Entdeckung

02.06.14

 

Bei Fauser

– es ging irgendwie um die Startbahn West –

gerade ein neues, altes Wort gelernt:

Forstadjunkt.

 

Verwirrt;

erst nach mehreren Anläufen

verstand ich:

 

Einfach irgendwas mit dem Wald,

dem Deutschen;

das kann Fauser nämlich auch,

und vor allem immer wieder

überraschen.

 

Nicht das, was man

– was ich –

bei ihm eigentlich erwartet:

Vorstadtjunk.

 

Kraut und Rüben

Als Überbrückung – ich bin ja schon so gut wie in Hamburg, juhu – noch ein paar Links und Bilder für das lange Wochenende, teilweise sogar bewegte (und bewegende).  Zuerst: Hamburg hat sein Lächeln verloren, auch darauf bin ich irgendwie gespannt, wie es jetzt dort ist, kurz nachdem OZ seinem Berufsrisiko erlegen ist. Für wirklich tiefe Einblicke lohnt sich dieser Nachruf.

Um solch einen Verlust zu verkraften, braucht es natürlich mehr als ein wenig Auflockerung, aber das ist alles, was ich bieten kann: Zwei krude Interviews, eines mit Quincy Jones, das andere mit Robert Anton Wilson. Keine Ahnung, wer von beiden schräger drauf ist, vielleicht ja gar keiner. Um noch kurz beim Thema Drogen zu bleiben: Diese Geschichte zu den McDonalds-Teelöffeln kannte ich bisher noch gar nicht, wahrscheinlich war ich der einzige. Und eine letzte Kuriosität, ebenfalls vollkommen neu für mich: Die BRD hat eine Exklave in der Schweiz.

Doch zurück zum Ernst, dem hochkulturellen erst einmal – wie er sich beispielsweise bei einem Redaktionsbesuch in der FAS abspielt. Oder bei Suhrkamp, natürlich bei Suhrkamp, wo, wenn nicht bei Suhrkamp. Dort wird gerade der 90. Geburtstag Siegfried Unselds gefeiert, inklusive einem schönen Film mit Männern in blütenweißen Hemden, die sich über die Entstehung eines Unseld-Bild(und Text)bandes unterhalten:

Dazu, und um die wilde Mischung hier möglichst weit aufzufächern, ein paar Zitate von Fauser, hatte ich ja lange nicht. Mir war noch in einer dunklen Ecke des Hinterkopfes in Erinnerung, dass Suhrkamp für ihn ein Thema war. Dank des wunderbaren Registers im Strand der Städte konnte ich das schnell verifizieren, es gab sogar eine gewisse zeitliche Ballung, auf den ersten Blick. Hier die schönsten Auszüge (alle aus dem verlinkten Band, aus den verschiedensten Texten):

Natürlich war mein Weltschmerz damals schon nicht mehr ganz à la mode, er bezog seine Empfindungen – jedenfalls auf literarischem Niveau – aus Attitüden und dazugehörigen Texten, die von Suhrkamp nicht editiert wurden. (1981 – S.535)

„Sich mit Dingen bekannt machen“ – daß wir aus (guten) Kriminalromanen mehr Wirklichkeit erfahren als aus einigen Metern der Suhrkamp-Produktion, war uns schon immer eine liebe These. (1981, S.605)

Am Beispiel der abenteuerlichen Story eines Glücksritters, der – mit finanzieller Beteiligung des Filmstars Clint Eastwood – den Beweis erbringen wollte, daß in Laos und Vietnam noch amerikanische Kriegsgefangene einsitzen, sammelte ich einige Argumente gegen die offenbar nicht nur mich anödende deutsche Suhrkamp- und Schulfunkkultur. (1983, S.766)

Und es sind Filme wie der von Boisset, die mir bestätigen, daß ein von unserer Hochkultur nicht ganz ernst genommenes Genre wie der Spionagethriller präzisere Aufklärungsarbeit über die realen Verhältnisse leistet als ein ganzer Schuber Suhrkamp-Literatur und ihre Verfilmungen. (1983, S.784)

Es schält sich da langsam ein Muster heraus, es wird klar, worum es Fauser geht (und er hat ja auch immer noch Recht damit), aber es droht, redundant zu werden. Jedoch: au contraire, lustiger wirds; es folgt die Vorstellung des Nachwuchsautors Rainald Goetz…

