post scriptum

Eigentlich wollte ich dem vorherigen Text einfach nur einen Nachtrag in Linkform hinzufügen. Weil er passt und Wichtiges zum Literaturbetrieb sagt. Und dann stoße ich auf den deutschen Wikipedia-Artikel zu „Post Skriptum“ (schreibt man nie aus!):

Das Postskriptum stammt aus der Zeit der Briefe, als man alles von Hand schrieb. Es hatte den Vorteil, dass durch das Vergessen eines wichtigen Teiles nicht alles nochmals geschrieben werden musste, sondern man es einfach anhängen konnte. In der Zeit der E-Mail-Kommunikation wird es jedoch hauptsächlich dafür verwendet, um Dinge anzuhängen, die nichts direkt mit dem eigentlichen Thema zu tun haben.

Der erste Satz allein hat mich für eine halbe Stunde wehmütig-nostalgisch schluchzen lassen, nur unterbrochen von „Mein Gott, ich muss wirklich alt sein!“-Stoßseufzern. Fast.

Andererseits: Wikipedia und Wikipedianer und überhaupt … irgendwo müssen sie sich ja auch im Internet tummeln. Diejenigen, die früher – in der Zeit der Briefe, als man alles von Hand schrieb – in Kaninchenzüchter- und Kleingartenvereinen organisiert waren. Schönes Wochenende!

Flache historische Vergleiche und ein Haufen Links

Als ich vor knapp zwei Wochen mit einem alten Freund bei mehreren Bieren saß, kam das Gespräch irgendwann natürlich auch auf die aktuellpolitische Lage: Die Krim war gerade annektiert worden/ hatte gerade abgestimmt. Wir theoretisierten, wie es denn weitergehen würde, und mir rutschte beim Thema „Was wird aus der Ukraine“ das Wort „Rest-Tschechei“ raus.

Auch in dieser Woche konnte ich nicht vom Kneipenbesuch lassen, und siehe da: Die Ukraine drängte sich wieder  auf. Ich berichtete meinem Gegenüber von dem Mord am „Weißen Sascha“, woraufhin ihm spontan ein „Ach, die Nacht der langen Messer?!“ entfleuchte.

Solche flachen historischen Vergleiche sind allerdings nur in vernebelten rauch- und bierdunstschwangeren Lokalitäten zulässig. Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht, weder als Farce noch als Tragödie.  Aber ein Vergleich lohnt sich allemal, um Grundmuster und -mechanismen zu erkennen, denn davon gibt es, wie der Name schon sagt, nicht allzu viele. Allein die Umstände führen zur Varianz.

So schrieb Friedrich Kellner am 22. Juni ’41, dem Tage des Überfalls auf die Sowjetunion, in seiner hessisch-ländlichen Zuflucht:

Mit was auch unser Vorgehen begründet werden mag, die Wahrheit wird einzig und allein auf dem Gebiete der Wirtschaft zu suchen sein. Rohstoffe sind Trumpf. […] Die Armee sucht Futterplätze, und die Herren von der Industrie wollen billige Rohstoffe.
(Friedrich Kellner: „Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne.“ Tagebücher 1939–1945.  Göttingen 2011, S.156)

Man könnte hier also ein Grundmuster ausmachen und einen Vergleich ansetzen. Eine Gleichsetzung, beispielsweise des Freihandelsabkommens und des Assoziierungsabkommens mit folgendem Kellner-Zitat (immer noch zum gleichen Anlass, vom 28. Juni ’41) wäre zwar naheliegend, aber … :

Endlich ist es soweit, daß die Großkapitalisten aller Länder – getreu dem Rufe ihres Führers Hitler – dem verhaßten Regime in Rußland den Garaus machen wollen. (S.163)

Ein weiterer kleiner geschichtswissenschaftlicher Exkurs sei noch gestattet: Aus der Крим ist also (wieder) die Крым geworden. What’s new?

Fast alle europäischen Grenzgebiete sind mehrfach kodiert, fast alle Städte und Orte in diesen Übergangs- und Gemengelagen haben Doppel- und Dreifachnamen. Das ist mehr als ein Hinweis auf politisch korrekte Zitierweise, es ist vielmehr eher die Spur in eine Geschichte, die komplexer ist, als daß sie auf den Nenner eines Namens gebracht werden könnte.
(Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. Frankfurt/M., 2006, S.227.)

In seinem 2003 erstmals erschienem Werk („Dieses Buch glüht von innen.“ Die Zeit. Naja…) behandelt Schlögel unter anderem ausführlich die Rolle von Karten verschiedenster Art. Dass dies auch und gerade heute wieder hochaktuell ist, darauf weist Michael Schmalenstroer zu Recht hin. Nochmal Schlögel:

Im Zeitraffer betrachtet, ist die ganze europäische Geschichte eine ununterbrochene Geschichte der Macht- und Grenzverschiebungen … (S. 145)

Wieso also sollte sich das ändern? Schon vor elf Jahren konstatierte er:

