Widerwillig; Splitter und Links

Aufkleber auf einer gefliesten Kneipenklowand: KvU bleibt!
(auch schön, und viel schärfer ist dieses Bild zum Thema)

Im Moment: Viel zu viel Leben für viel zu wenig Zeit.

Vereinzelt gab es Nachfragen, warum es hier denn so ruhig sei.  Der Duderich fasst es in treffende Worte (und hat eine wunderbarpassende Begleitmusik dazu): Ah…, wenn man lange nichts gepostet hat, dann ist es schwer die Relevanz zu finden, die es wert ist, das eigene bleierne Schweigen zu durchbrechen. Selbstverständlich scheitere ich daran, aber ich kann mich gut leiden und habe Verständnis für mich.

Wobei mir der letzte Satz noch nicht über die Lippen kommt, aber auch das ist etwas besser geworden im neuen Jahr. Etwas. Manchmal. Jedenfalls: Dieser Artikel liegt hier seit dem 28. Januar rum, immer wieder wird ein bisschen dran rumgefeilt und ergänzt – und sich dann gedacht: Wirklich? Warum?

Die Veränderungen kamen schleichend, der Vorsatz nur bei genauerem Betrachten hinter einem Schleier erkennbar. Oder gar nicht, weil purer Zufall: Seit der letzten Erkältung Anfang Dezember morgens statt der Kanne Kaffee eine Kanne Tee – und einfach dabei geblieben. Seit der Scheidungskindhund im Westen ist keine langen Podcasts mehr gehört. Aber auch viel zu wenig Bewegung und Struktur, was geändert gehört, ich arbeite daran, immerhin. Doch vor allem: Rausgegangen, sehr oft; Menschen getroffen, ganz schön viele; Zeit verschwendet, mal nicht alleine. Konzerte, Geburtstage, Morgengrauen. Am Ende trotzdem – trotz dem Spass, trotz des Spasses, den es machte – das Gefühl: Ich bin zuviel rumgerannt und es ist doch nichts passiert.

Dabei blieb natürlich einiges auf der Strecke, man kann halt nicht alles haben. Schreibblockade mal anders, wenigstens aus einem guten, triftigen Grund kaum was zu Papier gebracht. Und wenn ich lese, dass Marcus Kluges Pause von 1989 bis 2013 dauerte und er dann innerhalb kurzer Zeit so viel Gutes geschrieben & gesammelt hat, dann besteht ja vielleicht doch Hoffnung.

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Hier beisst sich übrigens die Katze in den Schwanz: Wir befinden uns ja gerade – falls sich wer fragt – am Anfang einer kleinen Linksammlung. Ab und an finden sich in diesen Sammelsurien auch Veranstaltungshinweise – und der Herr Kluge plant, ebenso wie die fabelhaften Candy Bukowski, Sabine Wirsching und Monsieur Manie in absehbarer Zeit eine Lesung. Noch mehr Grund zum rumrennen (& rausreden). Zu allem Überfluss dann noch die Berlinale.

Eigentlich wäre sie sang- und klanglos an mir vorbeigezogen (auch was Neues, früher wälzte ich Programmhefte noch und nöcher). Dann rief aber jemand an und fragte, ob ich nicht mitkommen möchte, zu ein oder zwei Filmen. Also doch, und also doch im Programm gestöbert. Der Kurt-Cobain-Film wäre naheliegend gewesen, klappte jedoch leider nicht. Den kann man sich aber garantiert später und bei anderen Gelegenheiten anschauen – und das war doch immer das Berlinalefilmhauptauswahlkriterium: Etwas schauen, was man höchstwahrscheinlich nie wieder zu Gesicht bekommt. Nun lief eines der ausgewählten Werke im Delphi, das schöne, alte Delphi mit den schönen, alten Geschichten. Wo Madame arbeitete und ich seitdem nicht mehr war. Es ging gut, ich habe wohl langsam meinen Frieden gemacht, jedenfalls die ersten Waffenstillstandsverhandlungen erfolgreich überstanden. Beate Uhse ist scheinbar schon lange weggezogen, dafür kampieren ein paar mehr Obdachlose vor dem Ullrich unter den S-Bahn-Bögen.

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Der letzte Kinobesuch, ich hatte es ja vor zwei Beiträgen ( und drei Wochen…) kurz angesprochen, war deutlich unangenehmer. Nicht nur des Themas oder der Umsetzung wegen. Hauptsächlich war es das Kino, welches allein aufgrund der günstigen Lage und des passenden Zeitpunkts gewählt wurde: Es lag halbwegs in der Mitte unserer Wege und wir wollten danach noch ins Baiz – also Kulturbrauerei. Welch Fehler, vor allem blauäugig zwei Bier zu bestellen. Da war der zweite Zehner weg. Ich hab mir danach sagen lassen, das wäre eins der angenehmeren Multiplexe, aber zwei große Bier brauchte es schon, um erträglich zu sein.

