Wallraff zum Wochenende

Günter Wallraff ist ein tragischer Held. Nicht als Hauptfigur seiner Bücher, sondern in dem, was reales Leben genannt wird. Stellt man sich die Frage, ob es seit Kriegsende einen Journalisten in Deutschland gegeben hat, der mehr bewirkte als er, kommt man ins Grübeln. Stellt man sich die Frage, ob Günter Wallraff ein Journalist ist, ebenfalls.

Mit seinen Reportagen von den Rändern der bundesdeutschen Gesellschaft schrieb er Geschichte, keine Frage. Immerhin – und dieser Umstand wird beim Thema Wallraff mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stets zur Sprache gebracht – wurde in Schweden ihm und seinem Arbeitsstil zu Ehren ein neues Wort kreiert: wallraffa.

Im Wikipedia-Artikel zu seiner Person wird einem nochmal klar, was diesem Mann alles zu verdanken ist: Aufdeckung bzw. Aufklärung über Portugal- und Griechenlandfaschistenputsche, das Elend des Industriearbeiters, speziell des zugewanderten, und das Böse in persona – die Bild-Zeitung und der Springer-Konzern. So kann man Wallraff ohne Bedenken in eine Traditionslinie mit Kisch und Lania stellen. Hat der Mann eigentlich ein Bundesverdienstkreuz? Nein? Aber die hier alle schon?

Allerdings findet sich bei Wikipedia auch die dunkle, tragische Seite des Günter Wallraff dokumentiert: Skandale und Skandälchen, von Vorwürfen zum Thema Sozialbetrug über Urheberrechtsstreitigkeiten, Ghostwriter, Stasi bis zum Anti-Islamismus. Nicht zu vergessen das Blackfacing – mit „Schwarz auf Weiß“ bewies Wallraff, dass er längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit war, was die aktuellen intellektuellen Diskurse betraf. (OT: Ich habe gerade vor kurzem erst gelernt, dass die populäre Sitcom „The Big Bang Theory“ nichts als „Nerd-Blackface“ sei – bis jemand kommt und auf reddit verkündet, dass mit dieser unbeholfenen Analogie das Blackfacing relativiert würde).

Wallraff kann, rein biologisch bedingt, nicht mehr das machen, was er vor Jahrzehnten tat: abtauchen, undercover recherchieren, sich als Mittdreissiger ausgeben, der beim Stahlkocher im Pott die Knochenarbeit macht. Sein letzter großer Wurf könnte eine Reportage über die Missstände in Altersheimen werden, dieses Thema drängt sich auf so vielen Ebenen geradezu auf.

Stattdessen hat Günther Wallraff letzte Woche scheinbar der dpa ein Interview gegeben. Von wem die Initiative dazu ausging, ist nicht klar, auch das Interview selbst habe ich bisher nirgends gefunden. Allerdings wurde die Hauptaussage in mehreren Medien zitiert, und das war wohl auch der einzige Sinn und Zweck der Aktion (neben dem Umstand, dass Wallraff mal wieder in der medialen Öffentlichkeit auftaucht): Im Koalitionsvertrag, egal ob es den geben wird und wer ihn schliesst, muss laut Wallraff festgeschrieben werden, dass Edward Snowden in Deutschland politsches Asyl zu gewähren sei.

Warum? Also nicht, warum Snowden Zuflucht in der Bundesrepublik geboten werden soll, sondern: Warum kommt Günther Wallraff jetzt mit dieser Wortmeldung? Es ist richtig und nötig, auf die Brisanz des Themas hinzuweisen, es weiter am Köcheln zu halten, so schwer das auch sein mag. Wie schwer es ist, kann man daran erkennen, dass Wallraffs Forderung kaum Widerhall gefunden hat. Doch auch die schon angesprochene Gestrigkeit der Autorenlegende zeigt sich hier: Mit dem festen sozialliberalen Moral-Kompass der 70er-Jahre-Bundesrepublik ausgestattet mal einfach eine naive Bedingung für den Koalitionsvertrag aufstellen. Mit dem Namen wird man dann wenigstens kurz in der Presse zitiert, auch wenn es viele besser geeignete und informiertere Experten zum Thema gibt.

