Fragmentarische Korrespondenz, weich und divers (II)

Über Inspiration, das Schreiben, das (Vor)Lesen, Bücher, Filme, Musik und den ganzen Rest: Von Kriegen und Frieden, und auch vom niemals zufrieden oder je ganz fertig genug sein. Kann Spuren von Drogen enthalten.

Ein einseitiger Briefroman in Fortsetzungen

(2002-2004)

(Zur Vorrede und Teil I hier entlang.)

 

Datum: Mon, 21 Oct 2002 11:21:27 +0200 (MEST)

 

Betreff: Re: -no subject-

 

Hallo M,

der einzige wirkliche Surfpoet von denen ist glaube ich Ahne. Kaminer und Jakob Hein gehören eher zur „Reformbühne Heim und Welt“. Aber da erkennt man schon das Dilemma, manchmal kann man sie nicht auseinanderhalten, die treten ab und zu auch zusammen auf und besuchen sich gegenseitig bei ihren Veranstaltungen. Und bei dieser Konkurrenz wirst du dir denken können, ist die Überwindungskraft selbst aufzutreten, noch größer.

Das mit dem Wettbewerbscharakter finde ich auch nicht so toll, vor allem weil ich finde, dass wenigstens sagen wir mal in jedem Genre eine Bewertung stattfinden sollte. Man kann doch nicht den MC Freestyler Soundso, der wirklich einen guten Auftritt hinlegt, mit einer lustigen Geschichte von Ahne vergleichen. Trotzdem passiert das hier halt manchmal.

Und wenn man wie du in die Endausscheidung kommt, ist das doch schon ganz gut. Du weißt doch, der olympische Gedanke : ) Du hast aber recht, gänzlich ohne Wettbewerb wäre besser, aber der plebs will halt auch Spass.

Hinterkaffingen finde ich ein schönes Wort. Ich wohnte ja selbst in einem Hinterkaffingen, bevor ich nach Berlin zog. Jetzt allerdings, fünf Jahre später, könnte ich mir nicht vorstellen, woanders in der BRD zu leben. Vielleicht noch in Hamburg, wegen meines Hans-Albers-Gens, das mich immer zum Meer zieht, und dass sich in Berlin immer meldet und sagt: „Wage es, in diesen Süsswassertümpel zu steigen! Das ist böse!“ Wenn ich eine Wanne hätte, würde ich wohl einmal pro Woche, um das Hans-Albers-Gen zu befriedigen, ein Wannenbad mit Salzwasser nehmen. Aber das nur nebenbei. Ich glaube auch, Hamburg ist zu schnöselig und zu teuer. Ein paar Freunde von mir wohnen dort, und zwar recht sparsam.

Ehrlich gesagt ist Berlin wirklich toll, doch wenn man eine Weile hier lebt, dann bekommt man das nicht mehr mit. Und wenn man schon länger in Berlin wohnt, dann wird es noch schlimmer. Ich merke das langsam auch an mir. Es schleicht sich das berühmte „früher war alles besser“ ein. Natürlich war das ja auch so. Viel mehr besetzte Häuser, illegale Kneipen und Clubs…

Doch sei gewarnt, das Angebot hier ist wirklich riesig, aber alles kostet auch was. Ich muss sagen, ich bin ausgehfaul geworden. Gerade bei dem Wetter. Aber ich sitze dann manchmal zu Hause in meinem stillen Kämmerlein und freue mich darüber, dass ich theoretisch die Möglichkeit hätte, zu vielen tollen Veranstaltungen zu gehen. Gestern waren meine beiden Alternativen „Heim & Welt“ mit Kaminer und Co und das einzige Deutschlandkonzert von Bruce Springsteen : )

ich blieb zu Hause, Gründe waren Regen, Unentschlossenheit, Geldmangel und leichter Gripperückfall. Und eigentlich mag ich Bruce Springsteen gar nicht so sehr.

