Widerwillig; Splitter und Links

Aufkleber auf einer gefliesten Kneipenklowand: KvU bleibt!
(auch schön, und viel schärfer ist dieses Bild zum Thema)

Im Moment: Viel zu viel Leben für viel zu wenig Zeit.

Vereinzelt gab es Nachfragen, warum es hier denn so ruhig sei.  Der Duderich fasst es in treffende Worte (und hat eine wunderbarpassende Begleitmusik dazu): Ah…, wenn man lange nichts gepostet hat, dann ist es schwer die Relevanz zu finden, die es wert ist, das eigene bleierne Schweigen zu durchbrechen. Selbstverständlich scheitere ich daran, aber ich kann mich gut leiden und habe Verständnis für mich.

Wobei mir der letzte Satz noch nicht über die Lippen kommt, aber auch das ist etwas besser geworden im neuen Jahr. Etwas. Manchmal. Jedenfalls: Dieser Artikel liegt hier seit dem 28. Januar rum, immer wieder wird ein bisschen dran rumgefeilt und ergänzt – und sich dann gedacht: Wirklich? Warum?

Die Veränderungen kamen schleichend, der Vorsatz nur bei genauerem Betrachten hinter einem Schleier erkennbar. Oder gar nicht, weil purer Zufall: Seit der letzten Erkältung Anfang Dezember morgens statt der Kanne Kaffee eine Kanne Tee – und einfach dabei geblieben. Seit der Scheidungskindhund im Westen ist keine langen Podcasts mehr gehört. Aber auch viel zu wenig Bewegung und Struktur, was geändert gehört, ich arbeite daran, immerhin. Doch vor allem: Rausgegangen, sehr oft; Menschen getroffen, ganz schön viele; Zeit verschwendet, mal nicht alleine. Konzerte, Geburtstage, Morgengrauen. Am Ende trotzdem – trotz dem Spass, trotz des Spasses, den es machte – das Gefühl: Ich bin zuviel rumgerannt und es ist doch nichts passiert.

Dabei blieb natürlich einiges auf der Strecke, man kann halt nicht alles haben. Schreibblockade mal anders, wenigstens aus einem guten, triftigen Grund kaum was zu Papier gebracht. Und wenn ich lese, dass Marcus Kluges Pause von 1989 bis 2013 dauerte und er dann innerhalb kurzer Zeit so viel Gutes geschrieben & gesammelt hat, dann besteht ja vielleicht doch Hoffnung.

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Hier beisst sich übrigens die Katze in den Schwanz: Wir befinden uns ja gerade – falls sich wer fragt – am Anfang einer kleinen Linksammlung. Ab und an finden sich in diesen Sammelsurien auch Veranstaltungshinweise – und der Herr Kluge plant, ebenso wie die fabelhaften Candy Bukowski, Sabine Wirsching und Monsieur Manie in absehbarer Zeit eine Lesung. Noch mehr Grund zum rumrennen (& rausreden). Zu allem Überfluss dann noch die Berlinale.

Eigentlich wäre sie sang- und klanglos an mir vorbeigezogen (auch was Neues, früher wälzte ich Programmhefte noch und nöcher). Dann rief aber jemand an und fragte, ob ich nicht mitkommen möchte, zu ein oder zwei Filmen. Also doch, und also doch im Programm gestöbert. Der Kurt-Cobain-Film wäre naheliegend gewesen, klappte jedoch leider nicht. Den kann man sich aber garantiert später und bei anderen Gelegenheiten anschauen – und das war doch immer das Berlinalefilmhauptauswahlkriterium: Etwas schauen, was man höchstwahrscheinlich nie wieder zu Gesicht bekommt. Nun lief eines der ausgewählten Werke im Delphi, das schöne, alte Delphi mit den schönen, alten Geschichten. Wo Madame arbeitete und ich seitdem nicht mehr war. Es ging gut, ich habe wohl langsam meinen Frieden gemacht, jedenfalls die ersten Waffenstillstandsverhandlungen erfolgreich überstanden. Beate Uhse ist scheinbar schon lange weggezogen, dafür kampieren ein paar mehr Obdachlose vor dem Ullrich unter den S-Bahn-Bögen.

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Der letzte Kinobesuch, ich hatte es ja vor zwei Beiträgen ( und drei Wochen…) kurz angesprochen, war deutlich unangenehmer. Nicht nur des Themas oder der Umsetzung wegen. Hauptsächlich war es das Kino, welches allein aufgrund der günstigen Lage und des passenden Zeitpunkts gewählt wurde: Es lag halbwegs in der Mitte unserer Wege und wir wollten danach noch ins Baiz – also Kulturbrauerei. Welch Fehler, vor allem blauäugig zwei Bier zu bestellen. Da war der zweite Zehner weg. Ich hab mir danach sagen lassen, das wäre eins der angenehmeren Multiplexe, aber zwei große Bier brauchte es schon, um erträglich zu sein.

Die Nischenpressenkritik und die Leute um mich rum hatten an Wir sind jung, wir sind stark (durchaus berechtigt) rumzukritteln. Zur Vorbereitung ignorierte ich zwar sämtliche Besprechungen, sah mir aber am Abend vorher nochmal the truth lies in rostock komplett an. Keine Frage, dass der die Geschichte viel besser, tiefer und genauer erzählt. Und krasser. So ein Anspruch ist bei Spielfilmen allerdings auch schwierig zu erfüllen (und schlechterdings zu fordern).

Da ich mit dem flauen Gefühl im Magen nicht schlafen gehen wollte, schaute ich mir danach endlich Fraktus an, der verstaubte schon länger auf der Festplatte. Ich war ganz angetan und es klappte gut mit dem Schlafen danach, was nicht zuletzt an Devid Striesow lag. Umso überraschter war ich am nächsten Abend im Kino, ihm schon wieder zuschauen zu dürfen – ich hatte im Vorfeld wirklich nichts gelesen zu dem Film. Also, mein Laienfazit: Gute Schauspieler und gute Bilder. Die Story hat den Nachteil, dass sie sich entscheiden muss – zwischen Vietnamesen und Roma – und das in diesem Fall ganz klar tut. Oder zwischen dem persönlichen und dem politischen Handlungsstrang, und beide nur in Andeutungen erzählt. Da hätte man sicherlich einiges besser machen können, aber es wurde immerhin gemacht. Als Spielfilm, der nicht an Dokumentarfilmkriterien gemessen werden sollte. Deswegen fand ich auch das „metaphorisch überhöhte Ende“ nicht schlimm.

Das Geld, welches ich zuhauf im Kino ausgab, holte ich vorher aus der gleichen Bank, die ich vor knapp einem Jahr schon besuchte. Die selbe ist es nicht mehr: Kein Obdachloser weit und breit, dafür schreckliche Musik. Erst einen Tag später erfuhr ich, dass es sich dabei um das neue Konzept zur Steigerung der Kundenfreundlichkeit im Kampf gegen die Armen handelt.

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Zu den Nachrichten: Die DDR-Herkunft schlägt sich bei mir auch in seltsamen Sportbegeisterungspräferenzen nieder. Ein weiteres Bekenntnis: Ich schaue Skispringen. Am vergangenen Wochenende fand nun auf der (derzeit noch) größten Schanze der Welt, dem Vikersundbakken, ein Skifliegen statt. Gundula Gause verkündetete dazu am Sonntagabend im heute journal (wörtliches, komplettes Zitat aus der Mediathek):

Beim Skiflugweltcup im norwegischen Vikersund hat Severin Freund seinen fünften Saisonsieg gefeiert. Auf der größten Schanze der Welt, dem berüchtigten Monsterbakken, segelte der 26jährige über 237 und 245 Meter weit und gewann damit überlegen vor dem Norweger Fannemel. Eine perfekte Generalprobe für die am Mittwoch beginnende WM. 

Ganz schön viele Informationen für eine so kurze Meldung, eigentlich. Wie sich das für eine seriöse Nachrichtensendung gehört. Allerdings: Was zählt, ist allein das Deutsche. Der Rest ist irrelevant, wurde schliesslich – wie in diesem Fall Anders Fannemel – überlegen geschlagen. Da hilft es ihm auch nicht, dass er im ersten Durchgang noch vor Freund führte. Weil er 251,5 Meter weit geflogen ist – und damit einen neuen Weltrekord aufstellte (Die 250 Meter fielen erstmals am Vortag, und vor gerade einmal 15 Jahren knackte der Goldberger Andi die 225 Meter, aber ich schweife ab…). Was dem heute journal nicht mal einen Nebensatz wert ist, so ein neuer Weltrekord. Wäre ich zynisch, würde ich bezweifeln wollen, dass der Aktuellen Kamera so ein Fehler (in der Tat fehlt ja etwas) unterlaufen wäre, selbst wenn der neue Weltrekordler aus der BRD gekommen wäre. Und dabei ist Fannemel Norweger und nicht mal Russe (der stand seine 254 Meter leider nicht…)

Klar, das ist nur eine Kleinigkeit aus einer Randgruppensportart. Trotzdem bezeichnend. Ich könnte natürlich auch grössere Fässer aufmachen, aber deren Inhalt ist ja allgemein bekannt, bis zur Ignoranz bekannt sozusagen. Im Großen wie im Kleinen. An dem einen Tag wird Lügenpresse zum Unwort des Jahres gekürt, am folgenden echauffiert sich der  ARD-Nachrichtenchef darüber, bei einer Inszenierung ertappt worden zu sein. Er schreibt, nachdem das entlarvende Bild durch das Netz ging: Aber es ist doch so:  Wenn sich Politiker vor eine Kamera stellen, ist das immer eine Inszenierung, jede Pressekonferenz ist eine Inszenierung. 

Genau so isses, das braucht man den Leuten aber doch nicht erzählen, dass die Politiker da weit ab vom Schuss (pun not intended) einsam in der Gegend rumstehen. Oder, dass bei Bundestagssitzungen längst keine Gesetze mehr beschlossen werden. Wenn,  dann in den Ausschüssen vorher, und geschrieben werden sie in den Anwaltskanzleien der Lobbyverbände. Wer wird denn so etwas gleich verlogen nennen?! Anteilnahme kann man sagen, oder – wie im Falle der Berliner Olympia-Bewerbung, deren Logo sich ein Lokalfernsehsender gleich dauerhaft oben in die Ecke pappt –   Begeisterung! Selbst die BVG ist total verlogen begeistert, und mag auf einmal sogar Graffiti! Allerdings nur die mit dem richtigen Inhalt, so weit geht die Meinungsfreiheit dann doch nicht. Olympia sagen darf übrigens nur, wer bezahlt, selbst wenn er „Juhu, Olympia!“ sagen will.

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Kurzum: Nur, weil die anderen böse sind, müssen wir längst nicht die Guten sein (& überhaupt: Was zum Teufel machen wir hier eigentlich?). Gerade eher im Gegenteil, und bevor ich mich noch zu Folterberichten, Saudibegräbnissen, Pressefreiheit oder Blasphemieparagrafen äußern muss, über eine absurde Überwachungspolitik, die unangenehme Fragen aufkommen lässt, lieber zu etwas angenehmeren.

Schöne Texte zum Beispiel. Beim Durchblättern fiel mir auf, dass ich schon lange nichts mehr von Glumm verlinkt habe – das liegt einfach daran, dass man den immer lesen kann. Sollte. Den Mann mit dem Pudel. Ebenso lassen die Fauser-Huldigungen hier in letzter Zeit arg nach; die Seite Mein Harry Gelb, die sich dem Harry-Gelb-Streetart-Duo widmet, schafft da vielleicht Abhilfe. Ein interessanter Remix auf alle Fälle, aus einer Kunstfigur eine neue Kunstfigur in einem neuen Kontext zu schaffen. Das klappt auch ganz amüsant, wenn man sich die Frage stellt, wie Philosophen sich als Nerds so geben würden.

Worte sind ein merkwürdiges Tier, und manche können es überaus kunstvoll bändigen, mit digitaler Unterstützung sogar präzise auf 18 Wörter pro Satz. Andere, wie der Kiezschreiber, versuchen sich (unbeabsichtigt?) an der Variation von Klassikern, hier: die  Kuh Elsa. Zum Abschluss des Ausflugs in die Tierwelt noch eine amüsante Anekdote aus dem Dschungel vor der Supermarktkasse.

Die Bändigung kann genauso beeindruckend sein, wenn sie eher bedrückend statt amüsant vonstatten geht: Wie etwa bei Detlef Kuhlbrodt oder Peter Richter; Spaziergänge durch Kreuzberg, Dresden und das, was war und was ist. Umso schöner, ab und an eine freudige Überraschung zu erleben.

Musik: Asal hat ein Mixtape. Und etwas weiter im Osten wird sich mit noch fernöstlicherer Musik beschäftigt.

— endet hier.

Überbleibsel

Es ist ja so: Fängt ein Text mit „Es ist ja so“ an, dann erwartet man erst mal eine Ansage, etwas Konkretes. Tja.

Und ganz ähnlich ist das mit dem neuen Jahr und den ganzen Vorhaben, die man vor hat: Erst mal den Kater auskurieren, ausschlafen, halbwegs wieder in den Alltag zurückfinden, der genau der ist, den man dachte, mit dem vergangenen Jahr hinter sich gelassen zu haben. Tja.

Eigentlich schleppt man Jahr um Jahr mehr Ballast mit sich rum, und deshalb wird es Zeit, einiges davon loszuwerden. Neuer Ansatz, zwei Fliegen/eine Klappe: Eine Linkliste, willkürlich kombiniert mit den Analogfoto-Überbleibseln des letzten Jahres. Der Film war schon so lange im Apparat, dass sogar noch ein Gruß von der Hamburger Dachterasse drauf ist. Dabei ist diese Reise schon länger her, als noch Zeit vergeht bis zur nächsten, wenn alles klappt. Egal, Katzencontent:

Katzenstatue sitzend, ihr wurde ein Hut aufgesetzt

Beginnen wir mal ausnahmsweise am Anfang: Dort standen bei vielen westdeutsch sozialisierten Menschen oft drei Fragezeichen. Also: Die drei Fragezeichen. Sowas gab es bei uns im Osten natürlich nicht, da gab es nur Ausrufezeichen. Und im Satz, den sie beendeten, stand meist irgendwas von Sozialismus und Sieg und Solidarität. Trotzdem würde ich, hätte ich Kinder, wohl die gleiche Wahl treffen, die bei Perspektiefe mit all ihren Fährnissen anschaulich geschildert wird (& was für ein schöner Titel!). Vor allem, wenn ich so höre, was die Kinder in meinem Umfeld so hören. Meist geht es um reiche Mädchen und Pferde. Immerhin kann einer der Kleinen noch den halben Tag (wortwörtlich) total begeistert mit dem Mobiltelefon rumlaufen und die Egon-Olsen-Titelmelodie kreischend mitbrüllen.

Auf Die drei Fragezeichen stiess ich viel später und aus zweiter Hand, sozusagen: Diejenigen, die damit gross wurden, frönten ihrer Begeisterung für die Kinderhörspielkassetten ja grade auch als Studenten ausgiebig. Das machte sich eine Theatertruppe aus Wuppertal zunutze und füllte die Hallen quer durch die Republik. Selbst mit fehlendem Hintergrundwissen und der falschen Sozialisation war das stellenweise ganz unterhaltsam. Doch auch – wo wir schon mal beim Thema sind – aus ganz anderen, noch seltsameren Jugenderinnerungen mit zweifelhaftem kulturellen Background lässt sich ein krudes Theaterprojekt machen: Katholische Sexualaufklärung aus den Siebzigern? Warum nicht, ab auf die Bühne! Dorthin gehört auch Gregor Keuschnigs Schmierenkomödie Zapfenstreich, die es bisher nur in Textform gibt.

Weisse Wände, in einer Ecke hängt unter der Decke eine Maske, im Vordergrund ist ein Rehgeweihzack zu erkennen, darunter ein Aufkleber "Old Europe"

Ein harter Schnitt, da müssen wir jetzt durch: Bei den Nachdenkseiten wurde heute eine Leserin mit der Anmerkung zitiert: Der Wahlkampf 2017 wird eine Braune Schlacht. Mir graut es jetzt schon! Stimmt wohl, aber wer braucht eigentlich die AfD und Pegida, wenn Seehofer schon vor 3 Jahren „bis zur letzten Patrone“ gegen „Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme“ kämpfen wollte? Zauberlehrling usw.

Zur tagesaktuellen Situation enthalte ich mich, alles viel zu unklar, auch und vor allem in meinem Kopf, nur eins noch: Das Zusammentreffen unschöner Ereignisse kann zu einem unerwarteten Ausgang führen, sprich: Die Gunst der Stunde, oder der böse Zwilling von Kairos sprechen gerade vielleicht für die Islamhasser. Vielleicht aber auch im Gegenteil – ich bin nur etwas skeptisch, weil ich kürzlich die arte-Doku über Ishiwara Kanji gesehen habe: Eine von der Mehrheit nicht gewollte Militäroperation nationalistisch-konservativer Offiziere glückt dummerweise und macht aus der liberalen, modernen Demokratie der 20er Jahre einen von Nationalismus besoffenen Hitlerverbündeten. Platt ausgedrückt, aber so schnell kann es gehen.