Die zum Beispiel wissen, dass man Edward Snowden dringend davon abraten müsste, in Deutschland Asyl zu beantragen. Selbst wenn es ihm – von mir aus auch per Koalitionsvertrag – zugesichert werden würde [Süddeutsche-Interview mit Prof. Joseph Foschepoth]:

Der NSA-Whistleblower Edward Snowden hat unter anderem in Deutschland um Asyl gebeten. Manche Politiker wollen ihn gerne als Zeugen vorladen. Wäre Snowden gut beraten, in die Bundesrepublik zu kommen?

Auf keinen Fall. Aufgrund des Zusatzvertrags zum Truppenstatut und einer weiteren geheimen Vereinbarung von 1955 hat die Bundesregierung den alliierten Mächten sogar den Eingriff in das System der Strafverfolgung gestattet. Wenn eine relevante Information im Rahmen eines Strafverfahrens an die Öffentlichkeit gelangen könnte, heißt es in Artikel 38, „so holt das Gericht oder die Behörde vorher die schriftliche Einwilligung der zuständigen Behörde dazu ein, dass das Amtsgeheimnis oder die Information preisgegeben werden darf“. Gemäß der geheimen Vereinbarung wurde sogar der Strafverfolgungszwang der westdeutschen Polizei bei Personen aufgehoben, die für den amerikanischen Geheimdienst von Interesse waren. Stattdessen musste die Polizei den Verfassungsschutz und dieser umgehend den amerikanischen Geheimdienst informieren. Dann hatten die Amerikaner mindestens 21 Tage lang Zeit, die betreffende Person zu verhören und gegebenenfalls außer Landes zu schaffen. Was nicht selten geschah. Im Übrigen hat natürlich die Bundesregierung keinerlei Interesse, sich auf einen neuen Kalten Krieg, dieses Mal mit den Vereinigten Staaten, einzulassen.

Was also bleibt übrig von Wallraffs Forderung? Hat er nicht genügend recherchiert, bevor er den Mund aufgemacht hat? Oder wurde auch hier die Wahrheit wieder nur verkürzt per dpa-Schnipsel wiedergegeben? Leider ergibt sich daraus auch, dass die eigentlichen Probleme – Geheimverträge etc. – gar nicht erst thematisiert werden. Der Wallraff hat da ja schon so was schön griffiges zu gesagt.

PS. Da heute schon wieder Wochenende ist, gibt es als Bonus-Track einen Text, den ich vor über zehn Jahren (2002) schrieb. Er kam mir durch das Thema wieder in den Sinn, ich kramte ihn hervor und stell ihn jetzt hier rein, kommentarlos, roh und ungeschliffen, wie ich ihn fand:

Die letzte Fahrt des Hans Esser

„Ich möchte mich nicht in Köpfen befinden, zusammen mit Gedanken, die unter Einfluss vom Axel-Springer-Verlag enstanden!“     Jan Delay

( Eine fiktive Annäherung)

Es war sowieso alles egal. Sein ganzes Leben. Sollen sie doch kommen, die Wellen. Alle Tsunamis dieser Welt konnten ihm nichts mehr anhaben. Zerstört hatten ihn ganz andere Sachen, sehr viel früher.

Dieser alte graue Mann befand sich auf seiner letzten Tour. Er wusste es irgendwie, doch nicht bewusst. Berühmt war er, berüchtigt und streitbar. In seinem Haus in Köln steht eine Tischtennisplatte, die mehr erzählen könnte als der Teppich vor dem Schloss Bellevue.

Damals hatte er an dieser Tischtennisplatte Wolf Biermann so was von in den Boden gespielt. Der wohnte nach seiner Ausbürgerung kurzzeitig hier und die Welt schien so klein, dass man sie in einem Tag erobern könnte. Sie wollten es jeden Tag auf`s neue probieren, aber irgendwie blieben sie immer an der Tischtennisplatte oder einem neuen Buch oder einer Marihuana-Zigarette hängen. Härtere Drogen nahmen sie nicht. Nicht wegen irgendeiner Moral, sondern aus Protest. Kurz zuvor hatten sie die verschriftlichten  Rauschberichte von Ernst Jünger gelesen, und mit diesem Kriegsverherrlicher wollten sie nun gar nichts gemein haben.

