2013, das G-Wort und der ganze Rest – Ein Vorwort

Weihnachten ist nun also auch endlich vorbei. Es war ganz okay, aber das Jahr war an sich halt ziemlich beschissen und ich wäre eigentlich lieber allein geblieben und hätte den ganzen Kram am liebsten vergessen.

Eine Sache hat mich dann aber doch wieder ein wenig fröhlich und versöhnlich gestimmt: Als ich an den Feiertagen aus der Mitte Berlins zum ausgefransten Ostrand fuhr, dahin, wo es nicht nur Dorf heisst, sondern auch so aussieht und man mitten auf der Strasse gehen muss, weil es keine Bürgersteige gibt und die Leute trotzdem der Meinung sind, dass sie in Berlin leben würden, ja – die sogar glauben, dass das dort sogar eher Berlin ist als dieser ganze Kreuzköllnscheiss, von dem man immer hört, womit sie wahrscheinlich sogar ein wenig recht haben; jedenfalls:  ich habe in den letzten zwei Tagen während der Bahnfahrten also endlich „Tschick“ gelesen, wollte ich schon eine ganze Weile tun, die Liste ist aber lang. Und das hat mich sehr gut unterhalten und eben etwas fröhlich gestimmt. Es passte auch super zu der Strecke der Fahrt, und dem Publikum, welches so an den Weihnachtstagen zwischen Kotti und jottwede im Osten an der Tram 62 verkehrt, eine ganz andere Art Roadmovie. Einerseits.

Andererseits kam mir der Gedanke, dieses Buch doch endlich mal zu lesen, natürlich zuletzt anlässlich von Herrndorfs Tod in den Kopf. Zu dieser Zeit ging es mir auch grad nicht ganz so dolle, und ich fuhr ziemlich oft mit dem Rad am Hohenzollernkanal lang, Plötzensee, ist generell eine schöne Strecke, über den Friedhof, am Lehrter vorbei… Naja, als ich dann erstens hörte, dass er gestorben sei (so hiess es anfangs nur: gestorben, keine Erläuterungen) und zweitens Katrin Passigs Artikel oder Tweet oder was es auch immer war las, dachte ich „Kann ich sehr gut verstehen. Sehr gut.“ Aber auch: Verdammter Mist, es gibt so wenige von den Guten. Dabei hatte ich bis dahin nur sein Blog gelesen. Jetzt kann ich sagen, dass ich damit recht hatte. Jetzt geht es mir auch nicht mehr ganz so mies. Ganz ohne zu Grübeln kann ich den Weg immer noch nicht fahren.

Aber von vorne: Eigentlich gibt es nur einen Grund für dieses Blog hier. Wie gesagt, ich schrieb vorher woanders und hauptsächlich politisch, machte das dann aber zu. Ironie des Jahres: Damit könnte ich mich fast zum Trendsetter erklären. Stimmt aber nicht, lange vor mir machten der politblogger und andere zu, b like berlin sogar auf ewig, doch das ist eine andere Geschichte. Sollte man aber mal erwähnen, wenn jetzt nur wegen flatter und Mrs.Mop und und und die Klagelieder angestimmt werden. Kennt noch jemand Jacob Jung? [Ich schweife ab, ich weiss, aber das hat System, das bleibt auch so.]

Also: Ich machte das alte Blog eher aus persönlichen Gründen dicht, neben der generellen Resignation, was die Wirksamkeit und den Sinn aufrührerischer Politartikel betrifft.  Mehrere Sachen begannen sich mehr oder weniger dramatisch zu ändern, da passte das gut ins Konzept, und mir war sowieso wieder mehr nach Literatur. [Als ob man das auseinander halten könnte] Wobei, das Lustige daran ist: Vor über zehn Jahren, als ich schon an der gleichen Stelle stand, beschäftigte ich mich sehr mit unter dem Label Social Beat werkelnden Textarbeitern. Auch eine ganz andere Geschichte, an die sich wohl kaum noch wer erinnert, was schade ist, da eigentlich hochaktuell. Dort verabschiedete sich Tom de Toys nach gut zwei Jahren mit einer Analyse, die durchaus auf die Bloggerei angewendet bzw. abgewandelt werden kann:

„Als die A.L.O. (AußerLiterarische Opposition) im Berliner Sommer `93 während des 1.SB(Social Beat)-Festivals ausgerufen wurde, dachte Deutschlands literarischer Under­ground an eine undogmatische Bewegung mit vielen Schreibstilen und Präsentationsweisen. Doch schon bald zeugten gegenseitige Distanzierungen von unkollegialen Arbeitsmechanis­men, die dem etablierten Literaturbetrieb ähneln: Geld, Macht, Neid und Prestige spielten, seit die Medien sich interessierten, plötzlich eine größere Rolle als verbindende Gesellschaftswut und Glücksvisionen. Nach zahlreichen Zeitungsartikeln, TV-Berichten, Festivals und pro­grammatischen Publikationen lässt sich die Szene nun grob in drei Lager sortieren: ein fast sektirerischer (sic!) Hard-core-Kern orientiert sich mit seiner sogenannten „Pimmelprosa“ an amerikanischen Beat-Autoren, eine dadasophisch angehauchte Clique schwört mit ihren Ge­dichten auf den aktionistischen Performance-Charakter von LITERATUR GEGEN LANGEWEILE und dazwischen treiben jene Schreiberlinge und Zeitschriftenmacher, denen das Marketing-Konzept wichtiger scheint als der Inhalt.“ Presse-Erklärung des Instituts für Ganz & Garnix. September/Oktober 1995