Das neue östliche Europa ist gekennzeichnet von einem krassen Nebeneinander, einer „Gleichzeitgkeit der Ungleichzeitigkeit“, wie sie im Buche steht: das 21. neben dem 18. Jahrhundert. Das sind die Konfliktzonen der Zukunft, in denen sich der Haß auflädt und militant entladen wird, weit mehr als jener clash of civilizations, der von den Unterschieden der Kulturen und Glaubensbekenntnisse ausgehen soll. (S.469)

Klar, für die Arbeit des Swoboda-Politikers und stellvertretenden Vorsitzenden des Ukrainischen Komitees für Meinungsfreheit im Kiewer Parlament, Igor Miroschnitschenko, braucht man nicht bis ins 18. Jahrhundert zurückgehen. Ein ähnliches Verhalten fand und findet man regelmäßig, auch in Europa, nicht nur unter Goebbels oder Stalin. Doch selten gab es so deutliche Bilder davon. Aber genug der Geschichte, dazu hat Tucholsky eigentlich schon alles gesagt (der übrigens auch schon was über Gentrifizierung zu berichten wusste, und zwar aus deren Mutterland).

Und eben: What’s new? Über Hipster haben in den 1950ern schon Eric Hobsbawm, Jack Kerouac und Norman Mailer geschrieben.  Gut, es waren andere Hipster, und in Texten über sie steht heute vielleicht weniger rassistisch-esoterischer Quatsch als bei Mailer und der deutschen Rezeption dazu, trotzdem hat dieser Text mehr zu bieten als das plakativ-ironische „What Berliners don’t say“ (was trotzdem für den einen oder anderen kurzen Lacher gut ist): eine Facebook-Seite, deren Top-Beiträge jüngst von dem „The Hundert„-Magazin zusammengetragen wurden, was den Freitag dazu verleitete, die Magazin-Seite abzufotografieren und das Foto dann bei Facebook hochzuladen.  (Eigentlich schon wieder viel lustiger als die Zusammenstellung an sich: auf dem bei fb hochgeladenen Freitags-Foto von dem Magazin-Beitrag ist die dort abgedruckte originale fb-Adresse zu lesen). Womit wir mal wieder beim Journalismus wären, dem es ja derzeit an die Kapuze geht.

Die einen beschäftigen sich mit Hoodies oder den Schuhen des Internetministers, die anderen mit der Branchen-Zukunft. Wobei die besseren Artikel der letzteren Kategorie meist nicht hierzulande geschrieben werden. Wie man guten deutschsprachigen Journalismus machen kann, zeigen – wer hat’s erfunden? – die Schweizer. Das ist aber lang, und lange Texte liest doch eh kaum jemand. Hier kehrt man lieber vor fremden Türen: Wenn mal nicht die Blogger dran sind, dann eben die Literaten. Dabei kann schon ein Blogtext zur Aktualität Büchners den Großteil des auf Zeitungspapier gedruckten Feuilletons in den Schatten stellen. Vermute ich mal, ich habe lange keine Zeitungen gelesen, zugegeben.

Wie absurd diese Distinktionsversuche zwischen Journalismus, Blogs und Literatur sind, zeigen auch die großartigen (literarischen) Beiträge auf unzähligen Blogs immer wieder. Natürlich muss Glumm hier an erster Stelle genannt werden, der gerade mit den „Geplant war Ewigkeit„-Fortsetzungen wahrscheinlich nicht nur mich beeindruckt und sprachlos zurücklässt. Er kennt „den Literaturbetrieb“ durchaus auch von der anderen Seite, konnte dort aber eben (noch) nicht landen. Was mehr über „den Literaturbetrieb“ sagt als über Glumm.

Via sunflower22a (die auch längst hätte erwähnt werden müssen, obwohl ich mir über sie noch nicht einig bin – doch wie auch, wenn sie selbst „I am a mystery“ schreibt) bin ich auf einen weiteren tollen Text gestossen: Bemerkenswerterweise spielen auch hier A&P (kein Link, dafür ein Erinnerungsfetzen: Ein alter Jugendfreund spielte mal in einer Punkband, die so hiess, benannt nach einer Supermarkt-Hausmarke) wieder eine Rolle – wenn das Internet diese Seite aushält, kann uns nichts mehr etwas anhaben. Auch tikerscherk darf nicht unerwähnt bleiben, bei der gerade Themenwoche ist, nicht nur kubanische, wenn ich das recht verstehe. Und täglich kommen so viele gute, neue Texte dazu. Bücher natürlich ebenso, auf die ich aber auch vermehrt durch BlogRezensionen aufmerksam werde.

Wer hier noch etwas zum Thema „Kreuzberger Wohnverhältnisse“ oder „Geschichten von früher“ erwartet hatte: bittesehr. Das war’s dann aber für heute, irgendwann muss ja auch mal Schluss sein!

[Falls wer fragt: Ich mache das nur, damit ich die Links auch irgendwo habe und die Lesezeichenliste frei für Neues ist. Sonst geht es mir gut. Sagen die Stimmen in meinem Kopf.]

Hatte ich was von Punk gesagt?

