Kraut und Rüben

Als Überbrückung – ich bin ja schon so gut wie in Hamburg, juhu – noch ein paar Links und Bilder für das lange Wochenende, teilweise sogar bewegte (und bewegende).  Zuerst: Hamburg hat sein Lächeln verloren, auch darauf bin ich irgendwie gespannt, wie es jetzt dort ist, kurz nachdem OZ seinem Berufsrisiko erlegen ist. Für wirklich tiefe Einblicke lohnt sich dieser Nachruf.

Um solch einen Verlust zu verkraften, braucht es natürlich mehr als ein wenig Auflockerung, aber das ist alles, was ich bieten kann: Zwei krude Interviews, eines mit Quincy Jones, das andere mit Robert Anton Wilson. Keine Ahnung, wer von beiden schräger drauf ist, vielleicht ja gar keiner. Um noch kurz beim Thema Drogen zu bleiben: Diese Geschichte zu den McDonalds-Teelöffeln kannte ich bisher noch gar nicht, wahrscheinlich war ich der einzige. Und eine letzte Kuriosität, ebenfalls vollkommen neu für mich: Die BRD hat eine Exklave in der Schweiz.

Doch zurück zum Ernst, dem hochkulturellen erst einmal – wie er sich beispielsweise bei einem Redaktionsbesuch in der FAS abspielt. Oder bei Suhrkamp, natürlich bei Suhrkamp, wo, wenn nicht bei Suhrkamp. Dort wird gerade der 90. Geburtstag Siegfried Unselds gefeiert, inklusive einem schönen Film mit Männern in blütenweißen Hemden, die sich über die Entstehung eines Unseld-Bild(und Text)bandes unterhalten:

Dazu, und um die wilde Mischung hier möglichst weit aufzufächern, ein paar Zitate von Fauser, hatte ich ja lange nicht. Mir war noch in einer dunklen Ecke des Hinterkopfes in Erinnerung, dass Suhrkamp für ihn ein Thema war. Dank des wunderbaren Registers im Strand der Städte konnte ich das schnell verifizieren, es gab sogar eine gewisse zeitliche Ballung, auf den ersten Blick. Hier die schönsten Auszüge (alle aus dem verlinkten Band, aus den verschiedensten Texten):

Natürlich war mein Weltschmerz damals schon nicht mehr ganz à la mode, er bezog seine Empfindungen – jedenfalls auf literarischem Niveau – aus Attitüden und dazugehörigen Texten, die von Suhrkamp nicht editiert wurden. (1981 – S.535)

„Sich mit Dingen bekannt machen“ – daß wir aus (guten) Kriminalromanen mehr Wirklichkeit erfahren als aus einigen Metern der Suhrkamp-Produktion, war uns schon immer eine liebe These. (1981, S.605)

Am Beispiel der abenteuerlichen Story eines Glücksritters, der – mit finanzieller Beteiligung des Filmstars Clint Eastwood – den Beweis erbringen wollte, daß in Laos und Vietnam noch amerikanische Kriegsgefangene einsitzen, sammelte ich einige Argumente gegen die offenbar nicht nur mich anödende deutsche Suhrkamp- und Schulfunkkultur. (1983, S.766)

Und es sind Filme wie der von Boisset, die mir bestätigen, daß ein von unserer Hochkultur nicht ganz ernst genommenes Genre wie der Spionagethriller präzisere Aufklärungsarbeit über die realen Verhältnisse leistet als ein ganzer Schuber Suhrkamp-Literatur und ihre Verfilmungen. (1983, S.784)

Es schält sich da langsam ein Muster heraus, es wird klar, worum es Fauser geht (und er hat ja auch immer noch Recht damit), aber es droht, redundant zu werden. Jedoch: au contraire, lustiger wirds; es folgt die Vorstellung des Nachwuchsautors Rainald Goetz…

Rainald Goetz ist ein quirliger Mensch von Ende 20, ein Akademiker mit grün oder blond gefärbter Haartolle, Medizin und Geschichte, der sich unlängst darin gefiel, vor den Kameras irgendeiner Kultursendung mit Selbstverstümmelung zu kokettieren und im Herbst (bei Suhrkamp, na klar doch) seinen ersten Roman vorlegen wird, der Irre heißt, na ja doch. (1983, S.786)

Und weiter, auch weiter ausholend, im selben Jahr:

Klar, wir werden den Kulturkampf bekommen, und zwar als Teil jenes großen Kulturkrampfs, wie ihn uns das Kultur-Establishment seit den Tagen der Re-education und der Gruppe 47 so lange um die Ohren gehauen hat, bis wir alle eines Tages geglaubt haben, die Waschzettel der Suhrkamp-Kultur und die Aspekte-Statements der Gremien-Filmer seien Wegzehrung genug für die Teilnahme am geistigen Leben dieser Republik. (1983, S798f)