Rainald Goetz ist ein quirliger Mensch von Ende 20, ein Akademiker mit grün oder blond gefärbter Haartolle, Medizin und Geschichte, der sich unlängst darin gefiel, vor den Kameras irgendeiner Kultursendung mit Selbstverstümmelung zu kokettieren und im Herbst (bei Suhrkamp, na klar doch) seinen ersten Roman vorlegen wird, der Irre heißt, na ja doch. (1983, S.786)

Und weiter, auch weiter ausholend, im selben Jahr:

Klar, wir werden den Kulturkampf bekommen, und zwar als Teil jenes großen Kulturkrampfs, wie ihn uns das Kultur-Establishment seit den Tagen der Re-education und der Gruppe 47 so lange um die Ohren gehauen hat, bis wir alle eines Tages geglaubt haben, die Waschzettel der Suhrkamp-Kultur und die Aspekte-Statements der Gremien-Filmer seien Wegzehrung genug für die Teilnahme am geistigen Leben dieser Republik. (1983, S798f)

Doch zum Schluss, nach einer längeren Feuerpause Richtung Suhrkamp, jedenfalls in seinen journalistischen Arbeiten, fast eine Würdigung des Verlages, an dem er sich zwar rieb, aber dem er auch etwas abgewinnen konnte. Vor allem, was Unselds Rolle betraf:

Ein gleichaltriger Lektor von Suhrkamp sagte: Da ist ein Autor, der hat auch mit einem anderen Verlag einen Vertrag über das gleiche Buch wie schon mit dem Suhrkamp-Verlag abgeschlossen. Das hat der Unseld erfahren und ist hingegangen und hat gesagt: Sie sind weg hier. Tough. Hart. Raus. Ich finde das richtig. Es muß Richtlinien geben. (Aus einen Interview mit Fauser, 1985, S.1532)

Soviel dazu. Was bleibt ist mal wieder die harte, traurige Realität:

Eine über und über mit Grafftitis übersäte Wand

 

Grafftiti an einer Häuserwand: Ein Affe, der grimmig den Mittelfinger zeigt, dazu der Schriftzug "Wohnen ist keine Ware"

 

Schriftzug an einer Häuserwand: Militant gegen Gentrifizierung

 

Street Art in einem Hauseingang: Bild eines liegenden Schafes, darunter der Grafftiti-Schriftzug "Die Yuppie Scum"

Die vor kurzem die ersten handfesteren Zahlen ins Haus spülte, nachdem mit anderen Zahlen immer mehr Leute aus dem Haus gespült werden: Derzeit liegen wir  noch etwas unter der Vergleichsmiete, nach der Modernisierung (bei der ein Fahrstuhl natürlich nicht fehlen darf, fürs ausgebaute Dachgeschoss…) soll es knapp doppelt so teuer wie die Vergleichsmiete werden. Offiziell wissen wir jedoch noch von nichts und üben uns auf anwaltlichen Rat im Teetrinken. Daran anknüpfend lässt sich hier mit den Goldenen Zitronen wunderbar der Kreis schliessen, vom bösen G-Wort zu Hamburg. Ich bin gespannt…

 

 

Kein Glück gehabt

I wish you could read this, Joe: about a
tough guy and
another guy
who just thought he was
tough.

Charles Bukowski: Joe. Gargoyle #35

 

So verabschiedete sich der Erste von links vom Ersten von rechts. Gegen einen Truck hat niemand eine Chance, schrieb er auch noch.

Bukowski und Fauser trinken einen an der Flughafenbar
Das war’s dann auch erst mal wieder zu diesem Thema. Ist halt blöd, wenn Geburts- und Todestage so eng beieinander liegen…

Glück gehabt

27.04.14

Mein Hund hat schon auf diese Wiese
geschissen,
als die Stadt die Steppe dahinter
noch nicht mal als Bauland
deklariert hatte.

 

Und jetzt stehst du da
in deinem millimetergrünen Vorgarten
mit nichts weiter drin
als den Grashalmsoldaten
und einem Trampolin,
für die Kinder – aber nicht zu laut!

 

Und willst mir irgendwas von
Kacktüten erzählen?!

 

Über so einen Wichser wie dich
hätte ich eigentlich jetzt in der S-Bahn
gut ein wütendes Gedicht schreiben können:
Da hast du also ganz schön Glück gehabt,
dass ich, um in Fahrt zu kommen
noch kurz den Fauser aufgeschlagen habe.

