Fragmentarische Korrespondenz, weich und divers (I)

Über Inspiration, das Schreiben, das (Vor)Lesen, Bücher, Filme, Musik und den ganzen Rest: Von Kriegen und Frieden, und auch vom niemals zufrieden oder je ganz fertig genug sein. Kann Spuren von Drogen enthalten.

Ein einseitiger Briefroman in Fortsetzungen
(2002-2004)

[Vorrede:]
Manchmal, wenn man sich vor etwas drückt und deshalb aufräumt, zur Not halt auch Festplatten, fällt einem unverhofft etwas längst Vergessenes (oder verloren Geglaubtes) in die Hände und man wird wehmütig und nostalgisch (oder man findet ein besseres Wort dafür):

Fragmente eines Briefwechsels, bis auf wenige Ausnahmen (Kürzungen, Anonymisierung, Ausbesserung grober Schnitzer, Zeilenumbrüche) unbearbeitet. Auch eine Art Tagebuch eigentlich: ein Blick in die Zeit vor 20 Jahren und eine ganz andere Welt. Die besseren Parts sind nicht von mir, weswegen ich sie hier nicht bringen kann, leider.

Wir lernten uns über eine Literatur-Website kennen, die es schon sehr lange nicht mehr gibt, die es aber immerhin zu drei gedruckten Anthologien (soweit ich weiß) gebracht hat. Hier soll sie nur [Literatur-Website] genannt werden. Deshalb ging es auch viel und hauptsächlich ums Schreiben, unseres und das der anderen. Aber auch um so viel mehr.

Es waren die wilden, guten alten Zeiten des Internet, welches gerade noch wie frisch aus dem Ei gepellt daher kam. Auf keinen Fall hat man sich damals mit fremden Menschen – „Online-Bekanntschaften“ – verabredet, oder ist gar zu ihnen ins Auto gestiegen. Und heute gibt es Uber samt seiner räudigen Klone und in Berliner Co-Working-Spaces werden am Macbook bei einem Chai-Latte jeden Tag zehn neue Dating-Apps erfunden.

Da wir nichts auf Konventionen und Regeln gaben in unserem jugendlichen Übermut – so viel sei schon mal verraten – trafen wir uns doch irgendwann, besuchten uns gegenseitig. Und verloren uns wieder aus den Augen. Warum eigentlich – und warum eigentlich nicht? Story of my life.

Falls du das hier auf irgendwelchen kruden Umwegen zu lesen bekommen solltest, liebe M.: Ich hoffe es geht dir gut!
Falls du denkst, das ist zu gefährlich nahe an einer Enthüllung: Gib mir nur ein Wort. Meine alte Mailadresse funktioniert allerdings wegen des blöden Punktes nicht mehr, aber hier gibt es ja genügend Kontaktmöglichkeiten.

Und entschuldige die modifizierten Wir sind Helden-Zitate. Hehe!

Disclaimer: Sollten in diesem Werk illegale Aktivitäten geschildert werden, die trotz der 20-Jahre-Frist noch strafbewährt wären, dann handelt es sich hierbei natürlich um ein rein fiktionales Werk.
Der Einstieg ist recht abrupt, das hat er mit dem Ende gemeinsam.

 

* * * * *

 

Datum: Montag, 23. September 2002 2:03 am

 

Betreff: re: inspiration

 

hallo,
geht mir doch schon genau so. ich hab zwar viele texte, die sind aber alle schon ein paar monate alt, und so toll sind sie auch nicht. (oje- jetzt kommt zu der schaffens- auch noch ein sinnkrise). bei mir war es eh so, dass ich spontan geschrieben habe, ohne grosses künstlerisches herumfeilen.
dann kam nichts mehr, und dann habe ich urlaub gemacht, was genau gar nichts gebracht hat. ich dachte wunder was ich für zeit habe, aber die ging auch ohne zu schreiben problemlos vorbei.

wenigstens habe ich was gutes gelesen. mir geht es auch so, dass mir ab und zu ein paar vereinzelte ideen kommen, deren zusammengefüge aber wie von dir beschrieben dann eher eine zwangsjacke wäre. ich habe das gefühl, zur zeit alles wichtige gesagt zu haben, jetzt müssen irgendwann neue herausforderungen kommen oder so. sollte man so eine blöde blockade akzeptieren oder bekämpfen, was meinst du?
frohes schaffen
s.

