Grundlos optimistisch

Schon früh um neun waren vereinzelte Dortmundfans unterwegs, selbst hier, oben an der Grenze Wedding/Prenzlauer Berg, immer noch irgendwie im Niemands- oder zumindest Hinterland; Wolken fegten über den Himmel. Frisch, aber ganz angenehm.

Die Stimmung ist ähnlich wechselhaft, aber deutlich im Aufwind. Keine Ahnung, weshalb. Noch vor einer Woche zog ich eine bittere Bilanz, dachte mir, über die letzten zehn Jahre betrachtet, wo soll denn da der Tiefpunkt sein, wenn nicht hier & jetzt; ist doch nichts mehr übrig. Doch eben: Genug davon.

Denn andererseits bekam ich in den letzten Tagen auch so viele schöne unentdeckte Ecken zu Gesicht, und auch einige Wohnungen, die Hoffnung machten. Unbegründet, aber trotzdem.

Mit etwas Glück passt zwischen die Besichtigungstermine immer etwas Freiraum für Erkundungstouren, heute sollte es das Kreuz sein. Die Wohnung davor war fast perfekt, unter den gegebenen Umständen. Und den Rest würde die sehr angenehme Umgebung wettmachen; dürfte nicht allzu schwer sein, hier heimisch zu werden. Wieder ein schöner Kanal um die Ecke, zum Beispiel. Und dort, wo ich schon so oft mit dem Rad langfuhr, suchte ich nun also nach dem Kreuz. Ich hätte vorher nochmal nachlesen sollen, wie Herrndorf die Stelle genau beschreibt.

Eigentlich dachte ich mir schon, dass ich sie nicht finden würde & war auch ganz froh darüber, denn was hätte ich denn dann tun sollen? So bleiben eine Handvoll spannende Vermutungen – und die flüchtige Bekanntschaft mit zwei Anglern, die sich derart häuslich eingerichtet hatten, dass einer von ihnen direkt vor Ort seinen Räucherofen betrieb.

Eigentlich ging es nur darum, die Erinnerungen wieder aufzufrischen, die Gegend einzuatmen, zu probieren, ob das gehen würde. Und ganz schnell zu merken, wie gut das gehen würde, selbst mit der anderen Wohnung, die ein bisschen weiter weg war. Und zu würdigen, dass in den letzten Tagen immerhin auch wieder ein paar hundert Wörter zusammengekommen sind, ein paar Entwürfe rumliegen. Das würde alles sehr gut passen. Wenn ich dran glauben würde, könnte ich so ein Zeichen jetzt gut gebrauchen.

Kanal, immer noch

14.03.14

 

Ich habe gar nichts dagegen,

dass jetzt diese ganzen Leute

hier das erste Frühlingswochenende

geniessen.

 

Ich mache das ja auch nicht

ohne Grund schon seit Jahren.

Es ist einfach schön, der Ort

kann doch nichts für sein Publikum.

 

Und wenn du Ende Februar/Anfang März,

abends, so um halb sechs,

am Urban lang gehst,

noch mit hochgeschlagenem Kragen,

musst du dir, nachdem an der Brücke

das obligatorische Augustiner gekauft wurde,

auf der anderen Seite die Jacke ausziehen.

Weil es eben doch schon so warm ist,

dort, wo die Sonne noch scheint.

 

[Und das, was du für die unvermeidliche

Hipsteransammlung gehalten hast,

sind einfach nur ein paar

Kreuzberger Oberstufenschüler

bei ihren ersten Kiffversuchen.

 

Nachtrag, Juni:

Es geht aber vielleicht doch zu weit,

wenn jetzt, wie deutlich am geparkten Bus zu lesen,

Rentner aus dem Ruppiner Land

auf das Restaurantschiff verfrachtet werden

und gaffen wie im Zoo.]

Gefiedertes und andere Bilder

Mal wieder einen Film abgeholt. Die Überraschung: Ich habe kein einziges Hundebild geschossen. Das ist neu.

