Randnotizen

Aus Gründen fahre ich neuerdings regelmässig nach Köpenick. Davor war es Reinickendorf, da war die Strecke mit dem Rad schöner, fast immer durchs Grüne und am Wasser lang (auch wenn es der Hohenzollernkanal war…). Im Gegensatz dazu ist der Weg jetzt nur bis zur Rummelsburger Bucht wirklich angenehm, obwohl die Industriearchitektur in der Gegend von Nalepastrasse und Klingenberg zugegebenermassen auch etwas hat.

Wie auch immer, in der letzten Zeit bin ich sowieso meist mit der Bahn gefahren. Und da muss ich wohl oder übel die Warschauer Brücke überqueren. Als Verbindungsglied von Kreuzberg und Friedrichshain scheint sich hier alles zu konzentrieren, was an Klischees über den Doppelbezirk so im Umlauf ist. Hipster, Hippies, Anzugträger – Gentirifizierer und Gentrifizierte. Und Touristen natürlich. Was soll ich sagen: Ich finde das gut. Ich versuche in letzter Zeit verstärkt, gelassen zu sein. Nicht zu hassen. Natürlich weiterhin mit kritischem Blick, aber eben ohne die saure Galle. Ein wenig komme ich mir dabei manchmal wie Mr. Burns nach seiner freitäglichen medizinischen Behandlung vor – trotzdem:  Ist es nicht auch toll, dass alle diese verschiedenen Menschen dort auf dieser Brücke entlanglaufen und sich kaum aneinander stören? Kann man es nicht auch mal einfach gut finden, für wen und was alles in dieser tollen Stadt Platz ist?

Nicht ganz so toll ist allerdings, dass dann später in Köpenick auch Platz für die NPD-Bundeszentrale ist. Normalerweise macht diese einen bewusst unauffällig-verrammelten Eindruck, es gibt nur ein kleines Metallschild im Hauseingang. Nun hat aber auch bei den Nazis der Wahlkampf für das EU-Parlament begonnen, und das nach dem Großspender C.-A. Bühring benannte Haus wurde in ein Banner gehüllt: „Festung Europa schaffen – Asylflut stoppen“ prangt dort in großen Lettern. Jetzt ist es allerdings so, dass diese Losung nicht die unoriginelle Antwort auf die der politischen Gegner ist, der lediglich ein „ab“ vor dem „schaffen“ gestrichen wurde. Denn Nazis für dumm zu halten heisst, sie zu unterschätzen. Es gibt durchaus kluge Nazis, das ist kein Oxymoron. (Morons sind sie, klar.) Und ich kann mir gut vorstellen, dass einige von ihnen wissen, woher das Gerede von der „Festung Europa“ kommt.

Mir ist es kürzlich bei der (schon erwähnten) Lektüre der Kellner-Tagebücher aufgefallen. Dort berichtet Friedrich Kellner immer wieder, wie in den Presseerzeugnissen der Nazis die „Festung Europa“ gefeiert wurde, uneinnehmbar für Amerikaner und Engländer. Seine Notiz dazu vom 25.04.1943:

Der „Atlantik-Wall“ ist z.Z. ein sehr beliebtes Agitationsthema in der Presse und im Rundfunk. Dem Spießbürger wird beigebracht, daß er sich in der „Festung Europa“ vollkommen geborgen fühlen kann. (Bd. I, S. 406)

Kurz darauf wollten die Nazis dann allerdings  nicht mehr von der „Festung Europa“ sprechen. Als der Feind näher rückte, klang das zu sehr nach der Belagerung, die sich ja auch in der Realität abzeichnete. Auch vom Krim-Schild las ich bei Kellner und dachte mir, dass es sowas bestimmt bald wieder geben wird. Es muss nur noch ausgefochten werden, welche Seite ihn stiften darf. (Wo ich schon mal beim Thema bin: Rosa Luxemburg fand übrigens weder das Selbstbestimmungsrecht der Völker noch die Ukraine als Nationalsstaat besonder toll.)

Was mir beim Lesen der Tagebücher noch auffiel: Wie gerne Hitler und die Seinen das Wort „zwangsläufig“ verwandten. Klingt ein wenig nach „alternativlos“… man sollte mal wieder LTI lesen. Gerade jetzt.