 

Datum: Sat, 28 Sep 2002 13:48:15 +0200 (MEST) —

 

Betreff: Re: re: inspiration

 

hallo m.,
du wirst es kaum glauben, aber ich habe wirklich ernsthaft darüber nachgedacht, mit dem tennisspielen anzufangen, schon bevor du mir den tip gegeben hast…
als ich angefangen habe zu schreiben, vor langer zeit, habe ich es aus dem einfachen Grund der realitätsbewältigung gemacht. dann aus spass. und als ich auf die [Literatur-Website] gestossen bin, einerseits aus spass, andererseits kann ich ehrlicherweise nicht verleugnen, dass auch gewisse ambitionen dahinter steckten. es war (fast) das erste mal, dass ich meine texte nicht nur für mich geschrieben habe. und prompt in dem augenblick, wo ich das realisierte, kam ich ins stocken. ich warte auf echos, die aber nicht kommen…
zur zeit überlege ich, ob ich noch mehr in die öffentlichkeit gehe, vorlesen… da gibt es in berlin ja eine etablierte szene inzwischen, doch ich weiss nicht, ob ich das kann, ob ich das will und ob sich meine texte dafür überhaupt eignen.
naja, was das bücher-thema betrifft: ich finde es schon cool, meinen text auf papier zu lesen, auch wenn es nur die [Literatur-Website]-anthologie ist. Mein problem zur zeit ist eher, dass die schubladenzuordnung nicht so ganz passt.
jetzt habe ich erst mal meine homepage neu gestaltet, zur ablenkung. ein paar neue texte, neues design, spielerei eben. man denkt, man macht es für sich, da ja eh keiner sich je dorthin verirren wird, aber insgeheim hofft man doch auf kommentare, genau wie bei der [Literatur-Website]. ich muss wohl noch mal in mich gehen und genau erforschen, wie stark meine exhibitionistische ader ausgeprägt ist – und das ergebnis dann respektieren und dementsprechend handeln.
jetzt werde ich erst mal die wohnung auf den kopf stellen und nach inspiration suchen, um dann einen erneuten versuch zu starten. wenn`s nicht klappt, rufe ich mal bei air mongolia an und frage wann der nächste flug geht.
was ist eigentlich der unterschied zwischen der mongolischen volksrepublik und der äußeren bzw. inneren mongolei?
und wo sind die bodenproben ertragreicher?

bis bald und danke für die tips
s.

 

Datum: Wed, 9 Oct 2002 13:43:03 +0200 (MEST)

 

Betreff: Re: -no subject-

 

hallo m.,
was treibt dich denn in die mongolei? ich habe hier in berlin schon einige lesebühnen abgeklappert und dabei einen freund getroffen, der in seiner zweiten geheimen persönlichkeit auch schreibt und jetzt eben auch liest. dabei habe ich gemerkt, dass viele der vorgelesenen texte extra fürs vorlesen geschrieben wurden – was die stilistik und die pointen betrifft. andererseits habe ich auch bei einigen der interpreten gedacht, dass ich, ohne jetzt eingebildet zu sein oder so, das was die bringen, schon lange bringe. bei anderen allerdings muss ich sagen: respekt! hier war gerade vor zwei wochen so eine art gipfeltreffen der slam-poetry-szene, war sehr interessant und lustig, und wie gesagt, ein paar echte helden dabei. das hat für mich aber auch was gutes gehabt:
ich musste mich direkt danach, so um zwei uhr nachts mit einigen legalen und illegalen substanzen im blut, vor den pc setzten und was schreiben. juhu, die blockade ist weg!
jetzt bin ich also so weit und überlege ernsthaft, ob ich vorlesen gehe. obwohl, ehrlicherweise müsste ich es so sagen wie dubbelju, es ist nicht eine frage des ob, sondern des wann.
[…]
viele grüße aus berlin, und von mir würdest du jederzeit ein großes echo bekommen…
s.

