Vor 25 Jahren

Vom Heimatdichter aus dem wendischen Nachbardorf meiner Kindheit habe ich früh gelernt, empfindlich uff die Wörter zu sein. Später waren es dann Klemperer, Orwell und zuletzt die Tagebücher Friedrich Kellners: Immer wieder zeigte sich, wie manipulativ Sprache verwendet werden kann. Und wird.

Der 17. Oktober 1989 war in dieser Hinsicht ein historischer Tag. Der denkwürdige 40. Republikgeburtstag (mit Gorbi im Palast und dem Volk davor) war gerade erst zehn Tage her – doch es sollte der letzte gewesen sein, nicht umsonst wurde der Tag der Deutschen Einheit bewusst auf ein Datum vor dem 7. Oktober 1990 gelegt. Das eigentliche bedeutende Ereignis dieses Tages – und das ist ebenso bemerkenswert – spielt in der kollektiven Erinnerung allerdings kaum noch eine Rolle: Das Zentralkomitee der SED trat zu seiner 9. Tagung zusammen und Erich Honecker zurück. Dass er beim Vortrag seiner Rücktrittserklärung zum Schluss seinen Namen mit vorliest, spricht allein schon Bände.

Anschliessend wird Egon Krenz zum Nachfolger Honeckers gewählt und hält sein 59-minütiges Antrittsreferat mit dem Titel Aktuelle politische Lage und Aufgaben der Partei*:

Wir schöpfen unsere Zuversicht aus dem unbestreitbaren gesellschaftlichen Fortschritt, den unser Volk und die Völker der Bruderländer – bei allem, was noch zu vollbringen ist – in historisch kurzer Zeitspanne errungen haben. Dieses Wissen und das Geschaffene geben uns die unerschütterliche Gewißheit, auch den Herausforderungen des kommenden Jahrzehnts gewachsen zu sein.

Die erste Voraussetzung dafür ist (allerdings) eine reale Einschätzung der Lage. Fest steht, wir haben in den vergangenen Monaten die gesellschaftliche Entwicklung in unserem Lande in ihrem Wesen nicht real genug eingeschätzt und nicht rechtzeitig die richtigen Schlußfolgerungen gezogen. Mit dem heutigen Tag werden wir eine Wende einleiten, werden wir vor allem die politische und ideologische Offensive wiedererlangen.

Wäre es aufgefallen, wenn ich es nicht gefettet hätte? Genau da kommt er her, der Begriff Wende. Unglücklich gewählt für die spätere Verwendung, aber in dieser Unglücklichkeit und dem Scheitern, sowohl des Krenz’schen Vorhabens als auch der Sache insgesamt, eigentlich die perfekte Wahl. Ich versuche trotzdem, das Wort so gut es geht zu vermeiden. Denn es stellt sich – wahrscheinlich nicht einmal (immer) mit Absicht, sondern weil es so bequem im Mund liegt – vor die viel passendere Revolution. Die wird ja meist noch mit einem erklärenden Zusatz versehen, und bis man friedliche Revolution gesagt hat, ist der Schalter für die Bahnsteigkarten längst geschlossen.

Während man also Wende sagt, summt es dazu im Kopf zur Blumfeld-Melodie Lass uns nicht von Revolution reden, ich weiss gar nicht, wie das gehen soll… Doch noch ein weiterer Grund spricht gegen diesen Begriff, und das ist die Tradition vor Krenz: Die geistig-moralische Wende des Helmut Kohl. Nicht nur eine Parallele in der Wortwahl, sondern auch bei dem, was hinten rauskam: Ein Rohrkrepierer allererster Güte.

 

* Quellen/Dokumente:

– Bundesarchiv/BStU: Dokumente zur 9. Tagung des ZK der SED am 18. Oktober 1989, Büro Egon Krenz. (Für Komplettansicht auf die einzelnen Ausschnitte klicken)

– Bundesarchiv: Tonmitschnitt der 9. Tagung des ZK der SED (TonY 1/1463). Besonders interessant die verschiedenen Diskussionsbeiträge ab ca. 1h 10min, durch die klar wird, wie kritisch die Lage war

– dazu: Zeitprotokoll der einzelnen Punkte.

2+4 Chronik zum 18.10.1989: Aus den Krenz-Erinnerungen/Kohl empfängt Andreotti

Tagesschau – Nachbericht am 19.10.1989

Schabowski zu Honeckers Absetzung

(ot: Und ich hatte noch versprochen, die Geschichten aus dem alten Heimatdorf zu erzählen. Das würde ich gerne noch einlösen.)

