(3te Variation)
Prolog
Es war auf der ersten Südafrikareise, eine Art guilty pleasure, wofür ich immer noch keinen passenden deutschen Ausdruck gefunden habe. Dort lief mir „The Beach“ das erste Mal über den Weg. Einfach zu passend.
Südafrika war besonders. Wir waren nicht mehr frisch, aber wohl immer noch sehr verliebt. Kuba, im Jahr zuvor die erste große gemeinsame Reise, war gut & gut gegangen. Doch lange nicht so aufregend wie mein Trip von DC nach Michigan, direkt nach dem Abi. Südafrika jedoch, das war…
Eine Freundin zog dort hin, studierte und heiratete schliesslich. Irgendwann mittendrin hatten wir endlich genug Geld und Mut beisammen, um sie zu besuchen. Damals war das Land (nicht zuletzt dank deutscher Intrigen) weit entfernt von der Gastgeberrolle der Fifa-WM, dafür weit vorne in der Mord-pro-Kopf-Rate – und Mandela gerade zehn Jahre frei, die ersten freien Wahlen 6 Jahre her. Es war kompliziert und überwältigend auf so vielen Ebenen. Doch darum soll es hier ja gar nicht gehen.
Eine der unvergesslichen Erfahrungen war jedenfalls das Backpacking von Ort zu Ort, das sogar halbwegs gut ohne Mietwagen mit einem eigens dafür geschaffenen Kleinbusnetz funktionierte. In einem der Hostels (Backpacker sagte man dort) – und darauf wollte ich hinaus – gab uns eine englische Reisende ihr ausgelesenes Exemplar von „The Beach“ in die Hand; die Verfilmung davon war zu der Zeit gerade in den Kinos, aber keiner von uns hatte sie bisher gesehen. Der Dritte im Bunde nahm das Buch als Erster an sich und war sehr schnell damit fertig. Schon seine vagen Andeutungen liessen es mich kaum erwarten, es als Nächster zu lesen. Eben – das passte einfach alles & zu gut: Die Strände, die Berge, das Gras – und jeder war irgendwie auf der Suche nach den Orten, die von kaum jemanden gefunden wurden.
Schon allein deshalb, weil das Buch untrennbar mit diesen fantastischen Wochen verbunden war, wollte ich mir den Film eine ganze Weile nicht anschauen. Irgendwann war es dann aber doch so weit, es kann gut sein, dass es zusammen mit den Beiden war. Auf der Leinwand, mit dem Beamer, wie wir das so oft machten, zu viert. Ich weiss noch, dass ich von den Bildern begeistert, vom Film aber enttäuscht war. Und ich weiss, dass Sie diesen einen kitschigen Song mochte. guilty pleasure.
***
Wir lernten die Beiden kurz nach dieser Reise kennen, der Hund war gerade zehn Wochen alt. Bis dahin führten die meisten Ausflüge mit dem kleinen Tollpatsch in den Treptower Park. Dort, am Ufer eines kleinen Sees, trafen wir Sie zum ersten Mal. Und ihren zehn Wochen alten Labradorrüden.
Sie waren um die zehn Jahre älter als wir, und dies und das, doch das zählte alles nichts, eigentlich, weil: Die beiden kleinen Trottel verstanden sich einfach zu gut, als dass das nicht hätte klappen müssen.
Ein Glückstreffer, wie sich herausstellte. Sicher, diese Pärchen-Pärchen-Geschichte ist ein Klischee aus amerikanischen Fernsehserien, doch was nicht?
Ohne den Hund wäre es unwahrscheinlich – nicht unmöglich; nicht damals, nicht in Berlin – gewesen, dass wir uns gefunden hätten. Dafür waren wir doch zu unterschiedlich, in Welten unterwegs, die sich zu selten überschnitten (Er war einer der jüngsten Führungskräfte in seiner Branche, ausgestattet mit einer Senator-Karte der Lufthansa – wir wussten nicht einmal, dass es so etwas überhaupt gab). Da war Ihr Musikgeschmack noch das Geringste.
Der sorgte allerdings dafür, dass ich im Jahr darauf die (wieder fantastische, wenn auch ganz andere) Zeit in Südafrika mit dem Cafe-del-Mar-Remix von Bushs „Letting the cables sleep“ verbrachte, den Sie mir auf einer Mix-CD mitgegeben hatte. Und der passte zu einigen Sonnenuntergängen am Strand auf die selbe Art wie im Jahr zuvor „The Beach“. guilty pleasure.
Was schon mal an sich nicht schlecht ist, im Gegenteil. Doch habe ich den Beiden noch weitaus schönere Momente zu verdanken.