Selbstkritik kann in Überdosierungen schädlich sein. Ich habe zum Beispiel selten einen Text über sieben Seiten geschrieben. Ich würde gerne mal eine Art Roman schreiben, aber dafür bräuchte ich Zeit und Abgeschiedenheit. Weil ich so schreibe, dass alles in einem Rutsch runtergeschrieben wird. Ohne Zwischenstörungen. Ganz selten habe ich einen Text unterbrochen geschrieben. Wie machst du das? Ich finde übrigens nicht, dass du dich in Selbstmitleid badest und deine Texte langweilig sind. Es gibt da ein ganz einfaches Kriterium: Gut oder schlecht. Das ist zwar subjektiv, aber ich denke, du bist eindeutig auf der guten seite.

Das gegenseitige Über-Texte-Diskutieren fehlt mir wahnsinnig. Ich glaube, das bringt wirklich sehr viel. Und da könnt ihr von großem Glück sprechen, euch gefunden zu haben. Und es muss ja nicht der gleiche Stil sein. Wenn du dich unwohl fühlst, Gedichte zu schreiben, dann lass es. Ich habe auch so vor zehn Jahren Gedichte geschrieben. Manche finde ich immer noch gut, aber diese Phase ist bei mir vorbei, das ist für mich wieder die Gefahr des „zu persönlich“.

Es ist natürlich eine Bereicherung in Berlin zu wohnen, aber auch eine Gefahr. Es ist erst mal eine anonyme Großstadt. Es stinkt, es regnet und man hat keine Freunde. Wenn man studiert, dann findet man zwar schnell, sagen wir mal, Bekannte, aber richtige Freunde… Ich hatte das Glück, mein Studium zu beginnen, als die große Uni-Streik-Welle war. Da war zwar keine Uni, aber die Leute fanden schneller zueinander. Das war meiner Meinung nach auch das einzige Ergebnis des Streiks, und dafür hat es sich gelohnt : )

Wart ihr denn schon mal für ein Wochenende oder so in Berlin? Vielleicht fangt ihr ja mal mit so einem Schnupperkurs an.

 

Wie bist du eigentlich auf die [Literatur-Website] gestossen? Und kennst du andere Seiten, die ähnlich (gut) sind? Inzwischen stapeln sich bei mir die bei amazon bestellten Bücher, weil ich immer nur „netzliteratur“ lese.

helle grüsse aus dem grauen Berlin

s.

ps. der urlaub war in Südafrika, ich war schon zweimal dort, und hoffe, nächstes Frühjahr wieder hinzufahren. Eine Freundin von mir hat dort studiert und lebt inzwischen da mit mann und kind…

 

Datum: [2002]

 

Betreff:

 

Hallo M.,

auch von mir diesmal nur eine kurze mail, muss noch was lesen über Städte und deren Verhältnis zu Königen im Spätmittelalter, wahnsinnig interessant : (, und ausserdem wartet noch das Highlight der Frankfurter Buchmesse, die >Zonenkinder<, darauf, gelesen zu werden.

Also ich denke nicht, dass du zu hart mit i. umgegangen bist. Ich hab ja nix gegen Kritik, aber die Form fand ich echt schwach.

Das mit Südafrika fing damit an, dass eine Freundin von mir dort zum studieren hingegangen ist. Dann haben wir sie dort vor drei Jahren das erste mal besucht, also keine organisierte Reise, nur Flug gebucht und mal schauen was man so machen kann. Natürlich wurden vorher unzählige Reisebücher gewälzt, die alle einen sehr gemischten Eindruck hinterliessen. Nach dem Motto: Schön, aber sehr gefährlich. Als Beispiel sollte man dort nie die Türen während der Fahrt unverriegelt lassen, also immer Knöpfchen runter. Aber als wir ankamen, war alles ganz anders.

Dazu später mehr, sorry für die Kürze, doch die Zeit drängt leider.

