Draussengeschichten

16.03.14

Ich musste dringend mal raus. Raus aus dem Netz, raus aus der Wohnung – wieso also nicht auch raus aus dem Kiez, dachte ich mir und verabredete mich im Mauerpark. Am Vortag ging es mir schon ähnlich und ich an den Kanal. Keine Ahnung, ob es die Sonne und die frische Luft draussen oder das Halbdunkel und die muffige Luft drinnen (in der Wohnung und in meinem Kopf) waren, die mich dorthin streben liessen. Eine kleine Kanalrunde: Ein Eis auf der Brücke, vorm Urban lang. Der Schwänefütterer, der sein Lager unter dem Baum und auf dem Betonsockel hat, war da, wie immer. Ebenso die Krankenhausbewohner, die sich in ihren Rollstühlen an die Zigaretten und ihre Angehörigen klammerten.

Es gab noch ein paar andere, die hier langschlenderten, aber insgesamt viel weniger, als ich eigentlich erwartet hätte. Es wurde auch kühl, langsam, es war Anfang März und kurz nach fünf, die Sonnenstrahlen erreichten diese Kanalseite nicht mehr. Ich schlug den Kragen der Jacke hoch und ging weiter, während zwei ältere Damen auf ihren nigelnagelneuen Elektrorädern rätselten, ob das Restaurantschiff jetzt ausgebaut worden ist oder schon immer so gross war.

Die zwei Kugeln Eis, die ersten in diesem Jahr, wenn ich mich recht erinnere, waren aufgeschleckt, Zeit also für das obligatorische Augustiner aus dem Späti, der den Kanal wahrscheinlich bis oben hin füllen könnte mit der Kohle, die er Sommer für Sommer durch die ganzen Touristen hier machte. Wenn er nicht die wahrscheinlich ebenso gestiegene Ladenmiete bezahlen müsste. Vermute ich mal, ich habe ihn nicht gefragt. Auch auf der Admiralbrücke war nicht viel los, nur zwei Musiker, keine Verstärker, die Autos kamen noch problemlos durch.

Auf der anderen Seite des Kanals schien die Sonne noch, ich zog den Reissverschluss der Jacke auf und liess die Frühlingsabendluft rein. Auf dem Weg zu dem Baum, unter dem wir im letzten Sommer so oft sassen, tranken, redeten und rauchten begegnete ich dann doch noch den unvermeidlichen Hipstern: Einer lag quer über den staubigen Pfad, komplett eingerollt in ein grosses Leinentuch, und räkelte sich darin zeitlupenhaft. Drei andere standen drum herum und filmten und fotografierten das Geschehen. Kunst wahrscheinlich, doch dafür hatte ich keine Zeit, nicht für ihre. In meinem Kopf setzten sich schon seit ich das Urban passierte Zeilen zusammen. Also beachtete ich sie nicht weiter und sah zu, dass ich den Baum erreichte, der zum Glück noch frei war: Bier getrunken, Zigarette geraucht, Foto geschossen und Gedicht geschrieben, dann ging es zurück.

Und heute war dann der Prenzlauer Berg dran. Ich musste wirklich den digitalen Stadtplan zu Hilfe nehmen, um die Strassennamen auf der Karte in meinem Kopf zu vervollständigen, so lange war ich schon nicht mehr hier. Und das, obwohl ich mal gar nicht so weit weg wohnte.

Die erste Überraschung für mich war, dass der U-Bahnhof Eberswalder Strasse jetzt zwei Aufgänge hatte. Ich suchte die altbekannte Strecke, Schwedter oder Oderberger mussten es gewesen sein. Klar, der kürzere Weg wäre der gewesen, der die Eberswalder bis direkt vor die Tore des Parks führt, doch ich wollte mir die Ecke anschauen, in der es früher den ersten halbwegs vernünftigen Falafel der Gegend gab, gucken ob die Kneipe noch da war, in der A. manchmal mit ihrem neuen Freundeskreis feierte, damals. Die Oderberger war es, das erkannte ich immerhin noch. Doch inzwischen war in so gut wie jedem Haus unten eine Bar, ein Restaurant oder ein Klamottenladen, so dass ich Mühe hatte, die alte Kneipe auszumachen. Schliesslich entdeckte ich sie doch, sie war immer noch da.

