Verschwiegenheit und andere Klauseln – Das Ende einer Ära I

Er freute sich wirklich sehr über das Geschenk. Ich dachte, wenn ich schon seinen Geburtstag vergessen hatte (wie es nun mal meine Art ist, er nahm mir das nicht krumm, er kannte mich recht gut inzwischen, wusste, mich zu nehmen), dann wenigstens ein Geschenk, das das wettmacht. Sein Anblick beim Auspacken, sein Erstaunen & seine Freude waren ein Geschenk für mich.

Wie angedacht saßen wir lange rum, redeten und tranken dabei die kleinen Flaschen isländischen Wodka, die er mitgebracht hatte. Die Gespräche drehten sich um nichts Konkretes und das große Ganze. Wie immer, wenn wir uns trafen & füreinander Zeit hatte. Wie immer schön.

Irgendwann später am Abend druckste er rum. „Ich habe morgen einen Termin mit B…“ sagte er schliesslich, „Ich hab ihn angerufen, er meinte, das Angebot gilt noch, nicht mehr und nicht weniger.“ So leise wie die Worte seinen Mund verliessen, schaute er mich auch an, erwartungsvoll zweifelnd und ängstlich.

„Klar“ sagte ich, „irgendwann musst du dich ja mal entscheiden, war doch so abgemacht: Ende des Monats, nach dem Urlaub.“ Zögerlich begann seine Miene sich aufzuhellen: „Ich werde wohl annehmen… Ich will einfach nur nicht, dass sich bei uns was verändert, dass du sauer auf mich bist…“ Es klang fast wie eine Frage. „Begeistert bin ich nicht, aber ich mach dir keinen Vorwurf, habe ich dir doch schon tausendmal gesagt. Ich finde es Mist, was hier passiert, im Großen wie im Kleinen. Dass sie jetzt um die Ecke wahnsinnigerweise ein Hotel bauen, oder dass du eben die Kohle nimmst und den Stress vermeidest. Aber das ist nichts Persönliches, das weisst du!“

Ein kurzes, unangenehmes Schweigen war trotzdem unvermeidlich. Doch wir fanden wieder zurück in die Spur, kamen vom Hundertsten ins Tausendste, von den Kriegen um uns rum, die unsere psychiatrischen Notaufnahmen mit traumatisierten Flüchtlingen fluten und überfordern, über die Systemfrage (natürlich!), bis zu der Erkenntnis, dass Maggie Thatcher mit ihrem Unwillen gegenüber der Deutschen Einheit recht behalten hatte: Kein Großdeutschland, nur ein wirklich vereintes Europa hätte die Großkotzigkeit, die wir jetzt wieder an den Tag legen, verhindern können.

Ganz viele Urlaubsgeschichten auch, da führte kein Weg dran vorbei – doch Böhmermanns Stinkefingergate konnten sie selbst auf dieser abgelegenen Vulkaninsel nicht entkommen. Und da fand ich heraus, dass er Olli Schulz nicht kannte. Ich konnte es nicht fassen. „Böhmermann, naja, diese Radiosendung mit Olli Schulz, die hab ich früher gern mal gehört.“ Sagte ich. „Was für ein Olli Schulz?“ fragte er. Keine Ahnung, gar nicht! Weder von dem alten „Hund Marie“-Olli Schulz noch von Charles Schulzkowski. Und das, wo er in Hamburg wohnt! Da kam ich nicht umhin, ihm „Koks & Nutten“ vorzuspielen. Danach saßen wir noch eine ganze Weile ergriffen rum.

Am nächsten Abend sah er ziemlich durch den Wind aus, als er nach Hause kam. „Ich habe unterschrieben.“ sagte er zerknirscht, „Der Typ hat mich voll an die Wand gequatscht.“ Vielleicht wurde es auch langsam Zeit: Zur Sonnenfinsternis in das Haus gezogen, zur Sonnenfinsternis die Entscheidung getroffen, wieder auszuziehen.

Der letzte Punkt in seinem Aufhebungsvertrag besteht aus einer Verschwiegenheitserklärung. „Die Bösen haben gewonnen“ dachte ich mir, „und man darf nicht mal darüber reden.“ Am nächsten Tag, einem Samstag, ging der Architekt durch das Haus und verteilte die Modernisierungsankündigungen. Für uns gab es keine mehr, für die anderen soll sich die Miete verdoppeln bis verdreifachen. Dafür habe ich jetzt andere Sorgen.

