Bilder
Ein Jahr, vier Bilder (IV)
Die verzweifelte Sprachlosigkeit ist gewichen. Was bleibt, ist blankes Entsetzen.
Ein Jahr, vier Bilder (II)
Immerhin, es war nicht alles schlecht.
Das ist, warum wir keine schönen Dinge haben können
Was diese merkwürdige Zeit so alles hervorbringt, denkt man sich manchmal. Bei mir um die Ecke war es ein Kunstwerk, welches ich so originell fand, dass ich direkt am Tag nach der Entdeckung die Kamera mitnahm.
Da war dann schon die Erklärung abgerissen, die wie im Museum daneben auf einem kleinen Schildchen nachzulesen war.
Was ich mir davon noch merken konnte: Es ging um die 1,5m Abstand und die Distanziertheit generell gerade. Deshalb war der Schriftzug auch aus entsprechend langen Zollstöcken gefertigt. Oder so ähnlich.
Fanden aber wohl nicht alle so originell wie ich.
Verstehe ich nicht, aber ich verstehe vieles nicht, was mir in letzter Zeit so vor die Linse kommt. Merkwürdige Zeiten eben.
Nichts lodert mehr?
Auch schon ein Jahr her, dass aus dieser Glut Funken stoben…
Nichts von Bedeutung
Vieles ist geschehen, kaum etwas hat sich verändert.
Es wird noch dauern, dafür die richtigen Worte zu finden.
Erfahrungen wurden gemacht, immerhin.
Und Bilder, wenn auch nur wenige:
Februar, Hamburg
Februar, Hamburg, viel zu viele Häuser brannten in diesem Jahr
April, Rügen, keine adäquaten Worte für ein paar grossartige Tage
April, Rügen, nicht nur der Baum stand auf der Klippe auf der Kippe
Juni, Müritz
Juni, Müritz, geblendet…
Verloren / Mitte, Ende Oktober
Die verrückte Log-Lady ist tot! sagte sie.
Das ist aber ein komischer Spitzname für Karasek, dachte ich, aber nicht ganz unpassend.
Es ist schon eine Weile her – das lässt der Titel ja erahnen – doch ich weiss noch, dass dies ungefähr die letzten Zeilen waren, die ich in mein Notizbuch schrieb. Ungefähr deshalb, weil ich es nicht genau sagen kann, weil es nämlich weg ist, das Notizbuch. Zusammen mit den Erinnerungen Walter Jankas, fast ausgelesen, einer Filmdose und den Sanddornbonbons. Mehr war zum Glück nicht drin im Rucksack, doch das reicht vollkommen aus für die nächste Sinnkrise.
Es hätte ja auch die Kamera, Geld und wasweissichnochalles verloren sein können, Scherereien ohne Ende. Dass es „nur“ das Notizbuch war – und Janka – schon wieder ein Zeichen?! Vor allem, wo ich doch gar nicht an sowas glaube?
Schliesslich beschäftigte ich mich mit Janka indirekt schon vor Jahren, seit Jahren, über einem Dutzend an der Zahl, erschreckenderweise. Indirekt deshalb, weil es über Bande geht, weil es hauptsächlich, immer mal wieder, Harich ist, der mir im Kopf rumspukt. Harich ohne Janka geht nun mal aber nicht, und dessen Autobiographie fand ich im Frühjahr auf dem Flohmarkt.
Als der Rucksack sich verabschiedete, war ich kurz vor dem Schluss angelangt, kurz vor der vermuteten Generalabrechnung mit seinem einstigen „Mitverschwörer“ – dank häufigerer Bahnfahrten wegen des beschissenen Wetters in der letzten Zeit las sich das recht schnell und interessant.
Ärgerlich, doch noch weitaus ärgerlicher ist natürlich die Sache mit dem Notizbuch. Da sollte man auf alle Fälle vermeiden, ein Zeichen zu erkennen; das könnte nur ein Menetekel werden: So viele Fragmente, angefangene Texte, fertige Verse. Und kaum etwas davon übertragen, irgendwo anders gesichert. Das, was mir bisher, vor allem in der letzten Zeit, als viel zu wenig vorkam, viel mehr hätte sein müssen, erschien auf einmal als ein unglaublich wertvoller Schatz, der nun verloren gegangen ist.
Zugegeben, diese ausufernde Thematisierung von Notizbüchern in der Literatur – vor allem natürlich derjenigen, die nach Maulwurfspelz klingen und nur beim Markennamen genannt werden – stört mich oft, selbst bei Herrndorf ein klitzekleines bisschen. Allerdings: Ich bin auch nicht so der haptische Typ, sondern eher der Praktische. Und kann jetzt nur verzweifelt lächelnd & unter Pein zustimmen, wenn ich (bei der mäandernden Recherche zu „Moleskine“) in Arbeit und Struktur lese:
Ich trage als erstes meinen Namen und 50 Euro Finderlohn vorne ein, wenig später mache ich eine 1 davor: 150 Euro. Irgendwas in meinem Innern sagt mir: Ich darf das auf keinen Fall mehr verlieren.
Das Gegenteil eines Wermutstropfens – ein Tröpfchen Manna in dem Zuber Wermut sozusagen, angesichts des befürchteten Verlusts – war der ganz und gar großartige Abend. Mehr als gelungen, überall zufriedene und meist zutiefst berauschte Gesichter; nur sehr lang, sehr früh erst vorbei. Mit dem Sonnenaufgang im Rücken, der überraschend spät einsetzt – es ist noch etwas Zeit bis zur Zeitumstellung – und einer sich diesig verabschiedenden Nacht voraus dann endlich das Durchatmen und Durchtreten der Pedalen, versuchen den Rucksack und alle anderen Probleme aus dem Kopf zu bekommen.
Was noch übrig war
Viel zu wenig Bilder habe ich von der Kreuzberger Wohnung gemacht, rückblickend betrachtet. Und vieles, was noch auf dem Film war, der während der Umzugs bis jetzt in der Kamera lag, ist leider misslungen. Trotzdem ein paar Eindrücke von den letzten Kiezstreifzügen und Wohnungsbesichtigungsexpeditionen, aus einer Zeit, die schon ewig her scheint und doch gerade mal einen Monat in der Vergangenheit liegt.
Der Blick aus dem Küchenfenster auf das Hinterhaus – an dem Haus musste wirklich was gemacht werden, in dieser Ecke stürzte bei Regen immer ein veritabler Wasserfall in den Hof (und in einige offene Fenster…). Aber es hätte auch anders gemacht werden können. Jetzt wohnt in diesem Teil des Hauses niemand mehr.
Der Blick auf die Strasse, hier auf die Häuser gegenüber, leider klemmte der Film wohl etwas. Das Banner (Wir helfen hier Flüchtlingen, wann hilft der Senat?) hing schon wochenlang, bevor ich auszog. Einiges aus unserer Wohnung konnte dort noch gebraucht werden, so hatte der Umzug auch sein Gutes, immerhin.