Ein – oder der – Wermutstropfen war, dass Sie sehr beschäftigt waren, noch viel mehr als wir. Jetzt mal ganz abgesehen von der Arbeit, die ein zehn Wochen alter Welpe macht. Das liess sich zum Glück ja verbinden – Sie waren es, die uns den Grunewaldsee und die Krumme Lanke zeigten. Trotz der rührendbesorgten Hundegrosseltern kannten wir den Grunewald noch nicht, waren aber immerhin schon mit der Welpenbande in deren siebenter Woche in einem Karren zum Wannsee gefahren, doch führten die ersten Ausflüge der Punkerhundewelpen meistens in den Görli, dahin war die Reise auch nicht so lang & anstrengend.
So sahen wir uns zwar oft einzeln mit den Hunden im Wald, aber richtig zusammen zu viert höchstens einmal im Monat. Das führte zu unvergesslichen gemeinsamen Spaziergängen, mal mit der größeren Gruppe, die sich im Grunewald gefunden hatte (&mindestens eine eigene Geschichte wert ist), mal nur zu zweit. Die Beiden hatten einen großartigen Humor, jeder von Ihnen konnte einen auf spezielle Art dazu bringen, Tränen zu lachen oder die Welt um uns herum für einen Moment zu vergessen.
Irgendwann zogen Sie in ein Dachgeschoss im tiefsten Charlottenburg, irgendwann wurden die Hunde älter und die Routinen andere. Das alles tat unserer Beziehung jedoch keinen Abbruch. Kurz nachdem Sie uns den Grunewald gezeigt hatten, machten Sie uns mit den Künsten von Mr.Hai bekannt, Olivaer Platz. Seitdem war wenigstens das gemeinsame Essengehen ein fester Termin, den wir uns alle freihielten. Oft genug kam was dazwischen, doch oft genug gab es dazwischen auch diverse Gelegenheiten, Partys, Ausflüge oder Filmabende.
Wir lernten durch Sie interessante neue Menschen kennen und umgekehrt. Nie werde ich vergessen, wie alle zusammen das Finale der WM 2002 im Kuchenkaiser begingen, zu Ehren der Brasilianer wurde ständig mit Caipirinha angestossen, mittags um eins. Für den Anfang, der Tag war ja noch lang. Nach dem Abpfiff zogen wir in die Dresdener, wo einer von unseren Freunden wohnte, und dort ein paar Bongs durch, die uns allen nicht gut taten. Danach ging es mit Seinem Firmenlexus Richtung City West, wo der Abend dann irgendwo im Nebel versank, mit Blick von ganz oben auf den Lietzensee & den klaren, schönen Sonnenuntergang. Einer der magischen Abende.
Als Madames Geburtstag mal wieder vor der Tür stand und der Berlinalestress vorbei war, schickte sie den Beiden eine Einladung zu Mr.Hai. Wir hatten Sie das letzte Mal Anfang Dezember gesehen und auch schon lange kein vernünftiges Sushi mehr gegessen: Zwei Fliegen mit einer Klappe.
Eines morgens klingelte dann ihr Handy, wir räkelten uns gerade aufwachend in den Laken, bis sie sich schliesslich doch aufraffte und ins Wohnzimmer ging, wo ihr Telefon an der Steckdose hing. Und wo sie dann nach wenigen Sekunden in ein grausames Schluchzen ausbrach; auch das wird mir unvergesslich bleiben.
Er sagte das Essen ab, lud uns aber stattdessen zu sich nach Hause ein. Für ein ausführlicheres Gespräch, am Telefon nur so viel: Sie hatten sich spontan einen Urlaub gegönnt, ein alter Arbeitgeber von Ihm hatte gerade ein schönes neues Hotel eröffnet, nach dem Stress in der letzten Zeit genau das Richtige. Die Welle riss die Beiden bei ihrem ersten Strandspaziergang mit sich, eine Weile zusammen, dann glitt Sie Ihm aus der Hand.
Fassungslos erinnerte ich mich daran, dass ich Wochen zuvor bis ins Detail die Berichterstattung verfolgt hatte, wo wieder und wieder Bilder aus einem bestimmten Hotel gezeigt wurden, Interviews mit dessen deutsch-türkischem Manager: Genau dort waren Sie.
Immer noch fassungslos saßen wir dann eine Woche später mit Ihm zusammen in der Wohnung, vor den Kleiderschränken seiner toten Frau, und wussten nicht genau, was wir sagen oder tun sollten. Vollkommen zerstört berichtete Er uns alles, was Er erlebte, woran Er sich noch erinnerte. Er würde ganz woanders hingehen und etwas ganz anderes machen, so viel war klar. Dann war auch Er weg. Im Sande verlaufen & von den Wellen verschlungen. Aber nicht vergessen.