Sommersplitter, letzter Akt (nachgereicht)

Ich hab ihn letztens in der U-Bahn getroffen, als bei der U6 dieser blöde Pendelverkehr war und man vom Mehringdamm bis Tempelhof dreimal umsteigen musste und ne halbe Stunde gebraucht hat. Der sah ganz schön verpeilt aus und schien gar nicht klarzukommen. Meinte, er wäre schon zweimal in die falsche Richtung gefahren. Kifft wahrscheinlich immer noch zu viel. Hat erzählt, seine Frau hätte ihn sitzengelassen und er ist jetzt wieder in Berlin.

So ungefähr könnte C. es ihnen erzählen, es wäre ihm nicht zu verübeln. Ich war an diesem Tag wirklich schlecht drauf. Wieso also sollte ich das machen, in die alte Heimat fahren? Dort wohnt niemand mehr, der mir wichtig wäre. Oder andersrum. Eher. Und eben, C. meinte, O. würde jetzt wieder dort wohnen, im alten Haus der Eltern. Nur der Landschaft und des Meeres wegen zieht es mich nicht dort hin, da mag es noch so viel Sommer sein, das reicht nicht, das zieht nicht.

Heimat? Ich habe den Verdacht, es geht eher darum, in überzuckerten Erinnerungen zu schwelgen und zu recht verflossenen Gelegenheiten noch eine Chance geben zu wollen. Zeitverschwendung. Um die andere Heimat kümmerst du dich ja auch nicht, sagt das Teufelchen auf der rechten Schulter, eigentlich kümmerst du dich doch um so etwas nie, für gewöhnlich. Und die ist schliesslich um die Ecke, die andere Heimat, da könnte man mit dem Rad hinfahren. Was du ja auch mal gemacht hast, als noch jemand dort wohnte, im Familienstammsitz. Mal ganz abgesehen davon, dass da auch einige Gräber schon jahrelang auf deinen Besuch warten. Aber eben keine Verflossenen, deswegen denkst du da auch nicht mal ansatzweise drüber nach.

Das unverhofft auftauchende Boateng-Wandbild (Ach hier war das!) unterbrach dann zum Glück diese Gedankenspiele und setzte neue in Gang. Die WM war gerade mal einen Monat vorbei, besoffen von dem Titel war längst keiner mehr. Mit einer so schnellen Ernüchterung hätte ich nicht gerechnet, dieser unspektakulär schnelle Übergang zum Tagesgeschäft überraschte mich. Sollte es wirklich noch fünf Monate Ruhe geben, bis die ganzen ‘Schland-Idioten in den Jahresrückblicken wieder ins Bild dürfen?

Über das Boateng-Mural freue ich mich immer wieder, nicht nur, weil ich nie genau weiss, wo es ist und daher jedes Mal aufs Neue überrascht bin. Sondern auch, weil ich dabei immer leise skeptisch denke, das sind wirklich unsere Jungs, die kennen das dreckige, das Guten Morgen Berlin, du kannst so schön hässlich sein-Berlin. Und dass wenigstens einer von ihnen Weltmeister geworden ist, freut mich wirklich. Ebenso wie der Gedanke daran, dass er in 30, 40 Jahren als älterer Herr, mit kleinem Bierbauch vielleicht, ganz selbstverständlich im Aktuellen Sportstudio aus dem Nähkästchen der Erinnerung plaudern wird. Mit viel Glück werden die Zuschauer dann ungläubig den Kopf schütteln und sich denken: Bananen auf das Spielfeld geworfen? Wirklich?! Wie dumm ist das denn?!

Gespräch mit meinem Hund

„So, jetzt bist du also zwei Jahre alt. Das ist ja für ein Hundeleben sozusagen volljährig. Wie fühlt man sich denn da so?“

 „Ich hab Hunger.“

 „Ach, du hast immer Hunger. Mach dir mal lieber ’nen Kopf um deine Zukunft. Kannst jetzt ja schließlich den Hundeführerschein machen. Und Alkohol trinken, Hundebier und so. Aber nicht zusammen. Nicht betrunken fahren, das ist doof!“

„Ich will gar nicht Auto fahren, ich habe Hunger. Außerdem kannst du mir ruhig weiter die Ohren kraulen.“

„So leicht geht das nicht. Und sowieso, du könntest ruhig mal für dein Futter selbst sorgen. Such dir doch einen Job! Als ich in deinem Alter war, da konnte ich mein Brot schon selbst bezahlen!“