 

Blues für Blondinen:
Fünf Deutsche Mark, Ullstein Buch, populäre Kultur,
Mai 1984.
Aus den Kisten vor der Humboldt-Uni,
vor circa 15 Jahren gekauft
und locker drei Mal gelesen.
Alles bekannt, alles gut, so weit (ich mich erinnere).

 

Und dann dankt man auf der ersten Seite,
ab den ersten Zeilen von Blumen für die Mauer
seinem Kiffergedächtnis oder wem auch immer,
dafür, dass der Fauser einen immer wieder
so umhaut.

 

Da hast du also ganz schön Glück gehabt,
und ich eine Extrarunde auf dem Ring.

 

 

***

…aber ich bin kein netter Mensch, sondern Schriftsteller, einer der Dunkelmänner also, die beim ältesten Verfassungsschutz der Welt angestellt sind, beim Verfassungsschutz für Sprache und für Zweifel. Und natürlich: Ich bin kein Berliner. (ib.)

 

Noch’n Zitat, zweiter Teil

Zu „Der letzte Tango in Paris“ hat Fauser eine tagesaktuell passende Casting-Anekdote parat:

Brando hatte der jungen, unerfahrenen Schauspielerin [Maria Schneider, d.Verf.] auf seine eigene Art die Aufwartung gemacht. Er lud sie vor Beginn der Dreharbeiten zum Essen ein, setzte sich mit ihr an die Bar des Restaurants und bat sie, ihn eine halbe Stunde schweigend anzublicken. Wahrscheinlich wusste Old Bud nicht, daß die Schneider eine Marihuanakettenraucherin war und es zum Standardrepertoire eines durchschnittlichen Kiffers gehört, stundenlang seinen großen Zeh anzustarren; jedenfalls riß Maria diese halbe Stunde aus dem Stand ab und hatte sich damit Marlons uneingeschränkten Respekt erworben.
[Jörg Fauser: Marlon Brando. Der versilberte Rebell. Eine Biographie., S.190]

Was das jetzt mit dem längsten Tag des Jahres (der auch nur 24 Stunden hat…), der Fete de la musique oder dem ‚Schland-Spiel zu tun hat, fragen Sie? Gar nichts, richtig! Aber heute kommt der Messias darnieder und hält Hof im Görli (Zu dem PR Kantate letztes Jahr glatt ein neues, kaum geklicktes Musikvideo gemacht hat). Wenn ich das richtig verstanden habe.

Wer nun denkt: Lass diesen Clown da ruhig in der Wüste rufen – bittesehr, kein Thema. Ein ernstes Thema ist das allerdings doch, und genügend ernsthafte, gar respektierte und dekorierte Menschen erzählen seit Jahren, dass der sogenannte War on Drugs verloren ist. Kofi Annan zum Beispiel. Ein paar Experten und Wirtschaftsnobeltreisträger (naja….) der London School of Economics zum Beispiel. Die Weltkommission für Drogenpolitik, mit so namhaften Mitgliedern wie dem schon erwähnten Annan, aber auch George P. Shultz, Carlos Fuentes, Mario Vargas Llosa, Javier Solana oder Marion Caspers-Merk, zum Beispiel. Einige Regierungschefs in Südamerika zum Beispiel. Ein paar Gesundheits-(Kosten)Forscher zum Beispiel. Oder selbst deutsche Strafrechtler, zum Beispiel.

Manchmal hoffe ich ja klammheimlich darauf, dass die Merkelin, die – das darf man nicht vergessen – die CDU ja komplett umgekrempelt hat, wo keiner mehr offen homophobe Witze machen darf, die Wehrpflicht und die Energiewende-Wende abgeschafft hat und wahrscheinlich auch sonst so gut wie alle früheren Ideale dieser Partei über Bord warf, dass die also mal auf den Trichter kommt, dass sich Drogen wunderbar besteuern liessen, Gerichte und Knäste wieder mehr Zeit für Schwarzfahrer hätten und überhaupt, alle viel glücklicher wären. Oder so. Und Hanfkönigin könnte sie so auch noch werden.

Aber gefährlich isses schon:(via)

 Trevlig Midsommar!