 

Draussengeschichten

16.03.14

Ich musste dringend mal raus. Raus aus dem Netz, raus aus der Wohnung – wieso also nicht auch raus aus dem Kiez, dachte ich mir und verabredete mich im Mauerpark. Am Vortag ging es mir schon ähnlich und ich an den Kanal. Keine Ahnung, ob es die Sonne und die frische Luft draussen oder das Halbdunkel und die muffige Luft drinnen (in der Wohnung und in meinem Kopf) waren, die mich dorthin streben liessen. Eine kleine Kanalrunde: Ein Eis auf der Brücke, vorm Urban lang. Der Schwänefütterer, der sein Lager unter dem Baum und auf dem Betonsockel hat, war da, wie immer. Ebenso die Krankenhausbewohner, die sich in ihren Rollstühlen an die Zigaretten und ihre Angehörigen klammerten.

Es gab noch ein paar andere, die hier langschlenderten, aber insgesamt viel weniger, als ich eigentlich erwartet hätte. Es wurde auch kühl, langsam, es war Anfang März und kurz nach fünf, die Sonnenstrahlen erreichten diese Kanalseite nicht mehr. Ich schlug den Kragen der Jacke hoch und ging weiter, während zwei ältere Damen auf ihren nigelnagelneuen Elektrorädern rätselten, ob das Restaurantschiff jetzt ausgebaut worden ist oder schon immer so gross war.

Die zwei Kugeln Eis, die ersten in diesem Jahr, wenn ich mich recht erinnere, waren aufgeschleckt, Zeit also für das obligatorische Augustiner aus dem Späti, der den Kanal wahrscheinlich bis oben hin füllen könnte mit der Kohle, die er Sommer für Sommer durch die ganzen Touristen hier machte. Wenn er nicht die wahrscheinlich ebenso gestiegene Ladenmiete bezahlen müsste. Vermute ich mal, ich habe ihn nicht gefragt. Auch auf der Admiralbrücke war nicht viel los, nur zwei Musiker, keine Verstärker, die Autos kamen noch problemlos durch.

Auf der anderen Seite des Kanals schien die Sonne noch, ich zog den Reissverschluss der Jacke auf und liess die Frühlingsabendluft rein. Auf dem Weg zu dem Baum, unter dem wir im letzten Sommer so oft sassen, tranken, redeten und rauchten begegnete ich dann doch noch den unvermeidlichen Hipstern: Einer lag quer über den staubigen Pfad, komplett eingerollt in ein grosses Leinentuch, und räkelte sich darin zeitlupenhaft. Drei andere standen drum herum und filmten und fotografierten das Geschehen. Kunst wahrscheinlich, doch dafür hatte ich keine Zeit, nicht für ihre. In meinem Kopf setzten sich schon seit ich das Urban passierte Zeilen zusammen. Also beachtete ich sie nicht weiter und sah zu, dass ich den Baum erreichte, der zum Glück noch frei war: Bier getrunken, Zigarette geraucht, Foto geschossen und Gedicht geschrieben, dann ging es zurück.

Und heute war dann der Prenzlauer Berg dran. Ich musste wirklich den digitalen Stadtplan zu Hilfe nehmen, um die Strassennamen auf der Karte in meinem Kopf zu vervollständigen, so lange war ich schon nicht mehr hier. Und das, obwohl ich mal gar nicht so weit weg wohnte.

Die erste Überraschung für mich war, dass der U-Bahnhof Eberswalder Strasse jetzt zwei Aufgänge hatte. Ich suchte die altbekannte Strecke, Schwedter oder Oderberger mussten es gewesen sein. Klar, der kürzere Weg wäre der gewesen, der die Eberswalder bis direkt vor die Tore des Parks führt, doch ich wollte mir die Ecke anschauen, in der es früher den ersten halbwegs vernünftigen Falafel der Gegend gab, gucken ob die Kneipe noch da war, in der A. manchmal mit ihrem neuen Freundeskreis feierte, damals. Die Oderberger war es, das erkannte ich immerhin noch. Doch inzwischen war in so gut wie jedem Haus unten eine Bar, ein Restaurant oder ein Klamottenladen, so dass ich Mühe hatte, die alte Kneipe auszumachen. Schliesslich entdeckte ich sie doch, sie war immer noch da.

Im Park selbst war glücklicher- und überraschenderweise gar nicht so viel los: Ein paar Sprayer an der Mauer, ein paar Kiffer auf der Bank und ein paar Familien auf dem Bauernhof. Die sahen alle so aus, als ob sie perfekt hier her gehören würden. Dazu wehte eine überaus steife Brise, was uns beiden recht gut gefiel, wir waren damit gross geworden. Man konnte fast meinen, die Luft würde auf einmal salziger schmecken. Nachdem wir die Runde beendet hatten, bekamen wir Hunger und mir wurde von einem Burgerschuppen um die Ecke erzählt. Ich befürchtete schlimmes, war aber trotzdem neugierig. Der Laden war voll, wir mussten uns deshalb nach draussen setzen, die Sonne schien noch eine Viertelstunde. Viel zu kurz, um in dem überfüllten Hipsterladen bedient zu werden. Immerhin kam das Servicepersonal ab und zu mal zu uns raus, allerdings nur, weil drinnen zu viel Lärm war, um mit ihren native-language-skills auf Englisch lautstark kundzutun, dass leider alles schon voll wäre. Der Burger selbst war okay, aber dieses ganze Gewese und die einsetzende Dämmerungskälte nicht wirklich wert.

