[Wenn ich wollte, was könnte ich mich weiter aufregen. Aber das sollte ja hier nicht passieren. Stattdessen wieder ein alter Text, aus einer Zeit, als noch Autos durchs Brandenburger Tor fahren durften. Doch, doch, das stimmt, das gab es mal. Und auch alles andere in diesem Text ist genau so passiert. Ischwöre.]
Else
Manchmal, wenn gerade keine kulturelle Großveranstaltung in der Stadt ist, habe ich vor Langeweile ganz verrückte Ideen. So ähnlich wie nachts bei Rot über die Ampel gehen. Wenn kein Auto kommt. Wenn eins kommen würde, das wäre mir schon wieder zu crazy, wie man heute so sagt.
Einmal bin ich über den Kudamm geschlendert, also eher Kantstrasse, aber dit is ja allet Kudamm da, wa, und bin in den Beate-Uhse-Laden gegangen. Damit auch ein paar verklemmte Touris mal reinschauen, haben die noch ein Erotik-Museum da mit drin, aber das interessierte mich weniger. Die Touris, so ganz nebenbei, sehen das glaube ich ähnlich.
Ich bin schnurstracks auf die Gummipuppen drauf zu, und nach einer halben Stunde verlegen umherschauen habe ich mir dann endlich eine genommen und bin zur Kasse gerannt, habe bezahlt und nix wie raus.
Dann bin ich ganz schnell nach Hause. Ausgepackt und aufgeblasen und da war sie in ihrer vollen Pracht. Doch sie war noch nicht komplett, es fehlte noch etwas.
Vor zwei Wochen hatte ich einen Kumpel zu Besuch. Also eher einen flüchtigen Bekannten, der wie der Name schon sagt… Jedenfalls, der war Sprayer, und das hatten in der Nacht auch noch Leute mitbekommen, die es besser nicht wissen sollten. Er hat seinen Rucksack bei mir gelassen, weil er Angst hatte, dass sie irgendwo auf ihn warten und dann in seinen Rucksack schauen.
Ich kramte in dem Rucksack rum und richtig, nebst allen anderen Farben des Regenbogens war auch eine Dose Gold-Spray dabei. Ich nahm also die Else, so nannte ich sie schon liebevoll, und sprühte sie von oben bis unten ein, bis sie richtig glänzte. Am schlimmsten waren die zwei Stunden danach, die ich warten musste, bis Else trocken war. Dann packte ich sie ins Auto. Ich fuhr ein wenig durch die Gegend, und auf der Straße des 17. Juni parkte ich irgendwann. Nachts verirren sich wirklich nur ganz bestimmte Leute in den Tiergarten, das muss man mal sagen.
Ich stieg aus, nahm die Else aus dem Kofferraum und dann noch das extralange Seil, das ich vorsorglich mit eingesteckt hatte. Jetzt gab es kein zurück mehr. Es waren nur circa 500 Meter zur Siegessäule, kein Problem. Und, als Berliner müsste man das ja wissen, um auf die Siegessäule zu klettern, braucht man gar kein Seil, das geht auch anders, da gibt es eine Treppe. Die kletterte ich dann auch hoch, mit der Else in der einen und dem Seil in der anderen Hand. Als ich ganz oben war, nahm ich eine Tube Pattex, die ich glücklicherweise noch dabei hatte, und klebte meine Else an die Stelle, an der vorher dieser komische Engel stand. Den hatte ich vorher abgeschraubt und unter den Arm geklemmt. Auf dem Weg nach unten erzählte mir der Engel, dass er gar kein Engel ist und auch Else heißt, was ich enorm lustig fand.
Sobald ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, beeilte ich mich, ganz schnell wieder ins Auto zu kommen. Schließlich könnte ja jemand denken, dass diese goldene Engelsfigur unter meinem Arm geklaut ist. Ich packte sie in den Kofferraum und fuhr los, so knapp `nen Kilometer, bis ich wieder anhielt. Raus aus dem Auto, Else Zwei aus dem Kofferraum geholt und rauf auf`s Brandenburger Tor. Dort stellte ich sie hinten auf den Wagen der Quadriga, was die Else total toll fand, von wegen ganz andere Perspektive mal und so. Die Siegesgöttin, die dort sonst steht, habe ich auf einen Kaffee eingeladen, was sie bereitwillig annahm. Unter anderem auch wegen der Perspektive.