 

Noch’n Zitat

Gestern das letzte Fauser-Buch ausgelesen: Die Brando-Biografie. War eine Premiere, die hatte ich mir bisher immer gespart. Eigentlich mag ich Biografien, und natürlich mag ich Fauser, aber die Kombination stand bisher halt jungfräulich im Regal, während die anderen Fauser-Bände längst kräftig abgegriffen sind. Wo doch schon Zweig riet, sich an Biografien zu versuchen, sie aber wenigstens zu lesen. Und Loest eine Karl-May-Biografie schrieb, die auch Fauser beeindruckte (und die ich laaaaangeee bevor ich Fauser kennenlernte mehrere Male las, teilweise noch mit Taschenlampe unter der Bettdecke). Ist also, wenn man so will, ein wichtiges und wahrscheinlich unterschätztes Genre.

So, und was soll der Schmus? (Wie er es sagte) Klar bin ich begeistert, weil es nämlich viel, viel mehr als eine stinknormale Lebensnachschreibung ist; eher eine Weltbeschreibung (und auch Selbstbeschreibung), 1978 in zwei Monaten runtergeschrieben. Wo es eben solche (und noch viel mehr) Kostbarkeiten zu finden gibt:

Das heißt, weder der christliche Humanist [ein gewisser Dr. Kraus, d.Verf.] noch der alte Neulinke [Jean Amery] sehen, daß der aufgeklärt christlich/bürgerliche Staat, dem sie bis in die atomaren Mülldeponien noch ihre Reverenz erweisen, jenem Europa, jenem ‚Abendland‘, jener reinen Utopie längst den Garaus gemacht, das Hirn zertrampelt, die Kinder erschlagen hat. Sie seichen immer noch, von den Managern der Bewußtseinsindustrie ins Fernsehen gehievt, ausgehalten von den Zuhältern jener Konzerne, die das Abendland und Morgenland und diese ganze Erde bis auf den letzten Quadratmeter ausplündern, um sich sodann dem Weltraum zuzuwenden, und das Ganze natürlich verbrämt mit Politik/Kultur/Humanismus/Aufklärung und bewußtseinsmäßig gut geölt von den gemieteten Schreiberlingen jeder Provenienz, sie seichen, schleimen und laichen, bezahlte Zuträger der Macht, Kulturkorrektoren der Multis und ihre Politkommissare, sie sagen Abendland, und was genau meinen sie damit? Wohl doch die Perpetuierung von dessen Untergang.
Der weise Mann wendet sich von solchen Bildern ab und der Gefährtin seiner Nächte, der Poesie und dem Trunk zu. Der Rebell zieht weiter, jenseits des Untergangs liegt vielleicht ein anderes Bewußtsein, eine andere Gemeinschaft, eine andere Welt. Der Politik kommt man mit Politik nicht bei, dem Staat nicht mit Staat, der sterbenden Kultur nicht mit sterbender Kultur, dem Westen nicht mit dem Osten.
[Jörg Fauser: Marlon Brando. Der versilberte Rebell. Eine Biographie. S. 148]

Requiem für Harry Gelb

(eigentlich wollte ich als nächstes einen anderen alten Text hier einstellen. Die letzten Kommentare erinnerten mich aber an die folgenden – ebenso alten – Worte und ich kramte sie aus dem Archiv:)

19/07/06

Nachts um drei
mit Rohstoff fertig.
Mal wieder.

An Drogen:
seit einer Woche nur noch Bier.
Selbst das:
ab Werk mit Zitronenlimonade gestreckt.

Versucht, die Fauser-Gedichte
aus dem Regal zu holen
und dabei kräftig
über Stühle gestürzt.

Kaputtes Knie, kaputtes Leben.
Der Alkohol wirkt also doch.
Und Fauser sowieso.

 

Mehr Farbe, Vielfalt und Abwechslung

…bei den Links und in der Rolle da rechts (und überhaupt!). Schliesslich ist ja auch Frühling. Denke ich mir immer wieder. So quasitechnische Überlegungen machen sich besonders gut, wenn man eigentlich dabei sein sollte, sich den Kopf über die inhaltliche Ausrichtung zu zerbrechen. Aber das nur nebenbei.

Also: Zu Recht hatte tikerscherk vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass in Blogs zwar dieses und jenes steht, aber selten was zur Erotik. Natürlich gibt es da Ausnahmen (und vielleicht ja höchstwahrscheinlich auch eine komplette, unerschlossene Welt), deshalb gehört sunflower22a eigentlich schon längst in die Blogroll. Auch, weil sie immer wieder überrascht. Und wo wir schon dabei sind, gleich die volle Link-Breitseite zum Thema: Eine weitere mir ziemlich unbekannte Welt wurde dank eines Beitrags bei kleinedrei gerade etwas aufgehellt: BDSM. Wie es der Zufall wollte, las ich kurz vorher eine komplett andere Perspektive auf die Sache, was sie um so interessanter, weil anscheinend noch um einiges vielschichtiger, macht.

