Mozzarellafresser

22.05.03

(Der Vollständigkeit halber; oder wie man Literatur beim Entstehen zuschauen kann: Als Otto Sperber noch keinen Namen hatte.)

Früher hingen hier in den Hinterhöfen Schilder wie „Betteln, Hausieren und Ballspielen verboten“. Früher gab es hier Großfamilien mit Berliner Schnauze und wenig Geld.

Heute würde kein Mensch daran denken, hier Ball zu spielen. Dafür gibt es Parks. Schließlich spielt ja auch kein Kind mehr im Rinnstein, jedenfalls wohl nicht mit Zustimmung der Eltern.

Aber es gibt trotzdem noch einiges zu sehen. Das vermitteln jedenfalls die beiden Frührentner im vierten Stock, die jeden Tag von 9 bis 13 Uhr und von 20 bis 21 Uhr ordnungsgemäß ihren Platz einnehmen. Der ist auf dem Fensterbrett, Vorderhaus, dort wo die Kissen liegen. Wäre der vierspurige Straßenlärm nicht so laut, dann würden Sie bestimmt ab und zu auch mal eine Zurechtweisung brüllen, so was wie „Mann, Steppke, wie alt bist du denn? Weeß deine Mutter eijentlich, dit du roochst, oder soll ick ehr mal Bescheid sahgn?“

Doch die beiden Alten haben Glück, dass der Verkehr so laut ist. Denn die Zeiten haben sich geändert, die Antwort auf diese Frage würde wohl der eilends herbeigeholte große Bruder des Steppkes geben, der innerhalb weniger Minuten dank eines 3er BMWs jedem seiner Familienmitglieder sehr schnell zur Seite stehen kann. Und die Antwort würde nicht sehr nett ausfallen und irgendwas mit „Willst du Ärger oder was?“ zu tun haben.

Also sitzen sie stumm am Fenster. Im Gegensatz zu anderen Bewohnern dieser Straße. Wenn man spät abends, wenn nur noch wenige Autos fahren, manchmal hier lang geht, dann hört man jemanden Kontrabass spielen, auf dem Balkon. Vielleicht übt er ja für seine Arbeit: Hier in der Gegend wohnen keine Sinfonieorchestermitglieder, eher einer der U-Bahnmusiker. Bald wird die BVG die kompletten Flohmarktbestände der Betteln-und-Hausieren-Schilder aufkaufen und an ihre Waggons pappen.

Ab und zu fallen ein paar Brocken Putz von der Fassade des Hauses. Fünf Stunden später wird dann der Bürgersteig gesperrt. Sicher ist sicher, vielleicht rutscht ja jemand auf den Putzstücken aus. Als Zeugen, so was wird polizeilich aufgenommen, stehen die beiden Frührentner gerne zur Verfügung. Andere Leute beschäftigen sich lieber mit ihren Balkonpflanzen, wenn auch mit interessiertem, auf der Autobahn geübten Schaulustigen-Seitenblick.

Wenn man schon immer im Biomarkt einkauft, bekommt man irgendwann das Bedürfnis, selbst was zu tun. Also kann man ja wenigstens ein bisschen Petersilie, Schnittlauch und – Achtung, darf auf keinen Balkon fehlen – Basilikum anbauen. Man tut was man kann, und irgendwie schmeckt der glückliche-Büffel-Büffelmilch-Mozzarella mit dem selbstgezogenen Basilikum auch viel besser als mit dem von Kaisers, der auch immer sofort nach dem ersten Blätterabzupfen eingeht. Vielleicht hat dieser besondere Geschmack ja aber auch was mit den schätzungsweise 30.000 Autos zu tun, die hier täglich langfahren.

Wer auf Basilikum mit Mozzarella abfährt, der ist gemeinhin auch Experte, was die Crema betrifft. Früher konnte ein stinknormaler deutscher Filterkaffeehersteller sein Produkt noch „Krönung“ nennen. Heute würde das als Scherz aufgefasst werden, im besten Falle. Heute gibt es ernsthafte Überlegungen, die Herstellung von Filtertüten ganz einzustellen, weil diese Art von Kaffeezubereitung hipnessmäßig nur noch in Bahnhofskneipen durchgeht.

Espresso, Lavazza, Macchiato, Latte, Capuccino. Wieso immer Italien? Weil Crema so geil klingt? Eine richtige Crema kann man übrigens nicht weg rühren. Da sind die wichtigsten Stoffe drin. Und ihre Konsistenz ist natürlich ganz von der Sorte der Bohne abhängig. Dieses Wissen wird vorzugsweise in Bordmagazinen verbreitet.

Die Frührentner finden Espresso zu bitter und Mozzarella labberig und nichtsschmeckend. Bei ihnen liegt eher ein Harzer Roller im Kühlschrank. Wenn sie mal über eine Crema diskutieren, dann geht es eher darum, dass er meint, es hätte heute morgen, als er pisste, ganz schön geschäumt.

Das hört sich hart an, ist aber die Wahrheit. Und wahr ist auch, dass es die Mozzarellafresser vor gar nicht allzu langer Zeit ziemlich trendy fanden, die Geheimnisse des Morgenurins auf eine ganz andere Art zu erkunden.

 

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