7 Replies to “Vor 25 Jahren”

  1. Hallo Berlinheimkehrer, da lese ich doch tatsächlich bei dir
    „Wäre es aufgefallen, wenn ich es nicht gefettet hätte? Genau da kommt er her, der Begriff Wende. Unglücklich gewählt für die spätere Verwendung,“ –
    ja, ja, eben:
    Sehr unglücklich, was die tatsächliche „spätere VER Wendung“ betrifft, was für ein herrlich treffendes Wortspiel, das sich selbst (und den Realsozialismus, den sich stets verWendenden Krenz, die angebliche und sich wendende Revolution und den Kohl des Kohl) hervorragend in einem Satz faßt.
    Übrigens:
    Kennst du den Vorgang einer Implosion?
    Z.B. deines TV-Röhrengerätes?
    Eventuell schon mal erlebt?
    Da fliegt plötzlich alles in SICH hinein, als ob es ein großes Loch wäre, sprengt und beendet alle Grenzen, mit denen sich das Ganze vorher als Ganzes identifizierte, etwa so, wie die DDR gegen ihrem Ende zu. Und:
    Es ward viel Platz, Treppen, Schranken, Geländer, Rahmen, Gitter und wehrende Strukturen – alles weg, da ist doch gelle gelle viel Platz frei für NEUES, z.B. für ein Forum, oder etwa nicht?

    So ist das, besser war das mit der „Revolution“, die „friedlich“ sein konnte und mußte, weil niemand schoß (!!), wer das wohl (nicht) war?

    Das „Volk“, das „wir sein“ wollte, rannte direkt in Massen zur Freiheit der fast 40 Jahre gelegentlich und immer öfter entbehrten krummen gelben Südfrucht und vergaß dabei umgehend, daß ja „Revolution“ sein sollte…

    Die spärlich verstreuten „Revolutionäre“ schafften es, sich selbst noch schneller selber zu implodieren, als die Revolution ihre Kinder und Eltern fressen konnte und konnten gerade noch das „Revolutionsdenkmal“ verbal insignieren, bevor sie, bis zur Unkenntlichkeit zerrubbelt, gänzlich von der Bildfläche verschwanden und der 2. Generation der Widerkäuer den Platz freigaben, die schon wieder von „Revolution“ träumen.

    Mensch, wenn ein Haus zusammengefallen ist, gibt es nichts mehr einzureißen, zu revolutionieren, da ist alles gelaufen von wegen Revolution, Beweis:
    Es war nix mehr da, das schießen oder wehren konnte, sollte, wollte, und DAS war friedlich, und nicht nur AUCH.
    Das friedliche Ende.
    Überall außerhalb von D lächeln die ernstzunehmenden Historiker, wenn von der „friedlichen Revolution in der DDR“ die Rede ist, nur in D ist es halt als (schlecht klebender) Einheitskitt wichtig, „den Ostdeutschen der ehemaligen DDR“ auch mal eine (1) „eigene Leistung“ zu zu sprechen, damit der Frust ob der westlichen Desinteresse nit so groß wird.
    Ach ja, hast du schon mal etwas von deinem „ehemaligen Großvater“ gehört? Nein? Das kannst du auch nicht, denn wäre er dein „ehemaliger“, wäre er nie DEIN Großvater (gewesen), und ist er DEIN Großvater, dann war er nie dein „ehemaliger“ und wird es auch nie werden, denn als er geboren wurde, war er nicht „ehemalig“, als er lebte war er das nicht, und als er gestorben war, da konnte er auch nicht mehr „ehemalig“ sein, da er bis zum Schluß der TATSÄCHLICHE Großvater war.
    Jedes Ding hat ein Anfang und ein Ende und ist in dieser gesamten Zeit nur dieses Ding.
    Und so – das ist der Grund des Einwurfes – ist das mit der DDR auch:
    Eine „ehemalige DDR“ gab es nie und konnte und kann es nicht mehr geben, und wer das so nicht verinnerlicht hat als historische Realität, sollte besser nicht Zerfallserscheinungen eines Staatsgebildes zur „Revolution“ verklären, denn die Massen begehrten erst danach offen und in breiter Front auf, nach der Implosion.
    Da war auch Otto Normalo auf der „sicheren Seite“ und die Dissidenten konnten nicht mehr viel vermauscheln. Damit diese das auch umgehend und zwingend begreifen, wurde nun nicht mehr mit den Füßen, erst recht nicht mehr mit „Falten“ sondern in einer „freien Wahl“ das kleinere Übel als die Große Chance begriffen und zum „Chef“ geKohlt.