Dank des hochpreisigen Burgers musste ich auf dem Rückweg noch Geld holen. Vor der Bank stand jemand stark schwankend mit einer Obdachlosenzeitschrift vor der Brust. Die Augen geschlossen, den Mund offen, ein paar Speichelfäden hangelten sich den struppigen Bart hinab. Allerdings kam er gar nicht auf die Idee, die Tür aufzumachen oder Ähnliches, wie es seine Kreuzberger Kollegen immer taten. Auch Geld interessierte ihn gerade nicht: Einzig und allein in der Vertikalen zu bleiben, das war sein höchstes, schier unerreichbares Ziel. Die Zeitung brauchte er wohl nur, um sich daran festzuhalten. Dabei wollte ich ihn nicht weiter stören und betrat das samstagnachmittägliche Bankfoyer. Dort hatten sich die beiden Kumpels des Pförtners ausgebreitet, es war draussen wohl zu windig. Schon gestern abend, als sie hier ihr Lager aufgeschlagen haben mussten. Ein paar leere Kornflaschen wurden durch die Windböe, die ich mit reinbrachte, durch den Raum gerollt. Die beiden Männer kümmerte das nicht weiter, sie lagen im Halbschlaf auf ihren Decken, neben ihnen standen halbleere Plastikflaschen, mit Wasser oder einer anderen klaren Flüssigkeit gefüllt. Einer blinzelte mir kurz zu, bis ihm der Wind die Zigarettenstummel, trockenen Blätter vom letzten Herbst und Plastikfolien entgegentrieb. Dann drehte er sich kopfschüttelnd um.

Komische Gegend, dachte ich, als mir auf dem Weg hoch zur U-Bahn eine Junggesellenabschiedsgang mit den obligatorischen Spassbrillen und identischen T-Shirts entgegenkam.

Wiedervorlage 11 Jahre: Hundert Stunden Krieg

[Inzwischen sind aberhunderte solcher Stunden mehr vergangen. Hat sich groß was geändert? Wieso dann also neue Texte schreiben?]

24.03.03

Es ist wieder so weit: Bildungsfernsehen ist angesagt. Nachdem wir inzwischen schon fast wieder vergessen haben, wo Mostar und Tetovo, Kandahar und Mazar-i-Sharif liegen, ist das Thema des aktuellen Geographie-Telekollegs „Um Kasr“ (Umm Kasar, Um Kasre).

„Zum Glück haben wir unseren embedded correspondent im Einsatz. Wolf, wo liegt Um Kasr genau?“ „Susan, aus taktischen Gründen kann ich nichts genaues dazu sagen. Susan!“

„Danke Wolf!“

Ein Krieg in dem es scheint, dass die Waffen intelligenter sind als die Befehlshaber.

Eigentlich ist der Irak ja nichts weiter als eine Ansammlung von Widerstandstaschen.

Die Lage wurde nicht unterschätzt, es leisten ja nur noch die irakischen Spezialeinheiten Gegenwehr, doch davon gibt es genug: Republikanische Garden. Fedeejin. Spezielle Republikanische Garden. Jeder irakische Soldat ist seine eigene Spezielle Republikanische Garde. Von den Parteimitgliedern mal ganz zu schweigen.

Laut SPIEGEL geht gerade die „Generation Golfkrieg“ auf die Straße.

Sechzehnjährige mit ihrem Alter angepassten Transparenten: „Illuminati stoppen!“ „Bombing for peace is like fucking for virginity!“ Schülerdemos! Pisa ist vergeben und vergessen.

Saddam Hussein soll vor Kriegsbeginn an George Bush das Angebot gerichtet haben, man könne den Streit ja auch per Fernsehduell entscheiden, das sei doch in Amerika so üblich. Wenn das kein Medienkrieg ist! Sechs Stunden vor Ablauf des Ultimatums erschien auf einem Nachrichtensender eine Countdown-Uhr, mit dem Titel „Deadline“.

Die Reporter in den Flüchtlingscamps jenseits der irakischen Grenze hätten am liebsten ganze Hubschrauberstaffeln zur Verfügung gestellt, damit sie auch schnell genug ihre Bilder füllen können. Und wer kam? Keine Iraker, sondern Afrikaner! Was wollten die denn hier? Bilder von geflohenen Afrikanern in Zelten können wir jeden Tag bekommen!

D-Day hieß diesmal A-Day. Die Bomben sind laut Rummie so intelligent, dass sie einen Laster (= mobiles Massenvernichtungswaffenlabor, natürlich.)  unter einer Brücke treffen können, “without hitting the bridge”. Von Luftkrieg ist die Rede. Hat jemand in der letzten Zeit was von einem irakischen Militärflugzeug gehört?

Nach der Demo gehen wir nach Hause, bezahlen weiter die Rechnungen und freuen uns irgendwie trotzdem, dass endlich Frühling ist.

Traurig aber wahr…

oder lustig und gelogen?