Natürlich reicht es zur Erklärung aktuellen Geschehens nicht aus, nur in alte Bücher zu schauen. Aber es gibt da durchaus interessante, hochaktuelle Stellen, bei Foucault zum Beispiel, wie auf haftgrund zu lesen ist. Gemischt mit einigen der unzähligen Alltagsberichte – Keiner kommt hier lebend raus, ohne Zweifel – führt das unweigerlich zu gezielter Ignoranz. Manchmal reicht es aber auch schon, sich nur eine Statistik mal ganz genau durch den Kopf gehen zu lassen. Oder ein Taufregister zu lesen, das inzwischen wahrscheinlich schon jeder kennt, aber es passt so gut zu den nächsten beiden Bildern:

Graffiti-Schriftzug an einer Hauswand: Ein Kiez wehrt sich

Brandmauer eines Wohnhauses, mit großen Schriftzügen plakatiert zu Mieterhöhungen und Modernisierung

Berlin also, und die alten, leidigen Berlin-Probleme. Da es hier überraschend ruhig ist (die für spätestens zum 31.12. erwartete Modernisierungsankündigung lässt erstaunlicherweise noch auf sich warten. Wir reiben uns die Hände, nicht nur, weil die Kohlen langsam knapp werden…), ein paar nützliche Hinweise zum Berliner Winter von katjaberlin. Eine der blödesten Sachen am Winter in Berlin ist der November. Grübeln, Gedanken nachhängen, noch mehr Gedanken nachhängen und fotografieren. So ähnlich ging es mir auch, nur schaffte ich es selten bis an die Tastatur. Dann kam der Dezember und mit ihm, wenn man weihnachtsbedingt in die Heimat der Kindheit und Jugend fährt wie Thorge, auch die Erinnerungen. Auf melancholie modeste sind es die an den sonntäglichen Esstisch der Großeltern – und was dieser (nicht) mit Neukölln zu tun hat. Apropos Essen:

Street Art paste up eines kleinen Mädchens, das kniend eine Meise füttert, an einer Hauswand direkt neben einem Restauranteingang

Gleich nebenan – aufgenommen wurde dieses Bild im Herzen von SO36 – befindet sich ein Imbiss namens Curry 61. Während das aus Funk&Fernsehen bekannte Curry 36 im tiefsten Kreuzberg 61 liegt. Muss man nicht verstehen, dieses Berlin (es hat wohl mit der Hausnummer zu tun, aber psst!). Genausowenig wie die immer noch existierende Schlange vor dem Gemüsekebap. Doch ich schweife ab, eigentlich sollte es jetzt um schöne & gute Texte gehen.

Erstmal die Theorie: In der NZZ schreibt Matthias Politycki darüber, was ihn zum Schreiben brachte. Aléa Torik setzt sich mit der zweifelhaften Notwendigkeit von Handlung auseinander und Jutta Reichelt mit der Leserperspektive. Ganz ähnlich, nur etwas weiter gesteigert (Lesen vor Publikum), in der angenehmen Reihe „Vielleicht später“ vom Suhrkamp-Blog: Bad Segeberg von Detlef Kuhlbrodt. Zum Schluss, aber immerhin, sei noch auf die Lyrik-Betrachtungen bei kleinedrei hingewiesen. Kommt ja sowieso meist zu kurz, die Lyrik.

Als Finale einige Praxisbeispiele, sozusagen. Tikerscherk lässt ungeschaffenes Licht strahlen, in Lencois, wie es der Kiezschreiber beschreibt, strahlt die Sonne etwas trostlos auf einen Säufer, Monsieur Manie beschreibt in mehreren Teilen Die Probe und Thibaud sagt etwas über eine Musikerin. Auch in diesem (einen von vielen, wie bei allen anderen Erwähnten und vielen Nichterwähnten ebenso) schönen Text von asal spielt Musik eine wichtige Rolle. Asallime, soviel Resumee muss sein, war neben Mikis Wesensbitters Mauerfall-Tagebuch meine Blog-Entdeckung des letzten Jahres.

Falls jetzt jemand angesichts des Jahresbeginns einen Ausblick erwartet hat: Da verweise ich auf Ahne, oder auf dieses Bild:

Blick über die Bahntrassen Richtung Potsdamer Platz, im Hintergrund der Fernsehturm

Muss ja auch mal wieder sein: Eine Linkliste

Da sonst gerade wenig Neues hier passiert, wenigstens ein paar Hinweise auf andere interessante Texte. Derzeit geht es mir mal wieder ähnlich wie Claudia Klinger – die Welt um mich herum ist mir unbegreiflich. Da will ich nichts mit zu tun haben, egal ob es jetzt „das Netz“ ist oder Berlin, was da schlechte Laune macht. Und ich frage mich mit zunehmender Frequenz, was mich davon abhält, den Daumen in den Wind zu halten, das Netz Netz sein zu lassen und mir irgendwo eine Hütte im Wald zu suchen. Wäre wahrscheinlich auch für mein Schreibfluss viel besser, der stockt nämlich gerade wie ein fauliger Tümpel.

Vielleicht liegt es am Wetter, vielleicht an mir. Obwohl: Das Wetter ist eigentlich ganz gut, keine Beschwerden soweit. Doch bevor das, was in drei Koffer passt, gepackt wird, bleiben wir noch kurz in Berlin. Ich durfte ja am Rande ein wenig daran teilhaben, wie die Frau Wiaaasching jr. gerade ihren Berlin-Nichtliebesroman auf die Beine stellt; eine weitere fiktive Liebesgeschichte aus Berlin, die aber wirklich so passiert ist, schildert Andreas Bock im Dummy Magazin. Klingt verwirrend, ist aber so.

Doch wohin? Weit, weit weg, nach Japan etwa, über das Leopold Feldmaier immer wieder so schön schreibt? Oder doch nur nach Dänemark, wo ich schon unzählige Male war, aber jetzt schon länger nicht mehr, vor allem nicht in dessen Hauptstadt, die einen neuen Stadtteil übergeholfen bekommen hat? Oder nach  Atlanta, wo mit grauer Farbe gegen Gentrifizierungevents gekämpft wird?

Wenn jedoch eigentlich die Weltflucht immer die Flucht vor einem Selbst ist, dann kann ich auch gleich in Berlin bleiben. Hier erzählt das Leben immerhin auch ziemlich harte Geschichten. Und wenn man Glück hat, so wie die hochgeschätzte tikerscherk, dann verlängert einem die flächendeckende Gesundheitsversorgung dieser Stadt das Leben ein wenig. Es kann aber auch passieren, dass sich auf den Krankenhausfluren einfach nur die Tage ins Unendliche ziehen. Und im allerschlimmsten Fall laufen hier tagelang Menschen an einem toten Kleinkind vorbei, ohne auch nur die Nase ob des Geruchs zu rümpfen.

Ja, starker Tobak, das alles. Und bevor es besser wird, noch ein Blick in die Klassenzimmer, mithin in die Zukunft. Wenn einen nicht ständig die eigenen Gedanken nerven würden, könnte man sich jahreszeitenadäquat unter eine dicke Decke legen, lesen oder fernsehen. Hab ich aber schon: Breaking Bad in drei Wochen, begeistert. Den letzten Herrndorf, zwei Tage, nicht so begeistert (Gut, nicht großartig. Obwohl es großartige Stellen gibt, wie den Anfang beispielsweise.).

Was bleibt, ist die Einsicht, dass die Hölle in uns selbst liegt – idealerweise verpackt in wunderbar berührende Worte, wie asallime das tut. Und drei gute Texte mit Bildern: Im Falle von disputnik mit einer wunderbaren Photographie, bei der wolkenbeobachterin und Kennedy Calling sogar mit aufschlussreichen bewegten Bildern.

Und mit einem Video will auch ich diesen Beitrag hier beenden. Zu meinem Erstaunen konnte der Mitbewohner nichts mit The Streets anfangen (Er ist eigentlich der Hip-Hop-Fan von uns beiden). Aber er hatte eine gute Antwort: Kennst du Sleaford Mods, fragte er mich. Kannte ich nicht. Ein Erlebnis seien die, der eine Typ meckert die ganze Zeit, der andere sitzt daneben und drückt ein paar Knöpfe. Und beide scheinen ein veritables Drogenproblem zu haben. Recht hatte er, mit allem. Und als wäre das noch nicht genug, spielte mein Lieblingsbarmann in meiner Stammkneipe letztens die komplette Platte durch, purer Zufall.

Bonustrack: Der Kiezneurotiker feiert sein Zweijähriges. Klar, wissen alle längst, Gratulation und so weiter. Kurz vor dem Jubiläum hat er sich durch die Hintertür meiner Kommentarspalte hier als Gastblogger eingeschlichen und gibt ein Roadmovie – betrunken zu Fuß durch den Prenzlauer Berg, auf der verzweifelten Suche nach Jacky Cola – zum Besten.

Kraut und Rüben

Als Überbrückung – ich bin ja schon so gut wie in Hamburg, juhu – noch ein paar Links und Bilder für das lange Wochenende, teilweise sogar bewegte (und bewegende).  Zuerst: Hamburg hat sein Lächeln verloren, auch darauf bin ich irgendwie gespannt, wie es jetzt dort ist, kurz nachdem OZ seinem Berufsrisiko erlegen ist. Für wirklich tiefe Einblicke lohnt sich dieser Nachruf.

Um solch einen Verlust zu verkraften, braucht es natürlich mehr als ein wenig Auflockerung, aber das ist alles, was ich bieten kann: Zwei krude Interviews, eines mit Quincy Jones, das andere mit Robert Anton Wilson. Keine Ahnung, wer von beiden schräger drauf ist, vielleicht ja gar keiner. Um noch kurz beim Thema Drogen zu bleiben: Diese Geschichte zu den McDonalds-Teelöffeln kannte ich bisher noch gar nicht, wahrscheinlich war ich der einzige. Und eine letzte Kuriosität, ebenfalls vollkommen neu für mich: Die BRD hat eine Exklave in der Schweiz.

Doch zurück zum Ernst, dem hochkulturellen erst einmal – wie er sich beispielsweise bei einem Redaktionsbesuch in der FAS abspielt. Oder bei Suhrkamp, natürlich bei Suhrkamp, wo, wenn nicht bei Suhrkamp. Dort wird gerade der 90. Geburtstag Siegfried Unselds gefeiert, inklusive einem schönen Film mit Männern in blütenweißen Hemden, die sich über die Entstehung eines Unseld-Bild(und Text)bandes unterhalten:

Dazu, und um die wilde Mischung hier möglichst weit aufzufächern, ein paar Zitate von Fauser, hatte ich ja lange nicht. Mir war noch in einer dunklen Ecke des Hinterkopfes in Erinnerung, dass Suhrkamp für ihn ein Thema war. Dank des wunderbaren Registers im Strand der Städte konnte ich das schnell verifizieren, es gab sogar eine gewisse zeitliche Ballung, auf den ersten Blick. Hier die schönsten Auszüge (alle aus dem verlinkten Band, aus den verschiedensten Texten):

Natürlich war mein Weltschmerz damals schon nicht mehr ganz à la mode, er bezog seine Empfindungen – jedenfalls auf literarischem Niveau – aus Attitüden und dazugehörigen Texten, die von Suhrkamp nicht editiert wurden. (1981 – S.535)

„Sich mit Dingen bekannt machen“ – daß wir aus (guten) Kriminalromanen mehr Wirklichkeit erfahren als aus einigen Metern der Suhrkamp-Produktion, war uns schon immer eine liebe These. (1981, S.605)

Am Beispiel der abenteuerlichen Story eines Glücksritters, der – mit finanzieller Beteiligung des Filmstars Clint Eastwood – den Beweis erbringen wollte, daß in Laos und Vietnam noch amerikanische Kriegsgefangene einsitzen, sammelte ich einige Argumente gegen die offenbar nicht nur mich anödende deutsche Suhrkamp- und Schulfunkkultur. (1983, S.766)

Und es sind Filme wie der von Boisset, die mir bestätigen, daß ein von unserer Hochkultur nicht ganz ernst genommenes Genre wie der Spionagethriller präzisere Aufklärungsarbeit über die realen Verhältnisse leistet als ein ganzer Schuber Suhrkamp-Literatur und ihre Verfilmungen. (1983, S.784)

Es schält sich da langsam ein Muster heraus, es wird klar, worum es Fauser geht (und er hat ja auch immer noch Recht damit), aber es droht, redundant zu werden. Jedoch: au contraire, lustiger wirds; es folgt die Vorstellung des Nachwuchsautors Rainald Goetz…

Rainald Goetz ist ein quirliger Mensch von Ende 20, ein Akademiker mit grün oder blond gefärbter Haartolle, Medizin und Geschichte, der sich unlängst darin gefiel, vor den Kameras irgendeiner Kultursendung mit Selbstverstümmelung zu kokettieren und im Herbst (bei Suhrkamp, na klar doch) seinen ersten Roman vorlegen wird, der Irre heißt, na ja doch. (1983, S.786)

Und weiter, auch weiter ausholend, im selben Jahr:

Klar, wir werden den Kulturkampf bekommen, und zwar als Teil jenes großen Kulturkrampfs, wie ihn uns das Kultur-Establishment seit den Tagen der Re-education und der Gruppe 47 so lange um die Ohren gehauen hat, bis wir alle eines Tages geglaubt haben, die Waschzettel der Suhrkamp-Kultur und die Aspekte-Statements der Gremien-Filmer seien Wegzehrung genug für die Teilnahme am geistigen Leben dieser Republik. (1983, S798f)

Doch zum Schluss, nach einer längeren Feuerpause Richtung Suhrkamp, jedenfalls in seinen journalistischen Arbeiten, fast eine Würdigung des Verlages, an dem er sich zwar rieb, aber dem er auch etwas abgewinnen konnte. Vor allem, was Unselds Rolle betraf:

Ein gleichaltriger Lektor von Suhrkamp sagte: Da ist ein Autor, der hat auch mit einem anderen Verlag einen Vertrag über das gleiche Buch wie schon mit dem Suhrkamp-Verlag abgeschlossen. Das hat der Unseld erfahren und ist hingegangen und hat gesagt: Sie sind weg hier. Tough. Hart. Raus. Ich finde das richtig. Es muß Richtlinien geben. (Aus einen Interview mit Fauser, 1985, S.1532)

Soviel dazu. Was bleibt ist mal wieder die harte, traurige Realität:

Eine über und über mit Grafftitis übersäte Wand

 

Grafftiti an einer Häuserwand: Ein Affe, der grimmig den Mittelfinger zeigt, dazu der Schriftzug "Wohnen ist keine Ware"

 

Schriftzug an einer Häuserwand: Militant gegen Gentrifizierung

 

Street Art in einem Hauseingang: Bild eines liegenden Schafes, darunter der Grafftiti-Schriftzug "Die Yuppie Scum"

Die vor kurzem die ersten handfesteren Zahlen ins Haus spülte, nachdem mit anderen Zahlen immer mehr Leute aus dem Haus gespült werden: Derzeit liegen wir  noch etwas unter der Vergleichsmiete, nach der Modernisierung (bei der ein Fahrstuhl natürlich nicht fehlen darf, fürs ausgebaute Dachgeschoss…) soll es knapp doppelt so teuer wie die Vergleichsmiete werden. Offiziell wissen wir jedoch noch von nichts und üben uns auf anwaltlichen Rat im Teetrinken. Daran anknüpfend lässt sich hier mit den Goldenen Zitronen wunderbar der Kreis schliessen, vom bösen G-Wort zu Hamburg. Ich bin gespannt…

 

 

Recht hat er…

…der Kiezneurotiker. Und Felix Schwenzel auch. Und ihnen wird Gehör geschenkt, und dann wird wieder auf die Leute gehört, die auf sie hörten. Und dann … ist irgendwann das Internet voll mit von Hand kuratierten Linklisten. Da kann ich natürlich nicht aussen vor bleiben, die letzte Linkammlung hier ist ja auch schon eine ganze Weile her.

Nun dauerte das Durchforsten der abgelegten Lesezeichen mal wieder besonders lange: Alles nochmal lesen, abwägen, ob es sich lohnt und/oder sich thematisch überhaupt einfügen lässt in das Gesamtkunstwerk Linkliste – und nicht zuletzt nachschauen, ob man diesen oder jenen Inhalt nicht schon einmal verwurstet hatte. Da sich also einiges angesammelt hat im Laufe der Zeit gibt es jetzt sogar – trommelwirbel – Kategorien:

Sachen, die wahrscheinlich eh schon jeder kennt, die es aber wert sind, bis ins Unendliche verlinkt zu werden

Ein Musikvideo, gleich zum Anfang. Um die Stimmung aufzulockern, es für die kommende, vielleicht schwere Kost der Textlinks leichter erträglich zu machen? Eher nicht, obwohl dieses Video durchaus gute Laune machen kann. Also – ich hatte vor einiger Zeit in den Kommentaren schon mal auf den Song „Der Tag wird kommen“ von Marcus Wiebusch hingewiesen. (Standardfloskel: Früher war der viel besser). Jetzt ist das Video dazu da, mit 30.000 Crowdfunding-Euros gedreht, wenn ich das richtig verstanden habe. (Wobei es auch wieder komisch ist, kurz vorher eine Summer of the 90’s-Doku auf arte gesehen zu haben, in der es um die Millionenbudgets für die Clips damals ging) Das Ergebnis kann sich sehen lassen, ganz gut gemacht, schönes Konzept, wie ich finde:

Dazu noch ein paar kurze Anmerkungen: Das Video zeigt sehr schön, dass das Internet nicht gut oder böse, sondern mindestens beides ist (ich mag diese Kategorien ja sowieso nicht besonders). Einerseits: Das crowdfunding, das in diesem Falle geklappt hat. Andererseits: Die schamlosen homophoben Kommentare darunter. Es gibt also noch einiges zu tun und zeigt, wie nötig dieser Song (und dieses Video) sind. Ob es was bringt? Nun, meine Kristallkugel ist gerade nicht griffbereit und auch ansonsten bin ich ja eher ein Pessimist. Trotzdem sollte man es natürlich immer wieder versuchen. Sisyphos halt. Manchmal klappt es vielleicht sogar. Und wenn nicht, gibt es immer noch tolle Videos.  Dieses hier, um ein weiteres Beispiel zu nennen, zu einem ganz anderen Zweck produziert.

