Fragmentarische Korrespondenz, weich und divers (IX)

Über Inspiration, das Schreiben, das (Vor)Lesen, Bücher, Filme, Musik und den ganzen Rest: Von Kriegen und Frieden, und auch vom niemals zufrieden oder je ganz fertig genug sein. Kann Spuren von Drogen enthalten.

Ein einseitiger Briefroman in Fortsetzungen

(2002-2004)

(Zur Vorrede und Teil I hier entlang.)
 

Datum: [2003]

Betreff:

Hallo M.,

man, ich hatte schon gedacht, dass du dir vorgenommen hast, nicht mit leuten zu kommunizieren, die angesichts der kriegswirren wirre gedanken produzieren…, glück gehabt. langsam habe ich inzwischen ein loses kriegstagebuch zusammen, da ich immer noch wenn ich zeit habe, die gedanken die ich gerade habe, aufschreibe. das interessante daran ist, dass sich die sicht auf die dinge doch deutlich unterscheidet, von mal zu mal.

doch leider kommt das andere schreiben dabei zu kurz, zumal ich jetzt fest entschlossen und von der zeit gedrängt bin, meine hausarbeiten zu beginnen (abgabeschluss erster mai – wie passend). vom vorlesen mal ganz zu schweigen, denn da ich mir ja vorgenommen habe, nicht mehr unvorbereitet auf die bühne zu gehen, und ich keine zeit zum vorbereiten habe… umso mehr freut es mich, dass du wenigstens den Entschluss hattest, zu einem slam zu gehen… und es lag ja letztendlich nicht an dir… Und Gratulation natürlich für die Entfragmentierung des Romanfragments.

–> gerade habe ich überlegt, was ich dir jetzt zum thema krieg schreiben kann, um deine Fragen zu beantworten, dann fiel mir nichts ein, ich habe was gegessen, eine tüte geraucht und mich überreden lassen, ins kino zu gehen. jetzt, nach einer weiteren tüte und spät in der nacht muss ich dir unbedingt eine Kino-Empfehlung aussprechen: Adaption. Ich weiss nicht genau, ob in deiner Film-Hitliste „Being John Malkovich“ vorkam, in meiner ist es jedenfalls so. und wenn du den magst, wirst du adaption auch mögen. Es passt auch zum Thema: Schriftsteller-Probleme. Nicht nur dass Leute die man kennt als Vorlage dienen, es ist noch schlimmer. Aber ich will nicht zu viel verraten. Aber doch schon ein komisches Gefühl, berücksichtigst du so was beim Schreiben, dass deine WG-Mitbewohner das mal lesen könnten und was die so denken? Hab ich ja bisher nicht gemacht, bis mir der typ geschrieben hat. Hab ich schon erzählt, dass er mir geantwortet hat und meinte, er wüsste nicht, wer ich bin, ich soll ihn aber mal ansprechen? Das finde ich voll lustig, es verleitet zu komischen Gedankenspielen (besonders nach dem Genuss des Films): Er weiss nicht, wer ich bin, weiss aber dass es mich gibt. ich weiss das, weiss wer er ist und bin mir ziemlich sicher, dass er mich wie man so sagt „vom sehen kennt“, mich aber wohl nicht zuordnen kann… na ja, ist das verwertbar?