Aber nicht nur Wolf Biermann bespielte diese Tischtennisplatte, auch Salman Rushdie und andere wirklich bedeutende Menschen des letzten Jahrhunderts.

Doch Köln war wirklich weit, weit weg. Der alte Mann befand sich mitten auf dem Mittelmeer. Er war oft hier. Nicht genau an diesen Koordinaten, genau genommen wusste er überhaupt nicht, wo er war. Das Mittelmeer brachte ihm immer irgendwie eine Art Entspannung. In Deutschland war er schließlich ein bunter Hund. Die Menschen erkannten ihn, obwohl er dadurch berühmt wurde, sich zu tarnen und zu verkleiden. Er war die letzte Ikone der Sechziger Jahre, die noch nicht in der Regierung saß.

 Wenn heute in Berliner Parlamenten über die Integration von so genannten türkischstämmigen Jugendlichen debattiert wird, dann kann er nur müde lächeln. Das konnte er schon immer gut. Müde, wissend und bedauernd lächeln. Man hat ihn noch nie lauthals lachen sehen. Der „Journalist“ Tiedje behauptet sogar, dass der alte Mann nicht lachen könne, zumindest aber dafür in den Keller gehe.

Dabei war er es doch, der die umgekehrte Integration an sich selbst testweise vollzog. Und dies dann journalistisch dokumentierte, dass dem deutschen Volk (gemeint ist natürlich, historisch korrekt, das westdeutsche Volk) hören und sehen vergingen. Denn er führte ihnen vor, dass sie wegsahen und weghörten, wenn es um ihre ausländischen Mitbürger ging. Dieser arme Türke Ali, der rackte und schaffte und seinen Körper verkaufte, er wurde ausgebeutet. Bei ihm schien der alte Marx doch recht gehabt zu haben. Wie schlimm und unmenschlich doch selbst die soziale Marktwirtschaft sein konnte!

Dann kam ein tiefes Loch voller stürmischer Begeisterung für ihn, der ein neues Genre im deutschen Journalismus geschaffen hat. Er war schon immer Extremsportler. Da ist dieser junge Spund von dem irischen Hausboot-Familienclan gar nichts gegen. Er kletterte aus dem tiefen Loch locker heraus, und das was danach kam, war zu vergleichen mit der anschließenden Besteigung des Mount Everest. Schließlich war er es, der alte Mann, der sich mit der mächtigsten Kraft anlegte, die es damals gab. Gegen wen richteten sich denn die Studentenproteste der sechziger Jahre? Wer wurde für den Mordanschlag auf seinen alten Freund, den größten Studentenführer den Deutschland je hatte, verantwortlich gemacht? Und war es auch? Genau! Und er wagte sich damals in die Höhle des Löwen. Es war Krieg in Deutschland, so kalt, dass es heißer nicht ging. Und er stieg direkt hinab in die Hölle. Natürlich hatte jeder einen gewissen inneren Groll gegen diese gigantische Meinungsmachereimaschinerie, aber er war es, der die Beweise lieferte. Er war Teil des Systems. Einer, der vorgab sich in das Borg-Bewusstsein zu integrieren, aber eigentlich ein verdeckter Ermittler in eigener Sache war. Und danach wieder – Begeisterung, Bewunderung, Erstaunen und eine Prozesslawine. „Viel Feind, viel Ehr“ – er konnte sich nie für die militaristischen Parolen seiner Elterngeneration erwärmen, aber hier stimmte es.

Doch das Loch was sich dann auftat, war zu tief, um wieder herauszukommen. Es passierte zu viel, und leider war er nicht am Geschehen beteiligt. Sein Land veränderte sich. Doch er wollte sich nicht verändern. Er hat den Absprung verpasst. Alle anderen Intellektuellen aus seiner Generation standen auf der Jublerliste für die SPD, waren tot oder im Untergrund. Die „Antje-das-Walross-Lookalikes-Gang“, die er mal zusammen mit Wolf Biermann und Günther Grass gebildet hatte, war auseinandergebrochen. Von ihm wurde erwartet, so weiter zu machen wie bisher. Er hatte sich in irgendeinen verdeckten Job hineinzubegeben, abzutauchen und ein halbes Jahr später wieder mit sensationellen Meldungen aufzutauchen. Sowohl seine Freunde als auch sein Verlag und Stefan Aust, der für den Spiegel die Vorabdrucksrechte gesichert hatte, erwarteten das von ihm. Doch er wollte und konnte nicht mehr. Er spielte Tischtennis und fuhr Kajak.