Gesammelte Botschaften von Hauseingängen und Häuserfronten I
Gesammelte Botschaften von Hauseingängen und Häuserfronten II
Und immer wieder das EINE Thema, schön wär’s…
Eine Frage, die sich mir immer wieder stellt: Warum dieses hässliche Grau? Hier im Bild irgendwo in Neukölln, aber ebenso & noch hässlicher schon gesehen beim Neubau auf dem Gelände der alten Filmfabrik in Köpenick: links und rechts ein paar alte Backsteinmauern, der Neubau in der Mitte hässlichgrau, aber dafür 2000 Euro kalt für die 130qm-Dachetage.
Die Fortsetzung aus Neukölln:
Zwei Strassen weiter, die Aussage etwas künstlerischer gestaltet:
Eine Botschaft aus dem neuen Kiez:
Zum Schluss: Der King ist natürlich mit umgezogen und tanzt jetzt am Waschtag im Wedding statt in Kreuzberg…
Nachgereicht: Expeditionsbilder
Nun, das Zeichen kam nicht, dafür soeben die Absage für die Wohnung, die ich wirklich gerne bezogen hätte. Immerhin hat sich dadurch der Titel des letzten Beitrags bewahrheitet.
Mit den Bildern, die auf den Erkundungstouren entstanden sind, bin ich auch nicht wirklich zufrieden, aber was solls: ich nehme, was ich bekomme; das sollte ich mir generell zum Motto machen (und darauf hoffen, dass ich überhaupt etwas bekomme).
Zuerst ein Nachtrag zu dem letzten Bilder-Posting – noch einmal Daily Smile:
Auf einer Expedition sind Wegweiser immer gerne gesehen:
Ansonsten steht auf Hauswänden auch oft, wo es langgeht und was gerade angesagt ist:
An anderen Wänden gibt es Kunst statt Text:
Und manchmal sind sie auch einfach nur so für sich allein schön, die Wände, mit etwas Grünzeug garniert:
Wobei: Schönheit kann natürlich auch rau sein…
Zum Schluss: Hier hätte es sein können…
Statusupdate
Während ich für den Kohlenstofflebenumzug gerade die ersten Kisten packe (immer noch ohne zu wissen, wohin es gehen wird), scheinen hier jetzt die letzten Kisten ausgepackt und alles fein säuberlich in die Regale eingeräumt zu sein.
Der RSS-Feed wurde ergänzt, die Weiterleitungen und die Umleitung von der .wordpress.com-Seite scheinen zu funktionieren & auch die paar Follower konnte ich wohl mitnehmen (noch habe ich keine Problemberichte empfangen…), Euch allen also nochmal ein „Herzlich Willkommen!“.
Zwei, drei andere Spielereien im Hintergrund habe ich auch schon durchprobiert & wieder abgestellt, jetzt müsste erst einmal alles reibungslos laufen – bis zum nächsten Update jedenfalls. Fehlen also nur noch neue Texte oder Bilder. Tja. Bis die zustande kommen, muss ich wohl immer mal wieder ins Archiv gehen. 2013 ist auch schon zwei Jahre her, und die Fassade dieses kleinen Häuschens am Landwehrkanal hat seitdem den einen oder anderen Neuanstrich bekommen. Veränderungen, wohin man schaut…
Das mit der Galerie lass ich glaube ich, derzeit gefällt mir die einfache Variante besser.
Nach dem Umzug ist vor dem Umzug
Ohne viele Worte geht es hier nun anschluss- und hoffentlich reibungslos weiter. Bleibt zu wünschen, dass der andere Umzug ebenso sanft vonstatten gehen wird. Ich habe da allerdings so meine Zweifel – andauernd werde ich daran erinnert, was mir alles fehlen wird, sollte ich den Kiez verlassen müssen. Die Tomaten auf dem Balkon fehlen mir jetzt schon, angesichts der Umstände verzichtete ich darauf, sie für ein paar Wochen und vielleicht zweieinhalb unreife Früchte überhaupt erst zu pflanzen…
Die beiden werde ich auch vermissen, wie sie da thronen über den Hipstermassen, wenn diese sich in die U1 drängeln, die jetzt wieder U12 heisst und mit den blöden lauten quadratischen U2-Waggons fährt.
Erst vor Kurzem ist mir Daily Smile aufgefallen: mein neues Lieblings-Kiez-Street-Art-Projekt. Wird mir auch fehlen, wie er oder sie immer wieder die vorhandene Substanz mit in die Kunst einbindet….
Woanders – ich muss mich ja langsam mal in anderen Kiezen umschauen – werden Türstehergesichter großflächig an die Hauswände gemalt, weil ein Jeanshersteller seine Reputation auffrischen wollte:
Ansonsten: Im Fernseher nur Müll.
Früher war halt alles besser, vor zwei Tagen war zB. noch Wochenende…
Die Nena-Tickets für das Konzert im SO36 sollen ab 79 Euro gekostet haben. Ziemlich oldschool…und dass sie die da überhaupt reingelassen haben. Dann doch lieber den Kopf zerbrechen über das Jane-Fonda-Zitat, und damit ist auch schon wieder Schluss:
Gar nicht so paradox
Dass ich derzeit so wenig zum Bloggen komme, liegt daran, dass ich mich im Moment so viel mit dem Bloggen beschäftige. Darüber gäbe es viel zu berichten, nur fehlt mir die Zeit, das alles aufzuschreiben. Später. Fest steht: Es wird sich einiges ändern, auch hier.
Noch ärger steht es mit dem Fotografieren. Ebenfalls schade, aber da hoffe ich auf den Frühling – wie generell.
Nicht zu vergessen: Lesen, lesen und nochmals lesen.
Da Ostern ist, habe ich sogar etwas Überraschendes gefunden: Ein paar Bilder aus den Straßen Düsseldorfs, anno 2012.
Überbleibsel
Es ist ja so: Fängt ein Text mit „Es ist ja so“ an, dann erwartet man erst mal eine Ansage, etwas Konkretes. Tja.
Und ganz ähnlich ist das mit dem neuen Jahr und den ganzen Vorhaben, die man vor hat: Erst mal den Kater auskurieren, ausschlafen, halbwegs wieder in den Alltag zurückfinden, der genau der ist, den man dachte, mit dem vergangenen Jahr hinter sich gelassen zu haben. Tja.