„Mit zwei Jahren? Das glaube ich kaum. Ich habe übrigens immer noch Hunger, komm schon, wenigstens ein Leckerli!“

„Nein, mit zwanzig. Hör auf zu betteln, so etwas macht man nicht. Andere Hunde sind Filmstars und retten Leben, Bernhardiner zum Beispiel. Nimm dir mal an denen ein Beispiel!“

„Du willst also, dass ich tierisch haare und sabbere? Kannst du haben. Außerdem fressen Bernhardiner auch viel mehr. Und sie stinken!“

„Jetzt lenkst du vom Thema ab. Hier hast du eine Kaustange. Mal ehrlich, soll das die nächsten 10, 15 Jahre so weitergehen? Wozu waren wir denn bei der Hundeschule?!“

„Ich wollte da nicht hin! Mich hat ja keiner gefragt. Mich fragt ja sowieso nie jemand! Es heißt immer nur sitz, platz, pfui. Und ich finde es nett, dass du schon festlegst, wann ich zu sterben habe. Wieder werde ich nicht gefragt.“

„Nun sei nicht gleich wieder eingeschnappt. Ich weiss, dass du super gut beleidigt tun kannst. Geh doch zum Fernsehen!“

„Jetzt lenkst du aber vom Thema ab! Hast du dir denn auch schon Gedanken darüber gemacht, was du dir für einen Hund nach meinem Tod anschaffst, he? Einen Bernhardiner vielleicht?! Mit denen kannst du so was machen, die sind nicht nur fett, sondern auch blöd!“

„Entschuldige bitte vielmals, Sauertopfgesicht! Aber im Ernst, meinst du nicht das könnte dir Spaß machen? Da triffst du dann auch andere Hunde, mit denen du spielen kannst.“

„Ey weißt du wie mich das nervt?! Immer soll ich mit anderen Hunden spielen. Ich will meine Ruhe haben und den ganzen Tag pennen, verstehst du?! Und weißt du was, Hunde können gar nicht sprechen. Du solltest dir mal `nen Kopf machen, und zwar über deinen Drogenkonsum. Und jetzt lass mich in Ruhe!“

(März 2002)

Kraut und Rüben

Als Überbrückung – ich bin ja schon so gut wie in Hamburg, juhu – noch ein paar Links und Bilder für das lange Wochenende, teilweise sogar bewegte (und bewegende).  Zuerst: Hamburg hat sein Lächeln verloren, auch darauf bin ich irgendwie gespannt, wie es jetzt dort ist, kurz nachdem OZ seinem Berufsrisiko erlegen ist. Für wirklich tiefe Einblicke lohnt sich dieser Nachruf.

Um solch einen Verlust zu verkraften, braucht es natürlich mehr als ein wenig Auflockerung, aber das ist alles, was ich bieten kann: Zwei krude Interviews, eines mit Quincy Jones, das andere mit Robert Anton Wilson. Keine Ahnung, wer von beiden schräger drauf ist, vielleicht ja gar keiner. Um noch kurz beim Thema Drogen zu bleiben: Diese Geschichte zu den McDonalds-Teelöffeln kannte ich bisher noch gar nicht, wahrscheinlich war ich der einzige. Und eine letzte Kuriosität, ebenfalls vollkommen neu für mich: Die BRD hat eine Exklave in der Schweiz.

Doch zurück zum Ernst, dem hochkulturellen erst einmal – wie er sich beispielsweise bei einem Redaktionsbesuch in der FAS abspielt. Oder bei Suhrkamp, natürlich bei Suhrkamp, wo, wenn nicht bei Suhrkamp. Dort wird gerade der 90. Geburtstag Siegfried Unselds gefeiert, inklusive einem schönen Film mit Männern in blütenweißen Hemden, die sich über die Entstehung eines Unseld-Bild(und Text)bandes unterhalten:

Dazu, und um die wilde Mischung hier möglichst weit aufzufächern, ein paar Zitate von Fauser, hatte ich ja lange nicht. Mir war noch in einer dunklen Ecke des Hinterkopfes in Erinnerung, dass Suhrkamp für ihn ein Thema war. Dank des wunderbaren Registers im Strand der Städte konnte ich das schnell verifizieren, es gab sogar eine gewisse zeitliche Ballung, auf den ersten Blick. Hier die schönsten Auszüge (alle aus dem verlinkten Band, aus den verschiedensten Texten):