    So, und nicht etwa revolutionsromantisch, war das, vor 25 Jahren und mit der „Friedlichen“, trotz vieler „Klärchens“ Storybords aus behufener und vergessener Feder.
    Und so wird es immer wieder sein, wenn ein Haus morsch ist und zusammenfällt, Revolution hin oder her

    1. 1. Wichtiger Hinweis, das mit dem „ehemalig“. Den Sack wollte ich aber nicht auch noch aufmachen. Rutscht allerdings noch leichter über die Lippen als das mit der „Wende“. Potsdam liegt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Geht doch!
      2. Ernstzunehmende Historiker, auch außerhalb von D, haben mir beigebracht, die Geschichte nicht vom Ende her zu betrachten.
      3. Revolutionen finden überaus selten in Staaten statt, die kein Stück Morschheit aufweisen.

      1. 1.Geht eben doch nicht, das mit
        „Potsdam liegt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR“, weil es weder eine „ehemalige DDR“ gab oder gibt noch Potsdam dort (noch) „liegt“.
        Deutsches Sprach, schweres Sprech:
        Was du sagen willst ist wohl mehr das hier:
        Potsdam LIEGT auf dem EHEMALIGEN GEBIET (!!!) der DDR, und nicht auf der „Ehemaligen DDR“.
        Bisher nahm ich nicht an, daß du nachlässig mit Sprache umgehst oder die Objekte und Subjekte verwechselst.

        2. Richtig: Historie nicht vom Ende her betrachten.
        Ich habe die DDR nicht „vom Ende her“ betrachtet, sondern von ihrem Anfang her, wenn du ahnst, was ich meinen könnte, Systeme, die ihre eigenen systemischen Erfordernisse weder systemgerecht formulieren noch gestalten können (und nicht wollen), sind auf Dauer dem Untergang gewidmet, welchem auch immer (Explosion, Implosion des Systems oder Einordnung in ein benachbartes System, je bei Verlust aller eigenen Identitäten) . Der Anfang – so war er wohl.
        Gleiches noch mehr, wenn es um einen angenommenen Tatbestand einer Revolution in der DDR geht:
        Es kann keine gewesen sein, vom Anfang her betrachtet, es fehlte die (eigentlichen) „kritischen Massen“ – die ja heute (statt Bayern- und Bananenfans und Sommerschlußverkauf) schließlich anscheinend alle mehr Regimegegner waren, auf einmal …
        Wie gesagt, vom Anfang her – und das ist dann das, was bleibt

        3. Auch das ist wohl richtig, volle Zustimmung:
        „Revolutionen finden überaus selten in Staaten statt, die kein Stück Morschheit aufweisen.“ – doch halt, etwa wieder fehlerhaft formuliert, da doppelt verneint?
        Wie es da steht, heißt es doch „In Staaten, die kein Stück Morschheit aufweisen, finden selten Revolutionen statt“ – ?
        Abgesehen davon, wann nun Staaten „morsch sind“ (ökonomisch, ideologisch, moralisch, politisch oder von außen übermächtig bedroht), sehe ich allerdings keinen zwingenden Zusammenhang zwischen morschen Staaten und Revolutionen, die in deinem Umkehrschluß vor allem in selbigen stattfänden – was ist mit dem am höchsten verschuldeten Staat der Welt, steht dort wegen öko- und -nomischer Morschheit samt gerade wieder versemmelter Welt-Moralität und extrem hoher militärischer Interventionen in fremden Territorien mit ein paar hunderttausend Zivilisten als Kollateralschaden (Oliver Stone) nun eine Revolution bevor – oder ist das doch eher nicht „morsch“?
        Die DDR war als Staat systemisch implodiert, und zwar bevor die Menschen sich trauten, das massenhaft öffentlich zu bezeugen, die meisten (nicht alle!) sogenannten Revolutionäre, deren Zahl doch völlig überschaubar war, waren eh Trittbrettfahrer der Inmplosion.
        Allerdings hätte ich mich gefreut, wenn es eine Revolution gegeben hätte, eine die nicht die Eliten nur ersetzt (hier nicht etwa von unten nach oben, sondern nur von West nach Ost, wer in West gut „abkömmlich“ war, suchte in Ost eine neue Chance, vorwiegend) sondern kräftig durcheinanderwirbelt und E L I T E neu zu buchstabieren zwingt
        Erst recht Revolution im Sinne dieser Kernfrage blieb wohl doch aus.
        Du siehst, ich betrachte Historie nicht vom Ende her, wie ARD, ZDF und etliche sogenannte öffentlich wesentliche Manipulatorenvereinigungen, die für 12 Jahre Hitlerei seit Jahrzehnten jeden Tag deren Filmmaterial verbreiten …, vom „Ende her“ gedacht.
        Von welchem eigentlich?
        Systemchange seit 70 Jahren ? Trotz 25 Jahre Ende DDR?
        Schaust du, so wichtig ist uns das mit den 25 Jahren, da beschäftigt der Kambart uns wohl noch immer mehr, als der Spitzbart.