Viele Grüsse aus dem blöden Uni-Alltag

S.

 

Datum: [2002]

 

Betreff:

 

Hi m.,

und weiter geht’s. Wie kommst du eigentlich darauf, bwl und jura als nebenfach zu studieren? Wenn bei uns idioten an der uni rumlaufen, dann bei jura. obwohl ich denke, dass die humboldt-uni, wo ich studiere, noch ganz gut ist, im vergleich zur fu und tu. immerhin gibt es in berlin ja genug unis und fh`s für ca 130.000 studis. was allerdings für die aufhebung der anonymität nicht gerade förderlich ist …

zu südafrika: das wichtigste war wohl, dass wir eben keine organisierte reise gemacht haben. erst campierten wir in der wohnung von unseren bekannten, lernten deren südafrikanische freunde kennen, und dann zogen wir gen kapstadt. das waren so circa 800 km luftlinie, nicht so viel für 3 wochen. auto gemietet und mit ein paar guten Tipps ausgerüstet losgefahren. gerade in der gegend wo wir waren, die südküste sozusagen, auch garden route genannt, ist es sehr westlich-europäisch, aber es gibt auch in jedem kaff einen backpacker – eine supernette art zu reisen. wir hatten viel sonne, meer, wilde tiere und nette leute um uns rum, und die zeit verging viel zu schnell.

im jahr drauf bin ich mit einem freund dann noch mal runter, das war im märz/april 2001. da haben wir die gleich tour gemacht, aber noch mehr abstecher und leute kennen gelernt. es ist ja gerade politisch gesehen sehr interessant – schließlich ist die apartheid keine 10 jahre vorbei. wenn man überlegt, wie vergleichsweise friedlich die leute sind, dafür dass sie vor kurzem noch wie sklaven behandelt wurden. und jetzt zu beobachten, wie sich die verschiedensten menschen neu arrangieren müssen, ist schon sehr spannend. ausserdem haben wir auch noch viel bessere grasquellen als beim ersten mal erschlossen, so dass das fahren im linksverkehr auf menschenleeren staubpisten noch spannender wurde : ).

na ja, und eigentlich plane ich und meine bessere hälfte für den nächsten februar wieder runterzufliegen, diesmal eher den Norden, wo wie man sagt noch mehr afrika ist. leider siehts mit dem geld noch nicht so aus, als ob es klappen würde, mal schauen. muss ich noch irgendwoher eine gutbezahlte kolumne bekommen […]

doch was echt nervt, besonders in kapstadt, sind die deutschen pauschaltouris. die sind echt überall, und südafrika boomt ja inzwischen bei den reiseunternehmen. gut für das land, aber auch schade drum.

mein schaffen ist mal wieder zum erliegen gekommen, aber zum glück liegts nur an zu viel uni, zu viel arbeiten und zu viel schlechtem wetter, und nicht an einer blockade. allein schon, dass ich wieder an der uni bin und jeden tag studenten um mich rum habe, birgt stoff für die nächsten fünf texte, hihi.

ich hoffe dir geht’s ein wenig besser, viele grüße an den rest des terzetts! in der nächsten mail erzähle ich dir vielleicht, was ihr alles verpasst habt, als ihr in der osloer strasse wart.

ich muss jetzt kohlen schippen gehen. bibber! Und ausserdem hat ein lustiger Herbststurm, der an der Ostseeküste wunderschön ist, hier wieder lauter bäume auf die strasse geschmissen.

bis bald

s.

