“-Rumgeheule, nur soviel sei mir gestattet: Albrecht Müller von den Nachdenkseiten stellt mit einer bravourös gewählten Überschrift eine Frage, die als Artikel eigentlich nur zwei Buchstaben mit einem darauf folgenden Ausrufezeichen benötigt: Sind wir schon so verblödet, dass wir uns erst dann aufregen, wenn Frau Merkel von den US-Diensten abgehört wird? Auch Fefe dreht angesichts der Absurdität der ganzen Veranstaltung frei, Stichwort Spezialdemokraten:

Schmerz lass nach! Das bescheuertste Statement des Tages kommt von der Verräterpartei. Achtung, festhalten:

„Wer die Kanzlerin abhört, der hört auch die Bürger ab“

IHR PFEIFEN! Wir WISSEN schon, dass die uns alle abhören! Nur dass sie auch die Merkel mit ihrem angeblichen Hochsicherheitstelefon abhören, das wussten wir noch nicht. Mann Mann Mann. DAS IST DOCH GERADE DIE IRONIE AN DER SITUATION JETZT!

Wird es irgendetwas nützen? Nein. Es wird sich schon ein Krieg, ein spektakulärer Bruch der Koalitionsverhandlungen oder eine Wirtschaftskrise finden, und plötzlich haben alle die ganze Sache ganz schnell wieder vergessen bzw. zu den Akten gelegt. Zur Not werden halt ein paar riots gegen Minderheiten inszeniert, da haben vor allem die Geheimdienstler Erfahrung drin, und die haben ja einiges gutzumachen.

Wie das mit dem Vergessen funktioniert, sieht man gut an Thomas de Maiziere. Der durfte im Morgenmagazin die übliche Bundeswehrpropaganda verkünden und seinen Senf zum abgehörten Merkelhandy dazu geben, ohne sich peinlichen Fragen zu Panzer-, Drohnen- oder Sturmgewehrpannen stellen zu müssen. Dabei hatte Merkel dem schon vor 5 Monaten ihr Vertrauen ausgesprochen, der hält sich richtig gut. Was er im Interview nochmal unterstrich mit dem dezenten Hinweis, er sei ja auch schon Kanzleramtsminister und Innenminister gewesen, also Top-Ziel, um abgehört zu werden. Und eben immer noch im Amt, wohl auch demnächst wieder, egal in welchem.