Eines meiner Vorhaben habe ich in der letzten Zeit ja fast eingehalten: Politik spielt hier oberflächlich kaum noch eine Rolle. Wenn, dann ist das Politische auf das Private, auf das Kleine, runtergebrochen. Natürlich juckt er mir ab und an in den Fingern, der große Rundumschlag, das Ewiggleiche. Und ab und an muss das natürlich auch sein. Aber es ist eben ein trauriges, ewiggleiches Sisyphos-Geschäft. Die Trottel werden immer da sein. Umso wichtiger ist differenzierter, guter Journalismus. Und schon wieder muss ich dazu auf einen Text aus dem Schweizer Das Magazin-Blog verweisen. Das macht glatt die schlimmen Tatorte wieder wett. Doch auch in den Onlineversionen deutscher Holzmedien – Berliner zumal – findet man den einen oder anderen guten Beitrag. Selten – das mag aber auch daran liegen, dass ich da selten reinschaue.

Ebenfalls zum wiederholten Male setzte ich mir bookmark-Sternchen bei Frau Haessy, die oft schöne Texte schreibt – deswegen landet die jetzt auch da rechts. Und wo wir schon mal dabei sind: Dort in der Leiste ist die Politik ja durchaus erlaubt. Also rein mit Kritik und Kunst. Rein mit che, der da eigentlich schon immer war, hatte ich nur kurz vergessen. Rein mit den Punkgebeten, auch oder gerade weil man sich dort gar nicht so wirklich klar über die Richtung ist. Und die Brücke von der Politik zur Poesie schlägt Klaus Baum, für dessen Platz in der Randleiste dasselbe gilt wie für che. Dank seines Hinweises kam mir Schlingensief wieder in den Kopf, und zusammen mit ihm ein geschätzter ehemaliger Kollege (bis zum Genossen hat es dann doch nicht gereicht), der einfach auch gut schreibt und fotografiert.

Der Vielfalt und der Realität angemessen ist es eigentlich auch längst, englischsprachige Berlin-Blogs in die Rolle aufzunehmen (Wer weiss, wieviel großartige spanische oder russische Blogs zu Berlin man so verpasst…?). Was hiermit geschieht: Durch einen Kommentar von pethan35 stiess ich auf Kreuzberg’d. Was ich bisher dort sah und las, hat mir sehr gut gefallen, deshalb rein in die Leiste. Eine weitere englischsprachige Seite zum Thema, die dort ebenfalls reinkommt, ist gleichzeitig Ersatz für ein anderes Blog in der Blogroll, das wohl leider erst mal brach liegt.

Weiter geht es (wiedermal) in der Sparte Literatur oder was Sie gerne dafür halten wollen. Mit Volker Strübing bin ich in meinen frühen Berliner Jahren im Grunde genommen groß geworden, und ausserdem habe ich ihn ja auch schon ein paar Mal verlinkt, vollkommen zu recht natürlich. Und wo Volker Strübing ist, da ist Ahne manchmal nicht weit, das war in oben angesprochener Zeit schon so. Wieso also nicht auch in der Blogroll, nicht zuletzt wegen kleiner Preziosen wie diesem Text hier. In der Kategorie lohnt es auch, auf Kaminer hinzuweisen, der zu seinen Texten oft sehr passende Bilder findet. Glumm sowieso, der sitzt in meinem Kopfkino längst zusammen mit Fauser und Fallada auf einer Leitersprosse und lässt dort die Beine baumeln. Apropos, diese Chance kann ich mir eigentlich nicht entgehen lassen: Candy Bukowski – die genauso in die Blogroll wandert wie rocknroulette – scheint den Termin für meinen nächsten Hamburg-Besuch gesetzt zu haben…

Dass ich viel zu wenig Glumm lese, stellte ich fest, als ich von seiner Bekanntschaft zu Airen erfuhr. (Den Text hab ich schon mal verlinkt; wir wollen es mal nicht übertreiben damit…). Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung habe, was er derzeit macht, habe aber vor einiger Zeit einen interessanten Artikel von ihm bei spon entdeckt (obwohl spon  eigentlich schon weit jenseits der Vielfalt-Schmerzgrenze liegt). Da nehme ich gleich die Gelegenheit wahr und mache noch kurz einen Abstecher Richtung Geschichte, auch zur Wiedergutmachung: Michael Schmalenstroer hatte ich vorher auch schon in der Blogroll, wenn ich mich recht erinnere, und da gehört er auch hin. Ein letzter Hinweis aus diesem Genre noch, nicht zuletzt weil zwei Personen daran beteiligt sind, die ich mehr und weniger kenne.