Schon allein wegen „Bärlauch, Bärlauch, eins, zwei, drei, vier“, „Schau mal da oben, Biofeuerwerk!“ und „Ho-Ho-Holzspielzeug“ gefällt mir das. Aber eigentlich wollte ich nur auf diesen schönen Text von Anne Wizorek hinweisen, die dort den mir bisher unbekannten Reinald-Grebe-Song verlinkte. Da das aber für einen ganzen Blogpost auch irgendwie zu wenig ist, fische ich mal einen halbwegs passenden alten Text aus dem Archiv. Und weil ich mich erst mal wieder verkrümel und es mit der Sonne vorbei sein soll, gibt es sogar noch ein Bild (von 1997 schätzungsweise, ein altes Papierfoto, bestimmt bei einem Schlecker entwickelt; gibts beides nicht mehr) als Bonus: Meine Prenzlauer-Berg-Wohnung, relativ frisch nach dem Einzug. Von wegen:

„Das weiß doch keiner mehr, wie das hier noch vor 20 Jahren
Ausgesehen hat, ausgesehen hat, ausgesehen haaat!“

christburger2

Schönhauser Allee

01.03.03

Am Aktionstag der BVG zu ihrem 100. Geburtstag entschloss ich mich, mal in die Schönhauser Allee zu fahren. So ganz bewusst. Denn genau wie viele andere touristische Sehenswürdigkeiten Berlins hatte ich die Schönhauser Allee unter diesem Gesichtspunkt noch nie bewusst erlebt. Sicher, ich war schon öfter da, mein Zahnarzt liegt ganz in der Nähe, aber wenn Wladimir Kaminer erfolgreich ein Buch über diese Strasse schreibt, muss da doch mehr dran sein, oder?!

Der Geburtstag der BVG wurde in Form von vermeintlicher Kunst sichtbar. Zu ihrem Ehrentag, den sie ein ganzes Jahr lang feierte, wurde die Innenbeleuchtung der U-Bahnen den jeweiligen Farben ihrer Linien auf dem Fahrplan angepasst. Praktisch bedeutete dies, dass die Waggons der U 2 in einem halbseidenen Rot erleuchtet waren. Als ich im Dunkel des Alexanderplatzes einstieg, dachte ich erst, die BVG erfüllte zu ihrem Geburtstag die Wünsche ihrer BZ-lesenden Passagiere und es gibt jetzt neben der Party-Tram und dem Stammtisch-Bus auch die Puff-U-Bahn.

Aber zum Glück fuhr die Bahn ja größtenteils oberirdisch, so dass die Beleuchtungs-Belästigung nicht allzu schlimm war. Und ausserdem: Schließlich hätten die Berliner Stadteisenbahner diese kunstvolle Idee (ausgedacht übrigens von einem Weißsee-Absolventen, wie eine Infotafel in den Abteilen informierte) auch in der U 1 umsetzen können, was zu einer giftgrünen Innenbeleuchtung geführt und garantiert unangenehme Körperreaktionen hervorgerufen hätte.

Ich stieg direkt am Bahnhof Schönhauser Allee aus. Sicher, die Station Eberswalder Strasse hatte auch einiges zu bieten, den ständig laut Bob Marley hörenden und egal bei welchem Wetter mitsingenden Gemüseundkramhändler zum Beispiel. Aber ich wollte mir ja den ganzen Straßenzug anschauen, und der fing nun mal schon weiter oben an, interessant zu werden. Wegen der Arkaden zum Beispiel. Das schreibt ja schon Kaminer. Die Arkaden sind direkt gegenüber des Bahnhofs, aus dem ich gerade raus kam.

Und ich merkte, wie verdammt kalt es doch war, da hatte ich mir eigentlich einen blöden Tag für mein Experiment ausgedacht. Sonne zwar, aber bitterkalt. Es war so kalt, dass sogar die hier ansässigen Bahnhofspunks ihre Haare in warmen Tönen gefärbt hatten.

Und als verweichlichter Kreuzberger setzte ich mich zurück in die Bahn und fuhr nach Hause, irgendwie fand ich es sowieso blöd hier. Deshalb habe ich nie die Dostoprimeschatelnosti-Qualitäten der Schönhauser Allee kennen gelernt, und nie werde ich erfahren, dass es in der Schönhauser Allee so dermassen brummt, dass die einzigen Geschäfte, die hier ihren Laden dicht machen müssen, die Bestattungsinstitute sind.

Nichts Neues

Vor Jahren besuchte ich mal ein Seminar zum „Problem der Anarchie in der internationalen Politik“. Zugegeben, als ich mir kurz vor Semesterstart meinen Stundenplan zusammenstellte, hatte ich etwas anderes im Kopf als das, worum es dann schliesslich ging. Aber es lag auch am Dozenten, dass meine Wahl auf diese Veranstaltung fiel: Er war mir vorher schon als sehr angenehmer Zeitgenosse und kluger Kopf aufgefallen, damals ging es um Hobbes, wenn ich mich recht erinnere.