voll clever, wie ich vom thema krieg abgelenkt habe, oder?! *g* Aber so ganz kann man sich dem ja nicht entziehen. Wie gesagt, ich bin gerade nach hause gekommen, es ist jetzt knapp eins, und ich bin live dabei, wie im moment die B-52 Bomber in der Royal Airforce Base Fairford/UK beladen werden. Dank meines immensen Nachrichtensenderkonsums in den letzten Tagen (dies auf die Frage, woher ich meine Infos bekomme, Internet spielt da bei mir eine ganz kleine Rolle, bis auf einmal indymedia pro tag, um die wahrheit zu erfahren : -) ) weiss ich inzwischen, dass diese Flugzeuge so fünf sechs stunden brauchen, um ihren job zu machen: Menschen töten (das sagt übrigens keiner, dieses flugzeug wird jetzt beladen, fliegt ein paar stunden und tötet dann menschen, es ist immer nur von „erreichen des zielgebiets“ die rede. daher hast du recht, er ist surreal, der krieg – er wird nicht vermittelt. was mich allerdings wirklich trotz meiner kritik und medienverseuchter abgeklärtheit aufs heftigste geschockt hat, war sgt. john riley, einer der us-kriegsgefangenen. wie gesagt, ich leide an ntv-n24-cnn-bbc-skynews-nbc-überkonsum und habe mitbekommen, wie dieses kriegsgefangenen-video das erste mal gezeigt wurde, auf n24. eine halbe stunde später gab es die erste meldung auf cnn, dass es so ein video geben sollte, dann kam eine pressekonferenz mit rummy, wo er sagte, dass die ausstrahlung eines solchen videos die genfer konventionen verletzen würde (dabei habe ich ein neues wort gelernt: humiliation), und so etwas zu tun sei nicht sehr schlau. ich überlegte, ob er jetzt auch die deutschen nachrichtensender angreifen würde.

Sgt. Riley schockte mich, weil er sehr sehr sehr ängstlich war. das erste menschliche gesicht in diesem krieg. da hat die pr des irak gewirkt, es sah so aus, als ob er echte todesangst hatte. wie ein wildes tier, dass man gerade eingefangen hat und in eine kiste gesperrt, so verschüchtert. das fand ich echt hart, und das bestärkt mich in der hoffnung, dass dieser krieg etwas bringen könnte im hinblick auf die erkenntnisfähigkeit der menschen. inzwischen nennt man das glaube ich auch vietnam-effekt. wenn solche bilder zu sehen sind, könnten ein paar mehr leute über kriege allgemein nachdenken… allerdings ob es für eine bewegung reicht? ich weiss nicht, irgendwie ist die bewegung ja schon da, immerhin sind hunderttausende auf den strassen (sogar in wiesbaden *g*), aber es fehlen die wirklichen inhalte und ziele, oder? ich war übrigens nicht da, ich hatte in meiner „aktiven“ zeit, beim asta, so viele demos organisiert und absolviert, dass ich noch fünf jahre demoabstinenz auf meinem konto gut habe. und dieses konto füllt man in berlin ja wirklich, du hast recht, einmal pro woche auf, weil man zufällig, wenn man aus der u-bahn kommt, in eine demo gerät. und ich spare auf den ersten mai – quatsch.

habe ich jetzt einen gedankenstrang vergessen? ich weiss es nicht genau, es ist spät und ich muss dringend eine neue tüte drehen, deshalb nur noch ganz kurz: Warmer Damm?! Schon allein wegen diesem namen würden tausende berliner schwule nach wiesbaden ziehen, wenn sie davon wissen würden, glaube ich :-).

Aber auch ich bin wahnsinnig froh über den frühling, das ist in berlin echt die schönste jahreszeit. wenn man in einer großstadt erlebt, wie das leben wieder erwacht, ist das echt cool. wiesen, ufer, parks, seen und wälder sind voll, genau wie die bürgersteige mit cafe-stühlen, ab und zu wehen nette lüftchen in die nase und man denkt wieder drüber nach, mal über den flohmarkt zu gehen. macht schon spass. also auf auf und das dach eingeweiht! berlin ist übrigens gerade jetzt eine reise wert, nur so am rande : -)

K.[Hund] geht es sehr gut, bin heute mit ihr im Wald rad gefahren, das findet sie glaube ich ganz gut. sie bedankt sich der nachfrage und übermittelt ihrerseits die besten wünsche. aber du hast recht, der winter passt ihr besser, nicht nur wegen ihrer husky-gene. ihr paradies wäre eine winter mit viel schnee, aber trotzdem seen mit wasser, in dem man schwimmen kann.