Eigentlich schleppt man Jahr um Jahr mehr Ballast mit sich rum, und deshalb wird es Zeit, einiges davon loszuwerden. Neuer Ansatz, zwei Fliegen/eine Klappe: Eine Linkliste, willkürlich kombiniert mit den Analogfoto-Überbleibseln des letzten Jahres. Der Film war schon so lange im Apparat, dass sogar noch ein Gruß von der Hamburger Dachterasse drauf ist. Dabei ist diese Reise schon länger her, als noch Zeit vergeht bis zur nächsten, wenn alles klappt. Egal, Katzencontent:
Beginnen wir mal ausnahmsweise am Anfang: Dort standen bei vielen westdeutsch sozialisierten Menschen oft drei Fragezeichen. Also: Die drei Fragezeichen. Sowas gab es bei uns im Osten natürlich nicht, da gab es nur Ausrufezeichen. Und im Satz, den sie beendeten, stand meist irgendwas von Sozialismus und Sieg und Solidarität. Trotzdem würde ich, hätte ich Kinder, wohl die gleiche Wahl treffen, die bei Perspektiefe mit all ihren Fährnissen anschaulich geschildert wird (& was für ein schöner Titel!). Vor allem, wenn ich so höre, was die Kinder in meinem Umfeld so hören. Meist geht es um reiche Mädchen und Pferde. Immerhin kann einer der Kleinen noch den halben Tag (wortwörtlich) total begeistert mit dem Mobiltelefon rumlaufen und die Egon-Olsen-Titelmelodie kreischend mitbrüllen.
Auf Die drei Fragezeichen stiess ich viel später und aus zweiter Hand, sozusagen: Diejenigen, die damit gross wurden, frönten ihrer Begeisterung für die Kinderhörspielkassetten ja grade auch als Studenten ausgiebig. Das machte sich eine Theatertruppe aus Wuppertal zunutze und füllte die Hallen quer durch die Republik. Selbst mit fehlendem Hintergrundwissen und der falschen Sozialisation war das stellenweise ganz unterhaltsam. Doch auch – wo wir schon mal beim Thema sind – aus ganz anderen, noch seltsameren Jugenderinnerungen mit zweifelhaftem kulturellen Background lässt sich ein krudes Theaterprojekt machen: Katholische Sexualaufklärung aus den Siebzigern? Warum nicht, ab auf die Bühne! Dorthin gehört auch Gregor Keuschnigs Schmierenkomödie Zapfenstreich, die es bisher nur in Textform gibt.
Ein harter Schnitt, da müssen wir jetzt durch: Bei den Nachdenkseiten wurde heute eine Leserin mit der Anmerkung zitiert: Der Wahlkampf 2017 wird eine Braune Schlacht. Mir graut es jetzt schon! Stimmt wohl, aber wer braucht eigentlich die AfD und Pegida, wenn Seehofer schon vor 3 Jahren „bis zur letzten Patrone“ gegen „Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme“ kämpfen wollte? Zauberlehrling usw.
Zur tagesaktuellen Situation enthalte ich mich, alles viel zu unklar, auch und vor allem in meinem Kopf, nur eins noch: Das Zusammentreffen unschöner Ereignisse kann zu einem unerwarteten Ausgang führen, sprich: Die Gunst der Stunde, oder der böse Zwilling von Kairos sprechen gerade vielleicht für die Islamhasser. Vielleicht aber auch im Gegenteil – ich bin nur etwas skeptisch, weil ich kürzlich die arte-Doku über Ishiwara Kanji gesehen habe: Eine von der Mehrheit nicht gewollte Militäroperation nationalistisch-konservativer Offiziere glückt dummerweise und macht aus der liberalen, modernen Demokratie der 20er Jahre einen von Nationalismus besoffenen Hitlerverbündeten. Platt ausgedrückt, aber so schnell kann es gehen.
Natürlich reicht es zur Erklärung aktuellen Geschehens nicht aus, nur in alte Bücher zu schauen. Aber es gibt da durchaus interessante, hochaktuelle Stellen, bei Foucault zum Beispiel, wie auf haftgrund zu lesen ist. Gemischt mit einigen der unzähligen Alltagsberichte – Keiner kommt hier lebend raus, ohne Zweifel – führt das unweigerlich zu gezielter Ignoranz. Manchmal reicht es aber auch schon, sich nur eine Statistik mal ganz genau durch den Kopf gehen zu lassen. Oder ein Taufregister zu lesen, das inzwischen wahrscheinlich schon jeder kennt, aber es passt so gut zu den nächsten beiden Bildern:
Berlin also, und die alten, leidigen Berlin-Probleme. Da es hier überraschend ruhig ist (die für spätestens zum 31.12. erwartete Modernisierungsankündigung lässt erstaunlicherweise noch auf sich warten. Wir reiben uns die Hände, nicht nur, weil die Kohlen langsam knapp werden…), ein paar nützliche Hinweise zum Berliner Winter von katjaberlin. Eine der blödesten Sachen am Winter in Berlin ist der November. Grübeln, Gedanken nachhängen, noch mehr Gedanken nachhängen und fotografieren. So ähnlich ging es mir auch, nur schaffte ich es selten bis an die Tastatur. Dann kam der Dezember und mit ihm, wenn man weihnachtsbedingt in die Heimat der Kindheit und Jugend fährt wie Thorge, auch die Erinnerungen. Auf melancholie modeste sind es die an den sonntäglichen Esstisch der Großeltern – und was dieser (nicht) mit Neukölln zu tun hat. Apropos Essen:
Gleich nebenan – aufgenommen wurde dieses Bild im Herzen von SO36 – befindet sich ein Imbiss namens Curry 61. Während das aus Funk&Fernsehen bekannte Curry 36 im tiefsten Kreuzberg 61 liegt. Muss man nicht verstehen, dieses Berlin (es hat wohl mit der Hausnummer zu tun, aber psst!). Genausowenig wie die immer noch existierende Schlange vor dem Gemüsekebap. Doch ich schweife ab, eigentlich sollte es jetzt um schöne & gute Texte gehen.
Erstmal die Theorie: In der NZZ schreibt Matthias Politycki darüber, was ihn zum Schreiben brachte. Aléa Torik setzt sich mit der zweifelhaften Notwendigkeit von Handlung auseinander und Jutta Reichelt mit der Leserperspektive. Ganz ähnlich, nur etwas weiter gesteigert (Lesen vor Publikum), in der angenehmen Reihe „Vielleicht später“ vom Suhrkamp-Blog: Bad Segeberg von Detlef Kuhlbrodt. Zum Schluss, aber immerhin, sei noch auf die Lyrik-Betrachtungen bei kleinedrei hingewiesen. Kommt ja sowieso meist zu kurz, die Lyrik.
Als Finale einige Praxisbeispiele, sozusagen. Tikerscherk lässt ungeschaffenes Licht strahlen, in Lencois, wie es der Kiezschreiber beschreibt, strahlt die Sonne etwas trostlos auf einen Säufer, Monsieur Manie beschreibt in mehreren Teilen Die Probe und Thibaud sagt etwas über eine Musikerin. Auch in diesem (einen von vielen, wie bei allen anderen Erwähnten und vielen Nichterwähnten ebenso) schönen Text von asal spielt Musik eine wichtige Rolle. Asallime, soviel Resumee muss sein, war neben Mikis Wesensbitters Mauerfall-Tagebuch meine Blog-Entdeckung des letzten Jahres.