Zum Abschluss und als Überleitung ein letztes Propagandavideo, dessen Anliegen ebenfalls nicht oft genug betont werden kann:

hard stuff

Hier scheint es also so, als ob der Protest etwas bewirkt hätte. Nur: Aaron Swartz hat sich aufgehängt. Das klingt nicht nach einem Sieg. Scheitern ist immer möglich. Womit wir schon beim nächsten Thema wären: Durch Robin Williams‘ Abschied wurde  mal wieder anderthalb Tage lang über Depression und Suizid gesprochen. Für Andreas Biermann ist in den Tagesthemen niemand auf den Tisch geklettert, doch auch er hat seinen Kampf verloren. Denn genau so sehe ich das: Es ist ein Kampf, viele schaffen es, wenigstens ein Unentschieden rauszuholen, aber es kann durchaus auch schiefgehen, wenn die Dunkle Fee (die dir den einen Wunsch erfüllen kann) plötzlich aus dem Hinterhalt einen Überraschungsangriff startet. Ich würde jedenfalls in diesen anderthalb Tagen, die alle Jahre wiederkehren, gerne mehr komplexere Beiträge lesen anstatt – wie allzu oft – immer nur den Verweis auf den Werther-Effekt, damit kann ich nämlich eher wenig anfangen. Immerhin besser als die Abscheulichkeiten der Presse anlässlich des Suizids von Virginia Woolf. Letztlich muss das jeder mit sich selbst ausfechten: Der, der gehen will, und die, die übrig bleiben. Beides beschissene Situationen. Und bisher ging es ja nur und unzulässigerweise generalisierend um die Themen Depression und Suizid. Das lässt sich natürlich viel breiter auffächern: Intros und Extros, Autismus und so vieles mehr vom Krieg mit sich selbst müsste noch besprochen werden, allein – es fehlt die Zeit und die nächste Kategorie drängelt schon:

Einfach nur tolle Texte … und ein bisschen Literatur

Auch in diese Gefilde soll eine kleine Brücke führen: Der Mythos von Genie und Wahnsinn hält sich ja hartnäckig, wohl nicht ganz ohne Grund. Wenn einem der Wahnsinn bestimmte Filter nimmt, schlägt sich das mitunter in genialen Resultaten nieder. Nachhelfen kann man da – auch aus medizinischen Gründen – mit diversen Drogen. Oder man kauft sich das falsche Steak. Doch sollen die erzählen, die sich damit auskennen: Bei Herbert Volkmann und Andreas Glumm scheint das ohne Zweifel der Fall zu sein.

Mit Letzterem sind wir dann auch schon mitten in den tollen Texten, die sich bei ihm zuhauf finden lassen (sagte ich das bereits?).  Falls man sich je von diesen lösen kann, schlage ich vor, die Reise von Glumms Solingen in Richtung Thorges Hamburg fortzusetzen, sozusagen. Erst zu einem aus den Fugen geratenene Konzert der Beginner, dann dorthin, wo Berlin und Hamburg sich treffen.

Frau Haessys Reise führt dagegen mit dem Zug nach Bonn und Arno Frank verbrachte seine halbe Jugend auf einer Irrfahrt quer durch Europa. Auf Wirre Welt Berlin ist der Weg nicht ganz so weit, er führt lediglich das Treppenhaus runter in den Hof, spätnachts, weil es brennt. Stephanie Bart hat es da schon schwerer, eine Rikscha schiebend auf dem Oktoberfest.

Bei Nilzenburgers Geschichte zu Boris Becker spielt das Oktoberfest erstaunlicherweise keine Rolle, dafür führt er den Vorruf ein: Erlebnisse, die ich mit Persönlichkeiten hatte, die man vielleicht (mich eingeschlossen) ganz anders eingeschätzt hat. Fun Fact am Rande:  Für diese Rubrik fiel mir zuerst ein Erlebnis mit Frank Zander ein. Könnt ich wirklich mal aufschreiben, dachte ich. Dann las ich den ersten Kommentar…

Der Literaturbetrieb, der etablierte, der sich etwa bei dem Berliner Literaturfestival gerade selbst feiert (oder betrauert) ist ja vor allem auch durch Preise, Stipendien und Wettbewerbe gekennzeichnet. Tante Jay hat einen preisverdächtigen Text darüber geschrieben, wie man einen Literaturpreis erringt.

Distinktion ist hierzulande in dieser Branche ja besonders wichtig, das U&E sozusagen. Da wäre es natürlich vermessen, Literatur mit Fussballspielberichterstattung oder Drehbuchschreiben in Verbindung zu bringen und gar zu empfehlen, voneinander zu lernen. Deshalb lieber schnell zurück ins sichere Unterholz der anerkannten, weil kanonisierten und ordentlich gealterten Literatur. Zu der gehört inzwischen ohne Zweifel die sogenannte Beatliteratur, auch wenn man ehedem ein extra Vokabelverzeichnis dafür benötigte (was mich irgendwie an die alljährlichen Jugendwort-Listen erinnert, ich meine, bitch please, sowas können sich doch auch nur Leute mit Immatrikulationshintergrund ausdenken, oder?).

KGB – so lautet die griffige Ab- und Verkürzung zum Thema Beat. Dass es natürlich mehr als Kerouac, Ginsberg und Burroughs  in diesem Universum gibt, zeigt die Neuköllner Botschaft immer wieder (und demnächst mit einem eigenen Blog dazu). Katja Kullmann weist im Freitag auf die bedeutende, doch leider so gut wie vergessene Rolle von Diane di Prima innerhalb der Beatnik-Szene hin. Doch ganz ohne die namensgebenden Köpfe soll das Kapitel hier auch nicht enden: Holy Soul – eine Geschichte über den alten Allen Ginsberg.

Beobachten der Gedanken beim Entstehen…

…kann auch ein schönes Hobby sein. Jagdgebiete dafür gibt es einige, mein favorisiertes ist allerdings Georg Seeßlens Blog. Waidmanns Heil!

Nachrichten aus der Realität von früher und heute – und aus Berlin

Bevor es hässlich wird, bevor wir mit den Armen bis zum Ellenbogen in der Scheisse rühren, die sich da um uns herum abspielt, noch schnell etwas Nostalgie als Reiseproviant. Einiges erscheint dabei so anders und weit weg, aber: some things never change, Mortimer. Also: Fangen wir an mit einem WDR-Bericht über „Raubkopierer“ aus dem Jahr 1986 – ich erinnere mich noch gut an einige der gezeigten Spiele, und an das ewige Spulen mit dem  Kassettenlaufwerk.

Via Nante Berlin bin ich auf Starsky & Hutch aus dem Prenzlauer Berg, Berlin, Hauptstadt der DDR gestossen (aka Toto und Harry aus Ostberlin). Durchaus interessante Bilder aus dem Jahr 1985:

Nur ein paar Jahre später – genaugenommen knappe vier – und nur ein paar Strassen weiter eröffnet sich eine ganz andere Welt, festgehalten in einem Videodokument mit dem bezeichnenden Titel Kampftrinken Berlin ’89. Dessen Entstehung wird hier und hier näher beschrieben – ein schöner Kontrast zum realsozialistisch-piefigen Vopo-Ostberlin. Gewonnen hat übrigens Wolfgang Hogekamp, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Zehn Jahre nach diesem historischen Ereignis lernte ich Hogekamp als Spoken-Word-Aktivisten beim Bastard-Slam kennen. Inzwischen hat er sich wohl die Bezeichnung Veteran redlich verdient, auch wenn er immer noch aktiv ist.

Die 90er kamen und gingen, ein neues Jahrtausend brach an und in Berlin grölten die Säufer wie eh und je, wahre Poesie. Berlin bleibt eben Berlin, im Guten wie im Schlechten. Wie weit ist denn etwa die Cuvrybrache von Barackia entfernt? Besser wird es jedenfalls nicht, weder in Berlin noch generell, mit der Technik, den Neuen Medien und dem Tonfilm.

Nun denn, wir kommen ja nicht drum herum: Die harte Realität also. In der das Kopfwaschen mittels Eiswasser als große Tat zelebriert wird. Zum Glück ist dazu schon alles gesagt bzw. geschrieben worden. So können wir uns den wichtigen Dingen zuwenden: Irgendwo in diesem Land hingen mal wieder eine Weile lang ununterscheidbare Plakate an Laternenmasten – es waren Wahlen. Die Aktion Doppelstimme hatte leider einen wohl etwas unerwarteten Ausgang und so sitzen demnächst jede Menge sauerkrautfurzender Kartoffelfressen in den Parlamenten. What’s new?! Deren Anhänger natürlich genauso wenig Nazis sind, wie diejenigen, die unpolitischen Rechtsrock hören. Kein Scheiss!

Ansonsten? Der Krieg feiert Geburtstag und allerorten fröhlich Urständ, Volker Strübing macht sich dazu Gedanken und ein paar sehr schöne Collagen. Viel zu selten wird der Empfehlung Klaus Baums Beachtung geschenkt, viel zu wenige versuchen sich in Detailarbeit – aber alle schimpfen auf die Presse, die Lügenpresse, die Propagandapresse, die Systempresse; aus allen Blick- und Schussrichtungen natürlich. Dabei aber immer sicher auf dem Sofa oder vor dem Schreibtisch sitzend, an der Front – dort, wo gestorben, wo elendig verreckt wird –  sind andere, unter ihnen auch Journalisten und Fotografen. Mit ganz viel Glück entstehen dann aus dem Elend ganz großartige Bilder, ein altes Dilemma der Kunst. Oder stumpfe Propagandafilme.

Bei allem berechtigten Journalisten(darsteller)bashing, aber auch in der Blogwelt, in der Alternativen zum Holzmedienjournalismus längst angepackt sind, fehlt es meist an einem wichtigen Aspekt, wie sich auch gerade an den  sehr bedauerlichen Vorgängen rund um Carta zeigt: Die Systemfrage. Bei der landet man über kurz oder lang immer wieder, sorry. Wenn das Ziel Gewinnmaximierung ist, dann ist das eben so, deal with it. Oder kritisiere es, kurz und knackig oder gern auch etwas ausführlicher.

Es ist zum Verzweifeln, keine Frage, da kann man auch schon mal etwas expliziter werden in der Sprache. Ob ich eine Lösung habe? Klar:

via.

 

PS./Update: Kurz nachdem ich auf Publish klickte, meldete sich Carta in meinem Feedreader zurück. Zum Neustart werden die Leser im zweiten Satz mit folgenden Worten begrüsst: Wir konnten lästige Bugs im Front- und Backend beseitigen und freuen uns, dass sich nun Arbeitsprozesse vereinfachen lassen und Inhalte schneller online gehen können.

Klar, es geht um die technischen Details in diesem Begrüssungstext. Und nur um die. Seltsam genug. Sonst würde man ja dem Postillon Konkurrenz machen.

Update/PS. noch ein letzter, aber verdammt relevanter Link (via wonko): If you’ve ever wondered what depression feels like, this is pretty damn spot on. It isn’t really being sad, but just being…empty. Den Nagel auf den Kopf getroffen.

Und der Kreis gehört natürlich mit einem Musikvideo geschlossen. Wer es bis hier geschafft hat, hat den jungen, engelsgleichen Eddie Vedder verdient. Mit einem Song, der generell und speziell ganz gut passt, ganz gut den Bogen schlägt. Und den Sack jetzt endgültig zumacht.

 

 

Was die Hitze so ausgebrütet hat

Ick heul‘ ja immer rum, dass es viel zu viel zu lesen gibt. Deswegen wird es wohl mal wieder Zeit, diese Aussage auch theoretisch zu untermauern. Ich weiss noch nicht genau, wo dieser Text hier hinführen wird, ob ich noch zu den Grundsätzlichkeiten komme, die schon seit einer Weile danach verlangen, besprochen zu werden  – jedenfalls an dieser Stelle ein kleiner Blick hinter die Kulissen des Blogs hier: Wie solche Linklisten entstehen.

Nachdem ich mit dem Lesen im Internet angefangen hatte, bemerkte ich recht schnell, dass das ewige „all die markierten tollen Blogs aufrufen, könnte ja was neues dort zu lesen sein“-Manöver sowohl die alte Kiste als auch meine Nerven arg strapazierte. Zum Glück entdeckte ich kurz darauf die rss-feed-option, macht mich schlau, was das denn sei und integrierte meine Bloglektüre erst einmal in das E-Mail-Programm: Wenn sowieso beides Teil meiner morgendlichen Routine ist, was wäre da besser, als zwei Fliegen mit einer Klappe, und so weiter?

Einiges, wie sich bald herausstellte. Denn auch das zum Feedreader hochgepushte Thunderbird trieb die alte Kiste  weit über die Belastungsgrenze. Da ich mich zu dieser Zeit aus anderen Gründen zu einem Google-Account überreden liess, schaute ich mir den dort angebotenen Feedreader etwas näher an – und war dann eine ganze Weile damit sehr glücklich, bis die Oberen aus California sich dachten: Nö, woll’n wir nich mehr.

Also hiess es, sich nach einem neuen Programm umzuschauen. Ich bin generell eher ein genügsamer Mensch, deshalb war ich schon mit dem zweiten getesteten Reader zufrieden (falls es wen interessiert: rssowl). Er kommt gut klar mit den circa  350 abonnierten Feeds – ich allerdings immer weniger, schon allein deswegen, weil es kontinuierlich mehr werden. Auch wegen Linksammlungen wie dieser hier, bloss eben woanders: Beim Kiezneurotiker, bei der Ennomane,  jeden Morgen bei too much information (nomen est omen) etc pp. Dabei lasse ich sogar ganze Kategorien, wie z.B. food- oder fashion-blogs, aussen vor. Dass ich inzwischen beispielsweise die tägliche Presseschau der enttäuschten Willy-Wähler von den Nachdenkseiten so gut wie immer ungelesen wegscrolle, ist da auch nur ein Tropfen auf den heissen Stein.

Mittlerweile hat sich eine Routine eingestellt, die nicht weit von der oben beschriebenen Anfangssituation entfernt ist: Kurze Texte sowie nicht allzu lange Beiträge meiner Lieblingsblogs überfliege ich im Reader. Längere oder graphisch aufwändigere Sachen schau ich mir im Original, sprich im Browser, an. Anschauen, nicht lesen, meistens. Denn die verfügbare Zeit ist schon verronnen, wenn ich mir nur den kurzen Überblick am Morgen verschaffe: Die zwei bis drei Stunden Lektüre, die früher, als die Menschen noch Briefe mit der Hand schrieben,  für diverse Wochen- und Tageszeitungen draufgingen. Die langen Texte werden also erst mal wieder als Favoriten markiert, um sie später zu lesen. Wobei sich logischerweise einiges anhäuft, so dass sowohl die Kiste („Das Öffnen von so vielen Tabs könnte kritisch werden, mein Freund! Hast du auch wirklich alles gespeichert in den ganzen anderen offenen Programmen? Wäre doch eine Schande, wenn…“) als auch ich (Och nö, das sind ja schon wieder dreissig ellenlange Texte, schaff ich jetzt eh nicht zu lesen…) langsam wieder an unsere Grenzen kommen.

Falls ich es dann aber mal schaffe, die Unsortierte-Lesezeichen-Liste ansatzweise abzuarbeiten, füllt sich der Gelesene-Texte-Lesezeichen-Ordner. Der, in dem die Sachen lagern, die später mal in einer Linksammlung verwurstet werden könnten. Womit wir beim Hier und Jetzt angekommen sind.

Allerdings: Wer weiss das schon genau, das mit dem Hier und Jetzt? Zeit ist ja, selbst ohne psychoaktive Substanzen, ein durchaus dehnbarer Begriff. Schwer zu fassen. Gerne wird von den Zeichen der Zeit gesprochen, und damit meist nichts Gutes gemeint. Bei näherer Betrachtung fällt dann aber recht schnell auf, dass die Zeiten sich vielleicht ändern, die Menschen hingegegen – nun ja, eher weniger. Dafür konstruieren sie sich mit Vorliebe Geschichtsbilder, die gerade in de Kram passen. Natürlich: Geschichte wird gemacht (voran geht es dadurch noch lange nicht) –  deshalb heissen Fakten (vulgo: Tat-Sachen) ja auch so,  wie sie heissen.

Doch bevor das hier zu weit abdriftet, zurück zum Konkreten – wie Geschichte gemacht wird: Wie zwei Bösewichte über das too much des Bösen argumentierten (wenn man solche Kategorien mag). Wie es einem geht, wenn man erst das Kriegsrecht verhängt und auf einmal zu einer tragenden Rolle im friedlichen Wandel gedrängt wird. Ob so etwas Hoffnung geben kann, sagen wir mal angesichts heutiger Politiker? Die offen ihre Starrköpfigkeit bekennen, egal wieviele Menschenleben das kostete, kostet und kosten wird? Nur, weil es ab und an einen vermeintlichen, winzigen Lichtblick gibt?

Wirklich einfache Erklärungen greifen leider meist zu kurz. Das, was der che zum neuen Krieg in Nahost schreibt, dem Schlimmsten seit langem, würde ich trotzdem so unterschreiben. Dessen ungeachtet: Da ist Krieg, verdammt noch mal! Da sterben täglich Menschen, da fliehen täglich Menschen, weil ihre Existenz zerstört wird. Und etwas weiter nördlich ebenso. Wobei bei der mörderischen Durchsetzung des Islamischen Staates in der Levante mal wieder die Hinfälligkeit von künstlichen Grenzen klar aufgezeigt wird. Noch ein Stück weiter Richtung Nord-Nordwest wurde der Beweis ja längt erbracht: Oder besteht irgendwo begründete Hoffnung, dass die Krim an die Ukraine zurückgeht? Spricht da noch wer drüber? Stattdessen werden mitten in Europa Zivilflugzeuge vom Himmel geschossen (Der kleine Historiker in mir fragt sich, wann es so etwas das letzte Mal in Europa gab – und brauchte einen Moment, um auf Lockerbie zu kommen. Die Qualität ist aber doch eine andere, meint er.): Keiner will es gewesen sein, alle wissen aber, wer es wie mit wessen Hilfe tat. Passt ja ganz gut, so kann in der Presse von der Fussball-Kampf-Rhetorik ganz einfach auf Kriegsrhetorik umgestellt werden. Wenn man sich die Gesamtlage so anschaut, gab es in den letzten 30, 40 Jahre je mehr Instabilität um uns herum?

Nun ist – zugegeben und trotz verlogener EU-Jubiläumsbekundungen – der letzte Krieg in Europa noch gar nicht so lange her. Also sollte man wissen, wie Scheisse das ist. Oder mal einen Nachbarn fragen, einen von denen, die in Jugoslawien geboren sind, die dann aus Serbien, Kroatien oder Bosnien fliehen mussten und hier hofften, in Ruhe und Frieden leben zu können. Was ja oft klappte. Einfach mal nachlesen, wie die sich so kurz nach dem Krieg fühlten,   in Sarajewo zum Beispiel. Oder man geht einfach raus, ein paar Schritte nur – und es könnte passieren, dass man beim Kaffee im Cafe Kotti in eine Sitzung des Iranischen Exilparlaments gerät. Wie ein geflüchteter jüdischer Iraner in einem linken israelischen Onlinemagazin schreibt. Verwirrende und doch grossartige Vielfalt, gleich vor der Haustür. Doch längst nicht alle haben das Glück, hier anzukommen. Zehn Prozent gehen wohl bei den Überfahrten auf den Seelenverkäufern im Mittelmeer drauf, ich hätte mit mehr gerechnet. Allerdings: Die Gefahr ist nicht nur die Passage, sondern natürlich auch der Weg dort hin, zum Hafen, zum Schiff. Nicht zu vergessen: Das ist reinste (gehobene) Mittelschicht – die Armen können sich eine Flucht schlicht nicht leisten, das war auch schon immer so.