Auf einer Backstein-Hausmauer (Gebäude auf dem Bahnsteig S-Bhf. Tempelhof) steht der Schriftzug "Rache", aufgetragen mittels Säuberung oder Aussparung der betreffenden Stellen wie es scheintRache, okay. Aber wofür? Interessante Technik, btw.

Wandgemälde Berlin Kreuzberg, Ritterstrasse: Obama, Merkel und Putin, grellbunt dargestellt in Form der drei Affen, die nichts sehen (Obama), nichts sagen (Merkel) und nichts hören (Putin)Merkel, schon mal hinter Schattengittern.

Ein asugebranntes Moped, verkohlte Reste der Verkleidung und Absperr-Flatterband drum herumFahrräder brennen nicht. Mopeds schon.

Sitzfigur Klio, Ferdinand Hartzer, Mehringplatz Berlin, die Figur ist von einem Baugerüst eingefasstGeschütztes Lesen

Ein schief aufgenommenes Bild eines Reihers, der auf einer Boje im Landwehrkanal sitztGanz schön schräg: Reiher auf Boje

Ein Reiher sitzt im Regen auf einem Pfosten im LandwehrkanalGanz schön mürrisch: Reiher im Regen

Ein Rabe sitzt auf dem Dach eines Flosses, das am Ufer des Landwehrkanals vertäut istRabe auf einem Floss

Ein Rabe sitzt auf der Schulter eines Denkmals (Rückansicht) einer männlichen PersonRabe auf einer Schulter

Ein Baumstamm (Buche), an dem alte Schnitzereien zu erkennen sind: Eine Signatur Ah und die Zahl 60 sowie ein HakenkreuzNazi-Schnitzerei auf Buche, ca. 1960er Jahre, Ausstellungsort Grunewald

Köpenick, Kanal & Co.

Dieses Fotolabor scheint jeden Brückentag mitzunehmen. Das hat mal wieder etwas länger als erwartet gedauert, aber dafür war – im Gegensatz zu den letzten beiden drei Versuchen – die freudige Überraschung ob des Ergebnisses umso größer. Und Freude gehört geteilt, selbst wenn es vielleicht ein bisschen viel ist:

Dieses Scannen kann einen übrigens kirre machen; scannen, zurechtschneiden, 36 Bilder lang mit der alten Möhre. Allerdings habe ich dabei, im Rahmen der Routine, wenigstens gute Musik gehört, und zwar mit dem antiken CD-Wechsler, um die Möhre zu schonen. Und bin auf folgenden Soundtrack gestossen: Die Antwoord hat was, durchaus;  schon längere Zeit kann ich die beiden drei ab und zu ganz gut leiden. Letztendlich sind sie aber nur eine traurige 2010er Version von The Prodigy. Die ich eben in dem CD-Wechsler entdeckte. Sag ich mal als Laie.  Den Vergleich ziehen lustigerweise auch andere, viel berufenere Federn. (Auf die Kusturica-Story hätte ich auch selber kommen können müssen)  Es sollen immerhin 28 Grad werden, oder so. Und noch dazu Karneval der Kulturen. Prost Neujahr, sozusagen! (Fuck, waren die geil, damals in Roskilde…)

(Nicht auf den Bildern, aber zur gleichen Zeit passiert: Wie die alte Hundedame und ich an der Köpenicker Promenade Rocky trafen, mit seinem ganz und gar rockyuntypischen Collie. Eben:  kein Pitti, kein Rottweiler und – scnr – auch kein Boxer. So drehten wir zu viert eine kleine Hunderunde miteinander. Kein unsympathischer Mensch, ganz im Gegenteil. Am Katzengrabensteg trennten sich unsere Wege, und natürlich hat die eingebildete, wunderliche alte Hundedame den in voller Hormonblüte [no pun intended] stehenden Collierüden nicht mit dem Arsch angeguckt.)