Zum thema kinder vor bösen hunden retten und auf den arm nehmen kann ich dir gerne mal einen erfahrungsbericht schreiben, durchaus interessant. erinnere mich daran, doch jetzt bin ich zu erschöpft dafür…

Du hast dich übrigens nicht wiederholt, finde ich total spannend, das mit der hundewolle-mütze. von k.[Hund]s fell könnte man glaube ich ganze teppiche machen. ich schick dir mal ein paar kilo haare. finde ich übrigens voll witzig, dass du deiner mutter ein spinnrad schenkst. hat was von einem märchen, irgendwie.

[…]

arrividerci und dos widanja

s.

Betreff: Re: -nooo subject-

Datum: Thu, 3 Apr 2003 23:50:15 +0200 –

Hallo M.,

ich sitze nicht nur mit dem Laptop in der Bibliothek und schreibe meine Hausarbeit, sondern zur Zeit sogar in dem lustigen kleinen Stadtarchiv meiner ehemaligen Heimatstadt. Ist auch viel besser, da ich von der Uni-Geschichtsbibo nur den Blick auf Unter den Linden habe, wo der Alte Fritz als Denkmal steht, das ist nicht so inspirierend. Hier schaue ich aus dem Fenster und sehe dicke alte rote Backsteinmauern und die etwas aufgewühlte See – das ist schon netter.

Die Zugvögel tun mir natürlich auch leid, und das Kulturerbe. Sagen wir mal so, schließlich ist ja mesopotamien mal der Anfang der Zivilisation gewesen, und vom letzten der Zivilisation wird’s jetzt zerstört . Zum Thema Zynismus wirst du von mir altem Zyniker kein Wort des Tadels hören…

Ich habe meine Gedanken zum Krieg jetzt auch auf die Homepage gestellt, weiß nicht, ob das schon zu modisch ist? Kannst du ja mal abchecken… ; -) Inzwischen sind in Berlin glaube ich auch nur noch 30-50 Leute bei den Demos, von mehr habe ich jedenfalls nichts gehört.

Schämst du dich gar nicht, dass du mit den Filmdownloads persönlich dafür verantwortlich bist, dass die Hollywood-Bosse sich nur noch zwei Maybachs pro Nase leisten können? *g* Aber im Ernst, weil ich nichts fürs Kino bezahlen muss, bin ich ziemlich hochnäsig geworden. Auf einem Computermonitor könnte ich mir glaube ich keinen Film anschauen… Nervt das nicht ein bisschen?

Wenn du meinst, dass du nur gut über Sachen schreiben kannst, die du irgendwie persönlich erlebt hast, dann hattest du wohl viel mit Käfern zu tun, oder? :).

Womit wir wahrscheinlich beim Thema wären, worauf du schon die ganzen Zeilen wartest… Ich habe das Werk der bisher (zu unrecht) unbekannten Autorin bekommen, mich gefreut und es gleich gelesen. Das ist jetzt drei Tage her, deshalb kann ich keinen komplett frischen und detaillierten Erfahrungsbericht mehr abgeben, aber ich tue mein bestes. Also erst mal Gratulation, ist ja doch schon gar nicht so kurz, und sehr nett gestaltet! Die Kritik zuerst: (keine Angst, ist nicht so viel) Ich glaube man braucht sehr viel Konzentration, um es zu lesen, und wirklich noch zu wissen, wo man ist. Einige Stellen könnten auch durchaus gestreckt werden, manchmal scheint es sehr komprimiert. Naja, und ein paar kleine Schreibfehler, aber darüber brauchen wir ja nicht zu sprechen. Wenn du willst, helfe ich dir gerne noch mal alle Fehler ausfindig zu machen. ich hatte glaube ich auch einen logischen Fehler gefunden, weiss ich aber nicht mehr genau.