Die Nischenpressenkritik und die Leute um mich rum hatten an Wir sind jung, wir sind stark (durchaus berechtigt) rumzukritteln. Zur Vorbereitung ignorierte ich zwar sämtliche Besprechungen, sah mir aber am Abend vorher nochmal the truth lies in rostock komplett an. Keine Frage, dass der die Geschichte viel besser, tiefer und genauer erzählt. Und krasser. So ein Anspruch ist bei Spielfilmen allerdings auch schwierig zu erfüllen (und schlechterdings zu fordern).

Da ich mit dem flauen Gefühl im Magen nicht schlafen gehen wollte, schaute ich mir danach endlich Fraktus an, der verstaubte schon länger auf der Festplatte. Ich war ganz angetan und es klappte gut mit dem Schlafen danach, was nicht zuletzt an Devid Striesow lag. Umso überraschter war ich am nächsten Abend im Kino, ihm schon wieder zuschauen zu dürfen – ich hatte im Vorfeld wirklich nichts gelesen zu dem Film. Also, mein Laienfazit: Gute Schauspieler und gute Bilder. Die Story hat den Nachteil, dass sie sich entscheiden muss – zwischen Vietnamesen und Roma – und das in diesem Fall ganz klar tut. Oder zwischen dem persönlichen und dem politischen Handlungsstrang, und beide nur in Andeutungen erzählt. Da hätte man sicherlich einiges besser machen können, aber es wurde immerhin gemacht. Als Spielfilm, der nicht an Dokumentarfilmkriterien gemessen werden sollte. Deswegen fand ich auch das „metaphorisch überhöhte Ende“ nicht schlimm.

Das Geld, welches ich zuhauf im Kino ausgab, holte ich vorher aus der gleichen Bank, die ich vor knapp einem Jahr schon besuchte. Die selbe ist es nicht mehr: Kein Obdachloser weit und breit, dafür schreckliche Musik. Erst einen Tag später erfuhr ich, dass es sich dabei um das neue Konzept zur Steigerung der Kundenfreundlichkeit im Kampf gegen die Armen handelt.

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Zu den Nachrichten: Die DDR-Herkunft schlägt sich bei mir auch in seltsamen Sportbegeisterungspräferenzen nieder. Ein weiteres Bekenntnis: Ich schaue Skispringen. Am vergangenen Wochenende fand nun auf der (derzeit noch) größten Schanze der Welt, dem Vikersundbakken, ein Skifliegen statt. Gundula Gause verkündetete dazu am Sonntagabend im heute journal (wörtliches, komplettes Zitat aus der Mediathek):

Beim Skiflugweltcup im norwegischen Vikersund hat Severin Freund seinen fünften Saisonsieg gefeiert. Auf der größten Schanze der Welt, dem berüchtigten Monsterbakken, segelte der 26jährige über 237 und 245 Meter weit und gewann damit überlegen vor dem Norweger Fannemel. Eine perfekte Generalprobe für die am Mittwoch beginnende WM. 

Ganz schön viele Informationen für eine so kurze Meldung, eigentlich. Wie sich das für eine seriöse Nachrichtensendung gehört. Allerdings: Was zählt, ist allein das Deutsche. Der Rest ist irrelevant, wurde schliesslich – wie in diesem Fall Anders Fannemel – überlegen geschlagen. Da hilft es ihm auch nicht, dass er im ersten Durchgang noch vor Freund führte. Weil er 251,5 Meter weit geflogen ist – und damit einen neuen Weltrekord aufstellte (Die 250 Meter fielen erstmals am Vortag, und vor gerade einmal 15 Jahren knackte der Goldberger Andi die 225 Meter, aber ich schweife ab…). Was dem heute journal nicht mal einen Nebensatz wert ist, so ein neuer Weltrekord. Wäre ich zynisch, würde ich bezweifeln wollen, dass der Aktuellen Kamera so ein Fehler (in der Tat fehlt ja etwas) unterlaufen wäre, selbst wenn der neue Weltrekordler aus der BRD gekommen wäre. Und dabei ist Fannemel Norweger und nicht mal Russe (der stand seine 254 Meter leider nicht…)

Klar, das ist nur eine Kleinigkeit aus einer Randgruppensportart. Trotzdem bezeichnend. Ich könnte natürlich auch grössere Fässer aufmachen, aber deren Inhalt ist ja allgemein bekannt, bis zur Ignoranz bekannt sozusagen. Im Großen wie im Kleinen. An dem einen Tag wird Lügenpresse zum Unwort des Jahres gekürt, am folgenden echauffiert sich der  ARD-Nachrichtenchef darüber, bei einer Inszenierung ertappt worden zu sein. Er schreibt, nachdem das entlarvende Bild durch das Netz ging: Aber es ist doch so:  Wenn sich Politiker vor eine Kamera stellen, ist das immer eine Inszenierung, jede Pressekonferenz ist eine Inszenierung. 