Der Wassersport entwickelte sich immer mehr zu einer Leidenschaft. Sein letztes Experiment scheiterte. Er wollte er selbst sein. Doch in seinem täglichen Leben stellten sich immer wieder die detektivischen Momente ein. Er beobachtete sich selbst und versuchte, die passenden Formulierungen für sein Handeln zu finden. Nicht zu drastisch, aber auch nicht zu harmlos. Doch dann bemerkte er, dass sich wohl keiner dafür interessieren würde, wie seine Tochter morgens ihr Müsli zubereitete. Das Projekt „Leben als Günther W.“ war gescheitert.

Er fing an, noch mehr Sport zu treiben. Und, was viel schlimmer war, Steine zu sammeln. Sein ganzes Haus war vollgestapelt damit. Seine Frau hasste ihn dafür. Von überall her brachte er sie mit. Egal ob klein wie ein Stecknadelkopf oder groß wie ein Wagenrad, er musste sie haben. Er hatte von seinen Eltern ein Haus in Köln geerbt und durch Honorare und weitere Erbschaften genug Geld, um weitere Häuser zu kaufen. Eine Ruine erstand durch seine Hand zu neuem Leben, um eine Steinsammlung zu beherbergen. „NaturSkulpturen“ – das war seine neue Berufung. Er verehrte Hans Arp, doch dachte er, dass er mit seinen Steinen den alten Meister übertreffen, ja vollenden würde. Schließlich ist diese Kunst Jahrmillionen alt, von der Natur, der Schöpferin, selbst modelliert.

Der alte Mann bekam vor zwei Wochen zwei Anrufe kurz hintereinander. Der erste Anruf kam aus einer französischen Kneipe. Man hörte im Hintergrund das Gemurmel alter Fischer und das des Meeres. Die Stimme am anderen Ende der Leitung schien mehr als dubios, und außerdem nicht mehr ganz nüchtern. Es war ein scheinbar etwas verwirrter Mann, der ihm mal so nebenbei vom perfekten Stein erzählte. Der alte Mann wusste schon lange, dass es den perfekten Stein geben musste. Und sein Gefühl sagte ihm auch stets, dass er irgendwo im Mittelmeer liegen würde. Nicht umsonst zog es ihn seit Jahren hierher. Die weintrunkene Stimme am anderen Ende beschrieb im schweren, fischertypischen Proletenfranzösisch eine Insel, nur beschwerlich vom Festland zu erreichen, an deren Strand der Stein liegen sollte. Dann wurde das Gespräch unterbrochen.

Der zweite Anruf war von seinem alten Freund Rüdiger. Der gelernte Bäcker aus Hamburg ist durch waghalsige Aktionen berühmt geworden. Rüdiger fragte, ob der alte Mann gewillt sei, ein wenig Geld zu verdienen. Ein Fernsehsender plane eine Serie, in der „normale Menschen“ vier Wochen lang unerkannt durch Deutschland reisen sollten. Rüdiger, Survival-Spezialist von Südamerikanischen-Indianer-Götter-Gnaden, hatte den Vertrag schon unterschrieben. Er sollte den „Kandidaten“ das Überleben in der mitteleuropäischen Wildnis inklusive Verzehr heimischer Insekten beibringen. Und den alten Mann wollten sie für das unerkannte Überleben in der Großstadt haben. Von der RAF wollte keiner mitmachen, deswegen sind sie auf ihn gekommen.

Der alte Mann packte seine Sachen zusammen und flüchtete ans Mittelmeer. Er schnappte sich sein Kajak und paddelte auf`s Meer hinaus. Er wusste, dass er sterben würde, aber er wusste auch, dass er den Stein sehen würde. Und er wollte lieber den Stein sehen und sterben, als auch nur einen Fuß auf vermeintlich journalistisches Gebiet setzten, das auch nur irgendwie nach Endemol roch.