Wer es dann trotz aller Widrigkeiten schaffte, sich hier sogar eine Existenz aufbaute und es zu einiger Berühmt- und Beliebtheit brachte, der ist noch lange nicht in Sicherheit. Selbst mit einer Heirat nicht, wenn da Bürokraten ihre Zweifel hegen.

Der Tod. Da wird es persönlich, da geht es ans Eingemachte. Gut, wenn man sich z.B. schon zur Halbzeit mal Gedanken drüber macht. Selbst, wenn die Umstände denkbar schlecht sind, kann das zum denkbar besten Ergebnis führen. Man könnte es auch Neuanfang nennen, und – schliesslich läuft gerade die Tour de France – mit Neuanfängen, Todeskampf und Grenzgängen kennen sich wenige so gut aus wie Lance Armstrong. Andererseits: Es ist ja auch nicht so, dass die Gedanken, die man sich so über das Leben macht, immer die erfreulichsten sind. Manchmal sind auch die erschreckend, und manchmal schreibt Frau Bukowsky da ganz wunderbar drüber. Womit eine wunderbare Überleitung aus eher düsteren Gefilden gebaut ist: Am Rande sei nämlich noch hemmungslos auf eine lohnenswerte Lesung im sowieso lohnenswerten Hamburg hingewiesen.

Davon kann auch Thorge erzählen, von den schönen Seiten Hamburgs. Und es kommt nur ein bisschen Fussball vor, im Gegensatz zu diesem famosen Glumm-Text. Berlin, nicht zu vergessen, mit all seiner Liebenswürdigkeit. Für die der Kiezneurotiker immer die passenden Worte findet. Schick isset hier. So wie in New York (Rio, Tokio) auch. Es geht um die Stadt, und um die Geschichten, ihre, unsere.  Und bevor es zu pathetisch wird, geht das Schlusswort an Douglas Adams, mit einer wahren Geschichte.

PS. Sommerurlaubsvorschlag: Auf dem Anwesen des Chateau de Clermont nahe Nantes gibt es nicht nur schnieke Luxusappartements, sondern auch ein Louis de Funes-Museum. Nein! D…

(Die Grundsätzlichkeiten fehlen natürlich noch, und so vieles anderes hat sich inzwischen wieder aufgetürmt. Aber der Text liegt einfach schon zu lange hier rum, der muss raus. Nicht, dass der noch anfängt zu müffeln, bei dem Wetter…)

Nachtrag: Der kleine Historiker hat eine interessante Liste bei Wikipedia gefunden. Zitat:  4. Oktober 2001 –  Sibir-Flug 1812: Während einer Übung der ukrainischen Marine wurde eine Zieldrohne irrtümlich mit zwei Boden-Luft-Raketen beschossen. Nachdem die Zieldrohne von der ersten Rakete zerstört wurde, suchte sich die zweite Rakete selbständig ein neues Ziel und traf eine russische Passagiermaschine.

 

Pappelpollen

Es hat eine Weile gedauert: Viele Texte waren zu lesen, andauernd kamen neue dazu. „Ach komm, das wäre doch auch noch was für die nächste Linkliste…“ Dachte ich mir oft, setzte ein Bookmark, auf dass ich den Beitrag in einem ruhigen Moment lese und eben eventuell in die nächste Linkliste aufnehme. (Um die es sich hier übrigens handelt, falls sich wer fragt…) Dann kam auch noch das gute Wetter dazwischen, diverse Seen im Grunewald wollten besucht werden, in Kreuzberg vor der Haustür wurde sorgsam der nächste zerbrochene-Bier-Mate-MiniHugo(!)-Flaschen-Slalom aufgebaut, das heimliche Highlight jeder Großveranstaltung.

Und dann trotzdem der obligatorische Karnevalsbesuch: Erst, weil die Tomaten wirklich dringend umgetopft werden mussten – Dienstag wäre zu spät gewesen, da führte kein Weg dran vorbei, sondern also direkt zur Domäne, wo es die billige Blumenerde gibt. Spassige Sache, Karnevalssamstag um 16 Uhr einen 40l-Sack so schnell wie möglich durch das Gewusel auf die andere Straßenseite zu schleppen, wo es wenigstens etwas ruhiger ist. Abends dann aber wirklich, zwei Fliegen mit einer Klappe, mindestens: Das neue Yaam in der alten Maria wollte ich mir sowieso schon längst angeschaut haben, ausserdem hatte ein guter Freund, der noch vernünftig verabschiedet gehörte vor seinem langen Urlaub, eine +1 auf der Gästeliste frei. Die Band, mit der er verbandelt ist und wegen der wir da waren, ging gut ab, der Rest drumherum eher nicht so. Dafür schien es aber in der Zwischenzeit draussen auf der Strasse ordentlich gekracht zu haben, die Brücke war gesperrt und mit ziemlich vielen Polizeifahrzeugen zugestellt. Obwohl es weit nach Mitternacht war, halfen bei der Absperrung Jünglinge in Uniform, die eigentlich längst ins Bett gehörten. Schnupperpraktikum, kurz bevor es in die Oberstufe geht, dachte ich. Und: Ganz okay, das neue Yaam, dachte ich auch. Klar war das alte Gelände besser, aber immerhin haben sie jetzt mindestens zehn Jahre Planungssicherheit.

Wo wir gerade schon mal bei der Polizei sind: Die twitterte in Berlin 24 Stunden lang jeden Einsatz live. Diese eine, vielbeschriene Seite des Netzes geht mir ziemlich weit am Hinterteil vorbei. Mit sozialen Netzwerken kann ich nicht viel anfangen, der GooglePlus-Account, der mir mal mit einer Betaphaseneinladung aufgeschwatzt wurde, liegt seit Jahren brach und taugt nur noch zur Überraschung über die regelmäßig hereinflatternden Vorschläge, wen man vielleicht kennt (erschreckend genau manchmal). Facebook nutze ich seit Jahren, allerdings nur, um mit Freunden und Bekannten zu kommunizieren, die weiter weg wohnen: Australien, Südafrika, USA, Uruguay, jenseits der Bergmannstrasse, so in der Art. Ich habe dort vielleicht zwei Dutzend Freunde, und noch nie hat einer von denen Essensbilder oder Selfies gepostet. Irgendwas muss ich scheinbar richtig gemacht haben.

Twitter hat mich nie gereizt, ich konsumiere diesbezüglich einzig und allein die monatlichen Lieblingstweet-Listen diverser Blogs. Aber es ist nicht nur die Berliner Polizei – selbst die CIA hat sich jetzt mit einem heissdiskutierten ersten Tweet zu Wort gemeldet. Ich finde das alles andere als witzig: Die eklige, abstossende Seite der Staatsmacht versucht es jetzt also mit Ironie. Ihr mögt mich nicht, weil ich diese ganze Demokratiegeschichte mit meiner Totalüberwachung kaputtgemacht habe? Dann spiele ich jetzt halt den lustigen Klassenclown. So kommt mir das vor, im Jahr 2 nach Snowden. Absurdes Theater, aber nur zum Heulen, nicht komisch. Klar konnte man das alles schon längst wissen, wusste es sogar, verdrängte es aber, bis es eben irgendwann doch durch die Bewusstseins-Oberfläche durchbrach.

Verdammt, und  schon hat sich die Politik hinterhältig eingeschlichen. Dabei will das doch kein Mensch lesen: Atomabfälle vor Afrikas Küsten verklappen und sich dann über Piraten beschweren. Sowas passt einfach nicht, ausserdem ist doch bald WM (und wehe, da krittelt jemand an der diesbezüglichen Gute-Laune-Berichterstattung mit menschelndem Wohlfühlfaktor rum). Dafür werden selbst die Kriege kurz auf Pause gestellt, nicht auf den Schlachtfeldern in der Ukraine oder in Syrien, aber immerhin in den Medien. Nicht mal um den Verbleib des goldenen Brötchens wird sich journalistisch gekümmert, eine Schande! Aber wieso sollte sich auch jemand für eine halbwegs differenzierte Darstellung der Gegenwart interessieren, wenn das nicht mal mit der Vergangenheit funktioniert? Wer es differenzierter will, soll halt ins Museum gehen. Letztens las ich irgendwo die Theorie, dass es in den Nachrichtensendungen so viele bad news gibt, weil es ein Gleichgewicht zu den good news der Werbepausen geben muss. Bei dieser eigentlich guten Nachricht vermute ich allerdings andere Beweggründe, warum sie es nicht in die Tagesschau schaffte.

Also bleibt nur der Rückzug in die innere Emigration, oder in die Wälder, zur Not auch in die inneren. Das passt gut, denn es wird sowieso mal wieder Zeit, hier durchzukehren. Diese Pappelpollen (was für ein schönes Wort für eine so nervige, aber eben auch schöne Angelegenheit – ab in die Überschrift damit) haben ihre Zeit ja nun wohl hinter sich. Die Berliner Polizei twitterte immerhin live über deren Ableben. Und auch sonst gibt es die eine oder andere Veränderung, hier auf der Spielwiese und im Kiez. Das mit der Spielwiese, das Experimentieren, wie ich es genannt habe: ich habe das Gefühl, das klappt ganz gut. Im Sinne des Herumprobierens, möglichst ohne Scheu und Rücksichten. Vielleicht ergibt sich daraus ja dann irgendwann eine Linie, vielleicht auch nicht.

Ich kann mich also eigentlich keineswegs beklagen: Das Wetter passt, ich komme ausgiebig zum Lesen und zum Schreiben gar, und auch mit dem Blog sollte ich zufrieden sein. So ganz falsch läuft es also gar nicht, wenn man liest, was es so für kluge Ratschläge gibt. Jeder der erwähnten Aspekte hat allerdings auch einen kleinen Haken. Das Gelesene wartet auf einem immer größer werdenden Stapel darauf, dass die angestrichenen Sachen aus ihm herausgeschrieben werden. Das Schreiben ist großartig, führt aber doch dazu, dass hier im Blog – Punkt 3 also – Schmalhans mal wieder als Küchenmeister eingestellt wird und es hauptsächlich Aufgewärmtes aus der Tiefkühltruhe gibt. Was ja nicht immer schlecht sein muss, schon klar. So komme ich also nur zu kleinen Justierungen: daMax neue Adresse wird – längt überfällig – in der Blogroll angepasst, und dort kommen endlich auch die Schrottpresse und berlin:street rein.

Überraschungen gibt es natürlich auch allerorten: Da musste erst jemand, die seit knapp zehn Jahren viel zu weit weg in Australien wohnt, für viel zu kurze zwei Wochen vorbeikommen, damit ich mal wieder – auch gefühlt seit zehn Jahren – in den Prater Biergarten gehe. Und mir dann dort erklären lassen, dass die Eisenbahnmarkthalle jetzt (wieder) Markthalle IX heisst und weltweit really famous ist für ihren food market. Ich habe  sie immer mit Herrn Lehmann verbunden, für den es dort, im Weltrestaurant, in der Markthalle und im Privatklub die Premierenfeier gab, die mir aus mehreren Gründen immer in guter Erinnerung bleiben wird, auch, weil sie so gelungen war.

Eine weitere Überraschung – wir sind bei der obligatorischen Literatur-Abteilung angekommen – hat die Mit-Fauser-Jüngerin Katja Kullmann aufgetan. Da gibt es als Sahnehäubchen noch einen alten Text vom Captain Ploog dazu. Wer es lieber zeitgenössischer mag: Die Frau Bukowski haut ein Kleinod nach dem nächsten raus, da werden  sämtlichen Jurys dieses Landes die Ohren schlackern, oder die Augen nervös beim Lesen zucken. Auch auf rocknroulette gab es kürzlich eine sehr feine Serie, falls wer mehr Zeit zum Lesen hat.  Oder bei Glumm, natürlich. Es mag ja bereits angeklungen sein, dass ich den für ziemlich famos halte. Manchmal bin auch ich nicht vor Fanboytum gefeit, deshalb ging es mir ungefähr so wie der wolkenbeobachterin, als hier vor einiger Zeit ein Sternchen aus Solingen eintrudelte. Da ich aus Erfahrungen lernte, ist meine Bewunderung meist eine stille, die eben gerade nicht auf möglichst große Nähe aus ist – ich befürchte bzw. erlebte, dass Menschen, die große Kunst schufen, als Menschen trotzdem Arschlöcher sein können. (Wer weiss, wie ich so von anderen gesehen werde: ich jedenfalls nicht…).

Zum Abschluss gibt es noch einen kurzen, starken Text von tikerscherk  und eine Serie vom Kiezneurotiker zu Rock im Park (der es natürlich nicht nötig hat, von hier verlinkt zu werden, sondern dem für das Verlinken zu danken ist. Nur, dass diese Ausschläge nach oben in der Blogstatistik den Rest immer so kümmerlich aussehen lassen … Wie auch immer, für das „Kann nicht wenigstens mal jemand auf den Boden spucken?“ musste ich einen Link setzen.)

Wem das alles zu viel Text ist, hier sind ein paar Bilder.

kurz angemerkt

Blöde Sache an der Analogfotografie: Wenn man verkackt, dann richtig. Film zum Entwickeln gegeben, gewartet – und nur ein paar Groschen bezahlt, weil da nun mal nicht viel zu entwickeln war. Diese Fehlerquote von 1:4 muss deutlich gesenkt werden. (Noch besser: Eigentlich gingen zwei Filme drauf – Der volle, der ein zweites Mal in die Kamera gelegt wurde, und der leere, der stattdessen ins Labor ging.) Aber egal, rational ist das ja sowieso nicht: Für die Kosten von schätzungsweise 20-50 Filmen würde ich wahrscheinlich ein halbwegs passable Digitalkamera bekommen (Für eine Spiegelreflex mag man da eventuell eine Null ranhängen). Doch darum geht es ja auch gar nicht, wobei ich anfangs gedacht hatte, dass diese Rollfilme bestimmt sauteuer sind inzwischen, wegen ihres Raritätenstatusses. Von daher war ich also eher positiv überrascht.

Blöde Sache an der Ukraine-Krise: Man weiss so gut wie nichts, und man weiss nicht, ob das, was man glaubt zu wissen, wahr ist. Und man steht weiter morgens auf, isst und kackt ( und arbeitet und fickt, wenn man Pech bzw. Glück hat) und schläft. Vulgärsystemtheoretisch muss ich immer mit dem Kopf schütteln, wenn irgendjemand in den zwangsläufig dieses Thema berührenden Diskussionen mit Moral kommt. Die taugt als Argument weder bei der Kapitalismuskritik noch in der Politik. Was ist denn das objektive Ziel Interesse von Politik? Wenn ich derzeit die Rolle Putins betrachte, vielleicht sogar über einen Zeitraum von sagen wir mal zehn Jahren, dann steht er gerade ziemlich gut da: Russland ist wieder wer, mission accomplished. Aber eben: Politik. Die taugt höchstens, um dran zu verzweifeln.

Interessante Nebenbeobachtung: Bei einem der unzähligen Interviews in den Hauptnachrichtensendungen fiel mir etwas auf – die Sponsorenwand, vor der die Interviews gegeben werden. Leider ist es keine wirkliche Sponsorenwand, man sucht die Logos von Krauss-Maffei, Heckler&Koch und Co. vergeblich. Trotzdem: Dass es da eine extra gestaltete und angefertigte Pappwand gibt, die nur für die Kameras da ist, finde ich bemerkenswert. Ebenso wie die FAQs auf der zugehörigen Seite des dafür verantwortlichen Ukraine Crisis Media Centers.

screenshot uacrisis.org

screenshot uacrisis.org

Blöde Sache an den Wahlen zum EU-Parlament: Dass seit zwanzig Jahren jede Chance vertan wird, die Menschen für Europa zu begeistern. Ich hatte das gar nicht so zweifelhafte Vergnügen, in meiner Schulzeit kurz nach dem Mauerfall eine Art freiwillige Reeducation mit regelmäßigen Bildungsfahrten nach Bonn und Brüssel zu durchlaufen. Und ich fand die europäische Idee toll – die deutsche Einheit war vielleicht nicht so dolle gelaufen, aber egal, was zählte, war ja ohnehin die europäische Einigung. Dachte ich damals. Die für die privilegierierten Europäaer offenen Schengen-Grenzen fand ich (abgesehen von dem, was sie für die nichtprivilegierten Menschen bedeuten) prinzipiell ebenso gut wie die Euro-Einführung, die ich zusammen mit begeisterten Niederländern in Zandvoort erlebte: Drei Stunden nach Mitternacht am 01.01.2002 waren die Eurobestände der Geldautomaten durch den großen Ansturm restlos geplündert und die Maschine spuckte nur noch Gulden aus. Und jetzt? Bleibt einem nichts übrig, als den Kopf zu schütteln und Die Partei zu wählen. Die APPD gibt es ja leider  zum Glück leider nicht mehr wirklich, die machte mal einen der ehrlichsten und besten Wahlspots aller Zeiten.

Blöde Sache am Internet: Es ist das, was man daraus macht oder machen lässt. Man kann ihm keine Schuld geben. Aber: Es lassen sich eben auch wahnsinnig tolle Sachen damit machen. Ich fand zum Beispiel diesen Beitrag über die Rolle sozialer Medien in den Protesten in der Türkei (ich glaub ich bin durch ix drauf gekommen) rumdum gelungen. Auch nicht schlecht: Eine Reportage über Ostermaiers Schaubühne in Paris beim Online-Zeit-Magazin. Hier muss ich leider am „rundum gelungen“ sparen, der Text entlockte mir nicht ganz die Begeisterung wie die Gestaltung an sich. Zu behäbig, irgendwie – aber das ist ja auch Geschmackssache. Genau wie dieser Text, mal wieder vom Magazin-Blog, den ich sehr unterhaltsam finde. Andere vielleicht ja nicht.