Natürlich war mein Weltschmerz damals schon nicht mehr ganz à la mode, er bezog seine Empfindungen – jedenfalls auf literarischem Niveau – aus Attitüden und dazugehörigen Texten, die von Suhrkamp nicht editiert wurden. (1981 – S.535)

„Sich mit Dingen bekannt machen“ – daß wir aus (guten) Kriminalromanen mehr Wirklichkeit erfahren als aus einigen Metern der Suhrkamp-Produktion, war uns schon immer eine liebe These. (1981, S.605)

Am Beispiel der abenteuerlichen Story eines Glücksritters, der – mit finanzieller Beteiligung des Filmstars Clint Eastwood – den Beweis erbringen wollte, daß in Laos und Vietnam noch amerikanische Kriegsgefangene einsitzen, sammelte ich einige Argumente gegen die offenbar nicht nur mich anödende deutsche Suhrkamp- und Schulfunkkultur. (1983, S.766)

Und es sind Filme wie der von Boisset, die mir bestätigen, daß ein von unserer Hochkultur nicht ganz ernst genommenes Genre wie der Spionagethriller präzisere Aufklärungsarbeit über die realen Verhältnisse leistet als ein ganzer Schuber Suhrkamp-Literatur und ihre Verfilmungen. (1983, S.784)

Es schält sich da langsam ein Muster heraus, es wird klar, worum es Fauser geht (und er hat ja auch immer noch Recht damit), aber es droht, redundant zu werden. Jedoch: au contraire, lustiger wirds; es folgt die Vorstellung des Nachwuchsautors Rainald Goetz…

Rainald Goetz ist ein quirliger Mensch von Ende 20, ein Akademiker mit grün oder blond gefärbter Haartolle, Medizin und Geschichte, der sich unlängst darin gefiel, vor den Kameras irgendeiner Kultursendung mit Selbstverstümmelung zu kokettieren und im Herbst (bei Suhrkamp, na klar doch) seinen ersten Roman vorlegen wird, der Irre heißt, na ja doch. (1983, S.786)

Und weiter, auch weiter ausholend, im selben Jahr:

Klar, wir werden den Kulturkampf bekommen, und zwar als Teil jenes großen Kulturkrampfs, wie ihn uns das Kultur-Establishment seit den Tagen der Re-education und der Gruppe 47 so lange um die Ohren gehauen hat, bis wir alle eines Tages geglaubt haben, die Waschzettel der Suhrkamp-Kultur und die Aspekte-Statements der Gremien-Filmer seien Wegzehrung genug für die Teilnahme am geistigen Leben dieser Republik. (1983, S798f)

Doch zum Schluss, nach einer längeren Feuerpause Richtung Suhrkamp, jedenfalls in seinen journalistischen Arbeiten, fast eine Würdigung des Verlages, an dem er sich zwar rieb, aber dem er auch etwas abgewinnen konnte. Vor allem, was Unselds Rolle betraf:

Ein gleichaltriger Lektor von Suhrkamp sagte: Da ist ein Autor, der hat auch mit einem anderen Verlag einen Vertrag über das gleiche Buch wie schon mit dem Suhrkamp-Verlag abgeschlossen. Das hat der Unseld erfahren und ist hingegangen und hat gesagt: Sie sind weg hier. Tough. Hart. Raus. Ich finde das richtig. Es muß Richtlinien geben. (Aus einen Interview mit Fauser, 1985, S.1532)

Soviel dazu. Was bleibt ist mal wieder die harte, traurige Realität:

Eine über und über mit Grafftitis übersäte Wand

 

Grafftiti an einer Häuserwand: Ein Affe, der grimmig den Mittelfinger zeigt, dazu der Schriftzug "Wohnen ist keine Ware"

 

Schriftzug an einer Häuserwand: Militant gegen Gentrifizierung

 

Street Art in einem Hauseingang: Bild eines liegenden Schafes, darunter der Grafftiti-Schriftzug "Die Yuppie Scum"

Die vor kurzem die ersten handfesteren Zahlen ins Haus spülte, nachdem mit anderen Zahlen immer mehr Leute aus dem Haus gespült werden: Derzeit liegen wir  noch etwas unter der Vergleichsmiete, nach der Modernisierung (bei der ein Fahrstuhl natürlich nicht fehlen darf, fürs ausgebaute Dachgeschoss…) soll es knapp doppelt so teuer wie die Vergleichsmiete werden. Offiziell wissen wir jedoch noch von nichts und üben uns auf anwaltlichen Rat im Teetrinken. Daran anknüpfend lässt sich hier mit den Goldenen Zitronen wunderbar der Kreis schliessen, vom bösen G-Wort zu Hamburg. Ich bin gespannt…