Ein anderer grosser Hype der Netzgemeinde ™, von dem man nicht mehr allzu viel hört, waren die Postprivatisten der Spackerei feat. Jens Best gegen den Rest der Welt aka Google street view. Die taugen heute lediglich noch als Witzeprojektionsflächen für Holgi Klein oder Malte Welding. Und genau damit sind wir zurück beim Thema: Wenn ich jetzt also wieder ein Blog starte und das schreibe, was ich wollte und was raus muss, was aber eben dummerweise auch persönlich ist – will ich das wirklich, weiss ich, in welche Untiefen ich mich da begebe, wo sollte die Schere im Kopf am Besten ansetzen [ganz zu schweigen von dem NSA-Skandal, aber das ist ja wieder Politik und von daher am Thema vorbei und abgesehen davon sowieso total absurd]?

Doch es hilft nichts, wie gesagt: Es gibt einen Grund für dieses Blog, und ausserdem muss der Name ja noch erklärt werden. Wie ich also zurück in die harte Berliner Wirklichkeit geschleudert wurde, und wie das natürlich auch was Politisches hat – Stichwort Gentrifizierung:

Das Wort, was Andrej Holm in die Schlagzeilen, unter Terrorismusverdacht und in Untesuchungshaft gebracht hat. Als das passierte, war ich gerade in einer längeren Pause, was die studentischen Aktivitäten anbetraf. Ich wusste um das Konzept und hatte durchaus ein, zwei Veranstaltungen bei Häußermann gehabt. Aber das war es dann auch fast, wäre da nicht Polleschs „Stadt als Beute“ gewesen, was mich ehrlich gesagt sowohl auf der Bühne als auch zwei, drei Jahre später auf der Leinwand begeisterte. Als ich wieder zurück ging an die Uni, kam Andrej Holm gerade aus dem Knast, ich packte ihn in meine Blogroll (wie konnte ich das hier nur vergessen-) und fing an, mich wieder mehr mit Recht auf Stadt und Urban Studies, wie es jetzt hiess, zu beschäftigen. Allerdings nicht an dem Institut von Holm, sondern bei den Ethnologen. Wenn man so will, war das Thema längst in der brutalen PopkulturRealität angekommen. Und eben auch in meiner, jetzt ganz greifbar.

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Da ich ja nun keine Politbloggerei mehr betreiben wollte, was bleibt mir dann übrig? Ich kann darauf hinweisen, dass andere das besser und wirksamer machen als ich es je könnte. Ich kann meine Berlin-Geschichte aufschreiben. Ich muss. Es gibt ganz viele andere, die schönsten davon bei tikerscherk (die natürlich auch längst in die Blogroll gehört und – ganz ehrlich – für mich neben Andreas Glumm die Entdeckung des Jahres ist und mir die dunkle Jahreszeit ähnlich aufhellte wie Tschick), aber selbst Don Alphonso hat letztens eine sehr gute erzählt.

Sowieso – an jeder Ecke stolpert man inzwischen über Berichte aus Berlin, und immer spielt das G-Wort eine Rolle. Besserverdiener, die verzweifelt um Rat bitten, wie sie nicht zu bösen Gentrifizierern werden. Was schwierig werden könnte, liest man sich aktuelle Berichte von Wohnungssuchenden aus ähnlichen Milieus durch. Und dann gibt es noch diese Expat-Exilantenszene hier, die sich auf Englisch darüber aufregen, wie furchtbar das alles ist mit den ganzen Touristen. Die drehen da sogar krude Filme drüber. Und in Hamburg sieht es nicht besser aus. Inzwischen gibt es sogar – kein Scheiss – eine Gentrifizierungsoper. Auch am schönen Kollwitzplatz kann Kunst gegen Gentrifizierung bestaunt werden.

Also: Es folgt eine Geschichte, die viel länger geworden ist, als ich dachte. Aber wegen ihr hab ich dieses Blog  überhaupt aufgemacht – was also jetzt & im nächsten Jahr passiert, nachdem der Text nun (bald) hier steht, kann ich noch gar nicht sagen, ich bin aber gespannt. Irgendwie hatte ich jedenfalls das Gefühl, dass sie mal aufgeschrieben werden musste, manchmal ist das so:

„Mein Gehirn nahm ungeheuer Fahrt auf, und ich würde schätzungsweise fünfhundert Seiten brauchen, um aufzuschreiben, was mir in den nächsten fünf Minuten alles durch den Kopf ging. Es war wahrscheinlich auch nicht sehr spannend, es ist nur spannend, wenn man gerade drinsteckt in so einer Situation.“   Tschick