Hauptsache, man schreibt, auch wenn es nicht ganz egal ist, für wen. Ich sehe das ähnlich wie der Kiezschreiber: In selbstgewählter Mündigkeit selbstbestimmter Verelendung zwar, aber dafür angstfrei. Und wo wir schon mal beim Thema Schreiben & Lesen sind: Schade, dass Hildesheim nicht um die Ecke liegt. Aber immerhin, das Lesen bleibt ja noch, und die Liste wird immer länger. Ohne Internet war es jedenfalls viel langweiliger, und es gäbe keine Youtube-Videos von Schlingensief über Bayreuth. Wo Gysi weitestgehend die Klappe hält. Was man ja nicht glaubt, wenn man es nicht gesehen hat. Grandios.

Ansonsten: Vielleicht mal in den Wedding nach Gesundbrunnen fahren.

 

 

Mehr Farbe, Vielfalt und Abwechslung

…bei den Links und in der Rolle da rechts (und überhaupt!). Schliesslich ist ja auch Frühling. Denke ich mir immer wieder. So quasitechnische Überlegungen machen sich besonders gut, wenn man eigentlich dabei sein sollte, sich den Kopf über die inhaltliche Ausrichtung zu zerbrechen. Aber das nur nebenbei.

Also: Zu Recht hatte tikerscherk vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass in Blogs zwar dieses und jenes steht, aber selten was zur Erotik. Natürlich gibt es da Ausnahmen (und vielleicht ja höchstwahrscheinlich auch eine komplette, unerschlossene Welt), deshalb gehört sunflower22a eigentlich schon längst in die Blogroll. Auch, weil sie immer wieder überrascht. Und wo wir schon dabei sind, gleich die volle Link-Breitseite zum Thema: Eine weitere mir ziemlich unbekannte Welt wurde dank eines Beitrags bei kleinedrei gerade etwas aufgehellt: BDSM. Wie es der Zufall wollte, las ich kurz vorher eine komplett andere Perspektive auf die Sache, was sie um so interessanter, weil anscheinend noch um einiges vielschichtiger, macht.

Eines meiner Vorhaben habe ich in der letzten Zeit ja fast eingehalten: Politik spielt hier oberflächlich kaum noch eine Rolle. Wenn, dann ist das Politische auf das Private, auf das Kleine, runtergebrochen. Natürlich juckt er mir ab und an in den Fingern, der große Rundumschlag, das Ewiggleiche. Und ab und an muss das natürlich auch sein. Aber es ist eben ein trauriges, ewiggleiches Sisyphos-Geschäft. Die Trottel werden immer da sein. Umso wichtiger ist differenzierter, guter Journalismus. Und schon wieder muss ich dazu auf einen Text aus dem Schweizer Das Magazin-Blog verweisen. Das macht glatt die schlimmen Tatorte wieder wett. Doch auch in den Onlineversionen deutscher Holzmedien – Berliner zumal – findet man den einen oder anderen guten Beitrag. Selten – das mag aber auch daran liegen, dass ich da selten reinschaue.

Ebenfalls zum wiederholten Male setzte ich mir bookmark-Sternchen bei Frau Haessy, die oft schöne Texte schreibt – deswegen landet die jetzt auch da rechts. Und wo wir schon mal dabei sind: Dort in der Leiste ist die Politik ja durchaus erlaubt. Also rein mit Kritik und Kunst. Rein mit che, der da eigentlich schon immer war, hatte ich nur kurz vergessen. Rein mit den Punkgebeten, auch oder gerade weil man sich dort gar nicht so wirklich klar über die Richtung ist. Und die Brücke von der Politik zur Poesie schlägt Klaus Baum, für dessen Platz in der Randleiste dasselbe gilt wie für che. Dank seines Hinweises kam mir Schlingensief wieder in den Kopf, und zusammen mit ihm ein geschätzter ehemaliger Kollege (bis zum Genossen hat es dann doch nicht gereicht), der einfach auch gut schreibt und fotografiert.

Der Vielfalt und der Realität angemessen ist es eigentlich auch längst, englischsprachige Berlin-Blogs in die Rolle aufzunehmen (Wer weiss, wieviel großartige spanische oder russische Blogs zu Berlin man so verpasst…?). Was hiermit geschieht: Durch einen Kommentar von pethan35 stiess ich auf Kreuzberg’d. Was ich bisher dort sah und las, hat mir sehr gut gefallen, deshalb rein in die Leiste. Eine weitere englischsprachige Seite zum Thema, die dort ebenfalls reinkommt, ist gleichzeitig Ersatz für ein anderes Blog in der Blogroll, das wohl leider erst mal brach liegt.

Weiter geht es (wiedermal) in der Sparte Literatur oder was Sie gerne dafür halten wollen. Mit Volker Strübing bin ich in meinen frühen Berliner Jahren im Grunde genommen groß geworden, und ausserdem habe ich ihn ja auch schon ein paar Mal verlinkt, vollkommen zu recht natürlich. Und wo Volker Strübing ist, da ist Ahne manchmal nicht weit, das war in oben angesprochener Zeit schon so. Wieso also nicht auch in der Blogroll, nicht zuletzt wegen kleiner Preziosen wie diesem Text hier. In der Kategorie lohnt es auch, auf Kaminer hinzuweisen, der zu seinen Texten oft sehr passende Bilder findet. Glumm sowieso, der sitzt in meinem Kopfkino längst zusammen mit Fauser und Fallada auf einer Leitersprosse und lässt dort die Beine baumeln. Apropos, diese Chance kann ich mir eigentlich nicht entgehen lassen: Candy Bukowski – die genauso in die Blogroll wandert wie rocknroulette – scheint den Termin für meinen nächsten Hamburg-Besuch gesetzt zu haben…

Dass ich viel zu wenig Glumm lese, stellte ich fest, als ich von seiner Bekanntschaft zu Airen erfuhr. (Den Text hab ich schon mal verlinkt; wir wollen es mal nicht übertreiben damit…). Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung habe, was er derzeit macht, habe aber vor einiger Zeit einen interessanten Artikel von ihm bei spon entdeckt (obwohl spon  eigentlich schon weit jenseits der Vielfalt-Schmerzgrenze liegt). Da nehme ich gleich die Gelegenheit wahr und mache noch kurz einen Abstecher Richtung Geschichte, auch zur Wiedergutmachung: Michael Schmalenstroer hatte ich vorher auch schon in der Blogroll, wenn ich mich recht erinnere, und da gehört er auch hin. Ein letzter Hinweis aus diesem Genre noch, nicht zuletzt weil zwei Personen daran beteiligt sind, die ich mehr und weniger kenne.

Fauser darf nie zu kurz kommen, sagte ich ja bereits. Aber ich kann die Blogroll auch nicht nur mit Schriftstellern zupacken, leider: die Vielfalt fordert ihren Tribut. Zu einem Bekannten Fausers (den er in Rohstoff verewigte & in dessen Archiv ich mal ausführlich stöbern durfte – der HU-EE sei dank, ich sprach es schonmal kurz an) gab es gerade ein großartiges … sagen wir mal Requiem bei den Ruhrbaronen.

Last but not least werden das Begleitschreiben und der Kiezschreiber (dem der Underdog kiezneurotiker unlängst vollkommen zutreffend einen Lauf bescheinigte) in die Blogroll aufgenommen. Ansonsten: FernwehHeimweh.

Wie dem auch sei, so ganz genau hab auch ich den Kurs immer noch nicht raus, auf dem dieses Experiment hier weiter segeln soll. Aber Experiment sagt es eigentlich: Ich werde wohl etwas mehr rumprobieren; für die einen ist es der Salon, für mich gerade eher die Spielwiese. Oder der Hobbykeller mit Drechselbank. Dazu fällt mir glatt eine Geschichte aus der dunklen Vergangenheit ein…

Zum Schluss, weil der Sommer bestimmt kommt und der erste Mai vor der Tür steht: Die Ohrbooten. Ein guter Freund sagte unlängst: Naja, kann man schon mal hören. Aber die Texte sind eigentlich echt nicht so dolle. Wie es aussieht, fährt dieser gute Freund demnächst in Sachen Musik nach Brasilien, wo ein paar clevere deutsche Gute-Laune-Reggaebands die Fussballfans abgreifen wollen, oder so ähnlich. Sowieso: Ein Festival in Brasilien! FTW, wie man hier so sagt. Aber das ist auch wieder eine andere Geschichte. Ohrbooten also (haarscharf vorbei an der Gotteslästerung, und eben – es ist ja auch bald 1. Mai…) :

 

 

[Inzwischen ist dieser Beitrag 5 Tage im Entwurfsordner, es ist Sonntagabend und ich habe schon wieder genau abgezählte 54 offene Tabs, die allesamt toll sind. Was ist nur aus dem heiligen Tag der Ruhe geworden. Aber eben: auch ziemlich toll, dieses Internet. Eine weitere kontextlose Information: Wie ich bemerkte, hatte ich gar keine Suchfunktion. Wie unpraktisch!]

Flache historische Vergleiche und ein Haufen Links

Als ich vor knapp zwei Wochen mit einem alten Freund bei mehreren Bieren saß, kam das Gespräch irgendwann natürlich auch auf die aktuellpolitische Lage: Die Krim war gerade annektiert worden/ hatte gerade abgestimmt. Wir theoretisierten, wie es denn weitergehen würde, und mir rutschte beim Thema „Was wird aus der Ukraine“ das Wort „Rest-Tschechei“ raus.

Auch in dieser Woche konnte ich nicht vom Kneipenbesuch lassen, und siehe da: Die Ukraine drängte sich wieder  auf. Ich berichtete meinem Gegenüber von dem Mord am „Weißen Sascha“, woraufhin ihm spontan ein „Ach, die Nacht der langen Messer?!“ entfleuchte.

Solche flachen historischen Vergleiche sind allerdings nur in vernebelten rauch- und bierdunstschwangeren Lokalitäten zulässig. Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht, weder als Farce noch als Tragödie.  Aber ein Vergleich lohnt sich allemal, um Grundmuster und -mechanismen zu erkennen, denn davon gibt es, wie der Name schon sagt, nicht allzu viele. Allein die Umstände führen zur Varianz.

So schrieb Friedrich Kellner am 22. Juni ’41, dem Tage des Überfalls auf die Sowjetunion, in seiner hessisch-ländlichen Zuflucht:

Mit was auch unser Vorgehen begründet werden mag, die Wahrheit wird einzig und allein auf dem Gebiete der Wirtschaft zu suchen sein. Rohstoffe sind Trumpf. […] Die Armee sucht Futterplätze, und die Herren von der Industrie wollen billige Rohstoffe.
(Friedrich Kellner: „Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne.“ Tagebücher 1939–1945.  Göttingen 2011, S.156)

Man könnte hier also ein Grundmuster ausmachen und einen Vergleich ansetzen. Eine Gleichsetzung, beispielsweise des Freihandelsabkommens und des Assoziierungsabkommens mit folgendem Kellner-Zitat (immer noch zum gleichen Anlass, vom 28. Juni ’41) wäre zwar naheliegend, aber … :

Endlich ist es soweit, daß die Großkapitalisten aller Länder – getreu dem Rufe ihres Führers Hitler – dem verhaßten Regime in Rußland den Garaus machen wollen. (S.163)

Ein weiterer kleiner geschichtswissenschaftlicher Exkurs sei noch gestattet: Aus der Крим ist also (wieder) die Крым geworden. What’s new?

Fast alle europäischen Grenzgebiete sind mehrfach kodiert, fast alle Städte und Orte in diesen Übergangs- und Gemengelagen haben Doppel- und Dreifachnamen. Das ist mehr als ein Hinweis auf politisch korrekte Zitierweise, es ist vielmehr eher die Spur in eine Geschichte, die komplexer ist, als daß sie auf den Nenner eines Namens gebracht werden könnte.
(Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. Frankfurt/M., 2006, S.227.)

In seinem 2003 erstmals erschienem Werk („Dieses Buch glüht von innen.“ Die Zeit. Naja…) behandelt Schlögel unter anderem ausführlich die Rolle von Karten verschiedenster Art. Dass dies auch und gerade heute wieder hochaktuell ist, darauf weist Michael Schmalenstroer zu Recht hin. Nochmal Schlögel:

Im Zeitraffer betrachtet, ist die ganze europäische Geschichte eine ununterbrochene Geschichte der Macht- und Grenzverschiebungen … (S. 145)

Wieso also sollte sich das ändern? Schon vor elf Jahren konstatierte er:

Das neue östliche Europa ist gekennzeichnet von einem krassen Nebeneinander, einer „Gleichzeitgkeit der Ungleichzeitigkeit“, wie sie im Buche steht: das 21. neben dem 18. Jahrhundert. Das sind die Konfliktzonen der Zukunft, in denen sich der Haß auflädt und militant entladen wird, weit mehr als jener clash of civilizations, der von den Unterschieden der Kulturen und Glaubensbekenntnisse ausgehen soll. (S.469)

Klar, für die Arbeit des Swoboda-Politikers und stellvertretenden Vorsitzenden des Ukrainischen Komitees für Meinungsfreheit im Kiewer Parlament, Igor Miroschnitschenko, braucht man nicht bis ins 18. Jahrhundert zurückgehen. Ein ähnliches Verhalten fand und findet man regelmäßig, auch in Europa, nicht nur unter Goebbels oder Stalin. Doch selten gab es so deutliche Bilder davon. Aber genug der Geschichte, dazu hat Tucholsky eigentlich schon alles gesagt (der übrigens auch schon was über Gentrifizierung zu berichten wusste, und zwar aus deren Mutterland).

Und eben: What’s new? Über Hipster haben in den 1950ern schon Eric Hobsbawm, Jack Kerouac und Norman Mailer geschrieben.  Gut, es waren andere Hipster, und in Texten über sie steht heute vielleicht weniger rassistisch-esoterischer Quatsch als bei Mailer und der deutschen Rezeption dazu, trotzdem hat dieser Text mehr zu bieten als das plakativ-ironische „What Berliners don’t say“ (was trotzdem für den einen oder anderen kurzen Lacher gut ist): eine Facebook-Seite, deren Top-Beiträge jüngst von dem „The Hundert„-Magazin zusammengetragen wurden, was den Freitag dazu verleitete, die Magazin-Seite abzufotografieren und das Foto dann bei Facebook hochzuladen.  (Eigentlich schon wieder viel lustiger als die Zusammenstellung an sich: auf dem bei fb hochgeladenen Freitags-Foto von dem Magazin-Beitrag ist die dort abgedruckte originale fb-Adresse zu lesen). Womit wir mal wieder beim Journalismus wären, dem es ja derzeit an die Kapuze geht.

Die einen beschäftigen sich mit Hoodies oder den Schuhen des Internetministers, die anderen mit der Branchen-Zukunft. Wobei die besseren Artikel der letzteren Kategorie meist nicht hierzulande geschrieben werden. Wie man guten deutschsprachigen Journalismus machen kann, zeigen – wer hat’s erfunden? – die Schweizer. Das ist aber lang, und lange Texte liest doch eh kaum jemand. Hier kehrt man lieber vor fremden Türen: Wenn mal nicht die Blogger dran sind, dann eben die Literaten. Dabei kann schon ein Blogtext zur Aktualität Büchners den Großteil des auf Zeitungspapier gedruckten Feuilletons in den Schatten stellen. Vermute ich mal, ich habe lange keine Zeitungen gelesen, zugegeben.

Wie absurd diese Distinktionsversuche zwischen Journalismus, Blogs und Literatur sind, zeigen auch die großartigen (literarischen) Beiträge auf unzähligen Blogs immer wieder. Natürlich muss Glumm hier an erster Stelle genannt werden, der gerade mit den „Geplant war Ewigkeit„-Fortsetzungen wahrscheinlich nicht nur mich beeindruckt und sprachlos zurücklässt. Er kennt „den Literaturbetrieb“ durchaus auch von der anderen Seite, konnte dort aber eben (noch) nicht landen. Was mehr über „den Literaturbetrieb“ sagt als über Glumm.

Via sunflower22a (die auch längst hätte erwähnt werden müssen, obwohl ich mir über sie noch nicht einig bin – doch wie auch, wenn sie selbst „I am a mystery“ schreibt) bin ich auf einen weiteren tollen Text gestossen: Bemerkenswerterweise spielen auch hier A&P (kein Link, dafür ein Erinnerungsfetzen: Ein alter Jugendfreund spielte mal in einer Punkband, die so hiess, benannt nach einer Supermarkt-Hausmarke) wieder eine Rolle – wenn das Internet diese Seite aushält, kann uns nichts mehr etwas anhaben. Auch tikerscherk darf nicht unerwähnt bleiben, bei der gerade Themenwoche ist, nicht nur kubanische, wenn ich das recht verstehe. Und täglich kommen so viele gute, neue Texte dazu. Bücher natürlich ebenso, auf die ich aber auch vermehrt durch BlogRezensionen aufmerksam werde.

Wer hier noch etwas zum Thema „Kreuzberger Wohnverhältnisse“ oder „Geschichten von früher“ erwartet hatte: bittesehr. Das war’s dann aber für heute, irgendwann muss ja auch mal Schluss sein!

[Falls wer fragt: Ich mache das nur, damit ich die Links auch irgendwo habe und die Lesezeichenliste frei für Neues ist. Sonst geht es mir gut. Sagen die Stimmen in meinem Kopf.]

Hatte ich was von Punk gesagt?

 

Nichts Neues

Vor Jahren besuchte ich mal ein Seminar zum „Problem der Anarchie in der internationalen Politik“. Zugegeben, als ich mir kurz vor Semesterstart meinen Stundenplan zusammenstellte, hatte ich etwas anderes im Kopf als das, worum es dann schliesslich ging. Aber es lag auch am Dozenten, dass meine Wahl auf diese Veranstaltung fiel: Er war mir vorher schon als sehr angenehmer Zeitgenosse und kluger Kopf aufgefallen, damals ging es um Hobbes, wenn ich mich recht erinnere.

Dass ich nicht sofort wusste, was mit „Anarchie in der internationalen Politik“ gemeint war, lag daran, dass ich erstens nur Nebenfach-Politikwissenschaftler und zweitens IB (Internationale Beziehungen) weit davon entfernt war, einer meiner Schwerpunkte in diesem Nebenfach zu sein. Allerdings wurde ich im Laufe des Semesters mehrfach positiv überrascht. Es handelte sich, das muss dazu gesagt werden, um ein Master-Seminar. Ich studierte dagegen noch auf einen vorsintflutlichen Magister-Abschluss hin und musste die zwei, drei letzten benötigten Scheine zusammensammeln.