Doch zum Schluss, nach einer längeren Feuerpause Richtung Suhrkamp, jedenfalls in seinen journalistischen Arbeiten, fast eine Würdigung des Verlages, an dem er sich zwar rieb, aber dem er auch etwas abgewinnen konnte. Vor allem, was Unselds Rolle betraf:

Ein gleichaltriger Lektor von Suhrkamp sagte: Da ist ein Autor, der hat auch mit einem anderen Verlag einen Vertrag über das gleiche Buch wie schon mit dem Suhrkamp-Verlag abgeschlossen. Das hat der Unseld erfahren und ist hingegangen und hat gesagt: Sie sind weg hier. Tough. Hart. Raus. Ich finde das richtig. Es muß Richtlinien geben. (Aus einen Interview mit Fauser, 1985, S.1532)

Soviel dazu. Was bleibt ist mal wieder die harte, traurige Realität:

Eine über und über mit Grafftitis übersäte Wand

 

Grafftiti an einer Häuserwand: Ein Affe, der grimmig den Mittelfinger zeigt, dazu der Schriftzug "Wohnen ist keine Ware"

 

Schriftzug an einer Häuserwand: Militant gegen Gentrifizierung

 

Street Art in einem Hauseingang: Bild eines liegenden Schafes, darunter der Grafftiti-Schriftzug "Die Yuppie Scum"

Die vor kurzem die ersten handfesteren Zahlen ins Haus spülte, nachdem mit anderen Zahlen immer mehr Leute aus dem Haus gespült werden: Derzeit liegen wir  noch etwas unter der Vergleichsmiete, nach der Modernisierung (bei der ein Fahrstuhl natürlich nicht fehlen darf, fürs ausgebaute Dachgeschoss…) soll es knapp doppelt so teuer wie die Vergleichsmiete werden. Offiziell wissen wir jedoch noch von nichts und üben uns auf anwaltlichen Rat im Teetrinken. Daran anknüpfend lässt sich hier mit den Goldenen Zitronen wunderbar der Kreis schliessen, vom bösen G-Wort zu Hamburg. Ich bin gespannt…

 

 

Kein Glück gehabt

I wish you could read this, Joe: about a
tough guy and
another guy
who just thought he was
tough.

Charles Bukowski: Joe. Gargoyle #35

 

So verabschiedete sich der Erste von links vom Ersten von rechts. Gegen einen Truck hat niemand eine Chance, schrieb er auch noch.

Bukowski und Fauser trinken einen an der Flughafenbar
Das war’s dann auch erst mal wieder zu diesem Thema. Ist halt blöd, wenn Geburts- und Todestage so eng beieinander liegen…

Noch’n Zitat, zweiter Teil

Zu „Der letzte Tango in Paris“ hat Fauser eine tagesaktuell passende Casting-Anekdote parat:

Brando hatte der jungen, unerfahrenen Schauspielerin [Maria Schneider, d.Verf.] auf seine eigene Art die Aufwartung gemacht. Er lud sie vor Beginn der Dreharbeiten zum Essen ein, setzte sich mit ihr an die Bar des Restaurants und bat sie, ihn eine halbe Stunde schweigend anzublicken. Wahrscheinlich wusste Old Bud nicht, daß die Schneider eine Marihuanakettenraucherin war und es zum Standardrepertoire eines durchschnittlichen Kiffers gehört, stundenlang seinen großen Zeh anzustarren; jedenfalls riß Maria diese halbe Stunde aus dem Stand ab und hatte sich damit Marlons uneingeschränkten Respekt erworben.
[Jörg Fauser: Marlon Brando. Der versilberte Rebell. Eine Biographie., S.190]

Was das jetzt mit dem längsten Tag des Jahres (der auch nur 24 Stunden hat…), der Fete de la musique oder dem ‚Schland-Spiel zu tun hat, fragen Sie? Gar nichts, richtig! Aber heute kommt der Messias darnieder und hält Hof im Görli (Zu dem PR Kantate letztes Jahr glatt ein neues, kaum geklicktes Musikvideo gemacht hat). Wenn ich das richtig verstanden habe.