Genau so isses, das braucht man den Leuten aber doch nicht erzählen, dass die Politiker da weit ab vom Schuss (pun not intended) einsam in der Gegend rumstehen. Oder, dass bei Bundestagssitzungen längst keine Gesetze mehr beschlossen werden. Wenn,  dann in den Ausschüssen vorher, und geschrieben werden sie in den Anwaltskanzleien der Lobbyverbände. Wer wird denn so etwas gleich verlogen nennen?! Anteilnahme kann man sagen, oder – wie im Falle der Berliner Olympia-Bewerbung, deren Logo sich ein Lokalfernsehsender gleich dauerhaft oben in die Ecke pappt –   Begeisterung! Selbst die BVG ist total verlogen begeistert, und mag auf einmal sogar Graffiti! Allerdings nur die mit dem richtigen Inhalt, so weit geht die Meinungsfreiheit dann doch nicht. Olympia sagen darf übrigens nur, wer bezahlt, selbst wenn er „Juhu, Olympia!“ sagen will.

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Kurzum: Nur, weil die anderen böse sind, müssen wir längst nicht die Guten sein (& überhaupt: Was zum Teufel machen wir hier eigentlich?). Gerade eher im Gegenteil, und bevor ich mich noch zu Folterberichten, Saudibegräbnissen, Pressefreiheit oder Blasphemieparagrafen äußern muss, über eine absurde Überwachungspolitik, die unangenehme Fragen aufkommen lässt, lieber zu etwas angenehmeren.

Schöne Texte zum Beispiel. Beim Durchblättern fiel mir auf, dass ich schon lange nichts mehr von Glumm verlinkt habe – das liegt einfach daran, dass man den immer lesen kann. Sollte. Den Mann mit dem Pudel. Ebenso lassen die Fauser-Huldigungen hier in letzter Zeit arg nach; die Seite Mein Harry Gelb, die sich dem Harry-Gelb-Streetart-Duo widmet, schafft da vielleicht Abhilfe. Ein interessanter Remix auf alle Fälle, aus einer Kunstfigur eine neue Kunstfigur in einem neuen Kontext zu schaffen. Das klappt auch ganz amüsant, wenn man sich die Frage stellt, wie Philosophen sich als Nerds so geben würden.

Worte sind ein merkwürdiges Tier, und manche können es überaus kunstvoll bändigen, mit digitaler Unterstützung sogar präzise auf 18 Wörter pro Satz. Andere, wie der Kiezschreiber, versuchen sich (unbeabsichtigt?) an der Variation von Klassikern, hier: die  Kuh Elsa. Zum Abschluss des Ausflugs in die Tierwelt noch eine amüsante Anekdote aus dem Dschungel vor der Supermarktkasse.

Die Bändigung kann genauso beeindruckend sein, wenn sie eher bedrückend statt amüsant vonstatten geht: Wie etwa bei Detlef Kuhlbrodt oder Peter Richter; Spaziergänge durch Kreuzberg, Dresden und das, was war und was ist. Umso schöner, ab und an eine freudige Überraschung zu erleben.

Musik: Asal hat ein Mixtape. Und etwas weiter im Osten wird sich mit noch fernöstlicherer Musik beschäftigt.

— endet hier.

Recht hat er…

…der Kiezneurotiker. Und Felix Schwenzel auch. Und ihnen wird Gehör geschenkt, und dann wird wieder auf die Leute gehört, die auf sie hörten. Und dann … ist irgendwann das Internet voll mit von Hand kuratierten Linklisten. Da kann ich natürlich nicht aussen vor bleiben, die letzte Linkammlung hier ist ja auch schon eine ganze Weile her.

Nun dauerte das Durchforsten der abgelegten Lesezeichen mal wieder besonders lange: Alles nochmal lesen, abwägen, ob es sich lohnt und/oder sich thematisch überhaupt einfügen lässt in das Gesamtkunstwerk Linkliste – und nicht zuletzt nachschauen, ob man diesen oder jenen Inhalt nicht schon einmal verwurstet hatte. Da sich also einiges angesammelt hat im Laufe der Zeit gibt es jetzt sogar – trommelwirbel – Kategorien:

Sachen, die wahrscheinlich eh schon jeder kennt, die es aber wert sind, bis ins Unendliche verlinkt zu werden

Ein Musikvideo, gleich zum Anfang. Um die Stimmung aufzulockern, es für die kommende, vielleicht schwere Kost der Textlinks leichter erträglich zu machen? Eher nicht, obwohl dieses Video durchaus gute Laune machen kann. Also – ich hatte vor einiger Zeit in den Kommentaren schon mal auf den Song „Der Tag wird kommen“ von Marcus Wiebusch hingewiesen. (Standardfloskel: Früher war der viel besser). Jetzt ist das Video dazu da, mit 30.000 Crowdfunding-Euros gedreht, wenn ich das richtig verstanden habe. (Wobei es auch wieder komisch ist, kurz vorher eine Summer of the 90’s-Doku auf arte gesehen zu haben, in der es um die Millionenbudgets für die Clips damals ging) Das Ergebnis kann sich sehen lassen, ganz gut gemacht, schönes Konzept, wie ich finde:

Dazu noch ein paar kurze Anmerkungen: Das Video zeigt sehr schön, dass das Internet nicht gut oder böse, sondern mindestens beides ist (ich mag diese Kategorien ja sowieso nicht besonders). Einerseits: Das crowdfunding, das in diesem Falle geklappt hat. Andererseits: Die schamlosen homophoben Kommentare darunter. Es gibt also noch einiges zu tun und zeigt, wie nötig dieser Song (und dieses Video) sind. Ob es was bringt? Nun, meine Kristallkugel ist gerade nicht griffbereit und auch ansonsten bin ich ja eher ein Pessimist. Trotzdem sollte man es natürlich immer wieder versuchen. Sisyphos halt. Manchmal klappt es vielleicht sogar. Und wenn nicht, gibt es immer noch tolle Videos.  Dieses hier, um ein weiteres Beispiel zu nennen, zu einem ganz anderen Zweck produziert.