Als die Sonne dann irgendwann aufging, und die Siegesgöttin immer noch auf meinem Sofa schlief, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Ob uns jemand zusammen gesehen hatte? Und selbst wenn nicht, das fällt doch bestimmt auf!
Doch nichts war, nach zwei Tagen hatte immer noch keiner was gemerkt, und die Siegesgöttin nervte mich langsam mit ihrer „Keiner-mag-mich-niemand-vermisst-mich“-Tour. Klar, irgendwie hatte sie ja recht, von wegen Wahrzeichen, es kümmerte die Stadt einen Dreck, was da oben auf dem Brandenburger Tor war. Aber mir wurde es zuviel. Ich fuhr nachts wieder zum Pariser Platz und brachte alles an selbigen, also seinen Platz. Vorher allerdings habe ich noch ein Foto geschossen, wie all die Berlin-Touristen tagsüber. Was die wohl denken, wenn sie ihre Bilder entwickeln, und das da oben auf dem Brandenburger Tor irgendwie anders aussieht als in den Reiseführern? Da werden sie bei ihren Diashows zu Hause mit enormen Glaubwürdigkeitsproblemen zu kämpfen haben.
Die Else Zwei freute sich übrigens auch. Sie fand es zwar ganz nett, aber es gefiel ihr besser, wenn die ganzen Autos und Busse um sie herum fuhren, statt unter ihr durch. Also wieder rauf auf die Siegessäule. Ich hatte nur noch ein Problem: meine Else. Ich musste sie schließlich wieder mitnehmen. Doch wo hin mit ihr? Zu Hause im Schrank verstecken und dann vergessen und wenn man dann irgendwann mal eine Frau zu Besuch hat und die den Schrank aufmacht…. Nee, nee.
Ich fuhr also wieder zum Kudamm (Kantstrasse, ihr wisst schon). Dort stieg ich in das Beate-Uhse-Haus ein und brachte die Else zurück. Gut, ich habe sie nicht unbedingt in das gleiche Regal gepackt, da war sie auch viel zu gross für, war ja immerhin aufgeblasen und durch den Goldlack relativ starr. Deswegen habe ich sie in das Erotik-Museum gestellt, da geht ja eh keiner hin.
Die nächsten Tage war ich schon ein wenig frustriert. All meine waghalsigen Aktionen waren für die Katz. Höchstens ein paar Japaner, die etwas davon mitbekommen haben, auf ihren Kleinbildkameras. Doch auch ich hatte ja ein paar Beweisbilder. Die entwickelte ich dann ganz fix (war immerhin bei FotoFix) und überlegte, was ich damit machen würde. Wenn man ein Bild an die wirklich ganz große Glocke hängen will, wo geht man da hin? Richtig, zur Bild-Zeitung, die heisst ja nicht umsonst so. Dort allerdings wurde ich rüde abgewiesen, beschimpft und als dilettantischer Fälscher bezeichnet. Wenn ich mal ein richtig spektakuläres Foto sehen wolle, dann sollte ich mir doch morgen das Blättchen kaufen und lernen, sagte man mir auf dem Weg nach draußen. Das war hart.
Nichtsdestotrotz kaufte ich mir am nächsten Morgen besagte Zeitung. Groß auf dem Titelblatt ein Jugendfoto des amtierenden Bundesumweltministers, vermeintlich ausgerüstet mit einem Schlagstock und einem Bolzenschneider. Naja, wenn das wichtiger ist als das Wohl der Berliner Denkmäler…
Auf der dritten Seite war übrigens etwas zu lesen über eine jüngst stattgefundene Ausstellungseröffnung im Erotik-Museum, auf der die Skulptur einer goldenen Gummipuppe für 80.000 Euro verkauft wurde.
PS. Wer glaubt, dass unter der Telekom-Werbeplane noch immer das Brandenburger Tor steckt, der täuscht sich gewaltig. Ihr wisst ja, ich war da. Aber dazu später mehr…
(2002)