Wer nun denkt: Lass diesen Clown da ruhig in der Wüste rufen – bittesehr, kein Thema. Ein ernstes Thema ist das allerdings doch, und genügend ernsthafte, gar respektierte und dekorierte Menschen erzählen seit Jahren, dass der sogenannte War on Drugs verloren ist. Kofi Annan zum Beispiel. Ein paar Experten und Wirtschaftsnobeltreisträger (naja….) der London School of Economics zum Beispiel. Die Weltkommission für Drogenpolitik, mit so namhaften Mitgliedern wie dem schon erwähnten Annan, aber auch George P. Shultz, Carlos Fuentes, Mario Vargas Llosa, Javier Solana oder Marion Caspers-Merk, zum Beispiel. Einige Regierungschefs in Südamerika zum Beispiel. Ein paar Gesundheits-(Kosten)Forscher zum Beispiel. Oder selbst deutsche Strafrechtler, zum Beispiel.

Manchmal hoffe ich ja klammheimlich darauf, dass die Merkelin, die – das darf man nicht vergessen – die CDU ja komplett umgekrempelt hat, wo keiner mehr offen homophobe Witze machen darf, die Wehrpflicht und die Energiewende-Wende abgeschafft hat und wahrscheinlich auch sonst so gut wie alle früheren Ideale dieser Partei über Bord warf, dass die also mal auf den Trichter kommt, dass sich Drogen wunderbar besteuern liessen, Gerichte und Knäste wieder mehr Zeit für Schwarzfahrer hätten und überhaupt, alle viel glücklicher wären. Oder so. Und Hanfkönigin könnte sie so auch noch werden.

Aber gefährlich isses schon:(via)

 Trevlig Midsommar!

 

Noch’n Zitat

Gestern das letzte Fauser-Buch ausgelesen: Die Brando-Biografie. War eine Premiere, die hatte ich mir bisher immer gespart. Eigentlich mag ich Biografien, und natürlich mag ich Fauser, aber die Kombination stand bisher halt jungfräulich im Regal, während die anderen Fauser-Bände längst kräftig abgegriffen sind. Wo doch schon Zweig riet, sich an Biografien zu versuchen, sie aber wenigstens zu lesen. Und Loest eine Karl-May-Biografie schrieb, die auch Fauser beeindruckte (und die ich laaaaangeee bevor ich Fauser kennenlernte mehrere Male las, teilweise noch mit Taschenlampe unter der Bettdecke). Ist also, wenn man so will, ein wichtiges und wahrscheinlich unterschätztes Genre.

So, und was soll der Schmus? (Wie er es sagte) Klar bin ich begeistert, weil es nämlich viel, viel mehr als eine stinknormale Lebensnachschreibung ist; eher eine Weltbeschreibung (und auch Selbstbeschreibung), 1978 in zwei Monaten runtergeschrieben. Wo es eben solche (und noch viel mehr) Kostbarkeiten zu finden gibt:

Das heißt, weder der christliche Humanist [ein gewisser Dr. Kraus, d.Verf.] noch der alte Neulinke [Jean Amery] sehen, daß der aufgeklärt christlich/bürgerliche Staat, dem sie bis in die atomaren Mülldeponien noch ihre Reverenz erweisen, jenem Europa, jenem ‚Abendland‘, jener reinen Utopie längst den Garaus gemacht, das Hirn zertrampelt, die Kinder erschlagen hat. Sie seichen immer noch, von den Managern der Bewußtseinsindustrie ins Fernsehen gehievt, ausgehalten von den Zuhältern jener Konzerne, die das Abendland und Morgenland und diese ganze Erde bis auf den letzten Quadratmeter ausplündern, um sich sodann dem Weltraum zuzuwenden, und das Ganze natürlich verbrämt mit Politik/Kultur/Humanismus/Aufklärung und bewußtseinsmäßig gut geölt von den gemieteten Schreiberlingen jeder Provenienz, sie seichen, schleimen und laichen, bezahlte Zuträger der Macht, Kulturkorrektoren der Multis und ihre Politkommissare, sie sagen Abendland, und was genau meinen sie damit? Wohl doch die Perpetuierung von dessen Untergang.
Der weise Mann wendet sich von solchen Bildern ab und der Gefährtin seiner Nächte, der Poesie und dem Trunk zu. Der Rebell zieht weiter, jenseits des Untergangs liegt vielleicht ein anderes Bewußtsein, eine andere Gemeinschaft, eine andere Welt. Der Politik kommt man mit Politik nicht bei, dem Staat nicht mit Staat, der sterbenden Kultur nicht mit sterbender Kultur, dem Westen nicht mit dem Osten.
[Jörg Fauser: Marlon Brando. Der versilberte Rebell. Eine Biographie. S. 148]

Kurzer Hinweis

Mal ganz aus der Reihe getanzt – dank der Depublizierungsfrist der ÖR ein hingerotzter Hinweis: Gestern machte ich ausnahmsweise mal wieder die Glotze an, und konnte mich fast nicht entscheiden. Wirklich wahr! Da ich vom Elend der Welt aber eh schon die Schnauze voll hatte, entschied ich mich gegen arte und den Master of the Universe, der ist später dran, sondern meine Wahl fiel auf This ain’t California: Die Rollbrettszene in der DDR, inklusive the incredible Fahrradschlauchtrick. Passte irgendwie besser zu meiner melancholischen Stimmung. Skaten war damals übrigens nicht so meins, ich hatte es eher mit dem BMX-Rad, das machte sich auch besser in den Abraumhalden der Lausitz. Andere Geschichte.