Zum Abschluss und als Überleitung ein letztes Propagandavideo, dessen Anliegen ebenfalls nicht oft genug betont werden kann:

hard stuff

Hier scheint es also so, als ob der Protest etwas bewirkt hätte. Nur: Aaron Swartz hat sich aufgehängt. Das klingt nicht nach einem Sieg. Scheitern ist immer möglich. Womit wir schon beim nächsten Thema wären: Durch Robin Williams‘ Abschied wurde  mal wieder anderthalb Tage lang über Depression und Suizid gesprochen. Für Andreas Biermann ist in den Tagesthemen niemand auf den Tisch geklettert, doch auch er hat seinen Kampf verloren. Denn genau so sehe ich das: Es ist ein Kampf, viele schaffen es, wenigstens ein Unentschieden rauszuholen, aber es kann durchaus auch schiefgehen, wenn die Dunkle Fee (die dir den einen Wunsch erfüllen kann) plötzlich aus dem Hinterhalt einen Überraschungsangriff startet. Ich würde jedenfalls in diesen anderthalb Tagen, die alle Jahre wiederkehren, gerne mehr komplexere Beiträge lesen anstatt – wie allzu oft – immer nur den Verweis auf den Werther-Effekt, damit kann ich nämlich eher wenig anfangen. Immerhin besser als die Abscheulichkeiten der Presse anlässlich des Suizids von Virginia Woolf. Letztlich muss das jeder mit sich selbst ausfechten: Der, der gehen will, und die, die übrig bleiben. Beides beschissene Situationen. Und bisher ging es ja nur und unzulässigerweise generalisierend um die Themen Depression und Suizid. Das lässt sich natürlich viel breiter auffächern: Intros und Extros, Autismus und so vieles mehr vom Krieg mit sich selbst müsste noch besprochen werden, allein – es fehlt die Zeit und die nächste Kategorie drängelt schon:

Einfach nur tolle Texte … und ein bisschen Literatur

Auch in diese Gefilde soll eine kleine Brücke führen: Der Mythos von Genie und Wahnsinn hält sich ja hartnäckig, wohl nicht ganz ohne Grund. Wenn einem der Wahnsinn bestimmte Filter nimmt, schlägt sich das mitunter in genialen Resultaten nieder. Nachhelfen kann man da – auch aus medizinischen Gründen – mit diversen Drogen. Oder man kauft sich das falsche Steak. Doch sollen die erzählen, die sich damit auskennen: Bei Herbert Volkmann und Andreas Glumm scheint das ohne Zweifel der Fall zu sein.

Mit Letzterem sind wir dann auch schon mitten in den tollen Texten, die sich bei ihm zuhauf finden lassen (sagte ich das bereits?).  Falls man sich je von diesen lösen kann, schlage ich vor, die Reise von Glumms Solingen in Richtung Thorges Hamburg fortzusetzen, sozusagen. Erst zu einem aus den Fugen geratenene Konzert der Beginner, dann dorthin, wo Berlin und Hamburg sich treffen.

Frau Haessys Reise führt dagegen mit dem Zug nach Bonn und Arno Frank verbrachte seine halbe Jugend auf einer Irrfahrt quer durch Europa. Auf Wirre Welt Berlin ist der Weg nicht ganz so weit, er führt lediglich das Treppenhaus runter in den Hof, spätnachts, weil es brennt. Stephanie Bart hat es da schon schwerer, eine Rikscha schiebend auf dem Oktoberfest.

Bei Nilzenburgers Geschichte zu Boris Becker spielt das Oktoberfest erstaunlicherweise keine Rolle, dafür führt er den Vorruf ein: Erlebnisse, die ich mit Persönlichkeiten hatte, die man vielleicht (mich eingeschlossen) ganz anders eingeschätzt hat. Fun Fact am Rande:  Für diese Rubrik fiel mir zuerst ein Erlebnis mit Frank Zander ein. Könnt ich wirklich mal aufschreiben, dachte ich. Dann las ich den ersten Kommentar…

Der Literaturbetrieb, der etablierte, der sich etwa bei dem Berliner Literaturfestival gerade selbst feiert (oder betrauert) ist ja vor allem auch durch Preise, Stipendien und Wettbewerbe gekennzeichnet. Tante Jay hat einen preisverdächtigen Text darüber geschrieben, wie man einen Literaturpreis erringt.