Bilanz 10-2

29.04.10

 

Wo auf einmal das ganze Geld herkommt

frage ich mich.

Erst Abermilliarden für Banken.

Jetzt noch für Griechenland,

und bald für Portugal,

das von jemanden regiert wird

der Socrates heisst.

 

Derweil im Fernsehen ein Reporter:

„Die Mehrheit der Deutschen will keine Steuersenkung, Herr Solms.“

Man stelle sich diese Aussage mal vor fünf Jahren vor.

Oder die Antwort von Hermann Otto Prinz zu Solms-Hohensolms-Lich:

„Die Mehrheit der Deutschen zahlt ja auch keine Steuern.“

 

Und während wir am anderen Ende der Welt

umgangssprachlich Krieg führen,

ist das Hauptgesprächsthema wie immer

dass es jetzt aber wirklich mal Zeit wurde

mit dem Frühling, nach dem Winter.

 

seotoninlevel gleich null

Ich wüsste jetzt alles
über die optimale Positionierung,
wenn mir sowas wichtig wäre,
wenn es mir darum ginge,
wenn ich meine Marke aufbauen
& womöglich noch nach vorne
bringen wollen würde.

[„Du bist mir ja ’ne Marke“
sagte man früher und erntete
vielleicht ein freundlich-empörtes
„Wie bitte?!“
Heute wird das als Kompliment betrachtet
und sich artignaiv dafür bedankt.]

Will ich aber gar nicht,
trotzdem gut zu wissen,
mit welchem Wasser
all diese Grosssprecher
& Wichtigtuer kochen,
um ihre heisse Luft
zu produzieren.

Wenn, dann wird es wohl Wedding werden

Gemerkt, dass man nicht alles haben kann: lesen, schreiben und leben. Jedenfalls nicht, wenn noch täglich acht Stunden mit geregelter Tätigkeit verbracht werden, die zwingend frühaufstehen voraussetzt und anderthalb Stunden bahnfahren als Dreingabe bietet. Deswegen zieht das Lesen den Kürzeren, es reicht gerade mal, um morgens kurz den feedreader zu durchforsten und alles Interessante in die Lesezeichenliste zu packen. Sonntagmorgen fragt der Browser dann, ob ich wirklich 76 Tabs öffnen will. Ja, habe ich denn eine Wahl?!

***

Angesichts der morgendlichen Massen in der U7 war ich kurz davor, wieder mit den längeren Podcasts anzufangen, da ich nun wirklich nicht im Stehen und von allen Seiten bedrängt lesen mag. Doch dann probierte ich als Alternative die Ringbahn aus, und dort gibt es, entgegen dem schlechten Ruf der S-Bahn, immer einen Sitzplatz für mich. So konnte ich mit Kischs „Marktplatz der Sensationen“ anfangen, Aufbau Verlag, 1981 – damals 3,80 Mark (der DDR), letzte Woche blind für einen Euro gekauft. Läuft das schon unter Wertsteigerung?

Jedenfalls: Blind gekauft, wie gesagt, ich vermutete eine Sammlung bunt zusammengewürfelter Reportagen, doch eigentlich ist es eine Art loser Selbst- und Weltbeschreibung. Erinnert mich in Vielem an Zweigs „Erinnerungen eines Europäers“, das ich vor knapp einem Jahr las.

Was mir bei beiden Büchern durch den Kopf ging – und in ihrem Vergleich, ihrem Zusammenspiel noch mehr auffällt: Dass wir heute die deutschsprachige Literatur (und, gottbewahre, gar die deutschsprachige Kultur) jenseits der Landesgrenzen so gut wie komplett ausgeblendet haben. Wie Zweig das k.u.k.-Wien beschreibt, komplementär dazu Kischs k.u.k.-Prag, da bekommt man eine leichte Ahnung davon, wie vielfältig und reich die deutschsprachige Literatur mal war. Was wissen wir heute über die österreichische oder gar schweizerische Kulturszene? Eigentlich gilt nur noch Berlin – als Gegenstimme aus den Provinzen gibt es ein paar Krimis, das war es dann aber auch. Ansonsten: Frankfurt bzw. Leipzig, wenn mal wieder Messe ist (und ich mich, zumindest bei letzterer, wieder ärgere, dass ich es nicht dorthin schaffe. Aber immerhin hatte ich gestern Abend eine Messebesucherin im U-Bahn-Waggon, die in ihrem lautstark geführten Telefonat eine kostenlose lebensnahe Schilderung für alle Passagiere feilbot.)