Draussengeschichten

16.03.14

Ich musste dringend mal raus. Raus aus dem Netz, raus aus der Wohnung – wieso also nicht auch raus aus dem Kiez, dachte ich mir und verabredete mich im Mauerpark. Am Vortag ging es mir schon ähnlich und ich an den Kanal. Keine Ahnung, ob es die Sonne und die frische Luft draussen oder das Halbdunkel und die muffige Luft drinnen (in der Wohnung und in meinem Kopf) waren, die mich dorthin streben liessen. Eine kleine Kanalrunde: Ein Eis auf der Brücke, vorm Urban lang. Der Schwänefütterer, der sein Lager unter dem Baum und auf dem Betonsockel hat, war da, wie immer. Ebenso die Krankenhausbewohner, die sich in ihren Rollstühlen an die Zigaretten und ihre Angehörigen klammerten.

Es gab noch ein paar andere, die hier langschlenderten, aber insgesamt viel weniger, als ich eigentlich erwartet hätte. Es wurde auch kühl, langsam, es war Anfang März und kurz nach fünf, die Sonnenstrahlen erreichten diese Kanalseite nicht mehr. Ich schlug den Kragen der Jacke hoch und ging weiter, während zwei ältere Damen auf ihren nigelnagelneuen Elektrorädern rätselten, ob das Restaurantschiff jetzt ausgebaut worden ist oder schon immer so gross war.

Die zwei Kugeln Eis, die ersten in diesem Jahr, wenn ich mich recht erinnere, waren aufgeschleckt, Zeit also für das obligatorische Augustiner aus dem Späti, der den Kanal wahrscheinlich bis oben hin füllen könnte mit der Kohle, die er Sommer für Sommer durch die ganzen Touristen hier machte. Wenn er nicht die wahrscheinlich ebenso gestiegene Ladenmiete bezahlen müsste. Vermute ich mal, ich habe ihn nicht gefragt. Auch auf der Admiralbrücke war nicht viel los, nur zwei Musiker, keine Verstärker, die Autos kamen noch problemlos durch.

Auf der anderen Seite des Kanals schien die Sonne noch, ich zog den Reissverschluss der Jacke auf und liess die Frühlingsabendluft rein. Auf dem Weg zu dem Baum, unter dem wir im letzten Sommer so oft sassen, tranken, redeten und rauchten begegnete ich dann doch noch den unvermeidlichen Hipstern: Einer lag quer über den staubigen Pfad, komplett eingerollt in ein grosses Leinentuch, und räkelte sich darin zeitlupenhaft. Drei andere standen drum herum und filmten und fotografierten das Geschehen. Kunst wahrscheinlich, doch dafür hatte ich keine Zeit, nicht für ihre. In meinem Kopf setzten sich schon seit ich das Urban passierte Zeilen zusammen. Also beachtete ich sie nicht weiter und sah zu, dass ich den Baum erreichte, der zum Glück noch frei war: Bier getrunken, Zigarette geraucht, Foto geschossen und Gedicht geschrieben, dann ging es zurück.

Und heute war dann der Prenzlauer Berg dran. Ich musste wirklich den digitalen Stadtplan zu Hilfe nehmen, um die Strassennamen auf der Karte in meinem Kopf zu vervollständigen, so lange war ich schon nicht mehr hier. Und das, obwohl ich mal gar nicht so weit weg wohnte.

Die erste Überraschung für mich war, dass der U-Bahnhof Eberswalder Strasse jetzt zwei Aufgänge hatte. Ich suchte die altbekannte Strecke, Schwedter oder Oderberger mussten es gewesen sein. Klar, der kürzere Weg wäre der gewesen, der die Eberswalder bis direkt vor die Tore des Parks führt, doch ich wollte mir die Ecke anschauen, in der es früher den ersten halbwegs vernünftigen Falafel der Gegend gab, gucken ob die Kneipe noch da war, in der A. manchmal mit ihrem neuen Freundeskreis feierte, damals. Die Oderberger war es, das erkannte ich immerhin noch. Doch inzwischen war in so gut wie jedem Haus unten eine Bar, ein Restaurant oder ein Klamottenladen, so dass ich Mühe hatte, die alte Kneipe auszumachen. Schliesslich entdeckte ich sie doch, sie war immer noch da.