So furchtbar, schlimm und vollkommen unakademisch diese ganze verkorkste Bologna-Reform auch ist (irgendwann werde ich auch dazu noch was schreiben müssen) – die Masterseminare, die ich damals besuchte, waren mit das Beste, was mir in der Uni-Karriere bis dahin passierte. Hier fanden sich diejenigen zusammen, die wirklich ein ausgesprochenes Interesse, wenn nicht gar Leidenschaft, für das jeweilige Thema hatten – und es waren meist angenehm kleine Seminargruppen von nicht mehr als zwanzig Teilnehmern, im Gegensatz zu den 60 und mehr Studierenden in äquivalenten Magisterstudiumsveranstaltungen (klar, die angehenden Master mussten es ja vorher erst einmal schaffen, sich durch den Selektionsdschungel zu schlagen, da bleibt nicht viel übrig). Sie kamen mir übrigens alle erstaunlich jung und meist ebenso schlau vor, ich sah einige von ihnen mit weit unter Dreissig schon promoviert in irgendwelchen hohen Positionen bei globalen Thinktanks oder in Politik und Medien. Wenige vielleicht auch an Forschungseinrichtungen oder Universitäten, dann wahrscheinlich mit der Habilitation beschäftigt. Aber wirklich nur wenige, denn diesen ambitionierten High Professionals hatte zumindest das deutsche Hochschulwesen keine überzeugenden Karrierechancen zu bieten; Juniorprofessuren, da lachten die sich drüber kaputt, was ja auch die einzige Lösung war, wäre es nicht so traurig.

Jedenfalls sass ich da also als Veteran aus einer längst vergessenen Zeit und führte ein halbes Jahr lang angeregte Diskussionen mit den IB-Experten der kommenden Generation. Überraschend auch, dass fast immer fast alle die durchaus anspruchsvolle Lektüre gelesen hatten: Auch soetwas gab es früher kaum. Das Fazit war recht zwiespältig: Völkerrecht, Schmölkerrecht – das zählte noch weniger als das Papier, auf dem es steht, da waren selbst nationale Verfassungen besser dran. Es ist schon so, dass für die IB eigentlich der Hobbes’sche Urzustand gilt und zwischenstaatliche Verträge dagegen nur so lange, wie beide Partner das wollen und sich vertrauen – ein Leviathan ist nicht wirklich auszumachen (Sorry, UNO, grow some balls). Das Gefangenendilemma lässt grüssen. Andererseits gibt es ja durchaus viele vernetzte Interdependenzen in der modernen, industrialisierten, kapitalistischen Welt. Und das Theorem, dass entwickelte Demokratien keine Kriege untereinander führen, wurde auch noch nicht grundsätzlich widerlegt. (Nicht zu vergessen, wie der Dozent immer wieder betonte, dass kaum noch von Supermächten gesprochen werden kann, wenn überhaupt, dann von Hegemonien. Und dieser ganze Bezug der angloamerikanischen Politikwissenschaft auf das „Westfälische System“ ist auch Schmuh, diese angebliche historische Ordnung Europas wird sowieso gnadenlos überschätzt. Mich würde interessieren, wie er inzwischen seinen alten Text, den ich grad entdeckte, nach 20 Jahren beurteilen würde.)

Heute, in dieser mal wieder historisch einzigartigen Situation, wünschte ich mir manchmal solche Seminare und Diskussionen mit klugen, jungen Menschen, die für ihr Thema brennen. Aber ich bin raus aus der Uni, die Medien ™ schüren Freie-Welt-Propaganda und die Nischenblogs versuchen ein Bild gerade zu rücken, das sich eh keiner anschauen mag. Und natürlich stehen ALLE im Verdacht, von irgendwelchen Geheimdiensten gesteuert zu werden, bewusst oder nicht. Deswegen werde ich nichts zu der aktuellen politischen Lage schreiben, wozu auch?

Trotzdem möchte ich  – wenn sonst schon nix Gescheites von mir kommt – auf ein paar lesenwerte Texte hinweisen. Immerhin komme ich trotz des Wetters dazu, heimlich still und leise ein paar Zeilen in den Computer zu schreiben.  Zuerst – weil ich es bei der letzten Linksammlung vergaß bzw. schon längst darauf hinweisen wollte: Eine Geschichte, die ich schon mal lobte, gibt es jetzt als kleines Büchlein zu kaufen.

Ähnlich am Herzen liegt mir das Zentrum für politische Schönheit. Manche mögen sich vielleicht noch an den „Schuld“-Film erinnern, jetzt gibt es eine Art Grundlagen-Erklärung des ZPS. Sehr lang, ich bin auch noch nicht ganz durch*, aber Schlingensief thront über allem, das kann kaum schlecht sein.  In dessen Genre und Generation gibt es eigentlich nur noch einen, der mich annähernd so begeistert hat: Pollesch, ich hatte ihn schon mal erwähnt, und auch Bersarin tat es gerade wieder. Hier gibt es ein aufschlussreiches Interview mit ihm, der derzeit weit weg in Zürich wirkt: über die Verteidigung der Lüge und des Verrats, und was Petitionsunterschriften mit Derailing zu tun haben.

Wie vielleicht ja schon angeklungen, ist das mit der Politik und dem Schreiben nicht immer einfach. Und schon gar nicht mit dem Schreiben über das Schreiben (und Reden) über die Politik, vor allem, wenn alle einfach nur Literatur erwartet haben. Oder so ähnlich.  Deswegen und wegen meiner Menschenscheu habe ich oft versucht, wirkliche politische Zusammenhänge zu meiden. Das ist mir nicht immer geglückt, daher weiss auch ich: die Politik war immer schon ein mieses Geschäft, sobald mehrere Menschen auf einem Haufen waren, damals wie heute. Doch wie gesagt, es klappt nicht immer mit der Enthaltsamkeit. Also nochmal zurück zu einem schon oft genug besprochenem Thema.

Die NSA und die Weltöffentlichkeit wissen dank Snowden ja jetzt um das Merkel-Syndrom. Was aber auch nicht unter den Tisch fallen sollte: Dank einer furiosen Spike-Lee-Rede hat die Gentrifizierung jetzt das Christopher-Columbus-Syndrom an der Backe: We been here, you can’t discover this! Man sollte sich das wirklich alles anhören, lauter Perlen:

And then! [to audience member] Whoa whoa whoa. And then! So you’re talking about the people’s property change? But what about the people who are renting? They can’t afford it anymore! You can’t afford it. People want live in Fort Greene. People wanna live in Clinton Hill. The Lower East Side, they move to Williamsburg, they can’t even afford fuckin’, motherfuckin’ Williamsburg now because of motherfuckin’ hipsters. What do they call Bushwick now? What’s the word? [Audience: East Williamsburg]

That’s another thing: Motherfuckin’… These real estate motherfuckers are changing names! Stuyvestant Heights? 110th to 125th, there’s another name for Harlem. What is it? What? What is it? No, no, not Morningside Heights. There’s a new one. [Audience: SpaHa] What the fuck is that? How you changin’ names?

Aber der Peak scheint langsam erreicht, selbst auf Bloomberg wird jetzt schon die Geschichte von den Israelis in Berlin erzählt, und zwar gar nicht so schlecht. Derweil treibt auch zu Hause in Gusch Dan die Gentrifzierung weiter skurrile Blüten. Doch wie gesagt: Ein Ende ist in Sicht, muss in Sicht sein. Wenn der Tagesspiegel berichtet, dass  des Kiezneurotikers und Pantoufles Lieblings-Titten-Comic-Tittencomic-„Online-Magazin“ (fast hätte ich die schlechte Musik vergessen) berichtet, dass Gawker berichtet, dass erst der Rolling Stone und dann auch noch die NY Times berichteten, dass die Gentrifizierung Berlin arg zu schaffen macht und schon allein deshalb mindestens Krakau jetzt viel doller in ist – dann ist es doch wirklich langsam vorbei, oder? Ein kleiner Hoffnungsschimmer also, tausend Fliegen und so weiter. Wer immer noch nicht überzeugt ist: Andrej Holm wurde in den Dorfnachrichten ausführlich interviewt. Nicht von der Grinsekatze, sondern von dem Typen mit dem Kuli. Und davor noch ein Bericht zum Thema von Uli Zelle. Wenn die Gentrifizierung damit nicht in der Mitte angekommen (und also vorbei?) ist, wann denn dann? Vielleicht, wenn auf Spiegel-Online-TV der Bar25-Film im Stream gezeigt wird?

Also kann ich mich beruhigt wieder dem Schreiben widmen. Falls jemand noch einen defitgen Rant braucht, wir sind ja hier schliesslich im Internet, bittesehr. Und wenn das mit dem Schreiben nichts werden sollte, dann wenigstens lesen: Nächste Woche ist Indiebookday.

*Inzwischen habe ich es geschafft. Grundanliegen des ZPS ist, neben dem, was der Name schon sagt, die Sache der Menschenrechte. Sie werben für einen agressiven Humanismus, den sie recht gut charakterisieren, begründen und historisch einordnen. Ehrlich gsagt haben mich ihre Kunstprojekte – ihre Praxis also – bisher mehr begeistert als dieser Grundlagentext – die Theorie – , der war mir an einigen Stellen zu naiv, zu dicht an der Oberfläche. Trotz alledem ein wirklich lesenswertes und handlungsanstiftendes Manifest, was Blickwinkel eröffnen kann, deren bisheriges Fehlen dort zu Recht angeprangert wird.

Gestern und heute; Klowände, Internet und Schreiben

Ich glaube, es war Klaus Baum, der vor Wochen oder Monaten diesen Schnipsel verbreitete.  Geändert hat sich Vieles in den Wochen, Monaten und Jahrzehnten – nicht aber der Gehalt dieses Interviewfetzens, dem habe ich eigentlich nichts weiter hinzuzufügen.0906_efa8

In der Geschichtswissenschaft gilt der Krim-Krieg als der erste moderne Krieg. Damit sind eher die Mittel gemeint (Eisenbahn, Waffen, Telegraphie), das Denken hinter der Kriegsführung war weniger modern und geprägt durch Fehlplanungen und -einschätzungen auf allen Seiten. Ob das, was sich derzeit in dieser Region entwickelt (der Auslöser – die Ereignisse auf dem Maidan – ist inzwischen wohl zur Fussnote verkommen; Entscheidungen werden nicht mehr von einer souveränen Ukraine getroffen, sondern in Brüssel, DC oder Moskau), ähnliche weltpolitische Konsequenzen zeitigen wird, müssen Historiker späterer Epochen bewerten. Wenn es denn dann noch welche gibt. Das Potential dazu ist jedenfalls vorhanden, ich traue einigen Akteuren durchaus zu, einen grossen Drang danach zu haben, das Ventil mal wieder richtig aufzudrehen. Sewastopol als nächstes Sarajewo, nichts ist unmöglich. Aber lassen wir das Spökenkieken und beschäftigen uns lieber mit naheliegenderen (oder näherliegenden?) Sachen. Mit Klowänden zum Beispiel.

Der Werbefuzzi von Matt bezeichnete vor acht Jahren Blogs als solche, genauer: als die Klowände des Internets. Ausgerechnet übrigens in Verteidigung der „Du bist Deutschland“-Kampagne, die mit ihrer Sloganwahl – um mal im Bild zu bleiben – ja auch kräftig in die Schüssel gelangt hat.

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Ich mag Klowände, da gibt es immer was Interessantes zu lesen, selbst bei denen im Real Life. Pure Ablenkung davon, dass man eigentlich selbst die Wände vollschreiben sollte.  Erst einmal „die Anderen“ – auch Journalisten machen Fehler: Manchmal grosse, indem sie die grundlegenden Prinzipien ihrer Branche vernachlässigen. Manchmal kleine, indem sie einfach das Thema verfehlen. Manchmal gedankenlose, die ihnen hätten auffallen müssen, es aber zu unserer Belustigung nicht taten.

Und jetzt „wir“: Unsere Klowände sind oft dazu da, einfach mal den Unmut über den ganzen verdorbenen Mist in der Welt rauszulassen. Doch bei genauem Hinsehen kann man erkennen, dass ebenso häufig Selbstzweifel (statt Kritik an anderen) thematisiert wird, nicht immer so laut, aber dafür um so intensiver und berührender.

Eine kleine Ausrede, die mir gerade hilft: Es gibt auch etwas über das Schreiben zu lesen, noch dazu mit einem treffenden Titel. Die Quintessenz: Wir können uns nicht aussuchen, was sich in unserem Kopf einnistet – oder welche Geschichten darauf warten, von uns erzählt zu werden.  Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist der Hinweis auf den richtigen Umgang mit Autoren. Den liefern Katrin Passig (Journalistin? Bloggerin? Autorin? Take your pick…) und Ira Strübel. Eigentlich müsste ich den Artikel in Gänze hier zitieren, aber so greife ich wahllos eine Passage heraus:

Vermeiden Sie auch die Frage, wie die Arbeit am nächsten Buch vorangeht. Selbst wenn der Autor täglich acht Stunden damit zubringt, in eine leere Datei zustarren, und sich den Rest der Zeit betrinkt, wird er auf Ihre Frage nur «achja, ganz gut» antworten. Jetzt sind Sie nicht klüger als zuvor, der Autor aber ist an seinen schweren Beruf erinnert worden und bekommt schlechte Laune. Für den Rest des Gesprächs hadert er damit, keine Schreinerlehre gemacht zu haben.

Wenn es gar nicht mehr geht, mit den Klowänden und dem, was dort so zu lesen ist – auch das kann passieren – wenn es einem also hochkommt: Manchmal gibt es dafür eine Lösung, nur ein paar Schritte weiter. Ich war begeistert, als ich auf einer Hochzeit in Friesland folgende lebenspraktische Installation entdeckte. Jahrelange Erfahrungen mit der Landjugend und ihren Hinterlassenschaften im Mehrzweck-Veranstaltungssaal führten wohl zu diesem sanitären Pragmatismus:

( Dieses Becken befindet sich auf Waschschüssel-Höhe, so umgeht man das unwürdige Knien. Auch schön & praktisch: Die Griffe.)

Yalla Balagan – monothematische Links

[Aktuell – tages-Sau-durchs-Dorf-treiben-aktuell – ist dieser Text nicht mehr, ich begann ihn am Samstag. Überlegte hin und her. Und drücke jetzt eben doch auf „Publish“.]

Nächstes Jahr  Letzte Woche in Jerusalem, da war ja ganz schön was los, als Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, in der Knesset seine Rede hielt.  Zufall oder nicht, auch Abseits der Aufregung um die Schulz-Rede geriet Israel in der letzten Woche (noch mehr als sonst) auf meinen Schirm (und das Fernweh packte mich wieder). Einiges von dem, was mir dabei über den Weg lief, lohnt sich durchaus, um das teilweise schiefe öffentliche Bild des Landes und seiner Bewohner gerade zu rücken. Also: Yalla Balagan! (Ein arabisches und ein russisches polnisches jiddisches persisches Wort ergeben eine Hebräische Redewendung, die so viel heisst wie „Auf ins Chaos“ – das ist Israel in a nutshell.)

Es fing damit an, dass ich Anfang der Woche die WRINT-Israel-Folgen nachhörte (inzwischen selbst die alte Folge #44 ). Holger Klein, das fiel mir vorher schon auf, stellt Israel in seinem Verhältnis zur Bundesrepublik ja gern auf die gleiche Stufe wie Bayern. Und nun hatte er also  jemanden ans Telefon bekommen, der ihm ein bisschen was über Land und Leute erzählen wollte. Da dieses Interview einige Fragen offen liess und einigen Widerspruch hervorrief (das ging mir ähnlich) – führte er einfach danach noch eins. In Kombination kann man beide Gespräche zusammen ganz gut als Einstieg gebrauchen.

Aus der Distanz (und das muss gar nicht immer nur eine räumliche sein) lässt sich recht einfach ein Urteil fällen. Doch Israel ist uns näher und vertrauter, als wir glauben (und als einigen lieb sein mag). Ich mag Tel Aviv unter anderem so sehr, weil es – wie in den Interviews auch beschrieben – ein Berlin mit Strand und mildem Winter (also, ja, dieser Winter…schon klar…) ist. Doch die Parallelen gehen viel weiter und tiefer. Der Levinsky Park liegt zum Beispiel direkt neben dem Oranienplatz. Hier wie da versammeln sich die, die es teils unter schwersten Entbehrungen in den Westen, die freie Welt, das gelobte Land geschafft haben. Hier wie da sind sie, was die Mehrheitsmeinung bzw. die herrschende Meinung betrifft, nicht wirklich willkommen, im Idealfall werden sie geduldet und ignoriert. Allerdings schlägt der Mob gerne mal zu bzw. zündelt, wenn er gelassen wird. Ist in Tel Aviv passiert, hätte aber auch hier passieren können, wieder. Der junge Hamburger (?) Künstler Michael Felix Kijac hat ein interessantes Projekt zur „Dark Side of Tel Aviv“ ins Leben gerufen, auf dessen Seiten es auch weitere  Informationen und Facetten zum Thema gibt.

Die nächste Parallele lässt sich – mal wieder – im Bereich Gentrifizierung ziehen. Hier liegen Kreuzkölln, Williamsburg und Neve Tzedek (was übrigens, eine weitere charakteristische (?)  Gemeinsamkeit mit O-Platz und O-Strasse, nur ein paar Schritte vom alten Busbahnhof am Levinsky Park entfernt ist) ganz dicht beieinander. Die Mietquote ist in Deutschland ja traditionell hoch, was im internationalen Vergleich generell untypisch ist. Da macht Israel keine Ausnahme, und da es vergleichsweise wenige Wohnungen auf dem Mietmarkt gibt, steigen deren Preise, in den letzten paar Jahren rasant (die der Eigentumswohnungen natürlich ebenso). Junge Erwachsene, selbst aus der akademischen Elite, können sich so auch mit zwei oder drei Jobs keine eigenen vier Wände leisten. Was besonders absurd ist für ein Land, das der Familienpolitik existenzielle Bedeutung zugesteht.