Distinktion ist hierzulande in dieser Branche ja besonders wichtig, das U&E sozusagen. Da wäre es natürlich vermessen, Literatur mit Fussballspielberichterstattung oder Drehbuchschreiben in Verbindung zu bringen und gar zu empfehlen, voneinander zu lernen. Deshalb lieber schnell zurück ins sichere Unterholz der anerkannten, weil kanonisierten und ordentlich gealterten Literatur. Zu der gehört inzwischen ohne Zweifel die sogenannte Beatliteratur, auch wenn man ehedem ein extra Vokabelverzeichnis dafür benötigte (was mich irgendwie an die alljährlichen Jugendwort-Listen erinnert, ich meine, bitch please, sowas können sich doch auch nur Leute mit Immatrikulationshintergrund ausdenken, oder?).

KGB – so lautet die griffige Ab- und Verkürzung zum Thema Beat. Dass es natürlich mehr als Kerouac, Ginsberg und Burroughs  in diesem Universum gibt, zeigt die Neuköllner Botschaft immer wieder (und demnächst mit einem eigenen Blog dazu). Katja Kullmann weist im Freitag auf die bedeutende, doch leider so gut wie vergessene Rolle von Diane di Prima innerhalb der Beatnik-Szene hin. Doch ganz ohne die namensgebenden Köpfe soll das Kapitel hier auch nicht enden: Holy Soul – eine Geschichte über den alten Allen Ginsberg.

Beobachten der Gedanken beim Entstehen…

…kann auch ein schönes Hobby sein. Jagdgebiete dafür gibt es einige, mein favorisiertes ist allerdings Georg Seeßlens Blog. Waidmanns Heil!

Nachrichten aus der Realität von früher und heute – und aus Berlin

Bevor es hässlich wird, bevor wir mit den Armen bis zum Ellenbogen in der Scheisse rühren, die sich da um uns herum abspielt, noch schnell etwas Nostalgie als Reiseproviant. Einiges erscheint dabei so anders und weit weg, aber: some things never change, Mortimer. Also: Fangen wir an mit einem WDR-Bericht über „Raubkopierer“ aus dem Jahr 1986 – ich erinnere mich noch gut an einige der gezeigten Spiele, und an das ewige Spulen mit dem  Kassettenlaufwerk.

Via Nante Berlin bin ich auf Starsky & Hutch aus dem Prenzlauer Berg, Berlin, Hauptstadt der DDR gestossen (aka Toto und Harry aus Ostberlin). Durchaus interessante Bilder aus dem Jahr 1985:

Nur ein paar Jahre später – genaugenommen knappe vier – und nur ein paar Strassen weiter eröffnet sich eine ganz andere Welt, festgehalten in einem Videodokument mit dem bezeichnenden Titel Kampftrinken Berlin ’89. Dessen Entstehung wird hier und hier näher beschrieben – ein schöner Kontrast zum realsozialistisch-piefigen Vopo-Ostberlin. Gewonnen hat übrigens Wolfgang Hogekamp, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Zehn Jahre nach diesem historischen Ereignis lernte ich Hogekamp als Spoken-Word-Aktivisten beim Bastard-Slam kennen. Inzwischen hat er sich wohl die Bezeichnung Veteran redlich verdient, auch wenn er immer noch aktiv ist.

Die 90er kamen und gingen, ein neues Jahrtausend brach an und in Berlin grölten die Säufer wie eh und je, wahre Poesie. Berlin bleibt eben Berlin, im Guten wie im Schlechten. Wie weit ist denn etwa die Cuvrybrache von Barackia entfernt? Besser wird es jedenfalls nicht, weder in Berlin noch generell, mit der Technik, den Neuen Medien und dem Tonfilm.

Nun denn, wir kommen ja nicht drum herum: Die harte Realität also. In der das Kopfwaschen mittels Eiswasser als große Tat zelebriert wird. Zum Glück ist dazu schon alles gesagt bzw. geschrieben worden. So können wir uns den wichtigen Dingen zuwenden: Irgendwo in diesem Land hingen mal wieder eine Weile lang ununterscheidbare Plakate an Laternenmasten – es waren Wahlen. Die Aktion Doppelstimme hatte leider einen wohl etwas unerwarteten Ausgang und so sitzen demnächst jede Menge sauerkrautfurzender Kartoffelfressen in den Parlamenten. What’s new?! Deren Anhänger natürlich genauso wenig Nazis sind, wie diejenigen, die unpolitischen Rechtsrock hören. Kein Scheiss!

Ansonsten? Der Krieg feiert Geburtstag und allerorten fröhlich Urständ, Volker Strübing macht sich dazu Gedanken und ein paar sehr schöne Collagen. Viel zu selten wird der Empfehlung Klaus Baums Beachtung geschenkt, viel zu wenige versuchen sich in Detailarbeit – aber alle schimpfen auf die Presse, die Lügenpresse, die Propagandapresse, die Systempresse; aus allen Blick- und Schussrichtungen natürlich. Dabei aber immer sicher auf dem Sofa oder vor dem Schreibtisch sitzend, an der Front – dort, wo gestorben, wo elendig verreckt wird –  sind andere, unter ihnen auch Journalisten und Fotografen. Mit ganz viel Glück entstehen dann aus dem Elend ganz großartige Bilder, ein altes Dilemma der Kunst. Oder stumpfe Propagandafilme.