Als die große Welle gegen den Bug seines Bootes schlug, verwandelte er sich ein letztes Mal. Er wurde wieder zu dem egoistischen, energiegeladenen und menschenverachtendem Arschloch Hans Esser, der alles tat, um weiter zu kommen. Doch diesmal half es nichts.

Und nu?

So schlecht lag ich mit meiner realistischen Prognose also gar nicht: CDU über 40%, SPD hat sich kaum gesteigert, Grüne und Linke gleichauf und einstellig, AfD knapp nicht drin, FDP nicht ganz so knapp nicht drin. So weit, so schlecht.

Da es für eine absolute Mehrheit bei der Union auch knapp nicht reicht, stellt sich die Frage, wer die Umfaller-Rolle der FDP übernimmt, ich tippe auf die SPD. Dass die versprengte Truppe von Rösler und Brüderle achtkantig rausgeflogen ist, ist die einzige positive Botschaft dieser Wahl. Trotzdem schliesse ich mich der Meinung von Michael Schmalenstroer  und Stefan Niggemeier an, dass es nun an der Zeit ist, über die Fünf-Prozent-Hürde nachzudenken (wenn einem der Sinn nach Reförmchen steht statt nach grundlegenden Veränderungen).

Die Stimmen der Liberalen – was früher ja einmal für eine ernstzunehmende politische Strömung stand, denen es nicht nur um den freien Markt, sondern auch um Bürgerrechte ging – haben sich auf FDP, AfD und Piraten verteilt (ein wenig wohl auch an die Grünen, CDU und SPD). Die AfD erlebte ihren Piraten-Abgeordnetenhauswahl-Moment, die Piraten ein Desaster. Dieses wird auch der AfD nicht erspart bleiben, aber mit dem beachtlichen (wenn auch vorhersehbaren)Wahlergebnis von knapp unter 5 % ist die Bundesrepublik in der kontinentaleuropäischen Normalität mit populistischen nationalliberalen Kleinparteien angekommen.

Wer auch immer mit Merkel regiert, wird verlieren. Die Sozen werden nicht den Arsch in der Hose haben, die Koalition zu verweigern und statt dessen eine Opposition zusammen mit Links gegen Schwarz-Grün auf die Beine zu stellen. Ist schliesslich – um schon mal eine Floskel vorwegzunehmen – ein ernster Auftrag in diesen Zeiten, da braucht man eine stabile Regierung, gerade als so starker Faktor in Europa, Dienst am Vaterland, da kennt man keine Parteien mehr usw.

Und all die progressiven Netzvollschreiber, Vordenker und hippen Berufsjugendlichen mit apple-Vollausstattung haben es gerade mal geschafft, die Piraten nicht ganz untergehen zu lassen. Trotzdem sind deren 2,2 % eine Katastrophe für all jene, die meinten, dass ihre Filterblase irgendeine Relevanz in der realen Welt hätte. Schirrmachers Feuilleton-Brigade, um es mal so auszudrücken, ist eben nur eine possierliche Marginalie für den Sonntagsnachmittagstee, regiert wird weiterhin mit (und durch) Bild und BamS.

Also eine weitere grosse Koalition. Das lässt wenigstens auf eine wachsende APO hoffen, ein klitzekleines Bisschen.

Übrigens: Cajus Julius Caesar (natürlich CDU) wurde auch in den Bundestag gewählt und kann dort ohne den Umweg über Nachrückerplätze einmarschieren. O tempora…

Schnipsel zum Wochenende

Der Steinbrück-Erpresser, falls sich wer erinnert, stellte sich ja als Ex-Postvorstand heraus. Schon allein das ist natürlich ein Brüller: Ein ehemaliger McKinseyaner und als Vorstand eines der größten deutschen Unternehmen praktizierender Kapitalist erpresst den Finanz-Zampano der SPD, und zwar mit angeblicher Schwarzarbeit aka Steuer- und Abgabenhinterziehung. Allerdings: Das Sahnehäubchen ist sein Rechtfertigungsversuch. Er hatte sich geärgert über Steinbrück, hat sich die Wut vom Herzen geschrieben und wollte es dabei bewenden lassen. Dann ist der Brief aber irgendwie, vollkommen zufällig und unabsichtlich, in die Post geraten. Sagt der ehemalige Postvorstand. Glaub ich sofort, keine Fragen mehr.