Doch in erster Linie hat es mir sehr gut gefallen. Deine Art, zu beschreiben, ist wirklich sehr sehr schön, dieses „etliche Zigaretten sind schon geraucht worden“ hat mir sehr gefallen, auch das surreale, z.B. mit den dressierten Tieren etc. Und das Thema an sich ist auch interessant. Ich glaube, ich muss es doch noch mal lesen und dann eine richtige Kritik schreiben. Aber wie kommt mein Hund in dein Buch?! ; -)

Also, später mehr dazu.

Übrigens, ich habe am wochenende eine interessante DVD geschaut, Memento hieß sie glaube ich, ist auch schön verwirrend. aber der film hat sich bestimmt schon mal auf deiner festplatte befunden…

[…]

Rigaer Straße, hoho! Wenn nach Berlin dann gleich richtig, was ;)? Aber im Ernst, ist schon ganz nett dort, obwohl ich inzwischen ziemlich kreuzbergpatriotisch bin. Doch Friedrichshain (Rigaer) gehört ja jetzt zu Kreuzberg, von daher ist es schon wieder okay. Da erwarte ich mal gespannt den Sommer, ob du jemanden findest, der dich begleitet. Aber sage nicht ich hätte dich nicht gewarnt, der Frühling ist vieeeel besser, obwohl er sich ja auch schon wieder verkrümelt hat, die Sau! Prinzipiell müsste ich eigentlich da sein, ich wollte mal ne woche an die küste und vielleicht nach italien, ein freund von mir arbeitet dort irgendwo. aber der sommer ist ja lang.

typen wie deinen onkel gibt’s hier genug, und so freaks machen die stadt ja auch so liebenswert. hört sich jedenfalls nach einem vollen programm an, dein berlin-plan.

Nach Südafrika geht’s leider frühestens erst wieder im Winter, Oktober, wenn alles klappt. jemand erzählte mir zwar, dass da auch schon wieder semester ist, aber auf solche stimmen höre ich prinzipiell nicht *g*. Sommer wäre aber auch blöd, da dort dann gerade winter ist. eigentlich wollte ich ja jetzt dort sein (eigentlich will ich immer „jetzt dort sein“), aber das liebe geld wollte für was anderes ausgegeben werden (so komische sachen wie miete und strom).

K.[Hund] ist gerade mal wieder krank. An den Strand des Grunewaldsees wird so zwei mal im Jahr ein toter, alter und grosser karpfen angespült. und k.[Hund] findet solche leckerbissen zu verführerisch, als dass sie auf uns hören würde. das bedeutet zwei tage lang kotzerei und scheißerei (entschuldigung für diese rüde wortwahl). zur strafe gab es dann nur reis für sie….

bedenke dies, wenn du dir einen hund anschaffst, nicht jeder ist so ein wackerer russischer recke wie c. (kennst du eigentlich ilja muromez oder so? fiel mir gerade assoziativ zumn thema russischer recke ein).

also, bis dann, ich lasse von mir hören und werde versuchen, das reich-ranicki gen in mir zu finden.

S.

PS. ich muss mir jetzt erst mal ein wörterbuch holen, meine russische halbbildung reicht nicht wirklich, um deine ansprache ganz zu verstehen. Ertappt!

Hallo M.,

danke für die schnelle antwort und entschuldige bitte meine oberflächliche Kritik in der letzten mail. du hast keinen grund, traurig zu sein, oder etwas besser zu machen. Ich habe mir die nötige Mühe gemacht (denn das ist, und das hat nichts damit zu tun dass ich dich persönlich kenne – tue ich ja gar nicht : -) – das mindeste was man einem text entgegenbringen sollte, schließlich wurde er ja auch unter mühen verfasst) und […] noch mal gelesen. und versucht, meinen spontanen eindruck direkt festzuhalten. Wenn du versprichst, dass du den rest dieser mail noch liest und nicht sofort runterscrollst, verrate ich dir auch, dass du diesen verworrenen erlebnisbericht am ende dieses briefes findest. *g*.