Unter anderem dieses Dilemma führte 2011 zu den Protesten und Zeltlagern auf dem Rothschild-Boulevard. Die Resonanz war ungleich grösser als die der Occupy-Bewegung hierzulande, die Kinder der Mittelschicht, die das Land trägt – wirtschaftlich und durch die allgemeine Wehrpflicht auch militärisch, nicht zu vergessen – waren und sind aber auch (noch) stärker unter Druck als das deutsche Klein- und Mittelbürgertum. Ein weiterer Grund für die grössere Aufmerksamkeit, die der israelischen Protestbewegung zukam, lag sicherlich darin, dass sie mit Daphni Leef ein Gesicht hatte.

Im Endeffekt hat es aber nichts genützt, die Probleme sind noch da, die Zelte nicht mehr. Und Leef steht inzwischen vor Gericht. So verwundert es nicht, dass der Frankfurter Stadtsoziologe Sebastian Schipper im +972Mag-Interview auf einiges Interesse stiess, als er das Modell des Mietshäuser Syndikats vorstellte. Einstweilen wird es dabei bleiben, dass viele junge Israelis, nachdem sie ihr Leben für ihren Staat beim Wehrdienst riskieren mussten, diesem Staat den Rücken kehren: Wegen der Politik, wegen der Kriege, wegen der teuren Wohnungen und sonstigen Lebenshaltungskosten. Immer mehr kommen nach Berlin, push- und pull-Effekt wirken hier gleichzeitig. Die deutsche Presse feiert das natürlich, sieht nur die Attraktivität Berlins, ohne weitere Fragen zu stellen, größtenteils.

Und nun also die Aufregung um die Aufregung über die Rede des EU-Parlamentspräsidenten. Dazu will ich nur auf zwei Sachen verweisen, beide Male handelt es sich wieder um +972-Links, die Haaretz hat leider seit einiger Zeit eine Paywall. Also: In diesem Artikel ist recht pointiert beschrieben, auf welches Problem Schulz mit seiner Rede – Teilen seiner Rede, besser gesagt – stiess: The problem for the Israeli government and its supporters abroad is that reality in the West Bank is biased, so the political war is now aimed at calling things out for what they are. Bei all den unguten Gefühlen, die diese Situation heraufbeschwört, können sich die linken Israelis immerhin noch halbwegs gelungen über ihre rechten Counterparts lustig machen.

Schweigen

…wollte ich. Sollten sich doch andere weiter aufregen über den absurden Charaktermaskenball, der auf dem politischen Parkett ausgetanzt wird. Als dieser Entschluss noch nicht ganz so fest stand, beschäftigte ich mich intensiv, bis an die Grenze, wo einem der Verstand abhanden zu kommen droht, mit einem der vielen Geheimdienstskandale. In diesem Fall war es der mit dem NSU. Natürlich stolperte ich da auch ab und zu über Sebastian Edathy. Da mein Recherchemodus durch einen starken Hang zum Ausufern gekennzeichnet ist, stiess ich relativ schnell auf diese Sache mit der Journalistin. Aus ihrer Sicht – würde man die Vorgeschichte nicht kennen, könnte man sich Susanne Haerpfer bei manchen ihrer Blogbeiträge gut mit Aluhut vorstellen – hat ihre Causa Edathy zumindest indirekt ihre Existenz als gern nachgefragte Journalistin zerstört. Und schon hatte ich einen neuen Faden in der Hand, er führte zu einem verworrenen Knäuel, in dem sich die Schicksale diverser unbequemer Journalisten wiederfanden. Wäre ein lohnenswertes neues Thema, dachte ich, legen wir mal auf Halde.

Dieser Wiedervorlagestapel rief sich in Erinnerung, als irgendwann im letzten Jahr zum tausendundersten Mal über Journalisten und ihre Rolle in der Gesellschaft diskutiert wurde. Sie wären ja schliesslich die letzten Verteidiger der Demokratie, während die anderen drei Säulen kräftig bröckelten. Quatsch, natürlich. Der professionelle Journalismus ist genauso von der kapitalistischen Landnahme betroffen wie alle anderen Bereiche in Kultur oder  Wissenschaft. Am Ende geht es um die Kohle – die, die der Journalist am Ende des Monats in der Tasche hat, und die, die der Verlag als Gewinn in der Bilanz verzeichnen kann. Doch das ist ein anderes, unendliches Thema. Eigentlich geht es darum, dass (auch jenseits der rein ökonomischen Verwertungslogik) der Berichterstattung Grenzen gesetzt sind, bzw. werden. Wer aus dem Rahmen fällt, muss sehen wo er bleibt. Zensur findet statt.

Thomas Moser zum Beispiel: Er war (und ist es immer noch, keine Sorge) eine der wenigen kritischen Stimmen zum NSU-Komplex, die wenigstens ganz leise, in der Nische der Kontext-Wochenzeitung, zu hören waren. Er recherchierte tief im Baden-Württembergischen Dickicht aus Verfassungsschützern und KKK, speziell der Kiesewetter-Mord hatte es ihm angetan. Neben Wolf Wetzel und Andreas Förster (und vielleicht noch Jens Eumann) ist er einer der selten zu findenden Journalisten gewesen, die Zweifel anmeldeten, die nicht sofort vom „Terror-Trio“ sprachen, die unbequeme Fragen stellten, die einfach das machten, was Journalisten machen sollten: Fakten checken, recherchieren, nicht einfach die Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft abtippen.

Und dann flog Herr Moser bei Kontext raus. Im Vorfeld wurde von der Zeitung bestätigt, dass es Versuche der Einflussnahme von offizieller Seite gegeben hätte. Aber dass dem freien Journalisten Moser jetzt die Texte nicht mehr abgenommen werden, hätte damit natürlich nichts zu tun. (Ich glaube übrigens auch, dass Moser sich in manchen Dingen verrannt hat, oder seine Agenda ist mir noch nicht ganz ersichtlich, trotz alledem sind seine „Verschwörungstheorien“ nicht weniger plausibel als die offiziellen der Bundesanwaltschaft.) Jetzt ist Moser nur noch Blogger (das hier ist wahrscheinlich seins), abgesehen von einem Artikel bei den „Blättern“ gab es von ihm nichts mehr in den „richtigen“ Medien.

Oder Gaby Weber. Die in Buenos Aires arbeitende Journalistin wird zwar – zum Glück – immer mal wieder von Fefe gepusht (unter anderem mit dieser tollen Alternativlos-Folge), ihre Rechercheergebnisse passen allerdings nicht ins öffentlich-rechtliche TV-Programm, sie wird als Verschwörungstheoretikerin diffamiert. Dass ihr Film über die Verstrickungen von Mercedes Benz mit der argentinischen Militärdiktatur, der bei labournet in Gänze zu sehen ist, beim WDR einfach weichgespült von Dritten nacherzählt wird, während er in mehreren südamerikanischen Sendern zur Prime Time zu sehen war und sogar im argentinischen Parlament gezeigt und behandelt wurde, hat natürlich auch nichts mit Zensur zu tun.

Nur exemplarisch sei hier auch noch auf das Beispiel Hubert Denk hingewiesen, da in diesem Fall ausnahmsweise von „der Presse“ berichtet wurde, welchen Zwängen freie Journalisten ausgesetzt sind: Auch Anwaltskosten können die Ausübung der Pressefreiheit einschränken. Da braucht es gar keine Horrorvorstellung vom tiefen Staat:

„Ein Verfassungsschutz, der mit Nazis, die die Demokratie gewaltsam beseitigen wollen und Menschen zu ermorden bereit sind, zusammen arbeitet und zugleich kritische Journalisten überwacht. Das ist die Horrorvorstellung, die offenbar deutsche Realität ist.“

Lohnen sich also die vereinzelten Aufschreie überhaupt noch? Was blieb zum Beispiel von diesem Memorandum? Was soll man dazu sagen, bzw. was darf man überhaupt noch fragen? Wenn Anne Roth, Partnerin von Andrej Holm und damit aktenkundig in Terrorismusnähe gerückt, unbequeme Fragen stellt, diesmal wieder zum NSU, und darauf diesen wohlmeinenden Kommentar bekommt:

Liebe Anne,
ich möchte Dich bitten, Dich nicht weiter mit diesem Thema zu befassen.
Der hier beschriebene Fall eines verbrannten Zeugen gehört zur Kategorie “bedauerlicher Unfall / plötzlicher Suizid”. Damit werden Probleme unbürokratisch aus der Welt geschafft. Das ist kein Kinderspielplatz. Jeder, der tiefer bohrt, gerät automatisch ins Visier.
Du solltest die Kreise der deutschen und insbesondere der US-Nachrichtendienste nicht stören. Denke an Deine Zukunft und die Deiner Familie. Du bist ohnehin schon ein “target of high interest”.
PS: Das hier ist ernstgemeint.

Bitterernst, keine Frage. Und es fügt sich alles so wunderbar ein in den Totalitarismus der Postdemokratie. Man kann es kaum treffender formulieren als – mal wieder, immer wieder – Georg Seeßlen:

Das Geheimnis der Verwandlung von Demokratie in Postdemokratie liegt darin, dass viele Menschen davon profitieren.
Die Verwandlung ist so weit fortgeschritten, dass jemand, der sich ihr entgegensetzt, bereits seine soziale Existenz riskieren muss.

Sein Fazit ist wenig aufmunternd:

An die Stelle der rebellischen Aufklärung ist eine ironische Abklärung getreten. Man arrangiert sich mit Verhältnissen, deren Schwächen man erkennt, und deren Widersprüche schon als Lebendigkeit missverstanden werden. Man sagt „gemach“, und grinst „Früher war alles besser“, und links und rechts lauern „Verschwörungstheorie“ und „Kulturpessimismus“. Welcher kritische Geist getraut sich noch die verbliebenen Plätze der freien Rede mit den Worten zu betreten: „Die Zeit drängt“. Wir leben nicht in der versprochenen besten aller Welten sondern in ihrem Gegenteil. Es haben sich Kräfte verschworen gegen die Freiheit, die Menschlichkeit und die Veränderung der Verhältnisse. Und es gibt Gründe, nicht sehr optimistisch die Kultur zu betrachten, die sich diese Kräfte noch leisten.
Wir müssen uns wohl, pathetisch gesprochen, die kritische Vernunft als eingekerkerte vorstellen. Wir müssen Briefe aus dem Gefängnis schreiben.

Und sonst so? Wo ich mich eh schon aufrege: Die Gentrifizierung geht natürlich ungehemmt weiter, mit handfesten Auseinandersetzungen unter und gegen die Zugezogenen. Die letzten drei Samstage, an denen ich wie fast immer in einer Kaschemme nahe des Görlis einkehrte, empfing mich an ebendiesem Bahnhof jeweils eine veritable Schlägerei. Es wird härter. Die Probleme bleiben, verstärken sich; betroffen sind wir alle. Und dazu kommen die üblichen Verrückten in dieser (immer noch tollen) Stadt. Trotzdem wäre es mal wieder an der Zeit – gerade bei dem Angebot – sich ausführlicher und tiefer mit dem Thema zu befassen. Aber erstmal ist genug aufgeregt, manchmal sollte man den Rat alter, weiser Männer annehmen:

(via http://wonko.soup.io)

PS. bzw. Update: Da ist man mal ein paar Stunden draussen, um das Mütchen zu kühlen und die Sonne zu grüssen etc., und schon verpasst man, dass auch andere, hier speziell fefe, sich heute schön in Rage geredet haben. Ich hegte ja schon immer den Verdacht, dass es reicht, ein paar Tage fefe zu lesen, und man verliert jeglichen Glauben. Es reichen die Posts von einem Tag, wie sich heute herausstellte.

Hätte ich heute morgen nicht so unter Zeitdruck & im Affekt geschrieben, wäre mir bei meiner Aufzählung Jens Weinreich bestimmt nicht durch die Lappen gegangen; sicher ein im mehrfachen Sinne unbequemer Geist, trotzdem hatte seine Kündigung beim DLF ein Geschmäckle. Oder die kürzlich veröffentlichte Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen, über die sich just heute (also heute veröffentlicht) Daniel mit Markus Beckedahl von dem linksextremistischen [(c) Focus] Blog netzpolitik.org unterhielt.

Jetzt ist hier aber erst mal Schluss mit Politik. Hoffentlich. Feierabend. Wochenende.

Es wird Frühling…

…habe ich vorhin entschieden, als ich die kalte Asche von Vorgestern runtergebracht habe. Barfuss! Da das aber wohl noch ein Weilchen dauert, trotz allem Optimismus, und weil der Kiezneurotiker mich mal wieder aus meiner dunklen Ecke zerren musste (huch!), revanchiere ich mich mit ein paar Links zum Vorfrühlingswochenende.

Mit dem Barfusslaufen muss man allerdings vorsichtig sein. Eine Anekdote am Rande, ich versuche mich kurz zu fassen: Die Premiere letztes Jahr fand am Rhein statt, Hundeauslauf. Ich liess die Schuhe im Auto, samt Socken. Was ich nicht bedachte war, dass wir Hochwasser hatten. Ja, eat this Berlin, da kannst du wirklich nicht mithalten, sorry. Aber bald hat Berlin ja die Ostsee, ich freu mich schon. Jedenfalls konnte ich nicht wie gedacht schön über den Ufersand laufen, sondern musste den Radweg auf dem Deich  nehmen, den asphaltierten. Der schweineheiss war. Als Alternativen standen mir der schmale, verschotterte Randstreifen oder das gemähte, stoppelige Feld zur Auswahl. Das war nicht schön und endete nach der Hälfte der üblichen Strecke mit Brandblasen an den Fusssohlen. Aber alles längst nicht so schlimm wie das, was Alexander Kühne wegen seines unpassenden Schuhwerks passierte.  Oje, Charité. Was läuft da eigentlich so alles falsch mit unserem Gesundheitssystem? Und warum zur Hölle brauchen wir dafür hunderte Krankenkassen mit hunderten Vorständen und Verwaltungen? Doch ich schweife ab.

WordPress erzählte mir grad vor ein paar Tagen, dass wir unser Fünfjähriges hätten. Das war mir gar nicht bewusst, dass das schon im letzten Jahrzehnt angefangen hatte.  Bersarin feiert mit seinem Blog auch die halbe Dekade und schreibt einen entsprechend gebührenden Text dazu, Kotze über Klassikern inklusive. Mehr Bloggen für Minderheiten!

Wo wir grad bei Randgruppen sind: Zum Hip Hop hab ich ein gespaltenes Verhältnis, manches liebe ich, manches finde ich lächerlich und schlecht. Vielleicht später mal mehr dazu. Ein wenig lächerlich war auch die „Chabos wissen wer der Babo ist“ – Nummer des CSU-Kandidaten, hat wohl jeder mitbekommen inzwischen. Ich empfehle dieses Interview als Hintergrundlektüre. Und dieses Plakat als Beweis, dass es nicht nur bei der CSU Jugendsprache-Trittbrettfahrer gibt. Meine letzte musikalische Neuentdeckung auf dem Gebiet verdanke ich übrigens so einer Radioeins-Altmänner-Musikkritikerrunde, was ist bloss aus mir geworden. ..Vor allem, weil der Spiegel schon lange vorher über Zugezogen Maskulin und Grim104 berichtete. Egal, immerhin hab ich keine Ahnung mehr, was im Spiegel steht. Schon allein der Titel: “ Crystal Meth in Brandenburg“ – da braucht es keine weiteren Worte . Sind auch sonst noch ein paar Perlen von den beiden bei Youtube zu finden, wenn man’s mag.

Politik? Lieber nicht. Europa brennt, kaum wer interessiert sich, warum. Hauptsache, alle Formulare sind ausgefüllt und alles geht seinen amtlichen Gang. Dann schon eher was Versöhnliches zum Wochenende, ganz im Sinne des sentimentalen Hundes…

Momentaufnahmen

Thomas de Maiziere hat gesagt, wir sollen nicht soviel ins Internet stellen. Ha! (In memoriam Mrs. K) Sowieso ein entlarvendes Interview: „Es ist eine staatliche Aufgabe, Angriffe auf das Internet – von wem auch immer – besser zu schützen als bisher.“

Als ich im letzten Sommer wieder zurück nach Berlin kam, entdeckte ich das erste mal die Gegend um den Chamissoplatz. Dieser liegt von mir aus gesehen jenseits der Bergmannstrasse und gehörte daher nicht mehr wirklich zu „meinem“ Kiez, der ist in dieser Richtung eigentlich bei der Marheinekehalle zu Ende. Klar fahr ich auch mal zum Tempelhofer Feld oder zum Kreuzberg – aber die kleinen Nebenstrassen auf dem Weg dorthin hab ich meist links (bzw. rechts) liegen gelassen. Ich konnte mich nur daran erinnern, dass es dort damals schon relativ schick aussah, Ökobürgertum, welches man eben auch in der Markthalle oder der Bergmannstrasse traf. Mein ehemaliger Chef zog von Schöneberg hier her.

Nun lud mich also ein alter Freund ein, ihn bei einem Konzert im Wasserturm zu besuchen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich fragte „Wieso spielt ihr denn im Prenzlauer Berg?“ – Ich wusste wirklich nichts von einem Wasserturm in Kreuzberg. Mir wurde erklärt, dass es sich um ein Jugendzentrum handelt, und jener alte Freund hatte dort vor langer Zeit, in seiner Jugend eben, die ersten musikalischen Gehversuche unternommen. Die Veranstaltung jetzt wäre so eine Art Klassentreffen, viele von denen, die hier vor Jahrzehnten begannen, würden sich treffen und Konzerte geben. Grund genug für mich, mir das mal näher anzuschauen.

Da ich zu früh war, drehte ich ein paar Extrarunden, auch um etwas Essbares vor dem erwartbaren Alkoholkonsum in petto bzw. in ventro zu haben. So kam ich auch zweimal an folgendem Haus vorbei, und da das Motiv so verlockend und die Zeit noch da war, versuchte ich mit meinem altertümlichen Mobiltelefon ein paar Fotos zu machen:

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Man beachte die Korrespondenz zwischen den aufgemalten Sprüchen und dem aufgehängtem Banner. Im Hauseingang gab es dann noch ein paar weiterführende Informationen:

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Bisher hab ich den Astronauten nicht getroffen, sonst hätte ich ihn gefragt. Die Konzerte waren dann insgesamt so lala, was auch an der Akustik des mit Kreuzrippengewölbe versehenen Saales lag. Dafür waren die Gespräche drumherum umso besser: Einer der Sänger erzählte mir von seiner Schauspielerkarriere und seinen Drehs mit Bruno S. und Rummelsnuff. Mit letzterem konnte ich nun gar nichts anfangen, wer bitte? Er beschrieb ihn mir ausführlich: aus dem Osten, eher so Elektro-Volksmusik, Bodybuilder. Ich meinte, dass das sehr nach Stumpens kleinem Bruder klingt. Mit Knorkator konnte der Sänger nun wieder nichts anfangen, was mich etwas ungläubig zurückliess. (In der Zwischenzeit haben sowohl Rummelsnuff als auch die meiste Band der Welt neue Werke auf den Markt geworfen und sind mir daher öfter im Radio über den Weg gelaufen.)