Im Park selbst war glücklicher- und überraschenderweise gar nicht so viel los: Ein paar Sprayer an der Mauer, ein paar Kiffer auf der Bank und ein paar Familien auf dem Bauernhof. Die sahen alle so aus, als ob sie perfekt hier her gehören würden. Dazu wehte eine überaus steife Brise, was uns beiden recht gut gefiel, wir waren damit gross geworden. Man konnte fast meinen, die Luft würde auf einmal salziger schmecken. Nachdem wir die Runde beendet hatten, bekamen wir Hunger und mir wurde von einem Burgerschuppen um die Ecke erzählt. Ich befürchtete schlimmes, war aber trotzdem neugierig. Der Laden war voll, wir mussten uns deshalb nach draussen setzen, die Sonne schien noch eine Viertelstunde. Viel zu kurz, um in dem überfüllten Hipsterladen bedient zu werden. Immerhin kam das Servicepersonal ab und zu mal zu uns raus, allerdings nur, weil drinnen zu viel Lärm war, um mit ihren native-language-skills auf Englisch lautstark kundzutun, dass leider alles schon voll wäre. Der Burger selbst war okay, aber dieses ganze Gewese und die einsetzende Dämmerungskälte nicht wirklich wert.

Dank des hochpreisigen Burgers musste ich auf dem Rückweg noch Geld holen. Vor der Bank stand jemand stark schwankend mit einer Obdachlosenzeitschrift vor der Brust. Die Augen geschlossen, den Mund offen, ein paar Speichelfäden hangelten sich den struppigen Bart hinab. Allerdings kam er gar nicht auf die Idee, die Tür aufzumachen oder Ähnliches, wie es seine Kreuzberger Kollegen immer taten. Auch Geld interessierte ihn gerade nicht: Einzig und allein in der Vertikalen zu bleiben, das war sein höchstes, schier unerreichbares Ziel. Die Zeitung brauchte er wohl nur, um sich daran festzuhalten. Dabei wollte ich ihn nicht weiter stören und betrat das samstagnachmittägliche Bankfoyer. Dort hatten sich die beiden Kumpels des Pförtners ausgebreitet, es war draussen wohl zu windig. Schon gestern abend, als sie hier ihr Lager aufgeschlagen haben mussten. Ein paar leere Kornflaschen wurden durch die Windböe, die ich mit reinbrachte, durch den Raum gerollt. Die beiden Männer kümmerte das nicht weiter, sie lagen im Halbschlaf auf ihren Decken, neben ihnen standen halbleere Plastikflaschen, mit Wasser oder einer anderen klaren Flüssigkeit gefüllt. Einer blinzelte mir kurz zu, bis ihm der Wind die Zigarettenstummel, trockenen Blätter vom letzten Herbst und Plastikfolien entgegentrieb. Dann drehte er sich kopfschüttelnd um.

Komische Gegend, dachte ich, als mir auf dem Weg hoch zur U-Bahn eine Junggesellenabschiedsgang mit den obligatorischen Spassbrillen und identischen T-Shirts entgegenkam.

Fundstück, Rohfassung

Speicherkarte des Mobiltelefons aufgeräumt. Einiges wiederentdeckt, unter anderem dieses:

Sie machen Liebe oder Bloedsinn oder sie spielen Schach

13.07.10

Du kannst dich natuerlich aufregen
Ueber die ganzen Touris, Studenten und
Billigbiergeschaeftemacher.

Kannst von Gentrifizierung reden und
Deine Ruhe haben wollen,
Schliesslich ist das `ne Bruecke und kein Club,
und deine Kinder wollen schlafen.

Andererseits kannst du es auch geniessen,
Ein paar Meter weiter, zugegeben, vorm Urban:
Die laue Brise, die vielen Sprachen,
die Gerueche und die verschwindende Sonne.

Und dabei gedanklich den alten van Dannen-Schlager mitsummen:
Wenn im Urbanhafen
Die Schwaene schlafen….

Und ganz ehrlich:
Es gibt schlimmeres,
Zum Beispiel Macbookidioten
In Prenzlauerbergcafes.