Fauser darf nie zu kurz kommen, sagte ich ja bereits. Aber ich kann die Blogroll auch nicht nur mit Schriftstellern zupacken, leider: die Vielfalt fordert ihren Tribut. Zu einem Bekannten Fausers (den er in Rohstoff verewigte & in dessen Archiv ich mal ausführlich stöbern durfte – der HU-EE sei dank, ich sprach es schonmal kurz an) gab es gerade ein großartiges … sagen wir mal Requiem bei den Ruhrbaronen.

Last but not least werden das Begleitschreiben und der Kiezschreiber (dem der Underdog kiezneurotiker unlängst vollkommen zutreffend einen Lauf bescheinigte) in die Blogroll aufgenommen. Ansonsten: FernwehHeimweh.

Wie dem auch sei, so ganz genau hab auch ich den Kurs immer noch nicht raus, auf dem dieses Experiment hier weiter segeln soll. Aber Experiment sagt es eigentlich: Ich werde wohl etwas mehr rumprobieren; für die einen ist es der Salon, für mich gerade eher die Spielwiese. Oder der Hobbykeller mit Drechselbank. Dazu fällt mir glatt eine Geschichte aus der dunklen Vergangenheit ein…

Zum Schluss, weil der Sommer bestimmt kommt und der erste Mai vor der Tür steht: Die Ohrbooten. Ein guter Freund sagte unlängst: Naja, kann man schon mal hören. Aber die Texte sind eigentlich echt nicht so dolle. Wie es aussieht, fährt dieser gute Freund demnächst in Sachen Musik nach Brasilien, wo ein paar clevere deutsche Gute-Laune-Reggaebands die Fussballfans abgreifen wollen, oder so ähnlich. Sowieso: Ein Festival in Brasilien! FTW, wie man hier so sagt. Aber das ist auch wieder eine andere Geschichte. Ohrbooten also (haarscharf vorbei an der Gotteslästerung, und eben – es ist ja auch bald 1. Mai…) :

 

 

[Inzwischen ist dieser Beitrag 5 Tage im Entwurfsordner, es ist Sonntagabend und ich habe schon wieder genau abgezählte 54 offene Tabs, die allesamt toll sind. Was ist nur aus dem heiligen Tag der Ruhe geworden. Aber eben: auch ziemlich toll, dieses Internet. Eine weitere kontextlose Information: Wie ich bemerkte, hatte ich gar keine Suchfunktion. Wie unpraktisch!]

Gedanken. Gedenken.

Als ich vor Jahren mit einiger Verspätung hier in der Blogwelt ankam, gab es recht schnell ein paar Blogs, die mich eine ganze Weile begleiteten. Einige wenige davon tun das noch immer. Mal ist es der Inhalt, die Perspektive oder der Stil, die einen verweilen und wiederkommen lassen, mal die Person dahinter. Blogs und die dazugehörige Sphäre sind jedenfalls mehr, als der „Printmarkt“ je bieten konnte. Im besten Falle – und im schlechtesten auch – können sich hier verschworene Gemeinschaften bilden: Kontakte, Diskussionen oder einfach ganz viel Spass und Freude an der gemeinsamen Sache. Ähnliches gab es bei den „klassischen“ Medien höchstens im Little-Mag bzw. Fanzine-Bereich.

Von Anfang an war B like Berlin eines dieser Blogs: Zuerst waren es die Street-Art-Bilder, die dort regelmäßig gepostet wurden, die mich immer wieder vorbeischauen ließen. Aber es gab auch kleine Geschichten und Begebenheiten, über die Großststadt und das Leben in ebenjener. Nicht zu vergessen die Berlin-Zitate, zu denen pro Woche ein bis zwei neue dazu kamen, von den Großen und den nicht ganz so grossen.

Eines Tages stand dann plötzlich nur noch ein einziges Posting auf der Seite. Ein sehr erschütterndes. In den daran anschliessenden Diskussionen wurde ich (erstmals in der Blogwelt) halbwegs persönlich angegangen, weil einigen meine Meinung dazu gegen den Strich ging.  Irgendwann wurde es ruhiger, die Aufregung geriet in Vergessenheit, ebenso wie das Blog.