Falls jetzt jemand angesichts des Jahresbeginns einen Ausblick erwartet hat: Da verweise ich auf Ahne, oder auf dieses Bild:
Das Letzte
Eigentlich wollte ich mich sang- und klanglos verabschieden aus diesem Jahr. Doch die gute tikerscherk löste mit ihrem letzten Beitrag etwas in mir aus: Also bin ich schnell die Treppen runter – der Ascheeimer quoll sowieso schon wieder über – und machte fix ein Foto, oder das, was das antike Mobiltelefon dafür hält. Deswegen, statt vieler Worte, ein paar räudige Bilder als letzter Gruss aus einem räudigen Jahr:
Da Morgen ja gefeiert wird (zum Glück habe ich mich überreden lassen, mich vor die Tore der Stadt des Bürgerkriegsgebiets zu verziehen), ist eine dementsprechende Örtlichkeit unverzichtbar:
Dieses befindet sich übrigens in einer Lokalität, die im gerade auf dem letzten Loch pfeifenden Jahr mehr und mehr zu meinem zweiten Wohnzimmer wurde. Schon alleine wegen der Gespräche dort: „Ist Keks da?“ – „Der mit dem Feuerzeug im Ohr?“ – „Nee, das ist Dose.“ – „Die sollten ma heiraten, wär‘ doch ’n schnieker Doppelname!“
Nach einer längeren Nacht verewigte sich hier eine durchreisende Musikgruppe, die ich vergeblich versuchte zu überzeugen, ihren Namen in „Die herrenlosen Koffer“ zu ändern, mit einem inzwischen langsam verblassenden Schriftzug unter der Dartscheibe (Kreide, kein Edding, stilvoll wie sie sind): Reisegruppe Unangenehm. Passt auch.
Politik gibt es da natürlich auch:
Wie an fast jeder Ecke in dem Kiez. Hier eine meiner liebsten:
Eine Zugabe für den Kiezneurotiker:
Ein Panorama für alle:
Kölner Dom, Innenansicht Dach, ca. 2011:
Mit diesen Worten, ebenfalls Köln und leider ebenfalls in ganz mieser Qualität, lass ich das Jahr dann mal ausklingen. Gehabt Euch wohl:
Kraut und Rüben
Als Überbrückung – ich bin ja schon so gut wie in Hamburg, juhu – noch ein paar Links und Bilder für das lange Wochenende, teilweise sogar bewegte (und bewegende). Zuerst: Hamburg hat sein Lächeln verloren, auch darauf bin ich irgendwie gespannt, wie es jetzt dort ist, kurz nachdem OZ seinem Berufsrisiko erlegen ist. Für wirklich tiefe Einblicke lohnt sich dieser Nachruf.
Um solch einen Verlust zu verkraften, braucht es natürlich mehr als ein wenig Auflockerung, aber das ist alles, was ich bieten kann: Zwei krude Interviews, eines mit Quincy Jones, das andere mit Robert Anton Wilson. Keine Ahnung, wer von beiden schräger drauf ist, vielleicht ja gar keiner. Um noch kurz beim Thema Drogen zu bleiben: Diese Geschichte zu den McDonalds-Teelöffeln kannte ich bisher noch gar nicht, wahrscheinlich war ich der einzige. Und eine letzte Kuriosität, ebenfalls vollkommen neu für mich: Die BRD hat eine Exklave in der Schweiz.
Doch zurück zum Ernst, dem hochkulturellen erst einmal – wie er sich beispielsweise bei einem Redaktionsbesuch in der FAS abspielt. Oder bei Suhrkamp, natürlich bei Suhrkamp, wo, wenn nicht bei Suhrkamp. Dort wird gerade der 90. Geburtstag Siegfried Unselds gefeiert, inklusive einem schönen Film mit Männern in blütenweißen Hemden, die sich über die Entstehung eines Unseld-Bild(und Text)bandes unterhalten:
Dazu, und um die wilde Mischung hier möglichst weit aufzufächern, ein paar Zitate von Fauser, hatte ich ja lange nicht. Mir war noch in einer dunklen Ecke des Hinterkopfes in Erinnerung, dass Suhrkamp für ihn ein Thema war. Dank des wunderbaren Registers im Strand der Städte konnte ich das schnell verifizieren, es gab sogar eine gewisse zeitliche Ballung, auf den ersten Blick. Hier die schönsten Auszüge (alle aus dem verlinkten Band, aus den verschiedensten Texten):
Natürlich war mein Weltschmerz damals schon nicht mehr ganz à la mode, er bezog seine Empfindungen – jedenfalls auf literarischem Niveau – aus Attitüden und dazugehörigen Texten, die von Suhrkamp nicht editiert wurden. (1981 – S.535)
„Sich mit Dingen bekannt machen“ – daß wir aus (guten) Kriminalromanen mehr Wirklichkeit erfahren als aus einigen Metern der Suhrkamp-Produktion, war uns schon immer eine liebe These. (1981, S.605)
Am Beispiel der abenteuerlichen Story eines Glücksritters, der – mit finanzieller Beteiligung des Filmstars Clint Eastwood – den Beweis erbringen wollte, daß in Laos und Vietnam noch amerikanische Kriegsgefangene einsitzen, sammelte ich einige Argumente gegen die offenbar nicht nur mich anödende deutsche Suhrkamp- und Schulfunkkultur. (1983, S.766)
Und es sind Filme wie der von Boisset, die mir bestätigen, daß ein von unserer Hochkultur nicht ganz ernst genommenes Genre wie der Spionagethriller präzisere Aufklärungsarbeit über die realen Verhältnisse leistet als ein ganzer Schuber Suhrkamp-Literatur und ihre Verfilmungen. (1983, S.784)
Es schält sich da langsam ein Muster heraus, es wird klar, worum es Fauser geht (und er hat ja auch immer noch Recht damit), aber es droht, redundant zu werden. Jedoch: au contraire, lustiger wirds; es folgt die Vorstellung des Nachwuchsautors Rainald Goetz…
Rainald Goetz ist ein quirliger Mensch von Ende 20, ein Akademiker mit grün oder blond gefärbter Haartolle, Medizin und Geschichte, der sich unlängst darin gefiel, vor den Kameras irgendeiner Kultursendung mit Selbstverstümmelung zu kokettieren und im Herbst (bei Suhrkamp, na klar doch) seinen ersten Roman vorlegen wird, der Irre heißt, na ja doch. (1983, S.786)
Und weiter, auch weiter ausholend, im selben Jahr:
Klar, wir werden den Kulturkampf bekommen, und zwar als Teil jenes großen Kulturkrampfs, wie ihn uns das Kultur-Establishment seit den Tagen der Re-education und der Gruppe 47 so lange um die Ohren gehauen hat, bis wir alle eines Tages geglaubt haben, die Waschzettel der Suhrkamp-Kultur und die Aspekte-Statements der Gremien-Filmer seien Wegzehrung genug für die Teilnahme am geistigen Leben dieser Republik. (1983, S798f)
Doch zum Schluss, nach einer längeren Feuerpause Richtung Suhrkamp, jedenfalls in seinen journalistischen Arbeiten, fast eine Würdigung des Verlages, an dem er sich zwar rieb, aber dem er auch etwas abgewinnen konnte. Vor allem, was Unselds Rolle betraf:
Ein gleichaltriger Lektor von Suhrkamp sagte: Da ist ein Autor, der hat auch mit einem anderen Verlag einen Vertrag über das gleiche Buch wie schon mit dem Suhrkamp-Verlag abgeschlossen. Das hat der Unseld erfahren und ist hingegangen und hat gesagt: Sie sind weg hier. Tough. Hart. Raus. Ich finde das richtig. Es muß Richtlinien geben. (Aus einen Interview mit Fauser, 1985, S.1532)
Soviel dazu. Was bleibt ist mal wieder die harte, traurige Realität:
Die vor kurzem die ersten handfesteren Zahlen ins Haus spülte, nachdem mit anderen Zahlen immer mehr Leute aus dem Haus gespült werden: Derzeit liegen wir noch etwas unter der Vergleichsmiete, nach der Modernisierung (bei der ein Fahrstuhl natürlich nicht fehlen darf, fürs ausgebaute Dachgeschoss…) soll es knapp doppelt so teuer wie die Vergleichsmiete werden. Offiziell wissen wir jedoch noch von nichts und üben uns auf anwaltlichen Rat im Teetrinken. Daran anknüpfend lässt sich hier mit den Goldenen Zitronen wunderbar der Kreis schliessen, vom bösen G-Wort zu Hamburg. Ich bin gespannt…
Spätsommersplitter – Obey Mehringplatz
Als meine schwäbische Mitbewohnerin noch ganz frisch in der Stadt war, noch nicht im Bermudadreieck aus Goldenem Hahn, Franken und Trinkteufel verschollen, kam sie eines Tages aufgeregt von einer Erkundungstour zurück und erzählte, dass sie irgendwelche Schauspieler Darsteller irgendeiner Vorabendserie getroffen hätte. Wobei mir weder die Namen noch die Serie irgendetwas sagten. Doch ich konnte ihre Aufregung nachvollziehen, mit einem milden, wissenden Lächeln auf den Lippen natürlich.
Man gewöhnt sich ziemlich schnell daran, dass einem hier die Gesichter aus den Illustrierten vor der Nase herumlaufen. Was der Schwäbin spätestens klar wurde, als Pete Doherty vor ihrer Stammkneipe rumrandalierte wie jeder andere Säufer auch. Irgendwann gehört es jedenfalls zum Alltag, von dem die Berliner, deren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt sich in Mahlsdorf-Süd befindet, freilich auch nichts mitbekommen. Obwohl: Die haben immerhin Frank Schöbel als Nachbarn.
Ich gehöre – das wollte ich damit sagen – nicht zu den Menschen, die sich für jeden dahergelaufenen Prominenten kreischend auf den roten Teppich am Potsdamer Platz stellen. Ich laufe ihnen eher zufällig über den Weg. Am letzten Wochenende machte ich allerdings eine Ausnahme.
Dank des Internets erfuhr ich, dass Shepard Fairey gerade dabei war, gleich bei mir um die Ecke, im Herzen meines Kernkiezes, eine Wand anzumalen. Ich mag Street Art sehr, doch auch hier versuche ich, möglichst jeglichen Personenkult zu vermeiden. Es geht schliesslich um die Kunst, nicht um den Künstler (Dass dies nicht wirklich zu trennen ist, ist eine andere Geschichte). So kannte ich zwar das 2008er Hope-Poster, aber der Name und das Gesicht des Künstlers dahinter blieben mir bis zum Banksy-Film verborgen. Banksy war eine lange Zeit der einzige (berühmte) Street Artist, den ich namentlich kannte.
Ich halte Faireys Kunst größtenteils für ganz gelungen. Trotz meiner innigen Feindschaft zur Werbeindustrie, die wohl für einen Großteil seines inzwischen vermutlich beträchtlichen Vermögens verantwortlich ist. Auch in Berlin war er nicht nur, um eine Wand zu bemalen, sondern auch wegen der Präsentation einer von ihm gestalteten Schnapsflasche. Da hätten wir es wieder, das Dilemma: Guernica gibt es nicht ohne Guernica, Warhol nicht ohne Campbells Tomatensuppe, den großartigen Clip zu Heart Shaped Box von Anton Corbijn (und dessen Karriere als Regiesseur) nicht ohne MTV.
Also: Ich mag Faireys Kunst, aber nicht die Verpackung drum herum, sozusagen. Ich teile vieles von der Kritik an ihm. Banksys Linie sagt mir mehr zu, kommt mir durchdachter vor. Allerdings verkenne ich auch nicht die Umstände, das Wie sie wurden, was sie sind. Banksy kommt aus dem England der Eisernen Lady. Fairey aus den USA, studierte in Kalifornien; ihm dürfte auch die Kalifornische Ideologie nicht ganz fremd sein. The Clash vs. Bad Religion. Wobei nicht vergessen werden sollte, dass die Skateboarder- und Hip-Hop-Szene der USA dort eben auch eine gewisse Zeit lang als Ausgeburt der Hölle, des Teufels und der Commies betrachtet wurde, bis eben die Verwertbarkeit in den kapitalistischen Konsumtempeln die Abscheu vor den fremdartigen Langhaarigen mit ihren Rollbrettern unter den Füßen überwog.
Am Mehringplatz angekommen, setzte ich mich in einiger Entfernung vom Schauplatz des Geschehens auf eine der Bänke im äußeren Kreis, um noch schnell einen neuen Film in die Kamera zu legen. Ganz in der Nähe befand sich der Treffpunkt der örtlichen Trunkenbolde, und so dauerte es auch nicht lange, bis einer von ihnen auf mich zukam und etwas Tabak schnorren wollte. Er hätte keine Zeit, welchen zu kaufen und ausserdem machte die Frau schon wieder Stress, da müsse er erstmal hin und die ruhigstellen. Sagte er und hielt seine Hand auf. Auch im Knast schien er es eilig gehabt zu haben, von der ACAB-Tätowierung auf den Fingern waren nur die ersten beiden Buchstaben fertig geworden.