***

Apropos Berlin: Ich meinte zu dem wankelmütigen, liebenswerten Hauptmieter-Mitbewohner, dass er sich doch mal entscheiden soll. Ich fürchte, er entscheidet sich für das Geld. Dann geht es wohl entweder in den Wedding, wo ich in letzter Zeit eh‘ relativ oft Bier trinken gehe, oder ganz weit weg. Ich wage nicht zu hoffen, in Kreuzberg bleiben zu können.

***

Einer der Höhepunkte dieser Woche: Meine Lieblingsfigur aus Breaking Bad (was ich, wie ich inzwischen festgestellt habe, viel zu schnell hintereinander schaute) – Mike Ehrmantraut – bekam beim Spin-off Better call Saul eine Episode nur für sich & seine Hintergrundgeschichte. Und mit dieser einen Folge hat er meiner bescheidenen Meinung nach alles an die Wand gespielt, was bisher aus dem BB-Universum zu uns vordrang.

Frühlingserwachen

Was für ein Wochenende – und was für ein Mist, dass mich pünktlich zum Beginn des lohnenswerten Wetters doch noch eine Erkältung erwischte. Freitag also vier Kannen Tee und Ruhe. Samstag dann früh um fünf aufgewacht; so richtig klappt das mit dem neuen Rhythmus noch nicht.

Dafür hatte ich lange was von dem schönen Tag, und da frische Luft ja auch  gesund sein soll, schnappte ich ein wenig davon. Unter anderem auf dem Bücherflohmarkt an der Museumsinsel – nicht meine Idee, aber keine schlechte. Lange nicht in dieser Gegend gewesen. Als ich hier vor langer Zeit studierte standen vor Merkels Haustür noch keine zwei verbeamteten Schlosswachen. Aber das war auch lange vor dem Frühstück in Wolfratshausen, und Gysi & de Maiziere (der Kleine aus dem Osten) hatten auch noch ihre Kanzlei im gleichen Haus. Richie Silberlocke (wie ihn der grosse Wolfgang Neuss nannte) selig residierte ebenfalls dort,  genau wie der ehemalige Uni-Präsident, der immer der erste war, der die Polizei rief, wenn die Party im Innenhof gerade anfing, gut zu werden.

Erstaunlicherweise waren von den zwölf Büchern, die ich am Ende des Nachmittags im Rucksack hatte, sogar drei auf einer meiner unzähligen Noch-zu-lesen-Listen.

Der Sonntag begann ähnlich gemütlich: Der traditionelle Familien-Frauentagsausflug stand an. Da auf dem Bahnhof Warschauer Strasse ein Koffer mutterseelenallein rumstand, meinte die Staatsmacht, dass da kein Platz mehr für die Bahnreisewilligen wäre, jedenfalls kein sicherer. Früher ™ rief man die Polizei, wenn man eine Tasche vermisste. Heute, wenn man eine zuviel hat. Also die Revaler langgelaufen, komplett, wollte ich sowieso schon längst mal machen. Hinten, jenseits der Modersohnbrücke, die gruselige Aufhübschung des Viertels hautnah angeschaut und nicht nur wie sonst immer aus dem S-Bahn-Fenster. Vorne sieht es zwar noch einladend uneinladend aus, aber rentabel ist es schon: von vier Millionen auf 20 Millionen in knapp acht Jahren – und die Leute schimpfen über die armen Seelen von Grasverkäufern, deren Rendite wahrscheinlich weit geringer ist.

(Und die mich – das nur nebenbei – mit ihrer Anquatscherei weit weniger nerven als der ganze Werbemüll, der einen von Plakatwänden und der O2-Blinktafel ebenso ungefragt belästigt.)