Und genau das ist der Punkt: Aus aktuellem Anlass machte ich mir in den letzten Tagen wieder vermehrt Gedanken  zu dieser Blogwelt und was sie so besonders macht. Es gibt unzählige Theorien und Blickwinkel dazu, täglich werden neue veröffentlicht. Viel zu oft ist dabei von Unternehmens-, Marketing- oder Wertschöpfungsmodellen die Rede. Viel zu selten von Vernetzung, Gemeinschaft oder den sozialen Implikationen, die sich aus dieser neuen Welt ergeben. Ja: Blogs (und das Internet als solches) sind die Umsetzung der Brecht’schen Radiotheorie, sie sind dieser denkbar großartigste Kommunikationsapparat, nicht nur im öffentlichen Leben, sondern auch in der Grauzone, die sich bis in das Private hinein erstreckt.

Ich weiss nicht, wie es im Allgemeinen steht mit der Erinnerung, mit der Übertragung sozialen Verhaltens aus der Kohlenstoffwelt in die des Netzes. Ich kann hier nur für mich sprechen: Ich denke immer mal wieder an B like Berlin zurück. Wenn mir gelungene Kunst im öffentlichen Raum ins Auge springt, weil ich dort – bevor es all die flickr- tumblr- und Hipsterstreams gab – eine großartige Sammlung und Würdigung derselben entdeckte. Oder wenn ich in einem Buch oder Text ein treffendes Zitat zu unserer Stadt finde.

Genau das passierte, als ich in den letzten Wochen meine Bahnfahrten mit der turnusgemäßen Lektüre von Fausers Erzählungen verkürzte. (Wo wir schon beim Privaten sind: Er ist das Bild in meinem Avatar. Es dient also nicht primär der Identitätsverschleierung, sondern ist vielmehr eine Hommage.) Bei nicht wenigen Stellen dachte ich: „Das hätte gut auf B like Berlin gepasst“. Ich nahm mir vor, die entsprechenden Passagen rauszuschreiben, die passendsten davon vielleicht mal zu veröffentlichen, so wie es auf B like Berlin früher geschah. Und so soll es sein. Im Andenken an ein Blog, das meine ersten Gehversuche in dieser fremden Welt begleitete. Weil wir mehr sind als Marktmodelle. Weil – so platt oder pathetisch es klingen mag – uns auch der Umgang miteinander ausmacht. Und dazu gehört es auch, der Toten zu gedenken.

[alle Zitate aus der oben verlinkten Ausgabe]

Altmann setzte sich in seinen Audi und fuhr durch den ersten richtigen Schnee des Winters, in dem selbst Berlin wie eine Märchenstadt aussah. Ach, Berlin. Altmann liebte die Stadt. Er liebte nicht nur das Berlin bei Nacht oder das Museum Berlin, nein, er liebte Berlin als politische Metapher. Wo sonst als in Berlin war der dritte Weg zu finden, wo sonst waren auch nur seine Umrisse, seine Perspektiven zu erkennen.

Wem hier die Augen aufgingen, der musste zwangsläufig zur Politik kommen – und die einzig noch mögliche, noch denkbare, noch ausstehende Politik war der dritte Weg. Und selbst, dachte Altmann, als er über den schneebestäubten Kurfürstendamm Richtung Gedächtniskirche fuhr – vorbei an der Schaubühne, an den lichtdurchfluteten Restaurants, den Buletten-Palästen, Kinos und Cafés, vorbei an der Berliner Uhr, deren bonbonfarbene Würfel erst im Schneewirbel richtig zur Geltung kamen, vorbei an den Luxuspuffs und den Würstchenbuden, an den langbeinigen Huren im Nerz und den pockennarbigen Asylanten mit den Heroinbriefchen im Plastikstiefel – und selbst, dachte Altmann mit einem Anflug von Bescheidenheit, selbst wenn das alles nicht wäre, bliebe Berlin immer noch die einzige Stadt, die vierundzwanzig Stunden lang die Karten mischt – verlier oder gewinn, aber bleib im Spiel.