 

 

Recht hat er…

…der Kiezneurotiker. Und Felix Schwenzel auch. Und ihnen wird Gehör geschenkt, und dann wird wieder auf die Leute gehört, die auf sie hörten. Und dann … ist irgendwann das Internet voll mit von Hand kuratierten Linklisten. Da kann ich natürlich nicht aussen vor bleiben, die letzte Linkammlung hier ist ja auch schon eine ganze Weile her.

Nun dauerte das Durchforsten der abgelegten Lesezeichen mal wieder besonders lange: Alles nochmal lesen, abwägen, ob es sich lohnt und/oder sich thematisch überhaupt einfügen lässt in das Gesamtkunstwerk Linkliste – und nicht zuletzt nachschauen, ob man diesen oder jenen Inhalt nicht schon einmal verwurstet hatte. Da sich also einiges angesammelt hat im Laufe der Zeit gibt es jetzt sogar – trommelwirbel – Kategorien:

Sachen, die wahrscheinlich eh schon jeder kennt, die es aber wert sind, bis ins Unendliche verlinkt zu werden

Ein Musikvideo, gleich zum Anfang. Um die Stimmung aufzulockern, es für die kommende, vielleicht schwere Kost der Textlinks leichter erträglich zu machen? Eher nicht, obwohl dieses Video durchaus gute Laune machen kann. Also – ich hatte vor einiger Zeit in den Kommentaren schon mal auf den Song „Der Tag wird kommen“ von Marcus Wiebusch hingewiesen. (Standardfloskel: Früher war der viel besser). Jetzt ist das Video dazu da, mit 30.000 Crowdfunding-Euros gedreht, wenn ich das richtig verstanden habe. (Wobei es auch wieder komisch ist, kurz vorher eine Summer of the 90’s-Doku auf arte gesehen zu haben, in der es um die Millionenbudgets für die Clips damals ging) Das Ergebnis kann sich sehen lassen, ganz gut gemacht, schönes Konzept, wie ich finde:

Dazu noch ein paar kurze Anmerkungen: Das Video zeigt sehr schön, dass das Internet nicht gut oder böse, sondern mindestens beides ist (ich mag diese Kategorien ja sowieso nicht besonders). Einerseits: Das crowdfunding, das in diesem Falle geklappt hat. Andererseits: Die schamlosen homophoben Kommentare darunter. Es gibt also noch einiges zu tun und zeigt, wie nötig dieser Song (und dieses Video) sind. Ob es was bringt? Nun, meine Kristallkugel ist gerade nicht griffbereit und auch ansonsten bin ich ja eher ein Pessimist. Trotzdem sollte man es natürlich immer wieder versuchen. Sisyphos halt. Manchmal klappt es vielleicht sogar. Und wenn nicht, gibt es immer noch tolle Videos.  Dieses hier, um ein weiteres Beispiel zu nennen, zu einem ganz anderen Zweck produziert.

Zum Abschluss und als Überleitung ein letztes Propagandavideo, dessen Anliegen ebenfalls nicht oft genug betont werden kann:

hard stuff

Hier scheint es also so, als ob der Protest etwas bewirkt hätte. Nur: Aaron Swartz hat sich aufgehängt. Das klingt nicht nach einem Sieg. Scheitern ist immer möglich. Womit wir schon beim nächsten Thema wären: Durch Robin Williams‘ Abschied wurde  mal wieder anderthalb Tage lang über Depression und Suizid gesprochen. Für Andreas Biermann ist in den Tagesthemen niemand auf den Tisch geklettert, doch auch er hat seinen Kampf verloren. Denn genau so sehe ich das: Es ist ein Kampf, viele schaffen es, wenigstens ein Unentschieden rauszuholen, aber es kann durchaus auch schiefgehen, wenn die Dunkle Fee (die dir den einen Wunsch erfüllen kann) plötzlich aus dem Hinterhalt einen Überraschungsangriff startet. Ich würde jedenfalls in diesen anderthalb Tagen, die alle Jahre wiederkehren, gerne mehr komplexere Beiträge lesen anstatt – wie allzu oft – immer nur den Verweis auf den Werther-Effekt, damit kann ich nämlich eher wenig anfangen. Immerhin besser als die Abscheulichkeiten der Presse anlässlich des Suizids von Virginia Woolf. Letztlich muss das jeder mit sich selbst ausfechten: Der, der gehen will, und die, die übrig bleiben. Beides beschissene Situationen. Und bisher ging es ja nur und unzulässigerweise generalisierend um die Themen Depression und Suizid. Das lässt sich natürlich viel breiter auffächern: Intros und Extros, Autismus und so vieles mehr vom Krieg mit sich selbst müsste noch besprochen werden, allein – es fehlt die Zeit und die nächste Kategorie drängelt schon:

Einfach nur tolle Texte … und ein bisschen Literatur

Auch in diese Gefilde soll eine kleine Brücke führen: Der Mythos von Genie und Wahnsinn hält sich ja hartnäckig, wohl nicht ganz ohne Grund. Wenn einem der Wahnsinn bestimmte Filter nimmt, schlägt sich das mitunter in genialen Resultaten nieder. Nachhelfen kann man da – auch aus medizinischen Gründen – mit diversen Drogen. Oder man kauft sich das falsche Steak. Doch sollen die erzählen, die sich damit auskennen: Bei Herbert Volkmann und Andreas Glumm scheint das ohne Zweifel der Fall zu sein.

Mit Letzterem sind wir dann auch schon mitten in den tollen Texten, die sich bei ihm zuhauf finden lassen (sagte ich das bereits?).  Falls man sich je von diesen lösen kann, schlage ich vor, die Reise von Glumms Solingen in Richtung Thorges Hamburg fortzusetzen, sozusagen. Erst zu einem aus den Fugen geratenene Konzert der Beginner, dann dorthin, wo Berlin und Hamburg sich treffen.

Frau Haessys Reise führt dagegen mit dem Zug nach Bonn und Arno Frank verbrachte seine halbe Jugend auf einer Irrfahrt quer durch Europa. Auf Wirre Welt Berlin ist der Weg nicht ganz so weit, er führt lediglich das Treppenhaus runter in den Hof, spätnachts, weil es brennt. Stephanie Bart hat es da schon schwerer, eine Rikscha schiebend auf dem Oktoberfest.

Bei Nilzenburgers Geschichte zu Boris Becker spielt das Oktoberfest erstaunlicherweise keine Rolle, dafür führt er den Vorruf ein: Erlebnisse, die ich mit Persönlichkeiten hatte, die man vielleicht (mich eingeschlossen) ganz anders eingeschätzt hat. Fun Fact am Rande:  Für diese Rubrik fiel mir zuerst ein Erlebnis mit Frank Zander ein. Könnt ich wirklich mal aufschreiben, dachte ich. Dann las ich den ersten Kommentar…

Der Literaturbetrieb, der etablierte, der sich etwa bei dem Berliner Literaturfestival gerade selbst feiert (oder betrauert) ist ja vor allem auch durch Preise, Stipendien und Wettbewerbe gekennzeichnet. Tante Jay hat einen preisverdächtigen Text darüber geschrieben, wie man einen Literaturpreis erringt.

Distinktion ist hierzulande in dieser Branche ja besonders wichtig, das U&E sozusagen. Da wäre es natürlich vermessen, Literatur mit Fussballspielberichterstattung oder Drehbuchschreiben in Verbindung zu bringen und gar zu empfehlen, voneinander zu lernen. Deshalb lieber schnell zurück ins sichere Unterholz der anerkannten, weil kanonisierten und ordentlich gealterten Literatur. Zu der gehört inzwischen ohne Zweifel die sogenannte Beatliteratur, auch wenn man ehedem ein extra Vokabelverzeichnis dafür benötigte (was mich irgendwie an die alljährlichen Jugendwort-Listen erinnert, ich meine, bitch please, sowas können sich doch auch nur Leute mit Immatrikulationshintergrund ausdenken, oder?).

KGB – so lautet die griffige Ab- und Verkürzung zum Thema Beat. Dass es natürlich mehr als Kerouac, Ginsberg und Burroughs  in diesem Universum gibt, zeigt die Neuköllner Botschaft immer wieder (und demnächst mit einem eigenen Blog dazu). Katja Kullmann weist im Freitag auf die bedeutende, doch leider so gut wie vergessene Rolle von Diane di Prima innerhalb der Beatnik-Szene hin. Doch ganz ohne die namensgebenden Köpfe soll das Kapitel hier auch nicht enden: Holy Soul – eine Geschichte über den alten Allen Ginsberg.