Übrigens hast du volkommen recht, natürlich erkenne ich niemanden speziellen in den Figuren, aber das ist auch gar nicht nötig.

Jetzt zu was profaneren: Hundekotze. da sind diese tiere echt eklig, du hast recht, aber mit der zeit sinkt die ekelschwelle. das wirst du bei deinem job ja bestimmt auch gemerkt haben… Die Kotze berühmter Leute zu entsorgen könnte doch aber auch durchaus lukrativ sein – bei ebay lässt sich alles versteigern! :-).

Also mit Prominenz kann man in Berlin auch angeben, obwohl es natürlich besser ist, backstage die stars kennenzulernen. Ich habe eine gute freundin, die ich schon jahre kenne und die immer ziemlich strange männer hat. könnte eine lange geschichte werden, aber ich versuche mich kurz zu fassen:

vor drei jahren oder so war sie mit einem typen zusammen, der ganz witzig war, aber irgendwie sehr schüchtern und so künstler-mäßig, er studierte puppenspiel, was dazu führte, dass in der wohnung auch lauter lustige puppen rumlagen. irgendwann hatte er mich mal eingeladen, wo er mit einem freund einen auftritt hatte: puppen und dazu ganz witzige musik mit freestyle-gesang. nicht mein ding, aber gut gemacht. inzwischen scheinen die „puppetmastaz“, wie sie sich nennen, in berlin eine gewisse berühmtheit zu haben. als ich jedenfalls beiläufig einem anderen freund von mir erzählte, dass ich p. kenne, starrte der mich ungläubig an, so als ob sich ein tor in eine andere welt öffnen würde. da habe ich mitbekommen, wie so fanverhalten gegenüber stars ist. ich kannte halt den schüchternen p., der sich ohne eine puppe vorzuschieben wohl nicht auf die bühne trauen würde, und ein anderer kennt ihn als star. das war nur so eine anekdote am rande.

Ich würde mich echt gerne mal in deine welt rüberbeamen, und ich würde dafür sogar in kauf nehmen, vorlesen zu müssen. schon weil ich dich dann auch lesen sehen kann. *g*. Und du weißt gar nicht, auf was für glattes eis du dich mit dieser einladung begibst, würde das semester nicht schon in einer woche beginnen und müsste ich nicht noch meine hausarbeiten schreiben (die glücklicherweise gut vorankommen, ich war ja gerade auf recherche-tour und musste mich gestern durch einen schneesturm zurück nach berlin kämpfen, aber ich war erfolgreich und bin frohen mutes) dann hätte ich glatt einen kurzurlaub in roland-koch-land gemacht. so aber hast du noch mal glück gehabt.

Aber es freut mich für dich, dass du solche einladungen erhältst, du scheinst ja doch schon eine lokale berühmtheit zu sein! Qualität setzt sich wohl doch durch… Die [Literatur-Website] nicht einzubeziehen halte ich übrigens für eine sehr gute Idee.

Um deine Frage noch kurz zu beantworten: Ich bezahle 215 Euro Semestergebühren. Das liegt aber einerseits daran, dass ich schon ziemlich lange studiere (macht glaube ich so um die 20 Euro extra), und andererseits daran, dass unsere Hauptstadt-Vorzeige-Uni es endlich geschafft hat, als letzte Hochschule in Berlin, ein Semesterticket einzuführen. Ein langes und elendiges Thema, in Berlin gibt es mindestens fünf verschiedene Semesterticketmodelle parallel nebeneinander. ohne das waren es 100 euro, glaube ich.