Ich schüttete etwas Tabak in seine hohle Hand und fragte ihn scherzhaft, ob er zur Crew gehörte. Natürlich wusste er nicht, wovon ich redete. Er hatte sich bei dem letzten Besuch auf dem Slubicer Markt wohl nicht viele Gedanken darüber gemacht, was es mit dem OBEY-Hoodie auf sich hatte, das er dort wahrscheinlich für fünfzehn Euro gekauft hatte und jetzt trug. Als ich ihm in kurzen Zügen die Geschichte erzählte und meinte, dass ebendieser Typ jetzt um die Ecke eine Wand anmalt, konnte er es kaum abwarten, mit dieser brandheissen Neuigkeit vor seinen Saufkumpanen zu glänzen. Die nervende Frau war längst vergessen.
Ungefähr eine Stunde lang schaute ich Fairey und seinen Helfern bei der Arbeit zu. Ich hatte es mir auf der Brüstung des U-Bahn-Eingangs bequem gemacht, fotografierte ein wenig und wechselte hier und da ein paar Worte mit denen, die für ihn filmten und fotografierten. Ich fragte mich, ob der Publikumsverkehr in der Sixtinsichen Kapelle auch so achtlos an Michelangelo vorbeiströmte wie die gehetzten U-Bahn-Passagiere, die in regelmässigen Schüben von der Rolltreppe ans Tageslicht gespuckt wurden. Ein unzulässiger Vergleich natürlich, aber dieser Gedankengang wurde sowieso gleich darauf von der örtlichen Nachwuchsgang unterbrochen. Fünf viertelstarke Kreuzberger Jungs, maximal zwölf, würde ich schätzen, kamen um die Ecke gebogen und kickten eine halbvolle Wasserflasche vor sich her und schliesslich die Rolltreppe entgegen der Fahrtrichtung hinunter. Woraufhin sie allesamt hinterherstürzten.
Nicht der ziemlich berühmte und trotzdem von den meisten Passanten ignorierte Künstler, sondern die fünf Jungs waren in den nächsten zwanzig Minuten die Hauptattraktion: Sie stürmten die Rolltreppe rauf und runter, übten den Moonwalk und ein paar Pässe mit inzwischen zwei Wasserflaschen. Die in Mitleidenschaft gezogenen Rolltreppenfahrer machten einen ziemlich genervten Eindruck, vor allem, da die Rolltreppe aufgrund des Krawalls in schöner Regelmässigkeit stoppte. Die Künstler wirkten dagegen sogar ein wenig verängstigt, nicht nur wegen der Sorge um die wertvolle und eilends von der Brüstung eingesammelte Technik, sondern auch wegen der Lautstärke und der fremden Sprache; Deutsch an sich soll für fremde Ohren ja schon eine gewisse Agressivität in sich bergen – das der Kreuzberger Kids, kombiniert mit ihrem unbändigen Bewegungsdrang, war jedenfalls eine arge Nervenprobe für Fairey und seine Crew. Sie übernachteten im Friedrichshain, da gab es sowas nicht. Ich überlegte kurz, ob ich ihnen Die kommen aus Kreuzberg, ihr Muschis! samt Kontext übersetzen sollte, beliess es dann aber doch bei einer simplen Beruhigung.
Zum Glück war der Spuk kurz darauf ganz schnell vorbei – und das Bild sowieso fast fertig. Einer der Jungs hatte wohl etwas grösseren Mist unten auf dem Bahnsteig gebaut und jemandem war der Kragen endgültig geplatzt, jedenfalls kam der Übeltäter schnell wie nie die Rolltreppe hochgelaufen, schmiss seinen Kumpels ein „Scheisse, die haben die Bullen gerufen!“ vor die Füsse und verschwand in dem nächsten Hochhaustunnel. Die vier anderen Rabauken natürlich direkt hinterher und schon kehrte wieder die ignorante Ruhe der alltäglichen Betriebsamkeit ein. Ich schoss noch ein paar Bilder von dem fertigen Bild und packte wie die Künstler auch meine Sachen zusammen. Als sich unsere Wege am anderen Ende des Platzes trennten und ich mich mit einem „Nice to have you here“ verabschiedete, sah man in der Ferne zwei ratlose Polizisten um den U-Bahn-Eingang herumlaufen.
Weitere Bilder und Hintergründe zu dem Mural gibt es bei Sebastian Hartmann (noch einer, der längst in die Blogroll gehört) . Ich bin dann noch ein bisschen durch die Gegend geschlendert, der Film musste ja auch voll werden, und habe den Rest des großartigen Nachmittags in dem großartigen Kiez genossen.
Sommersplitter – Balkonien und der Rest vom Haus
Es ist ein Wettlauf: Werden die Früchte noch reif, bevor die Tomatenpflanzen verrecken? Sie sehen schon länger nicht mehr wirklich gut aus: Schwarzfleckige Blätter, immer mehr verwelkte Triebe. Ich schiebe es auf den Dreck vom Nachbarhaus: Die Fassadensanierung. Erst der feine Staub vom abgeklopften Putz, dann die Styroporkügelchen von der Dämmung. Die werden sich unweigerlich in der Blumenerde angesammelt und aufgelöst haben, jetzt verrecken erst die Pflanzen, und dann wahrscheinlich ich, wenn ich die kümmerliche Ernte verzehrt habe.
Eine Sache allerdings hat mich dann doch positiv überrascht: Auch wenn ich es mit dem Gras auf dem Balkon dieses Jahr gelassen habe (Gerüst vorm Nachbarhaus, zu viele neue Leute über und unter mir), auch die Tomaten, die eine Sorte jedenfalls, wucherte auf über zwei Meter. Irgendwann wusste ich dann auch, was ausgeizen ist und wie man das macht. Einer der Triebe, die weichen mussten, war schon ziemlich gross, sogar ein paar Blütenansätze waren zu erkennen. Ich steckte ihn in ein altes Gurkenglas voller Wasser. Einige Tage später trieben tatsächlich Wurzeln aus; ich wollte noch etwas warten und die Pflanze dann in einen Topf umsetzen. Daraus ist nur nichts geworden: Der Trieb steht jetzt seit Wochen in dem Gurkenglas, immerhin giesse ich ihn regelmässig, das weisse Wurzelgeflecht hat inzwischen seinen eigenen Dschungel gebildet. Und das Erstaunlichste: Aus den kleinen Blütenansätzen haben sich tatsächlich Früchte entwickelt – nur im Wasserglas stehend. Diese famose Natur, selbst hier auf dem Balkon mitten in der Stadt. Von Weizenfeldern, die gerade abgeerntet werden, bekommt man hier ja leider nichts mit. Was schon etwas schmerzt.
(Der letzte Sommer auf dem Balkon: Schön grün)
***
Aber eigentlich geht es im Haus gerade um wichtigere Sachen. Zahlen spuken durch die Köpfe und Flure. „Was ist dein Preis?“ heisst es überall, mal ausgesprochen, mal nur gedacht.