 

Datum: Thu, 17 Oct 2002 22:14:29 +0200 (MEST)

 

Betreff: Re: lesen und schreiben

 

Hallo M.,
Mongolei, nicht schlecht, bestimmt aber sehr spannend und interessant. Aber leider, wenn mich meine geografischen Kenntnisse nicht ganz täuschen, ohne Meeresküste, oder? Von daher bei mir auf der Prioritätenliste weiter unten. Ich brauche Salzwasser.
Das mit dem Vorlesen ist echt so eine Sache. In Berlin gibt es, ich weiss nicht wie das sonst so ist, neben Poetry Slams noch Lesebühnen. Keine Ahnung wie weit die überregionale Bekanntheit inzwischen ist, aber die berühmtesten sind hier wohl die „Surfpoeten“.
Die würde ich nicht direkt zur Slam Poetry zählen, ist halt mehr Prosa, weniger bis gar kein Rhythmus und eine feste Stammmannschaft nebst open mic. Finde ich persönlich besser als klassische Poetry Slams, obwohl auch auf möglichst hohe Witzigkeit geachtet wird. Aber das ist wohl eher eine literaturwissenschaftliche Betrachtungsweise.
Jedenfalls ist in mir wie gesagt bei einer dieser Lesungen vor kurzem wieder der Schreibfluss ausgebrochen. Was dabei rauskam, kannst du hier nachlesen, wenn du willst:
[]
Ich weiss nicht, ob das eine Stilveränderung ist. Ich weiss ehrlich gesagt nicht einmal, was mein Stil ist. Allerdings habe ich es geschafft, über etwas zu schreiben, was mir wirklich wichtig ist. Bisher glaube ich, habe ich immer zu den Objekten in meinen Texten so einen gewissen Zynismus aufgebaut. Ich schaffte es nicht, Dinge die ich an mich heranliess, wirklich zu beschreiben. Das gelang nicht und klang immer schrecklich. Doch mein letzter Text spielt da, wo sich leider bisher nur ein viel zu kleiner Teil meines Lebens abspielte. Schon allein deswegen sieht es mit der Mongolei schlecht aus, meine nächsten zehn Semesterferien sind schon verplant, wenn auch in einem touristisch ganz gut erschlossenem Land. Was nicht bedeutet, dass es da nicht auch  tolle Ecken gibt. (Hört sich das an wie „Naja, man kann im Hinterland von Mallorca ja auch ganz schöne Sachen finden“? Dann entschuldige ich mich!)
[…]
Jetzt da ich vom Krankenlager auferstanden bin (danke der Nachfrage) und ich heute zu meiner ersten Veranstaltung dieses Semester war und morgen arbeiten muss, hat mich wohl die kapitalistische-Verwertungslogik-Realität wieder.

Deshalb bleibt mir nicht viel Zeit, Lesungen zu organisieren. Obwohl ich schon ein langfristiges Interesse daran habe, aber dazu muss ich erst mal schauen, welche Bühne überhaupt in Betracht kommt. Das bedeutet lange Recherche und hoffentlich ein paar gute Vorstellungen.
Zu der [Literatur-Website]: Ich finde die Idee super. Ich finde die Umsetzung auch ziemlich gut. Da ich ja auch vor kurzem den dilletantischen Versuch einer eigenen Homepage gestartet habe, vielen Dank für die konstruktive Aufbauarbeit, habe ich eine ungefähre Vorstellung, wie viel Arbeit da drin steckt. Und dann noch eine Anthologie! Ich find es schade, dass die [Literatur-Website] nicht mehr Beachtung findet, und diesmal wirklich aus völlig uneigennützigen Gründen.
Andererseits finde ich aber auch einige Texte doof, aber das ist normal. Und auch einige Forenbeiträge stören das Gesamtbild, aber ich denke auch dies ist im Rahmen des üblichen. Trotzdem weiss man natürlich nichts über die, sagen wir mal, Verantwortlichen der Seite. Naja, wenn sie so gute Ideen haben und sich soviel Mühe geben, können sie ja nicht von Grund auf schlecht sein…
Vielen Dank für deine mail und dein Lob. Auch ich kann nur sagen, dass mir deine Texte immer wieder gefallen. Immer noch mein Favorit: […]. Den finde ich echt klasse. Was macht dein Schaffen?
Übrigens viele Grüße an A., auch ihre Werke berauschen mich immer wieder. Ich habe gerade noch mal den […] genossen. Ihr habt mir immer noch nicht die Frage beantwortet, wie es kommt, dass sich zwei so geniale Talente in einem so unscheinbaren (Entschuldigung!) Ort treffen.
Viele Grüße aus dem Herbst
S.