Also, hier jetzt meine Gedanken beim lesen deiner geschichte:

Ein unvermittelter Einstieg. Gleich im ersten Satz werden die Qualitäten der Erzählerin klar: „mache Musik an, um sie nicht zu hören.“ Solche Formulierungen machen neugierig. Die folgenden Sätze lassen klar werden, wo man sich befindet, welche Gesellschaft man hat, und das sieht nicht gut aus.

Eine graue Welt mit rauen Sitten und Menschen, die zu sich und anderen ein eher gespaltenes Verhältnis haben. Und Merkwürdiges tun: Informationen sammeln, Schreie in Ampullen abfüllen.

Moke, paranoid, irrgläubig und halbverwest, wird in seiner Hoffnungslosigkeit allein gelassen, aber taucht schnell wieder auf, um seine Talente unter Beweis zu stellen. Er kann schließlich kochen, Salben zusammenrühren und Messer werfen. Er ist keine ausnahmslos tragische Gestalt, denn er wird nicht nur alleingelassen, sondern lässt auch allein. Ein guter Charakter.

Spaziergänge in der Kanalisation, in der es von Anonymitäten wimmelt. Bravo! Dann aber der abrupte Bruch mit Moke. Warum? Ist das Fass übergelaufen? Er schien schon immer durchgeknallt, also kann es daran ja wohl nicht gelegen haben.

Stück für Stück wird die Welt gut portioniert beschrieben. Zeit spielt keine Rolle, und das hatte man sich auch schon fast gedacht. Wissen dafür umso mehr. Es ist nicht ganz klar, ob es verboten ist oder einfach nicht mehr auf dem freien Markt zu haben, aber das ist auch egal. Und die Idee mit den gestreckten, unsauberen Informationen kannte ich so auch noch nicht. Hier und spätestens bei dem Baum, der Geheimnisse verrät, zeigt sich, wie originell dieser Text ist. Unterschwellig klingt vieles an: clockwork orange, cronenberg, natürlich naked lunch und lynch. Doch das sind nur unterbewusste echos. Es ist nicht so, dass man denkt, da hat sich jetzt jemand einen topf genommen und das alles aufgekocht. Was mit der richtigen Würze ja auch durchaus gut sein. Nein, es ist eine eigene Sache, die nur erinnert, so wie man sich im ungünstigsten Fall beim Schwimmen in unbekannten Gewässern plötzlich an all die reproduzierten Ängste erinnert, die man kennt. Schlechter Vergleich, aber gut gemeint.

Ist die Eule nur ein Traum? Wohl schon, und das Entwerfen der Traumentwürfe passt gut in den Rahmen, klang ja schon an bei dem augenauskratzenden Kind, das mir noch besser gefallen hat – eine Verbindung?

Ortswechsel. Von wo weiß man nicht genau, aber das Ziel ist bekannt: Ein Egal-Ort. Eine Begegnung mit Komplimenten für nette Schnitzereien (wiedermal gut getroffen!) Verwirrend nur der Bezug zu einer deutschen Tracht – bisher gab es keine konkreten Bezüge auf irgendwas, und das passte auch ganz gut. Dann bekommt die Begegnung einen Namen und es werden noch ein paar wohldosierte Informationsbrocken verstreut, aber nicht zu viele.

Auf einmal eine dramatische Wendung, schlagartig kommen scheinbar Emotionen auf, bisher war alles auf eine gewisse Art emotionslos. Und das stellt sich auch gleich wieder ein, ohne Erklärung. Die Brücken scheinen abgerissen zu sein, plötzlich eine andere Umgebung, andere Menschen. Eine neue Situation wird beschrieben, man wird durch das vor-sich-hinqualmen eingelullt und findet sich damit ab.

Doch die Zeitschlaufe wird zurückgespult, während man neuer Dinge harrt, wird man von der Vergangenheit eingeholt. Moke is back.

Eine böse Raupe, die gerade ein weiteres Verpuppungsstadium absolviert hat. Kaum wiederzuerkennen, aber mit der gleichen DNA ausgestattet. Doch so wie er gekommen war, ging er auch wieder. Diese Wiedergängerei ist wohl für ihn Normalzustand.