Dass ich nicht sofort wusste, was mit „Anarchie in der internationalen Politik“ gemeint war, lag daran, dass ich erstens nur Nebenfach-Politikwissenschaftler und zweitens IB (Internationale Beziehungen) weit davon entfernt war, einer meiner Schwerpunkte in diesem Nebenfach zu sein. Allerdings wurde ich im Laufe des Semesters mehrfach positiv überrascht. Es handelte sich, das muss dazu gesagt werden, um ein Master-Seminar. Ich studierte dagegen noch auf einen vorsintflutlichen Magister-Abschluss hin und musste die zwei, drei letzten benötigten Scheine zusammensammeln.

So furchtbar, schlimm und vollkommen unakademisch diese ganze verkorkste Bologna-Reform auch ist (irgendwann werde ich auch dazu noch was schreiben müssen) – die Masterseminare, die ich damals besuchte, waren mit das Beste, was mir in der Uni-Karriere bis dahin passierte. Hier fanden sich diejenigen zusammen, die wirklich ein ausgesprochenes Interesse, wenn nicht gar Leidenschaft, für das jeweilige Thema hatten – und es waren meist angenehm kleine Seminargruppen von nicht mehr als zwanzig Teilnehmern, im Gegensatz zu den 60 und mehr Studierenden in äquivalenten Magisterstudiumsveranstaltungen (klar, die angehenden Master mussten es ja vorher erst einmal schaffen, sich durch den Selektionsdschungel zu schlagen, da bleibt nicht viel übrig). Sie kamen mir übrigens alle erstaunlich jung und meist ebenso schlau vor, ich sah einige von ihnen mit weit unter Dreissig schon promoviert in irgendwelchen hohen Positionen bei globalen Thinktanks oder in Politik und Medien. Wenige vielleicht auch an Forschungseinrichtungen oder Universitäten, dann wahrscheinlich mit der Habilitation beschäftigt. Aber wirklich nur wenige, denn diesen ambitionierten High Professionals hatte zumindest das deutsche Hochschulwesen keine überzeugenden Karrierechancen zu bieten; Juniorprofessuren, da lachten die sich drüber kaputt, was ja auch die einzige Lösung war, wäre es nicht so traurig.

Jedenfalls sass ich da also als Veteran aus einer längst vergessenen Zeit und führte ein halbes Jahr lang angeregte Diskussionen mit den IB-Experten der kommenden Generation. Überraschend auch, dass fast immer fast alle die durchaus anspruchsvolle Lektüre gelesen hatten: Auch soetwas gab es früher kaum. Das Fazit war recht zwiespältig: Völkerrecht, Schmölkerrecht – das zählte noch weniger als das Papier, auf dem es steht, da waren selbst nationale Verfassungen besser dran. Es ist schon so, dass für die IB eigentlich der Hobbes’sche Urzustand gilt und zwischenstaatliche Verträge dagegen nur so lange, wie beide Partner das wollen und sich vertrauen – ein Leviathan ist nicht wirklich auszumachen (Sorry, UNO, grow some balls). Das Gefangenendilemma lässt grüssen. Andererseits gibt es ja durchaus viele vernetzte Interdependenzen in der modernen, industrialisierten, kapitalistischen Welt. Und das Theorem, dass entwickelte Demokratien keine Kriege untereinander führen, wurde auch noch nicht grundsätzlich widerlegt. (Nicht zu vergessen, wie der Dozent immer wieder betonte, dass kaum noch von Supermächten gesprochen werden kann, wenn überhaupt, dann von Hegemonien. Und dieser ganze Bezug der angloamerikanischen Politikwissenschaft auf das „Westfälische System“ ist auch Schmuh, diese angebliche historische Ordnung Europas wird sowieso gnadenlos überschätzt. Mich würde interessieren, wie er inzwischen seinen alten Text, den ich grad entdeckte, nach 20 Jahren beurteilen würde.)

Heute, in dieser mal wieder historisch einzigartigen Situation, wünschte ich mir manchmal solche Seminare und Diskussionen mit klugen, jungen Menschen, die für ihr Thema brennen. Aber ich bin raus aus der Uni, die Medien ™ schüren Freie-Welt-Propaganda und die Nischenblogs versuchen ein Bild gerade zu rücken, das sich eh keiner anschauen mag. Und natürlich stehen ALLE im Verdacht, von irgendwelchen Geheimdiensten gesteuert zu werden, bewusst oder nicht. Deswegen werde ich nichts zu der aktuellen politischen Lage schreiben, wozu auch?

Trotzdem möchte ich  – wenn sonst schon nix Gescheites von mir kommt – auf ein paar lesenwerte Texte hinweisen. Immerhin komme ich trotz des Wetters dazu, heimlich still und leise ein paar Zeilen in den Computer zu schreiben.  Zuerst – weil ich es bei der letzten Linksammlung vergaß bzw. schon längst darauf hinweisen wollte: Eine Geschichte, die ich schon mal lobte, gibt es jetzt als kleines Büchlein zu kaufen.