      2. 1. Du hast recht: Genau das wollte ich sagen. Womit meine These, dass das „ehemalig“ sich leicht an der falschen Stelle einschleicht, auch belegt ist. Passiert, muss man aufpassen, war meine Aufmerksamkeit wohl nicht voll da.
        2. Mir ging es mit dem „vom Ende her“ nicht um die gesamte DDR-Geschichte, sondern um die „Revolution“: Deren Anfänge würde ich mit der Solidarnosc setzen, wobei klar ist, dass es seit Beginn der DDR Opposition gab (eher im Sinne der Plattform als des 17. Juni), auf der diejenige der 80er Jahre aufbaute. Trotzdem: Niemand, weder Regierung noch Opposition, wusste um den Ausgang. Die „heisse“ Phase könnte vielleicht mit der LLL-Demonstration ’88 beginnen, wo im Gegensatz zum Sommer ’89 die Angst noch nicht weg war, die Zäune noch nicht offen.
        Aber: Anders als von dir impliziert gibt es in den Geschichtswissenschaften eine Kontroverse um den Begriff, und die werden wir trotz der geballten Kompetenz hier in der Kommentarspalte auch nicht lösen können. Mir passt der Revolutionsbegriff besser, um das Ausmaß des Vorgangs zu verdeutlichen. Die „Revolutionäre“ sahen sich selbst wohl eher als (sozialistische) Reformer. Ich sage übrigens nicht, dass diese Revolution vollendet wurde oder gar gelungen ist.
        3. Was dann passierte, sagen wir mal zwischen Frühjahr ’89 (Kommunalwahlen) und dem 18. März ’90 (Volkskammerwahlen, die eigentlich, laut Rundem Tisch-Beschluss, erst im Mai stattfinden sollten) – das faktische Ende der DDR durch den Sieg der Allianz (von Rühe gegründet, als Feigenblatt für die Blockflöten-CDU; Geburtststätte der Politikerin Merkel), das braucht wirklich mehr als einen Kommentar. Condi Rice, damals i.A. von Bush Senior vor Ort in Europa unterwegs, prägte dafür den Begriff window of opportunity, nicht ganz falsch: Gorbatschow ging es um das Überleben seines Imperiums. Er konzentrierte sich auf die näherliegenden Gebiete (während er hierzulande der nette, friedliche Staatsmann ist, sieht das in Litauen immer noch anders aus.) Deshalb hat keiner geschossen. Niemand konnte einschätzen, was nach Gorbatschow kommt, aber den westlichen Akteuren war klar, dass es für sie nicht besser werden würde und er sich nicht lange halten wird, bei der innenpolitischen Situation. Deswegen die Eile.
        (Nicht zu vergessen der verdammte Hunger, der in Teilen der SU geherrscht hat, Anfang der 90er. Denen ging es nämlich wirklich dreckig, während ihre Brüder nach Bananen und Begrüssungsgeld anstanden.)

    2. @ Lusru: Merkwürdig: Die heutige BRD ist noch weitaus (!) „morscher“, aber da ist weder von einer „Revolution“, noch von einem „Zusammenfall“ auch nur ein Hauch zu spüren – statt dessen werden die Aktionen der staatlichen Gewaltorgane stetig härter, menschenfeindlicher und brutaler, und auch die letzten Reste der bröckeligen Demokratiesimulation werden nach und nach abgebaut – größtenteils sogar ohne (mediale) Verschleierungsversuche.

      Möglicherweise war das vor 25 Jahren in der DDR doch noch ein kleinwenig (oder auch völlig) anders, als Du es hier lang, breit und wenig erhellend darzustellen versucht hast?

      Ich jedenfalls maße mir nicht an, in so wenigen Zeilen ein abschließendes „Urteil“ über die damaligen Geschehnisse, deren vielfältigen Gründe, die gewiss auch damals schon nicht unerhebliche Rolle der „Geheimdienste“ und die jeweiligen Beweggründe der vielen Individuen in allen beteiligten „Lagern“ abzugeben.

      Eines ist aber gewiss und wird wohl auch von niemandem ernsthaft bezweifelt: Die politische Führung der „morschen“, maroden Bruchbude des heutigen kapitalistischen Deutschlands wäre bei vergleichbaren Aufständen nicht einmal theoretisch in der Lage bzw. auch nur willens, ähnlich gewaltfrei darauf zu reagieren, wie das damals in der DDR abgelaufen ist. Gäbe es heute genügend aufgeklärte Menschen, die auf die Straße gingen, gäbe es auch staatliche, selbstverständlich eskalierende Gewalt gegen die Bevölkerung. Beispiele dafür gab es in den letzten Jahren ja nicht nur im Rest des kapitalistischen Europas, sondern natürlich auch in Deutschland.