Wo ich schon mal multimedial verlinke, gibt es gleich noch zwei Podcasts oben drauf, welche mir die letzten Waldrunden verkürzten und die hoffentlich nicht so schnell depubliziert werden: Zuerst zweineinhalb kurzweilige Stunden zu Erich Mühsam, mit Rowohlt, Ebermann, Rellöm und Spilker. Ist genauso großartig wie es klingt. Und dann, nicht ganz so kurzweilig, aber auch interessant:  Ein Vortrag von Lukas Holfeld über Hölderlin und die Versteinerung der Revolutionäre.  (Beides via Audioarchiv)

Mit einem Zitat von diesem schliesse ich dann auch wieder die Pforten. Was waren das für Zeiten, als Idealismus noch denkbar war…

Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern, was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe gibt und der Geist, das läßt sich nicht erzwingen. Das laß er unangetastet, oder man nehme sein Gesetz und schlag es an den Pranger! Beim Himmel! der weiß nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte. (quelle)

 

Zum Tag der Befreiung

Gestern las ich in der U-Bahn, dass das deutsch-russische Museum zum Tag der Befreiung ein Fest veranstaltet. Es gibt auch ein Gastland – die USA. Noch scheint also nicht alles verloren. Tag der Befreiung kann man übrigens nicht oft genug sagen, und zumindest bis zur Elbe waren es die Soldaten der Roten Armee, die die Deutschen vom Hitlerismus befreiten. Selber haben die das nämlich nicht auf die Reihe bekommen, im Gegenteil.

Zum Thema zwei Zitate aus dem soeben ausgelesenen „Erinnerungen eines Europäers“ von Stefan Zweig, aktuelle Parallelen mag sich jeder selbst denken:

Abends in Belgien bei Verhaeren kam die Nachricht, daß das Luftschiff in Echterdingen zerschellt sei. Verhaeren hatte Tränen in den Augen und war furchtbar erregt. Nicht war er etwa als Belgier gleichgültig gegen die deutsche Katastrophe, sondern als Europäer, als Mann unserer Zeit empfand er ebenso den gemeinsamen Sieg über die Elemente wie die gemeinsame Prüfung. […] aus Stolz auf die sich stündlich überagenden Triumphe unserer Technik, unserer Wissenschaft war zum erstenmal ein europäisches Gemeinschaftsgefühl, ein europäisches Nationalbewußtsein im Werden. Wie sinnlos, sagten wir uns, diese Grenzen, wenn sie jedes Flugzeug spielhaft leicht überschwingt, wie provinziell, wie künstlich diese Zollschranken und Grenzwächter, wie widersprechend dem Sinn unserer Zeit, der sichtlich Bindung und Weltbrüderschaft begehrt! (S. 147)

(Zur Einordnung: Obiges Zitat bezieht sich auf das Jahr 1908)

Vor dieser >Neuen Ordnung< hatte die Ermordung eines einzigen Menschen ohne Gerichtsspruch und äußere Ursache noch eine Welt erschüttert, Folterung galt für undenkbar im zwanzigsten Jahrhundert, Expropriierung nannte man noch klar Diebstahl und Raub. Jetzt aber, nach den immer erneut sich folgenden Bartholomäusnächten, nach den täglichen Zutodefolterungen in den Zellen der SA. und hinter den Stacheldrähten, was galt da noch ein einzelnes Unrecht, was irdisches Leiden? 1938, nach Österreich, war unsere Welt schon so sehr an Inhumanität, an Rechtlosigkeit und an Brutalität gewöhnt wie nie zuvor in Hunderten Jahren. Während vordem allein, was in dieser unglücklichen Stadt Wien geschehen, genügt hätte zur internationalen Ächtung, schwieg das Weltgewissen im Jahre 1938 oder murrte nur ein wenig, ehe es vergaß und verzieh. (S.291)

(zitierte Ausgabe: Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Fischer Bücherei Frankfurt/M. und Hamburg, 1970.)

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Filmtipp zum Wochenende: Die kommenden Tage. Einfach so.