Ähnlich am Herzen liegt mir das Zentrum für politische Schönheit. Manche mögen sich vielleicht noch an den „Schuld“-Film erinnern, jetzt gibt es eine Art Grundlagen-Erklärung des ZPS. Sehr lang, ich bin auch noch nicht ganz durch*, aber Schlingensief thront über allem, das kann kaum schlecht sein.  In dessen Genre und Generation gibt es eigentlich nur noch einen, der mich annähernd so begeistert hat: Pollesch, ich hatte ihn schon mal erwähnt, und auch Bersarin tat es gerade wieder. Hier gibt es ein aufschlussreiches Interview mit ihm, der derzeit weit weg in Zürich wirkt: über die Verteidigung der Lüge und des Verrats, und was Petitionsunterschriften mit Derailing zu tun haben.

Wie vielleicht ja schon angeklungen, ist das mit der Politik und dem Schreiben nicht immer einfach. Und schon gar nicht mit dem Schreiben über das Schreiben (und Reden) über die Politik, vor allem, wenn alle einfach nur Literatur erwartet haben. Oder so ähnlich.  Deswegen und wegen meiner Menschenscheu habe ich oft versucht, wirkliche politische Zusammenhänge zu meiden. Das ist mir nicht immer geglückt, daher weiss auch ich: die Politik war immer schon ein mieses Geschäft, sobald mehrere Menschen auf einem Haufen waren, damals wie heute. Doch wie gesagt, es klappt nicht immer mit der Enthaltsamkeit. Also nochmal zurück zu einem schon oft genug besprochenem Thema.

Die NSA und die Weltöffentlichkeit wissen dank Snowden ja jetzt um das Merkel-Syndrom. Was aber auch nicht unter den Tisch fallen sollte: Dank einer furiosen Spike-Lee-Rede hat die Gentrifizierung jetzt das Christopher-Columbus-Syndrom an der Backe: We been here, you can’t discover this! Man sollte sich das wirklich alles anhören, lauter Perlen:

And then! [to audience member] Whoa whoa whoa. And then! So you’re talking about the people’s property change? But what about the people who are renting? They can’t afford it anymore! You can’t afford it. People want live in Fort Greene. People wanna live in Clinton Hill. The Lower East Side, they move to Williamsburg, they can’t even afford fuckin’, motherfuckin’ Williamsburg now because of motherfuckin’ hipsters. What do they call Bushwick now? What’s the word? [Audience: East Williamsburg]

That’s another thing: Motherfuckin’… These real estate motherfuckers are changing names! Stuyvestant Heights? 110th to 125th, there’s another name for Harlem. What is it? What? What is it? No, no, not Morningside Heights. There’s a new one. [Audience: SpaHa] What the fuck is that? How you changin’ names?

Aber der Peak scheint langsam erreicht, selbst auf Bloomberg wird jetzt schon die Geschichte von den Israelis in Berlin erzählt, und zwar gar nicht so schlecht. Derweil treibt auch zu Hause in Gusch Dan die Gentrifzierung weiter skurrile Blüten. Doch wie gesagt: Ein Ende ist in Sicht, muss in Sicht sein. Wenn der Tagesspiegel berichtet, dass  des Kiezneurotikers und Pantoufles Lieblings-Titten-Comic-Tittencomic-„Online-Magazin“ (fast hätte ich die schlechte Musik vergessen) berichtet, dass Gawker berichtet, dass erst der Rolling Stone und dann auch noch die NY Times berichteten, dass die Gentrifizierung Berlin arg zu schaffen macht und schon allein deshalb mindestens Krakau jetzt viel doller in ist – dann ist es doch wirklich langsam vorbei, oder? Ein kleiner Hoffnungsschimmer also, tausend Fliegen und so weiter. Wer immer noch nicht überzeugt ist: Andrej Holm wurde in den Dorfnachrichten ausführlich interviewt. Nicht von der Grinsekatze, sondern von dem Typen mit dem Kuli. Und davor noch ein Bericht zum Thema von Uli Zelle. Wenn die Gentrifizierung damit nicht in der Mitte angekommen (und also vorbei?) ist, wann denn dann? Vielleicht, wenn auf Spiegel-Online-TV der Bar25-Film im Stream gezeigt wird?

Also kann ich mich beruhigt wieder dem Schreiben widmen. Falls jemand noch einen defitgen Rant braucht, wir sind ja hier schliesslich im Internet, bittesehr. Und wenn das mit dem Schreiben nichts werden sollte, dann wenigstens lesen: Nächste Woche ist Indiebookday.

*Inzwischen habe ich es geschafft. Grundanliegen des ZPS ist, neben dem, was der Name schon sagt, die Sache der Menschenrechte. Sie werben für einen agressiven Humanismus, den sie recht gut charakterisieren, begründen und historisch einordnen. Ehrlich gsagt haben mich ihre Kunstprojekte – ihre Praxis also – bisher mehr begeistert als dieser Grundlagentext – die Theorie – , der war mir an einigen Stellen zu naiv, zu dicht an der Oberfläche. Trotz alledem ein wirklich lesenswertes und handlungsanstiftendes Manifest, was Blickwinkel eröffnen kann, deren bisheriges Fehlen dort zu Recht angeprangert wird.

Schon längst…

…ist der Traum aus, möchte man gerade jetzt zynisch meinen. Und dann trifft man bei Soundtrackrecherchen zufällig wieder auf diesen Song. An diesem Ort. Zu dieser Zeit: „Der Traum ist aus“ vom unvergleichlichen Rio, mit lautstarker Publikumsunterstützung, gegeben in der Seelenbinderhalle zu Berlin, Hauptstadt der DDR, 1988. Kommt mir gar nicht als die Ewigkeit her vor, wie die 26 Jahre vielleicht suggerieren.