      Diese These von der „Implosion eines maroden Systems“ ist daher grotesk. „Implodieren“ konnte die DDR offensichtlich nur deshalb, weil die politische Führung auf die im Kapitalismus übliche Gewalt verzichtet hat. Weshalb sie das tat, steht auf einem anderen Blatt – und das muss in der Tat gewiss nicht den Titel „Humanismus“ tragen. Das werden aber HistorikerInnen herausarbeiten müssen, die sich erst lange nach dem Ende des kapitalistischen Systems einigermaßen neutral damit werden befassen können – also leider in relativ ferner Zukunft.

      Liebe Grüße!

  2. @Verfasser Oktober 18, 2014 um 10:40 vormittags
    1. „Du hast recht: Genau das wollte ich sagen. “ – Ist schon OK, Fallgrube erkannt, Absicht war wohl nicht gegeben
    2. „Mir ging es mit dem “vom Ende her” nicht um die gesamte DDR-Geschichte, sondern um die “Revolution”“ –
    Was meinst du, wo der Beginn des Unterganges der DDR liegt? Nicht bei dem Deklarieren einer „Revolution“, er liegt dort wo ich das beschrieb: im Kern (Systemgestaltung) des Staates DDR. Darüber hinaus trugen wesentlich bei:
    Die DDR trug als der kleinere Teil Deutschlands den gesamten Teil der Kriegsreparationskosten an die UDSSR, wo Gesamt-Deutsche bekanntlich fast den gesamten europäischen Teil in Schutt und Asche legten und ca 20 Millionen Tote zu rechtfertigen und zu ERSETZEN waren, um dort das Land wieder herzurichten, wer bitte sollte das tun, leisten, die Westberliner? Die Bundesbürger?
    Sie blieben bis heute außen vor.
    Damit war der Aufbau in der DDR von vornherein mit einem langjährigen negativen Saldo belastet, und der seiner „Schutzmacht“ UdSSR gleichermaßen, während der westliche Teil weitgehendst von Kriegsreparationen und Leistungen verschont blieb, mit den alten Eliten umgehend einen neuen Staat aufbaute und seine Schutzmacht USA den Marshalplan mit ungeheurer finanzieller und materieller Förderung als ihren Weltbeitrag gegen den Weltkommunismus bieten konnte, da das USA-Gebiet ja nicht von Deutschen verwüstet war und kein Ersatz zu leisten war.
    DAS war der Anfang, nicht nur der DDR sondern auch ihres Unterganges, denn: In dem Moment, wo nach Jahrzehnten der bescheidenen Unterstützung durch die UdSSR diese selbst wegen Mißwirtschaft, Embargo usw keine Luft mehr bekam und ihrerseits deutlich erkennbar auf die eigene Implosion zusteuerte, sich von der DDR zurückzog, half auch der 1 Mia-Kredit von F.J.S. (und v. Kohl!!) nur noch, gezielt einen halbwegs geordneten Untergang vorzubereiten, der die Bunderepublik bei Implosion der DDR nicht über Gebühren belasten sollte. Allerspätestens zu diesem Zeitpunkt begann die Implosion mit der Quasi-Insolvenzerklärung der DDR.
    Alles zusammen einzig in ihrem Gründungsprozess bereits angelegt und zur ständig wachsenden unbrauchbaren Doktrin und Methode gegenüber den eigenen Menschen beschleunigt.
    Dies wurde schließlich fast allein zu dem, was Staat DDR noch war: unfähig, sich zu erhalten und aller ursprünglichen Gründungspotentiale verlustig gegangen, nur noch mit Zwang und „Sicherheit“ bedingt haltbar.