Im Park selbst war glücklicher- und überraschenderweise gar nicht so viel los: Ein paar Sprayer an der Mauer, ein paar Kiffer auf der Bank und ein paar Familien auf dem Bauernhof. Die sahen alle so aus, als ob sie perfekt hier her gehören würden. Dazu wehte eine überaus steife Brise, was uns beiden recht gut gefiel, wir waren damit gross geworden. Man konnte fast meinen, die Luft würde auf einmal salziger schmecken. Nachdem wir die Runde beendet hatten, bekamen wir Hunger und mir wurde von einem Burgerschuppen um die Ecke erzählt. Ich befürchtete schlimmes, war aber trotzdem neugierig. Der Laden war voll, wir mussten uns deshalb nach draussen setzen, die Sonne schien noch eine Viertelstunde. Viel zu kurz, um in dem überfüllten Hipsterladen bedient zu werden. Immerhin kam das Servicepersonal ab und zu mal zu uns raus, allerdings nur, weil drinnen zu viel Lärm war, um mit ihren native-language-skills auf Englisch lautstark kundzutun, dass leider alles schon voll wäre. Der Burger selbst war okay, aber dieses ganze Gewese und die einsetzende Dämmerungskälte nicht wirklich wert.

Dank des hochpreisigen Burgers musste ich auf dem Rückweg noch Geld holen. Vor der Bank stand jemand stark schwankend mit einer Obdachlosenzeitschrift vor der Brust. Die Augen geschlossen, den Mund offen, ein paar Speichelfäden hangelten sich den struppigen Bart hinab. Allerdings kam er gar nicht auf die Idee, die Tür aufzumachen oder Ähnliches, wie es seine Kreuzberger Kollegen immer taten. Auch Geld interessierte ihn gerade nicht: Einzig und allein in der Vertikalen zu bleiben, das war sein höchstes, schier unerreichbares Ziel. Die Zeitung brauchte er wohl nur, um sich daran festzuhalten. Dabei wollte ich ihn nicht weiter stören und betrat das samstagnachmittägliche Bankfoyer. Dort hatten sich die beiden Kumpels des Pförtners ausgebreitet, es war draussen wohl zu windig. Schon gestern abend, als sie hier ihr Lager aufgeschlagen haben mussten. Ein paar leere Kornflaschen wurden durch die Windböe, die ich mit reinbrachte, durch den Raum gerollt. Die beiden Männer kümmerte das nicht weiter, sie lagen im Halbschlaf auf ihren Decken, neben ihnen standen halbleere Plastikflaschen, mit Wasser oder einer anderen klaren Flüssigkeit gefüllt. Einer blinzelte mir kurz zu, bis ihm der Wind die Zigarettenstummel, trockenen Blätter vom letzten Herbst und Plastikfolien entgegentrieb. Dann drehte er sich kopfschüttelnd um.

Komische Gegend, dachte ich, als mir auf dem Weg hoch zur U-Bahn eine Junggesellenabschiedsgang mit den obligatorischen Spassbrillen und identischen T-Shirts entgegenkam.

6 Replies to “Draussengeschichten”

  1. Du solltest viel mehr über deine Beobachtungen in der Stadt schreiben. So ausführlich und genau, wie du kannst. Das lese ich wirklich gerne.
    Solche Texte sind Zeitzeugnisse.

  2. Das sage ich mir auch immer. Aber wie schon mal geschrieben (nicht von mir, ich wiederholte es nur): Man kann es sich nicht aussuchen, welche Geschichten man schreibt. Wenn ab und zu etwas dabei ist, das du gerne liest, freut es mich natürlich. (Doch ich kann und will mich nicht nach „Gefällt mir“-Klicks richten – so gut es geht jedenfalls. Irgendwas schleicht sich ja immer ein. Und natürlich lassen mich positive Rückmeldungen nicht komplett kalt. Trotzdem. Kann man das verstehen?)

  3. Ich mag deine Geschichten im Allgemeinen gerne, nicht nur diese. Auch den Text über Heimat, oder die GEschichte mit dem Radfahrer haben sich mir eingeprägt. Merk dir am Besten nur soviel: ich lese deine Texte gerne, und möchte mehr davon lesen.
    Und wenn du an den Urbanhafen gehst, bin ich natürlich besonders interessiert, denn da sitze ich gerade am Wasser, während du vorbei schlenderst.
    Und: ja, kann gut verstehen, was du sagst. Es ist kaum möglich, sich gegen die Wirkung von *Gefällt mir* immun zu machen.

    1. Puh! Nachdem ich meinen Kommentar nochmal gelesen hatte, hätte ich mir beinahe selbst geantwortet, und zwar mit „Nein, kann man nicht verstehen, du unhöflicher grummeliger alter Sack!“.
      Doch zum Glück war ich ja an dich geraten und du hast den kryptischen und komprimierten Text nicht komplett in den falschen Hals bekommen, sondern scheinbar ziemlich genau gewusst, was ich meinte. Danke dafür und überhaupt –
      und du bist das also, die da immer rumsitzt! 🙂

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