Nach circa einem halben Jahr Ruhe setzte die Hausverwaltung eine zweiwöchige Frist, um Keller, Hof und Dachboden leerzuräumen. Dreizehn Tage vor Ablauf der Frist begannen Johnny & Co damit, lautstark den Sperrmüll vom Dachbodenfenster in den Hof zu schmeissen: „Hi, ich bin Johnny, your new Hausmeister. Do you smoke weed man?“ So stellte er sich vor, der Johnny aus Nigeria, der jetzt unser neuer Hausmeister ist. Was die Hausverwaltung uns bis heute nicht mitgeteilt hat, aber die wissen ja eh nichts von dem, was die neuen Eigentümer so alles machen.
Also mal wieder eine Hausgemeinschaftsversammlung: Über kurz oder lang, das ist klar, werden sie was tun. Das einzige, was wir tun können, ist auf ein paar Regeln bestehen: Fristen einhalten, Formalitäten beachten. Einer der neuen Eigentümer geht durchs Haus und verteilt Angebote, spricht aber auch von locker 300 Euro mehr Miete, wenn alles fertig ist. Gepriesen sei die energetische Sanierung, wenn die kommt, sind wir sowieso alle gefickt.
Zu Modernisieren gibt es natürlich auch eine Menge – da hat sich einiges angesammelt in den letzten 120 Jahren, klar. Doch so wie sie bisher mit den inzwischen zwei, ab nächstem Monat drei freien Wohnungen umgegangen sind, geht es ihnen nicht um die Hege und Pflege der Bausubstanz. Hauptsache schnell fertig werden und Teppichboden über die Dielen tackern, damit das nächste Dutzend Tellerwäschersklaven aus dem Gastro-Imperium einziehen kann.
Wir üben uns jetzt also in Politik – etwas, was wir alle eigentlich seit Ende der Neunziger hinter uns geglaubt hatten, nur die eine WG ist ja noch wirklich aktiv, was meist belächelt wird und manchmal unangenehm aufstösst. Nun aber müssen alle wieder ran: Standpunkt benennen (Gehen oder Bleiben), Strategie finden (Füsse stillhalten oder auf Konfrontation gehen), Informationen sammeln (Kompromat zu den Eigentümern, Anwalt vom Mieterverein zum Hausbesuch bitten zur Erläuterung der gesetzlichen Vorgaben), Vernetzungsarbeit („Die haben da und da und da noch andere Häuser, wo es grad genauso aussieht, lass doch mal mit denen zusammensetzen.“).
Erst mal wird ein E-Mail-Verteiler eingerichtet, eine Chronologie erstellt und Fotos gesammelt. „Zur Not“ meinte die Gastgeberin mit der Fabriketage vom dritten Hinterhof, „müssen wir dann halt an die Öffentlichkeit, ein Blog machen oder so. Kennt sich jemand damit aus?“ Glücklicherweise antwortete der Abgesandte der Antifa-WG schneller, als ich überhaupt überlegen konnte, ob ich mir das jetzt an den Hals kette oder nicht: „Erst mal der E-Mail-Verteiler, dann sehen wir weiter. Dieses ganze überstürzte ‚Wir machen jetzt gleich mal ein Wiki oder ein Blog oder was auch immer’ bringt zum Anfang gar nichts ausser verplemperte Zeit.“ Ein Lob den Aktivisten, die wissen Bescheid.
In der Nacht nach dem Treffen dann die erste Mail mit dem Hinweis auf die ARD-Doku. Am Morgen trudelten die ersten Antworten ein, deren Tenor überall der Gleiche war: Doku gesehen. Ach du Scheisse!
(Inzwischen sieht es schon etwas schmucker aus, und bald wohl noch mehr)
So wenig Sommerloch war selten…
…oder bekomme ich das nur nicht mehr mit? Seeungeheuer, dackelfressende Welse und Killerschildkröten haben es schwer, wenn Kriege toben. Trotzdem, oder gerade deswegen, schliesse ich mich dem Mainstream an und mache eine (kleine?) Pause, falls sich wer fragte. Urlaub? Hahaha!
Wo Wahnsinn und Waffen so laut sprechen, sind schwer Worte und Gedanken zu finden und zu ordnen. Und überhaupt. Hier, ein Fahrrad an einer Wand:
Gehabt euch wohl, bleibt am Leben, geniesst den Sommer.
Gefiedertes und andere Bilder
Mal wieder einen Film abgeholt. Die Überraschung: Ich habe kein einziges Hundebild geschossen. Das ist neu.
Rache, okay. Aber wofür? Interessante Technik, btw.
Merkel, schon mal hinter Schattengittern.
Fahrräder brennen nicht. Mopeds schon.
Ganz schön schräg: Reiher auf Boje
Ganz schön mürrisch: Reiher im Regen
Nazi-Schnitzerei auf Buche, ca. 1960er Jahre, Ausstellungsort Grunewald
Hauptsächlich grün
Okay, vorläufig die letzte Wortmeldung zum Thema, das nahm ja ein wenig überhand hier in letzter Zeit, aber das muss ich dann doch noch loswerden: Es gibt ja diesen Bilderwitz in diesem Internet, mit der Musikkasette und dem Bleistift – „wer weiss, wie das beides zusammen passt, ist alt“ – oder so ähnlich.
Passend dazu: Nun ist der Vorteil der wieder aufgenommen Analogfotografie, dass man am Ende des Films ein kleine, praktische Filmdose übrig hat. Eine wirklich sehr praktische, if you know what I mean. Nudge, nudge.
Voila, Film Nummer soundso:
Nein, im Grunewald gibt es keine Löwen. Nur Wurzeln, die sich als solche tarnen:
An der Krummen Lanke war wohl die Jugendantifa unterwegs, mit weißer Farbe:
…und sie haben die Känguru-Chroniken gelesen, löblich…
(usw. Beschriftetes rundes Holz ist gar nicht so einfach zu fotografieren…)
Flaschensammelkorb (ohne Flaschen):
Flaschensammelkorb (mit Flaschen):
Diese Flieger hab ich schonmal irgendwo gesehen. Am nächsten Tag waren sie weg.
Der Staat ist schuld, klar.
Köpenick, Kanal & Co.