    Und hier für die DDR den Vergleich mit einer Solidarnosc zu wagen, ist nicht nur tollpatschig, sondern äußerst vermessen und völlig daneben, hätte es diese gegeben, hätte dieser marode Staat durch deren Aktivität noch eine Chance gehabt.
    Es gab bestenfalls niedliche Rudimente davon, die sich nach Implosion Ungarns sofort in diese Nische mischte und erst dann „gewaltig wurde“, indem sie massenhaft die „Trittbrettfahrer für gutes frisches Obst und Gemüse“ und „Reisen überallhin“ usw. kurzzeitig (!!) mobilisierte und dann wieder sofort für sich allein blieb.
    „Niemand konnte einschätzen, was nach Gorbatschow kommt, aber den westlichen Akteuren war klar, dass es für sie nicht besser werden würde und er sich nicht lange halten wird, bei der innenpolitischen Situation. Deswegen die Eile.“ – Doch, viele konnten das einschätzen, auch Kohl!
    Deshalb diese Eile und die kleinen Bonbons an die auch nach Maueröffnung fliehenden DDR-Bürger.
    Abgesehen davon darfst du davon ausgehen, daß ich zu diesen Dingen wie aus erster Hand rede und nicht unbedingt aus der untersten Ebene, daß mir „runde Tische“ und „Revolutionäre“ ausreichend persönlich bekannt waren und sind, und die meisten sich bald wieder verkrümelt hatten, als konkrete Arbeit zur Wende zu leisten war, bis auf wenige, die auch ich achte, sehr wenige.
    Und Gorbatschow ging es wohl damals nicht um IRGENDEIN Imperium auf dieser Welt, welches mit welchen Absichten auch immer, erst recht nicht um seines, ihm ging es um SEIN LAND, um seine Menschen, deren Existenzen und Spärlichkeiten und um EHRLICHKEIT in der WELTPOLITIK.
    Und Anderen?
    „Und deshalb hat keiner geschossen“ – Aber hallo, was meinst du wohl WER BITTE „KEINER“ war? Wer war das, der NICHT geschossen hat?
    Das waren nicht die „Revolutionäre, die haben sich nur zusammengerissen und nicht krawalliert, aber nicht geschossen haben die, die hätten schießen können (und sollen?) und dafür vorgesehen wurden.
    Deren Umsicht, Einsicht in die Verlustigkeit der DDR und der eigenen Existenzen und Lebensentwürfe und ihrer Wahl der friedlichen Option, diesen Dingen ist es allein zu verdanken, daß nicht geschossen wurde.
    Gern verbrämen das solche von dir gemeinten Revolutionäre, da sie sonst den Ruhm an diesem Frieden mit den Nichtschießenden wohl teilen müßten, was deren Anerkennung und anderen Behandlung als inzwischen geschehen zur Folge gehabt hätte.
    Es soll auch Bundespolitiker gegeben haben und geben, die das auch so und frühzeitig so gesehen haben (Rühe, Kohl) und sehen, was die 25 Jahre-Wiederkehr des Ereignisses in der Tat etwas verblassen läßt, trotz massiver TV-„Revolutions“-Konserven-Ausstrahlung in leiernder leidender Revoluzzer-Lamorjanz zur Vertuschung dieser Zusammenhänge.
    Inzwischen verhalten sich dafür unsere zentralen Medien ähnlich, wie seinerzeit die „zentralen“ DDR-Medien: Eine Sicht, eine Wortwahl, eine Satzwahl, einheitlicche Unterschlagungen und Aufbauschungen usw. usw., was nicht zuletzt auch aus dieser Sicht bezüglich 25 Jahre Fall der DDR recht schale und leidenschaftsbegrenzende Eindrücke hinterläßt.

  3. @Charlie Oktober 18, 2014 um 5:21 vormittags
    „Merkwürdig: Die heutige BRD ist noch weitaus (!) “morscher”, aber da ist weder von einer “Revolution”, noch von einem “Zusammenfall” auch nur ein Hauch zu spüren – statt dessen werden die Aktionen der staatlichen Gewaltorgane stetig härter, menschenfeindlicher und brutaler, und auch die letzten Reste der bröckeligen Demokratiesimulation werden nach und nach abgebaut – größtenteils sogar ohne (mediale) Verschleierungsversuche.“
    Ja, und? Ich habe diesen Zusammenhang nicht hergestellt (s.o.). Ansonsten ist es wohl so, wie du sagst: Immer unverblümter.
    Ich bestritt nur, daß es im „Morschen Staat DDR“ eine „Revolution gegeben haben soll, eine „friedliche“ noch dazu (und dies weil er morsch war), wo doch alle im TV und live miterleben konnten, wer und wieviele da was „revolutionierte“ an den Bananenständen und Sommerschlußverkäufen und an den Begrüßungsgeldschaltern, während der Rest sich ernste Gedanken machen mußte, wie für den anderen Tag das Nötigste für alle, friedlich und möglichst vorausschauend, zu arrangieren war.

    „Ich jedenfalls maße mir nicht an, in so wenigen Zeilen ein abschließendes “Urteil” über die damaligen Geschehnisse, deren vielfältigen Gründe, die gewiss auch damals schon nicht unerhebliche Rolle der “Geheimdienste” und die jeweiligen Beweggründe der vielen Individuen in allen beteiligten “Lagern” abzugeben.“-
    Das ehrt dich, verlangt jedoch von mir nicht das Gleiche, ich „maße mir das sehr wohl an“, im gleichen Maße, wie das die ewig gleichen „12 Öffentlichkeits-Revolutionäre“ auch sich anmaßen, und das mit dem Wissen, daß auch diese oft nicht frei von irgendeinem Geheimdienst waren oder sind.