Beobachten der Gedanken beim Entstehen…

…kann auch ein schönes Hobby sein. Jagdgebiete dafür gibt es einige, mein favorisiertes ist allerdings Georg Seeßlens Blog. Waidmanns Heil!

Nachrichten aus der Realität von früher und heute – und aus Berlin

Bevor es hässlich wird, bevor wir mit den Armen bis zum Ellenbogen in der Scheisse rühren, die sich da um uns herum abspielt, noch schnell etwas Nostalgie als Reiseproviant. Einiges erscheint dabei so anders und weit weg, aber: some things never change, Mortimer. Also: Fangen wir an mit einem WDR-Bericht über „Raubkopierer“ aus dem Jahr 1986 – ich erinnere mich noch gut an einige der gezeigten Spiele, und an das ewige Spulen mit dem  Kassettenlaufwerk.

Via Nante Berlin bin ich auf Starsky & Hutch aus dem Prenzlauer Berg, Berlin, Hauptstadt der DDR gestossen (aka Toto und Harry aus Ostberlin). Durchaus interessante Bilder aus dem Jahr 1985:

Nur ein paar Jahre später – genaugenommen knappe vier – und nur ein paar Strassen weiter eröffnet sich eine ganz andere Welt, festgehalten in einem Videodokument mit dem bezeichnenden Titel Kampftrinken Berlin ’89. Dessen Entstehung wird hier und hier näher beschrieben – ein schöner Kontrast zum realsozialistisch-piefigen Vopo-Ostberlin. Gewonnen hat übrigens Wolfgang Hogekamp, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Zehn Jahre nach diesem historischen Ereignis lernte ich Hogekamp als Spoken-Word-Aktivisten beim Bastard-Slam kennen. Inzwischen hat er sich wohl die Bezeichnung Veteran redlich verdient, auch wenn er immer noch aktiv ist.

Die 90er kamen und gingen, ein neues Jahrtausend brach an und in Berlin grölten die Säufer wie eh und je, wahre Poesie. Berlin bleibt eben Berlin, im Guten wie im Schlechten. Wie weit ist denn etwa die Cuvrybrache von Barackia entfernt? Besser wird es jedenfalls nicht, weder in Berlin noch generell, mit der Technik, den Neuen Medien und dem Tonfilm.

Nun denn, wir kommen ja nicht drum herum: Die harte Realität also. In der das Kopfwaschen mittels Eiswasser als große Tat zelebriert wird. Zum Glück ist dazu schon alles gesagt bzw. geschrieben worden. So können wir uns den wichtigen Dingen zuwenden: Irgendwo in diesem Land hingen mal wieder eine Weile lang ununterscheidbare Plakate an Laternenmasten – es waren Wahlen. Die Aktion Doppelstimme hatte leider einen wohl etwas unerwarteten Ausgang und so sitzen demnächst jede Menge sauerkrautfurzender Kartoffelfressen in den Parlamenten. What’s new?! Deren Anhänger natürlich genauso wenig Nazis sind, wie diejenigen, die unpolitischen Rechtsrock hören. Kein Scheiss!

Ansonsten? Der Krieg feiert Geburtstag und allerorten fröhlich Urständ, Volker Strübing macht sich dazu Gedanken und ein paar sehr schöne Collagen. Viel zu selten wird der Empfehlung Klaus Baums Beachtung geschenkt, viel zu wenige versuchen sich in Detailarbeit – aber alle schimpfen auf die Presse, die Lügenpresse, die Propagandapresse, die Systempresse; aus allen Blick- und Schussrichtungen natürlich. Dabei aber immer sicher auf dem Sofa oder vor dem Schreibtisch sitzend, an der Front – dort, wo gestorben, wo elendig verreckt wird –  sind andere, unter ihnen auch Journalisten und Fotografen. Mit ganz viel Glück entstehen dann aus dem Elend ganz großartige Bilder, ein altes Dilemma der Kunst. Oder stumpfe Propagandafilme.