Wovon man ja auch viel zu wenig hört – das bemerkte irgendwer aus meinem rss-feed heute morge zu recht – ist dieser zugedröhnte Typ, der mit sich und seinen Halluzinationen vier Stunden lang im Regierungsflieger ungestört Party machen konnte. Das ist doch der Terrormann [(c) flatter] schlechthin. Ich meine, das war nicht nur ein Flugzeug, sondern auch noch eins der Regierung! Wieso fordert da keiner mehr Videoüberwachung in Luftbereitschaftsmaschinen? Lückenlose Telefonüberwachung und Vorratsdatenspeicherung anyone? Nicht? Na gut…

Nachtrag und einige Worte zur Blogroll

Nach langem Zögern und dem Fehlen einer besseren Alternative habe ich mich also entschlossen, doch wieder ein Blog aufzumachen. Und dann, beim Aufarbeiten der als Lesezeichen abgelegten Artikel, beim Suchen nach verlinkenswerten Texten, kommt mir das hier über den Weg gelaufen. Gut, im Juli hatte ich ganz andere Sorgen, aber jetzt ärgere ich mich doch ein wenig, diesen Beitrag nicht früher entdeckt zu haben.

Wie viele Blogger würden sich sofort eine Software des Verfassungsschutzes, der NSA oder des Geheimen Weltamtes für totale Unterdrückung installieren, wenn man ihnen nur erzählte, dass diese Software Besucher auf ihr Blog bringt; Besucher, die Werbeeinnahmen und gefühlte Bedeutung mit sich bringen? Wie viele Blogger dokumentieren im Moment nur ihre dumme Gleichgültigkeit, wenn sie ihr Blog zu einem Vehikel für die Reklameklickgroschen machen und diesem Zweck das Erfordernis weniger erfreulicher und weniger leicht verdaulicher Mitteilungen unterordnen.

Genau das. Ebenso interessant wie der Artikel selbst sind die sich anschliessenden Kommentare – es sind nur 20, während jeder Hirnfurz des Herrn Lobo ein Zehnfaches an Kommentaren bringt, aber das nur nebenbei. Jedenfalls drehen sich die Wortmeldungen hauptsächlich um technische Sachverhalte, es sind Vorschläge, wie die „Großen“ unter den Social-Media-Anbietern umgangen werden können. Und genau das ist charakteristisch für viele ähnliche Diskussionen in der „Netzgemeinde“: Es wird an den Symptomen rumgedoktert, technische Alternativen werden diskutiert, aber die Ursachen werden nicht oder kaum angegangen.

Das Problem hat einen Namen: Kapitalismus. So einfach ist das, und dann doch wieder nicht. Ich bin weit davon entfernt, zu glauben, dass mit der Abschaffung dieser menschenverachtenden Wirtschaftsordnung das Paradies auf Erden erschaffen werden würde. Im Gegenteil: Inzwischen bin ich desillusioniert genug, um den Menschen und sein Geltungsbedürfnis, seinen Drang nach Wettbewerb und das „Sich mit anderen messen müssen“ als Grund allen Übels ausgemacht zu haben, wobei der Kapitalismus einfach nur die passende zeitgemäße Hülle ist. Früher waren das halt Kriegszüge gen Russland oder Karthago. Der Pessismismus des Verstandes ist bei mir also klar vorhanden, mit dem Optimismus des Willens hapert es allerdings noch etwas.

Bevor ich zu sehr abschweife: Es geht auch anders. Facebook beispielsweise, gern herangezogen als Inkarnation des Bösen (Pflichtzitat hierbei ist das nur zur Hälfte wahre „If you’re not paying for the product, you are the product“), als das kaptialistische Vorzeige-Unternehmen im digitalen Zeitalter schlechthin, und seinen nicht minder hässlichen Geschwistern Google und Apple kann – selbst im Rahmen des real existierenden Kapitalismus – das Beispiel Wikipedia entgegen gestellt werden. Das könnte fast Hoffnung geben, wären da nicht die Eitelkeiten der beteiligten Menschen, die diese Hoffnung wieder zunichte machen.