Bei allem berechtigten Journalisten(darsteller)bashing, aber auch in der Blogwelt, in der Alternativen zum Holzmedienjournalismus längst angepackt sind, fehlt es meist an einem wichtigen Aspekt, wie sich auch gerade an den  sehr bedauerlichen Vorgängen rund um Carta zeigt: Die Systemfrage. Bei der landet man über kurz oder lang immer wieder, sorry. Wenn das Ziel Gewinnmaximierung ist, dann ist das eben so, deal with it. Oder kritisiere es, kurz und knackig oder gern auch etwas ausführlicher.

Es ist zum Verzweifeln, keine Frage, da kann man auch schon mal etwas expliziter werden in der Sprache. Ob ich eine Lösung habe? Klar:

via.

 

PS./Update: Kurz nachdem ich auf Publish klickte, meldete sich Carta in meinem Feedreader zurück. Zum Neustart werden die Leser im zweiten Satz mit folgenden Worten begrüsst: Wir konnten lästige Bugs im Front- und Backend beseitigen und freuen uns, dass sich nun Arbeitsprozesse vereinfachen lassen und Inhalte schneller online gehen können.

Klar, es geht um die technischen Details in diesem Begrüssungstext. Und nur um die. Seltsam genug. Sonst würde man ja dem Postillon Konkurrenz machen.

Update/PS. noch ein letzter, aber verdammt relevanter Link (via wonko): If you’ve ever wondered what depression feels like, this is pretty damn spot on. It isn’t really being sad, but just being…empty. Den Nagel auf den Kopf getroffen.

Und der Kreis gehört natürlich mit einem Musikvideo geschlossen. Wer es bis hier geschafft hat, hat den jungen, engelsgleichen Eddie Vedder verdient. Mit einem Song, der generell und speziell ganz gut passt, ganz gut den Bogen schlägt. Und den Sack jetzt endgültig zumacht.

 

 

Flache historische Vergleiche und ein Haufen Links

Als ich vor knapp zwei Wochen mit einem alten Freund bei mehreren Bieren saß, kam das Gespräch irgendwann natürlich auch auf die aktuellpolitische Lage: Die Krim war gerade annektiert worden/ hatte gerade abgestimmt. Wir theoretisierten, wie es denn weitergehen würde, und mir rutschte beim Thema „Was wird aus der Ukraine“ das Wort „Rest-Tschechei“ raus.

Auch in dieser Woche konnte ich nicht vom Kneipenbesuch lassen, und siehe da: Die Ukraine drängte sich wieder  auf. Ich berichtete meinem Gegenüber von dem Mord am „Weißen Sascha“, woraufhin ihm spontan ein „Ach, die Nacht der langen Messer?!“ entfleuchte.

Solche flachen historischen Vergleiche sind allerdings nur in vernebelten rauch- und bierdunstschwangeren Lokalitäten zulässig. Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht, weder als Farce noch als Tragödie.  Aber ein Vergleich lohnt sich allemal, um Grundmuster und -mechanismen zu erkennen, denn davon gibt es, wie der Name schon sagt, nicht allzu viele. Allein die Umstände führen zur Varianz.

So schrieb Friedrich Kellner am 22. Juni ’41, dem Tage des Überfalls auf die Sowjetunion, in seiner hessisch-ländlichen Zuflucht:

Mit was auch unser Vorgehen begründet werden mag, die Wahrheit wird einzig und allein auf dem Gebiete der Wirtschaft zu suchen sein. Rohstoffe sind Trumpf. […] Die Armee sucht Futterplätze, und die Herren von der Industrie wollen billige Rohstoffe.
(Friedrich Kellner: „Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne.“ Tagebücher 1939–1945.  Göttingen 2011, S.156)

Man könnte hier also ein Grundmuster ausmachen und einen Vergleich ansetzen. Eine Gleichsetzung, beispielsweise des Freihandelsabkommens und des Assoziierungsabkommens mit folgendem Kellner-Zitat (immer noch zum gleichen Anlass, vom 28. Juni ’41) wäre zwar naheliegend, aber … :

Endlich ist es soweit, daß die Großkapitalisten aller Länder – getreu dem Rufe ihres Führers Hitler – dem verhaßten Regime in Rußland den Garaus machen wollen. (S.163)

Ein weiterer kleiner geschichtswissenschaftlicher Exkurs sei noch gestattet: Aus der Крим ist also (wieder) die Крым geworden. What’s new?

Fast alle europäischen Grenzgebiete sind mehrfach kodiert, fast alle Städte und Orte in diesen Übergangs- und Gemengelagen haben Doppel- und Dreifachnamen. Das ist mehr als ein Hinweis auf politisch korrekte Zitierweise, es ist vielmehr eher die Spur in eine Geschichte, die komplexer ist, als daß sie auf den Nenner eines Namens gebracht werden könnte.
(Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. Frankfurt/M., 2006, S.227.)