    „wäre bei vergleichbaren Aufständen nicht einmal theoretisch in der Lage bzw. auch nur willens, ähnlich gewaltfrei darauf zu reagieren, wie das damals in der DDR abgelaufen ist. Gäbe es heute genügend aufgeklärte Menschen, die auf die Straße gingen, gäbe es auch staatliche, selbstverständlich eskalierende Gewalt gegen die Bevölkerung“-
    Aber ja, aber ja, jedes SYSTEM muß so reagieren, sonst erlischt seine Legitimität und damit seine Identität, seine Grenzen und damit es selber.
    Nur sei gewiß, wenn diese Situation in dieser unübersehbaren Breite und Tiefe wie in den langen Jahren der DDR die Menschen gleichermaßen aufklärend ergreift, gibt es genügend Besonnenheiten, die sich vorn hinstellen, (damit meine ich ganz vorn: VOR ALLE) und die richtige Überlebenschance verkünden und durchsetzen, auch unter dem Aspekt, daß es dann keinen „zweiten (intakten) deutschen Staat“ geben wird, wie seinerzeit Revolutionäre DDR-Bürger vorstellen konnten.

    „Diese These von der “Implosion eines maroden Systems” ist daher grotesk.“
    Leider nein. Ohne ausschweifen zu wollen: Was ein System ist, hat, brauch und wo überall eines ist und wie sie ALLE fiunktionieren (müssen), lies bitte selber bei dem Multiwissenschaftler von Bertalanffy nach, der die ALGEMEINE SYSTEMTHEORIE erstellte und herausfand.
    Dabei stellt er heraus, daß komplexe stabile dynamische Systeme nur offene Systeme sind, die den inneren und äußeren Austausch, das permanente Fließen der Masse-, Energie- und Informationsströme dauerhaft und ständig selbstregulierend sicherstellen können, da das System anderenfalls absterben muß.
    In Kürze:
    Ein System ist eine Ganzheit. Nichts weiter. Jede Ganzheit besteht aus Elementen und diese aus Komponenten, die in der Regel ihrerseits (z.B. wie im Organ-Prinzip der Biologie) wieder Ganzheiten mit Elementen und Komponenten sind, dann als Subsysteme.
    Alles was existiert, besteht aus Ganzheiten, also aus Systemen und deren Teile mit den entsprechenden inneren und äußeren Berührungen (Schnittstellen) zum Austausch von Masse, Energie und Information, zur Herstellung des inneren und äußeren Ausgleiches, der als Stabilität bezeichnet wird.
    Jedes System hat Grenzen (Informationen), Strukturen (Informationen), Kanäle für die diversen Austausche und – in allen komplexen Systemen der mikro- und Makrowelt – Informationsverarbeitungskomponenten, die die Stabilität und innere Dynamik durch entsprechende komplexe Regelprozesse permanent herstellen.
    Der Mensch ist ein solches Ganzes, komplexes System, sowohl als biologisches wie ein soziales System.
    Seine Gruppierungen aller Ebenen ebenfalls, im biologischen Bereich folgen sie den biologischen Systemerfordernissen zur Sicherung der Existenz, im sozialen Bereich den sozialen, manche reden von soziologischen, wobei eine gelegentlich propagierte „soziologische Systemtheorie“ weder etwas mit Systemen noch mit Menschen zu tun hat und das völlige Gegenteil der Systemtheorie Bertalanffys darstellt: Sie setzt angeblich operational geschlossene Systeme voraus, kennt anstelle von Menschen nur Kommunikationen und kann ein System nicht definieren …
    Überall, wo Grundfragen dieser systemischen Ganzheiten arg verletzt, entfernt oder zu grob verändert werden, oder eben auch – obwohl erforderlich – nicht bewegt werden, gerät die Ganzheit, das System in die Gefahr, zunächst seinen synergetischen Effekt (das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile) zu verlieren, ist nur eingeschränkt systemisch funktionstüchtig und verliert schließlich Komponenten (Organe) oder sogar Elemente – was dann die Auflösung der Ganzheit defacto darstellt: Es entstehen einzelne Teile oder eine neue Ganzheit oder die verbliebenen Teile gehen einzeln in einem benachbarten System auf.
    Dies kann – je nach Art der systemischen Hemmung / Beschädigung/ Fehlfunktion oder des Austauschmangels an den Schnittstellen zum einen die Explosion der Teile in andere benachbarte Systeme hinein, die Implosion (das mangels Stabilität in sich selbst Fallen und Erlöschen aller oder der wichtigsten Komponenten und Organe) oder die komplette Einordnung als Subsystem in ein benachbartes stabiles System durch Verlust der eigenen Grenzen, Strukturen und damit der eigenen Identitäten, erfolgen.
    Da diese Prozesse, unabhängig davon, wie und ob wir sie erfassen und durchdringen können, überall dort stattfinden, wo Ganzheiten (Systeme) existieren und so sich unsere Welt der sich selbst regulierenden komplexen Systeme ständig so erstellt, bewegt und vergeht, sind soziale Ganzheiten von diesen allgemeinen systemischen Zwängen nicht ausgeschlossen.
    Die im Land oberste „soziale“ Ganzheit ist der Staat, das System des Staates.
    Wer diesen steuern mag, schafft das nie an den elementarsten weil natürlichen systemischen Grundbedingungen vorbei:
    Das war die DDR.
    Sie wurde ohne diesbezügliche Aufmerksamkeit und Fachkenntnis mit anderen, teils dümmlichen oder unverstandenen ideologischen und blanken Macht-„Ganzheitsvorstellungen“ überfrachtet, ohne auf die Funktionsfähigkeit des Systems und seiner sinnvollen komplexen Ressourcenverteilung zu achten bzw. ohne diese sicherzustellen mit dem Duktus, die Geschichte evolutioniere automatisch vom „Niederen zum Höheren“, was diese leider nicht tat, noch nie.
    Sie erfuhr immer nur neue andere Ganzheiten, wenn Systeme sich aus geschilderten Gründen „abschalteten“.
    Dieser Mangel, das natürliche (verlangende) Systemverhalten, das spätestens seit den 50er Jahren erforscht war, durch dogmatische und nichtverstandene Ideologie ersetzen zu wollen, der Zwang gegen die systemischen Erfordernisse (auch der Subsysteme, der Menschen) durch den Versuch, alle Widersprüche und UNTERSCHIEDE eliminieren zu wollen, indem die eigene Stabilität und der Superaufwand für immer mehr erkannte und ständig größer werdenden scheinbaren Bedarf an Informationssicherungen (SYSTEM-SICHERHEIT) unermeßlich erhöht wurde, verschlang das schließlich alle beweglichen Ressourcen, die das System zur eigenen Stabilität und Entwicklung dringen benötigt hätte. Der systemisch relevante Masse-, Energie- und InformationsAustausch wurde minimiert bei gleichzeitiger immer rigoroserer Beseitigung der Offenheit des Systems durch Verknappung des Austausches über die inneren (lebendige Demokratie) wie äußeren Schnittstellen der Information, der UNTERSCHIEDE (Systemaustausch).