Würde man objektiv (haha, schon klar) versuchen, die 80er-Jahre-BRD mit der heutigen zu vergleichen, wäre letztere dann nicht der DDR mit ihrer Gesinnungsdiktatur und Überwachungsmaschinerie viel ähnlicher als dem Mutterland des Grundgesetzes? Aber das sind Äpfel und Birnen, noch dazu in unterschiedlichen Reifezuständen. Ganz zu schweigen von dem gewaltigen Dreck, den sich auch der gesamte freiheitliche Westen im Kalten Krieg an den Stecken gepappt hat: Ulbrichts „Es muss demokratisch aussehen….“ passt hier genauso gut, nur halt unter umgekehrten Vorzeichen – es wurde alles getan, damit die Kommunisten nicht an die Macht kommen, egal ob demokratisch oder nicht.

Was also werden wir unseren Enkeln erzählen? Wie rechtfertigen wir oder unsere Apologeten uns in der Zukunft, wenn in dieser eine Star-Trek-ähnliche Utopie ohne Geld und kapitalistischer Verwertungslogik verwirklicht wäre? Nun, man kann Trekkie sein und trotzdem böse, wie der NSA-Chef mit seiner Kommandozentrale beweist (natürlich gibt es „böse“ genausowenig wie „gut“).  Star Trek kann – wie alles – nicht nur in eine Richtung gedeutet werden: Als gutwillige Meritokratie, wie Fefe es unlängst tat, oder als Verschwörung des Kommunisten Roddenberry zur Aushöhlung der Grundfesten der US-Gesellschaft, ob man das jetzt gut findet oder nicht.

Werden die kritischen Stimmen von Ingo Schulze, Konstantin Wecker oder Georg Schramm inzwischen besser gehört? Müssten es nicht viel mehr Stimmen sein? Sind es nicht eigentlich auch viel mehr Stimmen, die einfach nur im Rauschen untergehen? Keine Ahnung.

Um noch auf den zweiten Teil der Überschrift einzugehen: Ich schrieb, dass ich mich in der Gesellschaft der Blogroll wohlfühle. Natürlich ist auch das nur ein Kompromiss, nichts und niemand deckt sich zu hundert Prozent mit meinen Ansichten. Ich schliesse mich zum Beispiel dieser Kritik am Kiezneurotiker an – und lese ihn trotzdem gern. Ebenso kann ich – unter anderem wegen den weiter oben angeführten Kapitalismuskritik-Versatzstücken – nichts mit dem sich dem Antikapitalismus (vorerst) verweigernden Text von mspr0 anfangen, trotzdem folge ich gerne seinen Gedanken, um selbst auf welche zu kommen. Und deswegen hab ich die Blogroll noch etwas erweitert: Um den Radwechsel, um den Duderich und um das Narrenschiff. Weitere werden folgen, hoffentlich.

Wählen? Pest und Cholera wären schön…

Titanic-Wahlplakat Erststimme Ströbele/Heesters

…aber wir haben nur die Wahl zwischen mehr als einem Dutzend alberner Parteien. „Was du auch wählst, es kommt immer >Deutschland< dabei raus“ heisst eine Veranstaltung, die der Stressfaktor für heute abend vorschlägt. Und genau so isses.

Der unsäglich-unfassbare Prolog, den die gestrige Bayernwahl geliefert hat, beweist doch den Unsinn dieser ganzen Veranstaltung. Von hundert Wahlberechtigten gingen 64 wählen. Von den 64 waren knapp unter die Hälfte, also sagen wir mal 31 30, so dämlich, die CSU zu wählen. Und 30 von Hundert – mal ganz abgesehen von denen, die nicht wählen dürfen, obwohl sie Jahrzehnte hier leben, egal ob wegen ihrer Herkunft oder ihres derzeitigen Aufenthaltsortes, Psychiatrie oder Knast beispielsweise – also 30 von Hundert wird jetzt von diesen Dobrindts und Seehofers und Aigners als Rückgewinnung der absolute Mehrheit gefeiert.  Passt scho, wenigstens die FDP seid’s losgeworden. Der fällt grad eh nix G’scheites ein ausser „Künast sieht scheisse aus und will uns alles verbieten, rot-rot-grün, buhu!“ Tolle Demokratie!