In seinem 2003 erstmals erschienem Werk („Dieses Buch glüht von innen.“ Die Zeit. Naja…) behandelt Schlögel unter anderem ausführlich die Rolle von Karten verschiedenster Art. Dass dies auch und gerade heute wieder hochaktuell ist, darauf weist Michael Schmalenstroer zu Recht hin. Nochmal Schlögel:

Im Zeitraffer betrachtet, ist die ganze europäische Geschichte eine ununterbrochene Geschichte der Macht- und Grenzverschiebungen … (S. 145)

Wieso also sollte sich das ändern? Schon vor elf Jahren konstatierte er:

Das neue östliche Europa ist gekennzeichnet von einem krassen Nebeneinander, einer „Gleichzeitgkeit der Ungleichzeitigkeit“, wie sie im Buche steht: das 21. neben dem 18. Jahrhundert. Das sind die Konfliktzonen der Zukunft, in denen sich der Haß auflädt und militant entladen wird, weit mehr als jener clash of civilizations, der von den Unterschieden der Kulturen und Glaubensbekenntnisse ausgehen soll. (S.469)

Klar, für die Arbeit des Swoboda-Politikers und stellvertretenden Vorsitzenden des Ukrainischen Komitees für Meinungsfreheit im Kiewer Parlament, Igor Miroschnitschenko, braucht man nicht bis ins 18. Jahrhundert zurückgehen. Ein ähnliches Verhalten fand und findet man regelmäßig, auch in Europa, nicht nur unter Goebbels oder Stalin. Doch selten gab es so deutliche Bilder davon. Aber genug der Geschichte, dazu hat Tucholsky eigentlich schon alles gesagt (der übrigens auch schon was über Gentrifizierung zu berichten wusste, und zwar aus deren Mutterland).

Und eben: What’s new? Über Hipster haben in den 1950ern schon Eric Hobsbawm, Jack Kerouac und Norman Mailer geschrieben.  Gut, es waren andere Hipster, und in Texten über sie steht heute vielleicht weniger rassistisch-esoterischer Quatsch als bei Mailer und der deutschen Rezeption dazu, trotzdem hat dieser Text mehr zu bieten als das plakativ-ironische „What Berliners don’t say“ (was trotzdem für den einen oder anderen kurzen Lacher gut ist): eine Facebook-Seite, deren Top-Beiträge jüngst von dem „The Hundert„-Magazin zusammengetragen wurden, was den Freitag dazu verleitete, die Magazin-Seite abzufotografieren und das Foto dann bei Facebook hochzuladen.  (Eigentlich schon wieder viel lustiger als die Zusammenstellung an sich: auf dem bei fb hochgeladenen Freitags-Foto von dem Magazin-Beitrag ist die dort abgedruckte originale fb-Adresse zu lesen). Womit wir mal wieder beim Journalismus wären, dem es ja derzeit an die Kapuze geht.

Die einen beschäftigen sich mit Hoodies oder den Schuhen des Internetministers, die anderen mit der Branchen-Zukunft. Wobei die besseren Artikel der letzteren Kategorie meist nicht hierzulande geschrieben werden. Wie man guten deutschsprachigen Journalismus machen kann, zeigen – wer hat’s erfunden? – die Schweizer. Das ist aber lang, und lange Texte liest doch eh kaum jemand. Hier kehrt man lieber vor fremden Türen: Wenn mal nicht die Blogger dran sind, dann eben die Literaten. Dabei kann schon ein Blogtext zur Aktualität Büchners den Großteil des auf Zeitungspapier gedruckten Feuilletons in den Schatten stellen. Vermute ich mal, ich habe lange keine Zeitungen gelesen, zugegeben.

Wie absurd diese Distinktionsversuche zwischen Journalismus, Blogs und Literatur sind, zeigen auch die großartigen (literarischen) Beiträge auf unzähligen Blogs immer wieder. Natürlich muss Glumm hier an erster Stelle genannt werden, der gerade mit den „Geplant war Ewigkeit„-Fortsetzungen wahrscheinlich nicht nur mich beeindruckt und sprachlos zurücklässt. Er kennt „den Literaturbetrieb“ durchaus auch von der anderen Seite, konnte dort aber eben (noch) nicht landen. Was mehr über „den Literaturbetrieb“ sagt als über Glumm.

Via sunflower22a (die auch längst hätte erwähnt werden müssen, obwohl ich mir über sie noch nicht einig bin – doch wie auch, wenn sie selbst „I am a mystery“ schreibt) bin ich auf einen weiteren tollen Text gestossen: Bemerkenswerterweise spielen auch hier A&P (kein Link, dafür ein Erinnerungsfetzen: Ein alter Jugendfreund spielte mal in einer Punkband, die so hiess, benannt nach einer Supermarkt-Hausmarke) wieder eine Rolle – wenn das Internet diese Seite aushält, kann uns nichts mehr etwas anhaben. Auch tikerscherk darf nicht unerwähnt bleiben, bei der gerade Themenwoche ist, nicht nur kubanische, wenn ich das recht verstehe. Und täglich kommen so viele gute, neue Texte dazu. Bücher natürlich ebenso, auf die ich aber auch vermehrt durch BlogRezensionen aufmerksam werde.

Wer hier noch etwas zum Thema „Kreuzberger Wohnverhältnisse“ oder „Geschichten von früher“ erwartet hatte: bittesehr. Das war’s dann aber für heute, irgendwann muss ja auch mal Schluss sein!