Ein paar Wochen später war ich auf einer Party ein Stockwerk über mir. Dort fiel mir ein Typ auf, der wiederum der kleine Bruder von Rummelsnuff hätte sein können. War er aber nicht. Dafür hatte er eine Kutte an, auf der ein großer „Sons of Kreuzberg“-Aufnäher pappte. Das fand ich lustig, da in der Stammkneipe meiner zwischenzeitlichen Heimat ebenfalls das „Sons of Anarchy“-Logo -abgewandelt mit Fussball-Lokalkolorit – getragen wurde. Bei der Kreuzberger Variante ging es allerdings nicht nur um ein lustiges Bekleidungsstück, sondern um einen Film. Was er und meine (nunmehr ehemaligen) Nachbarn, die die Musik zum Film machen wollen, da so erzählten, klang recht spannend. Das Crowdfunding scheint aber erst mal nicht geklappt zu haben, schade.

In der Weihnachtszeit, als noch kein Winter war, stand ich dann mit offenem Mund staunend auf dem U-Bahnhof vor folgendem Plakat. Das Foto ist deutlich verwackelt, dewegen in der Vorschau nur klein und mit Transkription drunter:

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Der Berliner Theaterclub präsentiert Axel Zwingenberger. Und wie! „Die heißeste Musik, die für das Klavier je erfunden (!) wurde.“ Daniel Düsentrieb lässt grüssen. Und weiter: „Rollende Bässe, die Dynamik eines fauchendes Eisenbahnzuges [sind die dynamischer als die stillen, oder die brüllenden, oder die schnurrenden?], Sehnsuchtsvolle Bluesklänge, die ferne Erinnerungen heraufbeschwören. Das Publikum ist in den Bann gezogen, ein faszinierender, brillanter Abend mit Witz und Perfektion!“

Diese um kein Adjektiv verlegene PR-Sprache und das Plakat an sich liessen  in mir – es war schliesslich auch noch Weihnachten – ein wohliges „dit is Balin“-Gefühl aufkommen, ich weiss auch nicht genau, warum. Es hätte mich aber nicht gewundert, wenn auf einmal Uli Zelle und Harald Juhnke Arm in Arm die Treppe rauf gekommen wären.

Das neue Berlin, und zwar der gute Part davon, begegnete mir, als ich vor Kurzem auf der Suche nach einem neuen Vorderrad (das alte wurde mir – wer hätte sowas vermutet – auf dem Tommihaushinterhof geklaut) durch die Dresdener Strasse lief. Dort befindet sich nämlich eine Station des „Witchhunt“-Projekts von Various & Gould, und zwar schon seit letztem November, das war mir völlig durch die Lappen gegangen bis dahin:

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Als kleine Entschädigung, dass mir dieses Street-Art-Projekt mehr als einen Monat verborgen blieb (kleine Erinnerung, auch an mich selbst, damit das nicht wieder vorkommt: Unbedingt noch zu den Graphic Days gehen!), ging ich just an dem Tag hier vorbei, an dem die Freilassung von Nadeschda Tolokonnikowa (ich muss bei dem Namen immer irgendwie an die Tokoloshes von Madam&Eve denken…total off topic, schon klar) bekannt gegeben wurde. Stimmt zum Glück nicht mehr ganz, dachte ich bei mir, als ich den letzten Satz der Infotafel unter dem Bild las:

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Da mag ich eigentlich gar nichts weiter sagen, schon gar nicht zu Julia Engelmann. Muss ich aber. Pünktlich zwanzig Jahre nach seinem Auftauchen hierzulande macht der Begriff SlamPoetry also mal wieder eine größere Runde. Ich hatte ja schon am Rande darauf hingewiesen, dass dieses Thema mir eigentlich am Herzen liegt, aber es von Anfang an eine enttäuschte Liebe war, sozusagen. Ich hielt es da mit den Altrockern des SB, die natürlich auch nicht viel besser und ja überhaupt eigentlich Schuld dran waren. Wie Hadayatullah Hübsch vor zehn Jahren – auf dem ersten Slam-Poetry-Peak – schon sagte: „Früher gab es das Sechs-Tage-Rennen, da führten die Kerle ihre Frauen aus, tranken Bier und haben Bockwurst gegessen, und nebenbei sind ein paar Leute Rad gefahren, was kaum beachtet wurde. So ist Slam Poetry heute.“ Man kann es machen wie Nadia und Charlott von der Mädchenmannschaft, wie der Doktor oder wie Volker Strübing. Der hat nicht nur die beste Überschrift zum Thema, sondern auch das beste Resumee:

„Ich hoffe, die ganze Sache legt sich bald wieder. Und weder Julia noch der Poetry Slam an sich tragen irgendwelche Blessuren davon.
Eine Konsequenz der ganzen Sache wird sicher sein, dass man, wenn man sagt, man trete manchmal bei Slams auf, nicht mehr gefragt wird, was das sei („Irgenddwas mit Rap, oder?“). Stattdessen werden die Leute wissend nicken und sagen: „Ah ja, du machst sowas wie Julia Engelmann!“

PS: Herrje, ich hatte ja keinen blassen Schimmer (und Johnny Haeusler gefällt mir so gut wie lange nicht mehr). Nadia hat auch noch einen sehr guten Text nachgeschoben. Damit ist das Thema hoffentlich erledigt. Warum zur Abwechslung nicht mal in den nächsten Tagen eine schöne, klassische Rezension zu „Arbeit und Struktur“ lesen, oder etwas darüber, wie der Dings die Bums an den Haaren gezogen hat? Ich bin dann erst mal wieder weg…

2013, das G-Wort und der ganze Rest – Ein Vorwort

Weihnachten ist nun also auch endlich vorbei. Es war ganz okay, aber das Jahr war an sich halt ziemlich beschissen und ich wäre eigentlich lieber allein geblieben und hätte den ganzen Kram am liebsten vergessen.

Eine Sache hat mich dann aber doch wieder ein wenig fröhlich und versöhnlich gestimmt: Als ich an den Feiertagen aus der Mitte Berlins zum ausgefransten Ostrand fuhr, dahin, wo es nicht nur Dorf heisst, sondern auch so aussieht und man mitten auf der Strasse gehen muss, weil es keine Bürgersteige gibt und die Leute trotzdem der Meinung sind, dass sie in Berlin leben würden, ja – die sogar glauben, dass das dort sogar eher Berlin ist als dieser ganze Kreuzköllnscheiss, von dem man immer hört, womit sie wahrscheinlich sogar ein wenig recht haben; jedenfalls:  ich habe in den letzten zwei Tagen während der Bahnfahrten also endlich „Tschick“ gelesen, wollte ich schon eine ganze Weile tun, die Liste ist aber lang. Und das hat mich sehr gut unterhalten und eben etwas fröhlich gestimmt. Es passte auch super zu der Strecke der Fahrt, und dem Publikum, welches so an den Weihnachtstagen zwischen Kotti und jottwede im Osten an der Tram 62 verkehrt, eine ganz andere Art Roadmovie. Einerseits.

Andererseits kam mir der Gedanke, dieses Buch doch endlich mal zu lesen, natürlich zuletzt anlässlich von Herrndorfs Tod in den Kopf. Zu dieser Zeit ging es mir auch grad nicht ganz so dolle, und ich fuhr ziemlich oft mit dem Rad am Hohenzollernkanal lang, Plötzensee, ist generell eine schöne Strecke, über den Friedhof, am Lehrter vorbei… Naja, als ich dann erstens hörte, dass er gestorben sei (so hiess es anfangs nur: gestorben, keine Erläuterungen) und zweitens Katrin Passigs Artikel oder Tweet oder was es auch immer war las, dachte ich „Kann ich sehr gut verstehen. Sehr gut.“ Aber auch: Verdammter Mist, es gibt so wenige von den Guten. Dabei hatte ich bis dahin nur sein Blog gelesen. Jetzt kann ich sagen, dass ich damit recht hatte. Jetzt geht es mir auch nicht mehr ganz so mies. Ganz ohne zu Grübeln kann ich den Weg immer noch nicht fahren.

Aber von vorne: Eigentlich gibt es nur einen Grund für dieses Blog hier. Wie gesagt, ich schrieb vorher woanders und hauptsächlich politisch, machte das dann aber zu. Ironie des Jahres: Damit könnte ich mich fast zum Trendsetter erklären. Stimmt aber nicht, lange vor mir machten der politblogger und andere zu, b like berlin sogar auf ewig, doch das ist eine andere Geschichte. Sollte man aber mal erwähnen, wenn jetzt nur wegen flatter und Mrs.Mop und und und die Klagelieder angestimmt werden. Kennt noch jemand Jacob Jung? [Ich schweife ab, ich weiss, aber das hat System, das bleibt auch so.]

Also: Ich machte das alte Blog eher aus persönlichen Gründen dicht, neben der generellen Resignation, was die Wirksamkeit und den Sinn aufrührerischer Politartikel betrifft.  Mehrere Sachen begannen sich mehr oder weniger dramatisch zu ändern, da passte das gut ins Konzept, und mir war sowieso wieder mehr nach Literatur. [Als ob man das auseinander halten könnte] Wobei, das Lustige daran ist: Vor über zehn Jahren, als ich schon an der gleichen Stelle stand, beschäftigte ich mich sehr mit unter dem Label Social Beat werkelnden Textarbeitern. Auch eine ganz andere Geschichte, an die sich wohl kaum noch wer erinnert, was schade ist, da eigentlich hochaktuell. Dort verabschiedete sich Tom de Toys nach gut zwei Jahren mit einer Analyse, die durchaus auf die Bloggerei angewendet bzw. abgewandelt werden kann:

„Als die A.L.O. (AußerLiterarische Opposition) im Berliner Sommer `93 während des 1.SB(Social Beat)-Festivals ausgerufen wurde, dachte Deutschlands literarischer Under­ground an eine undogmatische Bewegung mit vielen Schreibstilen und Präsentationsweisen. Doch schon bald zeugten gegenseitige Distanzierungen von unkollegialen Arbeitsmechanis­men, die dem etablierten Literaturbetrieb ähneln: Geld, Macht, Neid und Prestige spielten, seit die Medien sich interessierten, plötzlich eine größere Rolle als verbindende Gesellschaftswut und Glücksvisionen. Nach zahlreichen Zeitungsartikeln, TV-Berichten, Festivals und pro­grammatischen Publikationen lässt sich die Szene nun grob in drei Lager sortieren: ein fast sektirerischer (sic!) Hard-core-Kern orientiert sich mit seiner sogenannten „Pimmelprosa“ an amerikanischen Beat-Autoren, eine dadasophisch angehauchte Clique schwört mit ihren Ge­dichten auf den aktionistischen Performance-Charakter von LITERATUR GEGEN LANGEWEILE und dazwischen treiben jene Schreiberlinge und Zeitschriftenmacher, denen das Marketing-Konzept wichtiger scheint als der Inhalt.“ Presse-Erklärung des Instituts für Ganz & Garnix. September/Oktober 1995

Ein anderer grosser Hype der Netzgemeinde ™, von dem man nicht mehr allzu viel hört, waren die Postprivatisten der Spackerei feat. Jens Best gegen den Rest der Welt aka Google street view. Die taugen heute lediglich noch als Witzeprojektionsflächen für Holgi Klein oder Malte Welding. Und genau damit sind wir zurück beim Thema: Wenn ich jetzt also wieder ein Blog starte und das schreibe, was ich wollte und was raus muss, was aber eben dummerweise auch persönlich ist – will ich das wirklich, weiss ich, in welche Untiefen ich mich da begebe, wo sollte die Schere im Kopf am Besten ansetzen [ganz zu schweigen von dem NSA-Skandal, aber das ist ja wieder Politik und von daher am Thema vorbei und abgesehen davon sowieso total absurd]?

Doch es hilft nichts, wie gesagt: Es gibt einen Grund für dieses Blog, und ausserdem muss der Name ja noch erklärt werden. Wie ich also zurück in die harte Berliner Wirklichkeit geschleudert wurde, und wie das natürlich auch was Politisches hat – Stichwort Gentrifizierung:

Das Wort, was Andrej Holm in die Schlagzeilen, unter Terrorismusverdacht und in Untesuchungshaft gebracht hat. Als das passierte, war ich gerade in einer längeren Pause, was die studentischen Aktivitäten anbetraf. Ich wusste um das Konzept und hatte durchaus ein, zwei Veranstaltungen bei Häußermann gehabt. Aber das war es dann auch fast, wäre da nicht Polleschs „Stadt als Beute“ gewesen, was mich ehrlich gesagt sowohl auf der Bühne als auch zwei, drei Jahre später auf der Leinwand begeisterte. Als ich wieder zurück ging an die Uni, kam Andrej Holm gerade aus dem Knast, ich packte ihn in meine Blogroll (wie konnte ich das hier nur vergessen-) und fing an, mich wieder mehr mit Recht auf Stadt und Urban Studies, wie es jetzt hiess, zu beschäftigen. Allerdings nicht an dem Institut von Holm, sondern bei den Ethnologen. Wenn man so will, war das Thema längst in der brutalen PopkulturRealität angekommen. Und eben auch in meiner, jetzt ganz greifbar.

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Da ich ja nun keine Politbloggerei mehr betreiben wollte, was bleibt mir dann übrig? Ich kann darauf hinweisen, dass andere das besser und wirksamer machen als ich es je könnte. Ich kann meine Berlin-Geschichte aufschreiben. Ich muss. Es gibt ganz viele andere, die schönsten davon bei tikerscherk (die natürlich auch längst in die Blogroll gehört und – ganz ehrlich – für mich neben Andreas Glumm die Entdeckung des Jahres ist und mir die dunkle Jahreszeit ähnlich aufhellte wie Tschick), aber selbst Don Alphonso hat letztens eine sehr gute erzählt.

Sowieso – an jeder Ecke stolpert man inzwischen über Berichte aus Berlin, und immer spielt das G-Wort eine Rolle. Besserverdiener, die verzweifelt um Rat bitten, wie sie nicht zu bösen Gentrifizierern werden. Was schwierig werden könnte, liest man sich aktuelle Berichte von Wohnungssuchenden aus ähnlichen Milieus durch. Und dann gibt es noch diese Expat-Exilantenszene hier, die sich auf Englisch darüber aufregen, wie furchtbar das alles ist mit den ganzen Touristen. Die drehen da sogar krude Filme drüber. Und in Hamburg sieht es nicht besser aus. Inzwischen gibt es sogar – kein Scheiss – eine Gentrifizierungsoper. Auch am schönen Kollwitzplatz kann Kunst gegen Gentrifizierung bestaunt werden.

Also: Es folgt eine Geschichte, die viel länger geworden ist, als ich dachte. Aber wegen ihr hab ich dieses Blog  überhaupt aufgemacht – was also jetzt & im nächsten Jahr passiert, nachdem der Text nun (bald) hier steht, kann ich noch gar nicht sagen, ich bin aber gespannt. Irgendwie hatte ich jedenfalls das Gefühl, dass sie mal aufgeschrieben werden musste, manchmal ist das so:

„Mein Gehirn nahm ungeheuer Fahrt auf, und ich würde schätzungsweise fünfhundert Seiten brauchen, um aufzuschreiben, was mir in den nächsten fünf Minuten alles durch den Kopf ging. Es war wahrscheinlich auch nicht sehr spannend, es ist nur spannend, wenn man gerade drinsteckt in so einer Situation.“   Tschick

Aufräumen zum Jahresende

Lesen.

Lesen.

Lesen.

Und schreiben, ab und zu auch mal schreiben, viel zu wenig, natürlich. Aber wie denn auch, wenn da so viel zu lesen ist! Ich arbeitete in den letzten Tagen die übers Jahr gesammelten bookmarks ab, überrascht davon, wie viele es dann am Ende doch waren. Und es landeten ohne Übertreibung 20 neue Seiten im Feedreader, na toll. Aber eben: toll sind sie, die meisten dieser Seiten und Texte. Deswegen jetzt hier das grosse Ausmisten zum Jahresende. Die Blogroll bedurfte schon längst der Überarbeitung bzw. Ergänzung, ein paar klitzekleine Erläuterungen dazu gibt es im nächsten Beitrag (wenn alles klappt, kommen noch zwei Texte in diesem Jahr – und dann?)

Dazugekommen sind: Die schon längst überfällige tikerscherk, Andrej Holms Gentrification Blog, den ich einfach vergessen hatte in die Blogroll zu packen, ebenso übersehen beim Einrichten der Blogroll: Andreas Glumms Zweitpräsenz, der Nachtwächter mit seinen oft kurzen und doch so treffenden Gedanken, Amanda Palmer mit ihren meist eher langen Gedanken, die Sammlung von reportagen.fm und waahr samt Archiv – weil es einfach gute Texte sind. Genau wie die folgenden:

  • Begleitschreiben: Grindelwald. Lang. Brutal. Traurig. Grausam. Toll.
  • [aʊχ das nɔχ] Misanthrope: Heute wird abgerechnet. Die Hosen, Düsseldorf und die Kanzlerin. Und was das alles nicht mit Punk zu tun hat.
  • moeffju.net: Eskapismus. Aus der Serie „Ich kenn das verdammte Problem, aber muss mich erst noch durch diese ganzen Katzenbilder durchklicken….“ Oder so ähnlich.
  • Und wo wir schon dabei sind: Tanos Katzentisch – Geschichten und Bilder aus der guten, alten, wilden Westberliner Zeit, zwei Teile. Ich frag mich, warum ich überhaupt angefangen habe, diesen einen Text zu schreiben. Da kann ich nun wirklich nicht mithalten, Bommi Baumann my ass!