Da hilft es auch nicht, dem ganzen ein politikwissenschaftlich-avantgardistisches „Post“ voranzustellen, das wirkte schon bei der Moderne und dem Strukturalismus allenfalls hilflos. Es ist mit der Verfasstheit unserer Verfassung in etwa so wie mit der Werbung – dem anderen (eigentlichen?) Übel dieser Zeit: Die Lasagne  sieht nicht im entferntesten so aus wie das Bild auf der Packung, jeder weiss das, niemand regt sich auf. Und egal ob da jetzt Pferdefleisch drin ist oder NSA, war doch eh klar, hat doch jeder gewusst, irgendwie.

Wozu also bei diesem Theater mitmachen? Wenn jemand ernsthaft erwägen würde, diese ganze Geheimdienstgeschichte mal aufzulösen, im doppelten Sinne. Wenn dabei all der kranke Mist, der sich zwischen den gut gemeinten Fugen des Grundgesetzes festgesetzt hat, entsorgt werden würde. Wenn die Entscheidungsbefugnisse und die Systemrelevanz wieder dem eigentlichen Souverän zugestanden werden würde statt den Aufsichtsräten, Klüngelnetzwerken und kapitalistischen Verwertungsmaschinerien – dann vielleicht.

Aber solange die Staatsräson dadurch geschützt wird, dass von der Allgemeinheit bezahlte Verfassungsschützer ihre schützende Hand über all unsere Kommunikationskanäle halten, die sie sicherheitshalber stets im Blick haben, Grenzen hin oder her;
solange sie zu unser aller Sicherheit Nazi-Vereine wie den KKK, Nazimusiklabels und Naziterrorgruppen aufbauen, um sie bei Bedarf hochgehen zu lassen (gerade sind Nazis halt in, das ging und geht auch in die andere Richtung);
solange ein staatstragendes Gewese um Nationalitäten gemacht wird, anstatt sich endlich mal ernsthaft um einen Ausweichplaneten zu kümmern;
und solange „unsere“ Regierungen uns unsere Drogen verbieten, nur um ihr lukratives Schwarzmarktmonopol auf diesem Gebiet nicht auch noch an die menschenhandelnden Mafiarocker zu verlieren, die sich über ihre verbeamteten Handlanger sowieso schon kaputtlachen –
solange macht wählen gehen doch nun wirklich keinen Sinn, oder?

Wenn man also aufgrund dieser ganzen verlogenen Wahlmotivationswerbung in die Versuchung kommt, am nächsten Sonntag ein Kreuz zu machen, dann bitte wenigstens ein ganz großes, quer über den Wahlzettel, er ist groß genug. Und danach kann man sich dann mal ernsthaft Gedanken über eine neue APO machen, Zeit wird’s.

PS. Der ARD-Deutschland-Trend (sic!, siehe oben) sagt:

CDU 40%

SPD 28 %

Grüne 10 %

Linke 8%

FDP 5 %

Piraten 2,5%

AFD 2,5%

Ich sag – realistische Variante-

CDU 41%

SPD 27%

Grüne 8%

Linke 8%

FDP 4,9%

AfD 4,9%

Piraten 4,9 %

-wenigstens halbwegs spannende Variante, wenn auch unwahrscheinlich

CDU 38 %

SPD 26%

Grüne 10%

Linke 11%

FDP 2,9%

AfD 5 %

Piraten 5 %

Top, die Wette gilt! Oder es fällt vorher noch ein ordentlicher Meteorit vom Himmel und beendet dieses ganze irdische Trauerspiel. Wär mir lieber.

Da bin ich…wieder

Ein paar Worte, um Verfasser und Blog kurz vorzustellen:

Studierte mal. Jetzt nicht mehr.

Schrieb mal ein semi-erfolgreiches Blog voll. Jetzt nicht mehr.

War mal verliebt und verlobt. Jetzt nicht mehr.

Wohnte mal woanders als in Berlin. Jetzt nicht mehr.

Hatte mal Illusionen und Hoffnung. Jetzt nicht mehr.

Ansonsten: Blogroll anschauen, das ist die Nachbarschaft, in der ich mich wohlfühle.