[Falls wer fragt: Ich mache das nur, damit ich die Links auch irgendwo habe und die Lesezeichenliste frei für Neues ist. Sonst geht es mir gut. Sagen die Stimmen in meinem Kopf.]

Hatte ich was von Punk gesagt?

 

Gestern und heute; Klowände, Internet und Schreiben

Ich glaube, es war Klaus Baum, der vor Wochen oder Monaten diesen Schnipsel verbreitete.  Geändert hat sich Vieles in den Wochen, Monaten und Jahrzehnten – nicht aber der Gehalt dieses Interviewfetzens, dem habe ich eigentlich nichts weiter hinzuzufügen.0906_efa8

In der Geschichtswissenschaft gilt der Krim-Krieg als der erste moderne Krieg. Damit sind eher die Mittel gemeint (Eisenbahn, Waffen, Telegraphie), das Denken hinter der Kriegsführung war weniger modern und geprägt durch Fehlplanungen und -einschätzungen auf allen Seiten. Ob das, was sich derzeit in dieser Region entwickelt (der Auslöser – die Ereignisse auf dem Maidan – ist inzwischen wohl zur Fussnote verkommen; Entscheidungen werden nicht mehr von einer souveränen Ukraine getroffen, sondern in Brüssel, DC oder Moskau), ähnliche weltpolitische Konsequenzen zeitigen wird, müssen Historiker späterer Epochen bewerten. Wenn es denn dann noch welche gibt. Das Potential dazu ist jedenfalls vorhanden, ich traue einigen Akteuren durchaus zu, einen grossen Drang danach zu haben, das Ventil mal wieder richtig aufzudrehen. Sewastopol als nächstes Sarajewo, nichts ist unmöglich. Aber lassen wir das Spökenkieken und beschäftigen uns lieber mit naheliegenderen (oder näherliegenden?) Sachen. Mit Klowänden zum Beispiel.

Der Werbefuzzi von Matt bezeichnete vor acht Jahren Blogs als solche, genauer: als die Klowände des Internets. Ausgerechnet übrigens in Verteidigung der „Du bist Deutschland“-Kampagne, die mit ihrer Sloganwahl – um mal im Bild zu bleiben – ja auch kräftig in die Schüssel gelangt hat.

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Ich mag Klowände, da gibt es immer was Interessantes zu lesen, selbst bei denen im Real Life. Pure Ablenkung davon, dass man eigentlich selbst die Wände vollschreiben sollte.  Erst einmal „die Anderen“ – auch Journalisten machen Fehler: Manchmal grosse, indem sie die grundlegenden Prinzipien ihrer Branche vernachlässigen. Manchmal kleine, indem sie einfach das Thema verfehlen. Manchmal gedankenlose, die ihnen hätten auffallen müssen, es aber zu unserer Belustigung nicht taten.

Und jetzt „wir“: Unsere Klowände sind oft dazu da, einfach mal den Unmut über den ganzen verdorbenen Mist in der Welt rauszulassen. Doch bei genauem Hinsehen kann man erkennen, dass ebenso häufig Selbstzweifel (statt Kritik an anderen) thematisiert wird, nicht immer so laut, aber dafür um so intensiver und berührender.

Eine kleine Ausrede, die mir gerade hilft: Es gibt auch etwas über das Schreiben zu lesen, noch dazu mit einem treffenden Titel. Die Quintessenz: Wir können uns nicht aussuchen, was sich in unserem Kopf einnistet – oder welche Geschichten darauf warten, von uns erzählt zu werden.  Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist der Hinweis auf den richtigen Umgang mit Autoren. Den liefern Katrin Passig (Journalistin? Bloggerin? Autorin? Take your pick…) und Ira Strübel. Eigentlich müsste ich den Artikel in Gänze hier zitieren, aber so greife ich wahllos eine Passage heraus:

Vermeiden Sie auch die Frage, wie die Arbeit am nächsten Buch vorangeht. Selbst wenn der Autor täglich acht Stunden damit zubringt, in eine leere Datei zustarren, und sich den Rest der Zeit betrinkt, wird er auf Ihre Frage nur «achja, ganz gut» antworten. Jetzt sind Sie nicht klüger als zuvor, der Autor aber ist an seinen schweren Beruf erinnert worden und bekommt schlechte Laune. Für den Rest des Gesprächs hadert er damit, keine Schreinerlehre gemacht zu haben.

Wenn es gar nicht mehr geht, mit den Klowänden und dem, was dort so zu lesen ist – auch das kann passieren – wenn es einem also hochkommt: Manchmal gibt es dafür eine Lösung, nur ein paar Schritte weiter. Ich war begeistert, als ich auf einer Hochzeit in Friesland folgende lebenspraktische Installation entdeckte. Jahrelange Erfahrungen mit der Landjugend und ihren Hinterlassenschaften im Mehrzweck-Veranstaltungssaal führten wohl zu diesem sanitären Pragmatismus:

( Dieses Becken befindet sich auf Waschschüssel-Höhe, so umgeht man das unwürdige Knien. Auch schön & praktisch: Die Griffe.)