In Schöneberg schlug seine Stimmung um. Er fuhr langsam zwischen den Streifenwagen, den Zivilfahndern, den schrottreifen Büchsen der Freaks, den Taxis und Zuhälterlimousinen, den Motorrädern mit ihren Lederreitern und den Fahrrädern mit den verträumten blassen Studentinnen in ihren Regenpelerinen vom Türkenmarkt, und seine Stimmung nahm sofort die schalen Farben der Umgebung, ihre Brüche und Ruinen auf und setzte sie um wie in einem chemischen Prozeß. Altmann störte jetzt der widerliche Geschmack des Klaren, der mit dem Menthol eben doch nicht wegzukriegen war. Schöneberg deprimierte ihn. Verkommenheit hinter Stuckfassaden, dazwischen die Klötze der Mietburgen und Versicherungen. Da war Kreuzberg entschieden besser, Kreuzberg war schon der dritte Weg. Schöneberg war verlottert wie ein Fin-de-siècle-Bordell, wo das Rattengift sich allmählich gegen das Parfüm durchsetzt. In keiner westdeutschen Stadt hatte Altmann dieses Gefühl scharf abgegrenzter Bezirke, entgegengesetzter Perioden und Desasterzonen gehabt; freilich war er auch schon zu lange in Berlin, um sich in westdeutschen Städten noch wirklich auszukennen. (Der dritte Weg [1983] S.273f)

 

Sie sieht mich dann nur an mit ihrem sanften Lächeln und richtet mit ihren langen Fingern die Blumen in der Vase oder schenkt mir etwas Wein nach und sagt dann, dass sie noch irgendwohin will, mitten in der Nacht, meistens in eine dieser verlausten Kreuzberger Kaschemmen, wo alle zusammenhocken, die sich erfolgreich davor drücken, erwachsen zu werden. Ich geh nur selten mit. Für Profis fängt der Tag früh an. […]

Neben ihm stand eines von diesen Mädchen, die ihr Leben lang in Holzclogs rumlaufen, Halfzware drehen, den sie mit der taz in einem Jutesack herumtragen, und davon erzählen, daß die Stadt jetzt auch noch die Mittel für ihre Tanztherapie gestrichen hat. (Der Mann, der an Gedichte glaubte [1984] S.341f)

 

Ich bin auf dem Ku’damm auf und ab spaziert im Schub mit den Nichtstuern, Besoffenen, Fixern, Strichern, Touristen, Skateboardianern, Nutten, Nackten, Pakistanis, Dackeln, Doggen, Spandauern, Schönen und Schicken. Ich habe mehr Besoffene herumtorkeln und hinfallen und daliegen gesehen als je irgendwo, außer in Dublin am Zahltag. Es war noch heißer geworden und die meisten Bummler hatten etwas Flackerndes in den Augen, ein Irresein. Es wurde auch demonstriert und agitiert, es gab Hungerstreiks mitten auf dem Bolevard vor den Bulettenpalästen, für Frieden und gegen Abtreibung, oder vielleicht habe ich das missverstanden. Ich hatte gelesen, daß es jetzt 4,7 Milliarden Menschen gab. Man merkte es. ( Die schöne Helena [1984] S.359f)

München zwar, aber doch ein (wie ich finde) würdiger Abschluss:

Max rauchte und sah durchs Fenster auf die Straßen. Prächtige Stadt. Reich, korrupt und immer noch schön. Er wohnte seit zehn Jahren hier und liebte die Stadt trotz aller Verrohungen und Verwüstungen wie am ersten Tag. Vielleicht liebe ich sie sogar mehr als damals, dachte er. Mit Städten ist es anders als mit Frauen. Frauen bringen dich zuerst ganz hoch, ganz ins Paradies, und dann holen sie dich langsam und unter Schmerzen und Tränen und Flüchen und Qualen wieder runter in den Alltag, in den gewöhnlichen Schrecken der zu weich gekochten Eier, der Eifersucht, der gepanzerten Lippen, der Spinnweben um die Augen, nachts wenn die grauen Bäche fließen, vor dem Hahnenschrei. Aber Städte waren anders, sie waren aus Stein und Beton und Asphalt und Stahl, aus Erde und Maschinen und Himmel, aus großen Gefühlen, aus Dreck und Gewalt und Glück und Tod, aus den Millionen, die nachts ihre Angst betäubten und am Tag wieder die Fresse hinhielten und ihre Schulter ans Rad. Städte waren das Licht und die Künstlichkeit, das Beben der Straßen und die Musik, die aus den Mauern weinte. Städte konnte man lieben, wenn man die Menschen nicht mehr lieben konnte. (Das Glück des Profis [1982] S.196)