Keine Ruhe, immer wieder neue Personen, neue Umgebungen, auf den ersten Blick ohne Zusammenhang, bis auf das Vergängliche, Unstete. Lebensfetzen.

Nach einer Phase der Entspannung eine neue böse Überraschung. Der schwarze Schatten, die Welt wird noch seltsamer, aber es passt irgendwie. Eine Hilflosigkeit gegenüber den Veränderungen schleicht sich ein und wird von Verdrängung abgelöst. Konzentration auf andere Sachen. Ohne Ergebnis.

Zur Aufheiterung der Ausweglosigkeit wieder ein sehr schönes Bild: Trotzdem man inzwischen an rehreissende Bären in Küchen und dressierte Wildkatzen ebenda gewöhnt ist, huscht einem bei der Vorstellung von fernsehschauenden Käferfamilien ein Lächeln übers Gemüt. Doch dann ein Zeitraffer, der nicht die Zeit, sondern die Außenwelt rafft, alle offenen Fragen werden im Turbo beantwortet, aber keine Antwort befriedigt so richtig.

Die Flucht, so scheint`s, endet in einer archetypischen Dorfidylle. Und da darf natürlich auch die einfühlsam beschriebene gutmütige Alte nicht fehlen (warum wird sie gesiezt?). Aber bevor es zu klischeemäßig wird, erkennt man, dass auch diese Idylle trist ist, und die gutmütige Alte sich einem verworrenen Schicksal ergeben hat.

Keine Auflösung, war auch das nur wieder ein Traum? Jedenfalls schlägt die Möbiusschleife wieder zu, die Handlung wurde unvermittelt zurückgebeamt.

Jetzt wird es allerdings verworrener. Mela, ohnehin schon ins Undefinierbare übergegangen, komplettiert ihre Verwandlung, und ohne Zusammenhang wird eine alte, traurige und merkwürdige Geschichte erzählt – die Reste eines Ereignisses, das am verdampfen ist…. das wirkt!

Die Bestätigung folgt: Mela erzählt eben auch nur Geschichten, die zur ihr passen. Aber wer ist Kira, die plötzlich da ist? Perspektivenwechsel – die bisher namenlos gebliebene Erzählerin? Sie treibt ziellos durch die schon bekannt wüst wirkende Welt, bis sie unvermittelt zum Ziel, zum Kern kommt. Und da dauert es auch nicht lange, bis die bekannten Gesichter auftauchen. Und neue unbekannte dazu. Langsam macht sich eine das-Rätsel-hat-bald-ein-Ende-Stimmung breit. Nach einem kurzen Täuschungsmanöver durch Schilderung angespannt-entspannter Ruhe bestätigt sich dieser Verdacht, klassisches Motiv: ein Sturm kommt auf, legt sich, und nichts ist wirklich klarer geworden. Im Gegenteil, jeder scheint vom Unwetter in seine eigne kleine Psychose, wahlweise Albtraum, gewirbelt worden zu sein.

Andere konnten sich auf eine merkwürdige Party retten, jetzt, am Schluß, dann doch noch eine obligatorische sexuelle Eskapade? Nein, der Leser wird nicht enttäuscht, er wird enttäuscht.

Die Psychosen sind überstanden, doch die Außenwelt bleibt widrig. Und wie es das Schicksal will, der Kreis schließt sich, der letzte fehlende Teil taucht wieder auf, Moke. Ein wirklich guter Schluß, mit dem Traum. Hinterlässt eine gewisse Leere, so einen unappetitlichen Nachgeschmack.

Erklärt das den Titel, der nicht ein einziges mal im Text vorkommt? Hmm….

ich hoffe das hat dir irgendwie geholfen – bei rezensionen war ich noch nie besonders gut.

bis dann

s.

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