    Hier endet der „kurze“ Diskurs, ob es in der DDR nun eine Revolution oder eine Systemimplosion gegeben hat, die begrenzte revolutionärsche Aktivitäten erst offden ermöglichten und sogar verlangten, mag nun jeder selber beurteilen.
    Menschen, die das bereits viele Jahre zuvor und in diesem Sinne offen untersuchten und auch beim Wende-Akt selber sich persönlich an nicht unwesentlichen Brennpunkten dabei befleißigten, wissen, wovon die Rede war, ist, und eventuell auch sein wird.
    „Diese These von der “Implosion eines maroden Systems” ist daher“ leider – oder dankenswerterweise – mitnichten grotesk.
    Grotesk sind vielmehr die praktischen und DenkVersuche, mittels Humanismus, formaler Demokratie, Gewalt oder Freundlichkeit die natürlichen systemischen Erfordernisse funktional um-, über- oder untergehen zu können, sie dabei unbeachtet zu lassen, sie führen allesamt zu immewr wieder den gleichen systemischen Entgleisungen, die bei Erstellung der Systeme nicht in der Theorie enthalten waren….
    Insofern ist es völlig obsolet, von „dem kapitalistischen System“ zu reden, da damit keinesfalls ein System im Sinne der Systemtheorie erfaßbar und beschreibbar ist, denn es sind derer viele Kapitalistische Systeme, und ob sie dies bei anderer Systemnachbarschaft im Namen so überleben, ist dabei bei manchen fraglich.
    Sobald die Frage der systemischen Gesellschaftsauffassung geklärt ist, steht jedes Kapital ausschließlich unter den daraus resultierenden dienenden Bedingungen, den Menschen des Systems dienend, allen.
    Die Frage des Kapitals als Regierungseminenz ist eine nur andauernde Krücke mangels ausstehender anderer Vereinbarungen dazu.

    Kapital ist weder systemisch fähig noch so tragend, denn es ist stets nur eine Vereinbarung – der Menschen, und kein System, sich selbst regulierendes, dynamisches und offenes System.

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