Bei allem berechtigten Journalisten(darsteller)bashing, aber auch in der Blogwelt, in der Alternativen zum Holzmedienjournalismus längst angepackt sind, fehlt es meist an einem wichtigen Aspekt, wie sich auch gerade an den  sehr bedauerlichen Vorgängen rund um Carta zeigt: Die Systemfrage. Bei der landet man über kurz oder lang immer wieder, sorry. Wenn das Ziel Gewinnmaximierung ist, dann ist das eben so, deal with it. Oder kritisiere es, kurz und knackig oder gern auch etwas ausführlicher.

Es ist zum Verzweifeln, keine Frage, da kann man auch schon mal etwas expliziter werden in der Sprache. Ob ich eine Lösung habe? Klar:

via.

 

PS./Update: Kurz nachdem ich auf Publish klickte, meldete sich Carta in meinem Feedreader zurück. Zum Neustart werden die Leser im zweiten Satz mit folgenden Worten begrüsst: Wir konnten lästige Bugs im Front- und Backend beseitigen und freuen uns, dass sich nun Arbeitsprozesse vereinfachen lassen und Inhalte schneller online gehen können.

Klar, es geht um die technischen Details in diesem Begrüssungstext. Und nur um die. Seltsam genug. Sonst würde man ja dem Postillon Konkurrenz machen.

Update/PS. noch ein letzter, aber verdammt relevanter Link (via wonko): If you’ve ever wondered what depression feels like, this is pretty damn spot on. It isn’t really being sad, but just being…empty. Den Nagel auf den Kopf getroffen.

Und der Kreis gehört natürlich mit einem Musikvideo geschlossen. Wer es bis hier geschafft hat, hat den jungen, engelsgleichen Eddie Vedder verdient. Mit einem Song, der generell und speziell ganz gut passt, ganz gut den Bogen schlägt. Und den Sack jetzt endgültig zumacht.

 

 

Sommersplitter – Tischgespräche, draussen

Ich versuche, möglichst unbedarft auszusehen, als sie mich nach einem Geldschein fragt. Obwohl ich genau weiss, was kommt.

„Ich hab ’nen Fünfer oder ’nen Zwanziger“ sage ich.

„Nimm den Zwanziger, macht sich am Besten!“ empfiehlt der Chemiker und klopft an das Glasröhrchen. Ich gebe ihr den Schein, er gibt ihr das Röhrchen.

„Und du willst da echt nix für haben?“ fragt sie noch, bevor das weiße Pulver durch meinen Zwanziger in ihrer Nase verschwindet.

„Nicht doch, nie. Ist noch von letzter Woche übrig, diese Woche hab ich eh schon Neues gemacht, kein Thema.“ antwortet er.

„Ah ja“ mische ich mich wieder ein, „so Walter White-mäßig, was?“ Frage ich ihn, nicht ohne die Erklärung nachzuschieben, dass ich diese Serie noch nie gesehen hätte, aber dank des Internets die ganzen Memes dazu kenne.

„Genau!“ antwortet der Chemiker, „und das hast du echt noch nie gesehen? Musst du unbedingt machen, wirklich Klasse! Der Stoff ist natürlich die Hölle, da ist das hier Kindergarten gegen. Willst du auch?“ Die Frage ging an mich, ich lehne dankend ab.

„Hab ich mir gedacht“ sagt er lächelnd, und, and sie gerichtet: „Und?“

„Krass, man schmeckt wirklich kaum was.“

Ich stecke den Zwanziger wieder ein und den Joint wieder an. Sie gehen in die Panoramabar, ich werde nach Hause gehen. Oder doch zu N.? Ihre Einladung steht noch, daran erinnerte sie mich gerade vor einer halben Stunde wieder. In ihrem Tiefkühlfach liegt seit Jahren ein Stück getränktes Löschpapier, das ihr Robert Anton Wilson mal geschenkt hatte. Wäre auch eine Option.

Requiem für Harry Gelb

(eigentlich wollte ich als nächstes einen anderen alten Text hier einstellen. Die letzten Kommentare erinnerten mich aber an die folgenden – ebenso alten – Worte und ich kramte sie aus dem Archiv:)

19/07/06

Nachts um drei
mit Rohstoff fertig.
Mal wieder.

An Drogen:
seit einer Woche nur noch Bier.
Selbst das:
ab Werk mit Zitronenlimonade gestreckt.

Versucht, die Fauser-Gedichte
aus dem Regal zu holen
und dabei kräftig
über Stühle gestürzt.

Kaputtes Knie, kaputtes Leben.
Der Alkohol wirkt also doch.
Und Fauser sowieso.