[Ich fass das alles nicht & bin erst mal wieder weg]

Gestern und heute; Klowände, Internet und Schreiben

Ich glaube, es war Klaus Baum, der vor Wochen oder Monaten diesen Schnipsel verbreitete.  Geändert hat sich Vieles in den Wochen, Monaten und Jahrzehnten – nicht aber der Gehalt dieses Interviewfetzens, dem habe ich eigentlich nichts weiter hinzuzufügen.0906_efa8

In der Geschichtswissenschaft gilt der Krim-Krieg als der erste moderne Krieg. Damit sind eher die Mittel gemeint (Eisenbahn, Waffen, Telegraphie), das Denken hinter der Kriegsführung war weniger modern und geprägt durch Fehlplanungen und -einschätzungen auf allen Seiten. Ob das, was sich derzeit in dieser Region entwickelt (der Auslöser – die Ereignisse auf dem Maidan – ist inzwischen wohl zur Fussnote verkommen; Entscheidungen werden nicht mehr von einer souveränen Ukraine getroffen, sondern in Brüssel, DC oder Moskau), ähnliche weltpolitische Konsequenzen zeitigen wird, müssen Historiker späterer Epochen bewerten. Wenn es denn dann noch welche gibt. Das Potential dazu ist jedenfalls vorhanden, ich traue einigen Akteuren durchaus zu, einen grossen Drang danach zu haben, das Ventil mal wieder richtig aufzudrehen. Sewastopol als nächstes Sarajewo, nichts ist unmöglich. Aber lassen wir das Spökenkieken und beschäftigen uns lieber mit naheliegenderen (oder näherliegenden?) Sachen. Mit Klowänden zum Beispiel.

Der Werbefuzzi von Matt bezeichnete vor acht Jahren Blogs als solche, genauer: als die Klowände des Internets. Ausgerechnet übrigens in Verteidigung der „Du bist Deutschland“-Kampagne, die mit ihrer Sloganwahl – um mal im Bild zu bleiben – ja auch kräftig in die Schüssel gelangt hat.

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Ich mag Klowände, da gibt es immer was Interessantes zu lesen, selbst bei denen im Real Life. Pure Ablenkung davon, dass man eigentlich selbst die Wände vollschreiben sollte.  Erst einmal „die Anderen“ – auch Journalisten machen Fehler: Manchmal grosse, indem sie die grundlegenden Prinzipien ihrer Branche vernachlässigen. Manchmal kleine, indem sie einfach das Thema verfehlen. Manchmal gedankenlose, die ihnen hätten auffallen müssen, es aber zu unserer Belustigung nicht taten.

Und jetzt „wir“: Unsere Klowände sind oft dazu da, einfach mal den Unmut über den ganzen verdorbenen Mist in der Welt rauszulassen. Doch bei genauem Hinsehen kann man erkennen, dass ebenso häufig Selbstzweifel (statt Kritik an anderen) thematisiert wird, nicht immer so laut, aber dafür um so intensiver und berührender.

Eine kleine Ausrede, die mir gerade hilft: Es gibt auch etwas über das Schreiben zu lesen, noch dazu mit einem treffenden Titel. Die Quintessenz: Wir können uns nicht aussuchen, was sich in unserem Kopf einnistet – oder welche Geschichten darauf warten, von uns erzählt zu werden.  Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist der Hinweis auf den richtigen Umgang mit Autoren. Den liefern Katrin Passig (Journalistin? Bloggerin? Autorin? Take your pick…) und Ira Strübel. Eigentlich müsste ich den Artikel in Gänze hier zitieren, aber so greife ich wahllos eine Passage heraus:

Vermeiden Sie auch die Frage, wie die Arbeit am nächsten Buch vorangeht. Selbst wenn der Autor täglich acht Stunden damit zubringt, in eine leere Datei zustarren, und sich den Rest der Zeit betrinkt, wird er auf Ihre Frage nur «achja, ganz gut» antworten. Jetzt sind Sie nicht klüger als zuvor, der Autor aber ist an seinen schweren Beruf erinnert worden und bekommt schlechte Laune. Für den Rest des Gesprächs hadert er damit, keine Schreinerlehre gemacht zu haben.

Wenn es gar nicht mehr geht, mit den Klowänden und dem, was dort so zu lesen ist – auch das kann passieren – wenn es einem also hochkommt: Manchmal gibt es dafür eine Lösung, nur ein paar Schritte weiter. Ich war begeistert, als ich auf einer Hochzeit in Friesland folgende lebenspraktische Installation entdeckte. Jahrelange Erfahrungen mit der Landjugend und ihren Hinterlassenschaften im Mehrzweck-Veranstaltungssaal führten wohl zu diesem sanitären Pragmatismus:

( Dieses Becken befindet sich auf Waschschüssel-Höhe, so umgeht man das unwürdige Knien. Auch schön & praktisch: Die Griffe.)