 

Datum: [2002]

 

Betreff:

 

Hallo M.,

war dann wohl ein missverständnis, du hattest irgendwas geschrieben von wegen bwl/jura als nebenfächer na dann prost! – womit du natürlich total recht hast, und ich dummerweise gefolgert habe, dass du davon betroffen wärst. was ja aber zum glück nicht der fall ist! ich glaube auch, dass die leute da während der vorlesungen einer gehirnwäsche unterzogen werden, ohne scheiss!!

ethnologie hört sich da schon besser an. ich studiere hier im nebenfach „europäische ethnologie“, was im grunde genommen praktische kulturwissenschaft ist, man nennt es auch anthropology at home – das ist ganz witzig. Ansonsten hab ich noch politik als nebenfach und halt geschichte – soviel zu den formalitäten, hihi.

Dein neuer Text, ich hätte ihn fast verpasst, ich checke zur Zeit aus mangel an derselben immer nur die neuesten texte und diskussionen, leider keine muße gerade, ist irgendwie verwirrend (das ist keine wertung). anfangs fiel mir dazu spontan eines meiner lieblings-kinderbücher ein, was ich schon seit 15 Jahren nicht mehr gesehen hab. es heisst „der gelbe nebel“, vielleicht kennst du es ja auch, ist glaube ich von alexander wolkow oder so (wie bewusst bist du eigentlich russisch sozialisiert? ist das eine doofe frage? ich finde nämlich schon, dass meine ddr-sozialisation auch und gerade auch auf meine texte grossen einfluss hat.).

Dann aber entglitt ich dem text, oder er mir. Damit hast du das traumhafte ganz gut umgesetzt. schön, irgendwie

Ich habe einige textideen ständig im kopf, und lustigerweise gerade auch eine übers schreiben. weil ich den prozess sehr interessant finde. bei mir ist es wie ein ritual.

ich bin vor einigen jahren auf jack kerouac gestossen, ich weiss nicht, ob er dir was sagt. seitdem bewundere ich ihn sehr, da mir sein stil und seine sprache unheimlich gut gefallen. und gerade vorgestern habe ich bei einem seminar, dass ich gerade über „social beat“ und slam poetry besuche, herausgefunden, dass er wohl ähnlich vorging wie ich – dem muss ich unbedingt weiter nachgehen.

na ja, ich schweife total ab, tschuldigung. Also, ich brauche unbedingt ruhe und ungestörtheit, die gewissheit, dass mich keiner stört in der nächsten stunde oder so. und dann habe ich wie gesagt immer ein paar ideen im kopf. wenn die sich dann irgendwann irgendwie zusammenspinnen, setzte ich mich hin, unterstütze das zusammenspinnen der gedanken und ideen noch mal ganz in ruhe mit einer tüte oder einem leckeren kakao, und dann geht es los. dann muss ich die geschichte aufschreiben, möglichst ohne unterbrechung. fast so eine art schreib-rausch. das passiert dann meistens auch nachts. und eigentlich werkel ich dann auch nicht mehr viel dran rum, ich lese nur ein paar tage später noch mal drüber, und dann ist es fertig. deswegen stelle ich mir das „grosse werk“ – den roman, der uns beiden noch fehlt ; ), auch sehr schwierig anzufertigen vor. denn dann müsste ich mich wirklich für ein paar monate komplett absetzten. nicht dass ich keine lust drauf hätte, aber diese möglichkeit hat man als abhängig beschäftigter student ja kaum.

was waren denn die interessantesten vorgehensweisen in deinem seminar? das ist echt ein spannendes thema. und wie gehst du vor, nur kurzgeschichten in der Bahn? das mit dem faden verlieren ist auch ein grund für mich, nur in einem rutsch zu schreiben, da es bei mir auch so ist, dass ich versuche, dem text eine bestimmte stimmung zu geben, mehr unbewusst, und man halt meist in zwei verschiedenen stimmungen ist, wenn man mit unterbrechung schreibt. verstehst du was ich meine?

die bäume sind übrigens alle zersägt.

stehen wahrscheinlich schon bei ikea.

die ärmsten.

bis bald

s.

ps. entschuldige bitte noch mal, dass ich annahm, du würdest jura studieren.

pps. was meint das fragezeichen im betreff?