Im Spandau des Ostens dann das erste Eis des Jahres gegessen, dafür in einer langen Schlange lange angestanden und zum Schluss  Krokusse im Schlosspark bewundert. Der Weg zurück in die Stadt war nicht mehr ganz so entspannt: Während die Unionfans auf dem Hinweg noch zivilisiert und halbwegs nüchtern waren, gar einem eingeschüchtertem Rentnerehepaar Sitzplätze anboten, sah das jetzt deutlich anders & unfreundlicher aus. Freiwild-Shirts, Weinrote Scheisse-Gegröle und Rauchen in der Bahn waren dabei noch die harmloseren Vorkomnisse. Gefährlicher waren diejenigen mit kleinkarierten Hemden, Millimeterseitenscheitel und klugen, bösen Augen. Burschis, Jura und nicht nur auf dem Paukboden schlagend, wie ihre Unterhaltungsfetzen über die letzte Begegnung mit irgendwelchen BFC-Hools verriet.

Dann fing die Woche auch schon an, gar nicht so schlecht. Langsam wieder gemerkt, wie ich das früher geschafft habe: Mit Leuten zusammenarbeiten können, obwohl ich das eigentlich weder mag noch will. Ab und zu sogar Spass haben (& das auch zugeben können). Wiedereinmal sehen und staunen, wie viele verschiedene Lebenswege es gibt.

Heute kam es mir allerdings eher so vor, als hätte ich geträumt: … der Winter wär vorbei/du warst hier und wir war’n frei/und die Morgensonne schien…

 

Ansonsten: Ein paar Fragmente zu Papier gebracht. Aber eben auch nur ein paar Fragmente, und nur Papier. Bisher. Doch das ist ja geduldig. Immerhin.

Kanal, immer noch

14.03.14

 

Ich habe gar nichts dagegen,

dass jetzt diese ganzen Leute

hier das erste Frühlingswochenende

geniessen.

 

Ich mache das ja auch nicht

ohne Grund schon seit Jahren.

Es ist einfach schön, der Ort

kann doch nichts für sein Publikum.

 

Und wenn du Ende Februar/Anfang März,

abends, so um halb sechs,

am Urban lang gehst,

noch mit hochgeschlagenem Kragen,

musst du dir, nachdem an der Brücke

das obligatorische Augustiner gekauft wurde,

auf der anderen Seite die Jacke ausziehen.

Weil es eben doch schon so warm ist,

dort, wo die Sonne noch scheint.

 

[Und das, was du für die unvermeidliche

Hipsteransammlung gehalten hast,

sind einfach nur ein paar

Kreuzberger Oberstufenschüler

bei ihren ersten Kiffversuchen.

 

Nachtrag, Juni:

Es geht aber vielleicht doch zu weit,

wenn jetzt, wie deutlich am geparkten Bus zu lesen,

Rentner aus dem Ruppiner Land

auf das Restaurantschiff verfrachtet werden

und gaffen wie im Zoo.]

Allet neu macht der März

Die nicht gefassten Vorsätze konkretisieren sich, werden umgesetzt. Und ihr hier habt darunter zu leiden.

Um Struktur zurückzugewinnen und neue Erfahrungen zu sammeln stehe ich neuerdings  zu Zeiten auf, zu denen ich bis letzte Woche schlafen ging. Was morgens gut klappt, trotz maximal fünf Stunden Schlaf (die Umstellung dauert wohl noch eine Weile), zieht mir am späten Nachmittag den Boden unter den Füßen weg, so dass ich auf der Couch lande, Beine nach oben. Die nächtliche Rumtreiberei leidet darunter (fast) ebenso wie das Bloggen.

Dafür höre ich jetzt täglich acht Stunden Leuten zu, die mir was vom Pferd Bloggen und der Netzwelt erzählen. Unter anderem. Schon auf der ersten Folie tauchte das Nicht-nicht-kommunizieren-Zitat auf. Dass der „Ich muss hier raus“-Reflex so schnell kommt, hätte ich nicht vermutet. Kurz darauf wurde „Das Netz vergisst nichts“ auf ein Flipchart geschrieben. Später meinte einer bei der Fragerunde, dass er Print gar nicht mehr lese, bis auf das Compact-Magazin, hätte er kürzlich entdeckt, sehr interessant und aussergewöhlich.

Die Leute um mich rum haben massenhaft Abschlüsse, Familien, Kinder und Blogs. Keine Ahnung, wie die das alles unter einen Hut bekommen. Ich könnte das nicht. Deswegen bleibt es hier wohl leider bis mindestens Ende des Monats etwas ruhiger. Es sei denn, ich finde die Veranstaltung so nichtssagend wie gerade eben…