Dieses Fotolabor scheint jeden Brückentag mitzunehmen. Das hat mal wieder etwas länger als erwartet gedauert, aber dafür war – im Gegensatz zu den letzten beiden drei Versuchen – die freudige Überraschung ob des Ergebnisses umso größer. Und Freude gehört geteilt, selbst wenn es vielleicht ein bisschen viel ist:
Dieses Scannen kann einen übrigens kirre machen; scannen, zurechtschneiden, 36 Bilder lang mit der alten Möhre. Allerdings habe ich dabei, im Rahmen der Routine, wenigstens gute Musik gehört, und zwar mit dem antiken CD-Wechsler, um die Möhre zu schonen. Und bin auf folgenden Soundtrack gestossen: Die Antwoord hat was, durchaus; schon längere Zeit kann ich die beiden drei ab und zu ganz gut leiden. Letztendlich sind sie aber nur eine traurige 2010er Version von The Prodigy. Die ich eben in dem CD-Wechsler entdeckte. Sag ich mal als Laie. Den Vergleich ziehen lustigerweise auch andere, viel berufenere Federn. (Auf die Kusturica-Story hätte ich auch selber kommen können müssen) Es sollen immerhin 28 Grad werden, oder so. Und noch dazu Karneval der Kulturen. Prost Neujahr, sozusagen! (Fuck, waren die geil, damals in Roskilde…)
(Nicht auf den Bildern, aber zur gleichen Zeit passiert: Wie die alte Hundedame und ich an der Köpenicker Promenade Rocky trafen, mit seinem ganz und gar rockyuntypischen Collie. Eben: kein Pitti, kein Rottweiler und – scnr – auch kein Boxer. So drehten wir zu viert eine kleine Hunderunde miteinander. Kein unsympathischer Mensch, ganz im Gegenteil. Am Katzengrabensteg trennten sich unsere Wege, und natürlich hat die eingebildete, wunderliche alte Hundedame den in voller Hormonblüte [no pun intended] stehenden Collierüden nicht mit dem Arsch angeguckt.)
Warten
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, als nächstes wieder ein paar Fotos zu veröffentlichen. Allerdings nicht die, die hier zu sehen sind, sondern aktuellere: von dem Film, den ich in den letzten Wochen füllte. Da nun aber das Fotolabor scheinbar komplett das lange Wochenende geschlossen hatte, braucht die Entwicklung um einiges länger als gedacht. Die Vorfreude hat auch eine Medaillen-Rückseite, wenn die einkalkulierte Frist verstrichen ist.
Deswegen also noch etwas Geduld, versüsst mit alten Digitalbildern. Macht aber nichts, denke ich mir, ich bleibe bei meiner Planung. Hier im Internet ist doch sowieso gerade Betriebsausflug zum Gleisdreieck, wenn ich das richtig verstanden habe. Ich bin da übrigens nicht, selbst wenn ich könnte – viel zu viele fremde Menschen, ganz zu schweigen von dem Fernseh-Rettungsschwimmer. Aber immerhin, was mich überraschte: Johnny erzählte bei Spreeblick, dass diese ganze Veranstaltung von 5000 Menschen besucht wird. Also ungefähr so viele, wie am 1. Mai in der Naunynstraße selbstzusammengepapptes Köfte-Fladenbrot von Önurs Mama gekauft haben. Oder so. Von daher: Schon enorm, wie stark diese re:publica in den Medien präsent ist.
Hier wird sich also erst mal weiter die Zeit vertrieben, bis der Film da ist und hoffentlich ein paar vernünftige Bilder dabei sind.
Weiter geht’s…
… mit den Pausenbildern. Bei dem letzten Umzug fiel mir aus einer dunklen Schublade meine uralte Spiegelreflexkamera in die Hände, die ich mal für ein paar Westmark in den 90ern auf einem Flohmarkt irgendwo im Prenzlauer Berg gekauft habe. Voll analog also, ich passe mich langsam den Hipstern in meiner Umgebung an. Nachdem ich herausgefunden hatte, dass Drogerien immer noch Filme entwickeln (lassen) und es dort auch noch welche zu kaufen gibt, machte ich mich ans Werk. Erst wurde – wie ich dann später feststellte – der seit sieben Jahren in der Kamera lagernde Filme nochmal belichtet, entwickelt und sich über das Ergebnis belustigt, dann nahm ich das Gerät mit auf meinen Hamburg-Besuch. Deshalb gibt es nun ein paar Hamburg-Symbolfotos (bis auf eine trotzdem sehr hanseatische Ausnahme), analog und unbearbeitet, bis auf die Größen- bzw. Formatanpassung.
Kleine Anekdote am Rande: Meine Mutter überraschte mich gestern doppelt: Ich schickte ihr eine SMS, dass sie eine bestimmte Mail, die vorgeblich von GMX kam, gleich löschen sollte. Ihre Antwort: „Schon längst erledigt, auf sowas fall ich schon lange nicht mehr rein.“ Ich staunte und war ein wenig stolz auf sie. Als ich dann die Kamera rausholte und allen die obige Geschichte erzählte und etwas rumfotografierte, fragte sie allerdings: „Die Bilder kann man jetzt aber noch nicht irgendwo sehen, oder?“
Nein, Mama, kann man nicht. Auch wenn auf der Rückseite des Apparates, in der Mitte der Klappe, wohinter sich der Film versteckt, etwas ist, das fast wie ein kleiner Vorschau-Monitor aussieht, auf den ersten Blick. Nur handelt es sich dabei schlicht und einfach um eine Vorrichtung, in die man ein Stück der Filmverpackungspappe reinschieben kann, um immer zu wissen, wieviele Bilder auf dem Film waren und welche ISO er hat. Good ol‘ times… Man muss also wirklich den Film abgeben und ein paar Tage warten. Und dann scannen, scannen, scannen… Es macht trotzdem Spass, damit rumzuspielen. Dass diese ganze Sache eher spielerischen Charakter hat, sieht man den Bildern dann wohl auch an. Voila:
Drei Bilder, kaum Worte
Richtig viel Text zu lesen gibt es ganz bald, er ist schon in der Warteschleife und ich bin gespannt, ob die (erstmals verwendete) automatische Veröffentlichung klappt. Bis dahin drei Bilder, die mir in den letzten Tagen vor die Augen kamen:
Ohne Spuk! Schade…aber immerhin ehrlich. Wenn das Schule macht, dann schreiben Globuli-Hersteller vielleicht demnächst noch „ohne Wirkstoffe“ auf ihre Zuckerkügelchen. Obwohl… (Apropos Schule + „Schulmedizin“, über diese Wortwahl könnte ich mich jedes mal aufregen. Wenn mit wissenschaftlichen Methoden Wirksamkeit nachgewiesen wird, heisst es Medizin. Wenn nicht, Hokuspokus. „Schatz, die Waschmaschine ist kaputt, wollen wir erst mal einen Schulklempner rufen oder gleich die alternative Heilklempnerei?“)
Bevor ich mich weiter aufrege, lasse ich das lieber andere erledigen:
Und ganz zum Schluss noch etwas zum Entspannen und Runterkommen, der Blick vom Dach an einem etwas diesigen, aber schönen Märzsamstag.
Dia-Abend mit Trümmern und Brandwänden
Eigentlich waren die folgenden Bilder nur für einen bestimmten Zweck (und eine bestimmte Person) gedacht. Dann dachte ich: Wenn ich sie sowieso schon hochgeladen habe, wieso dann nicht für alle? Also, es folgen ein paar Berlin-Bilder aus einer anderen Zeit, ich hatte sie hier schon mal erwähnt. Die Qualität mag bescheiden sein, sie wurden vor über zehn Jahren (nicht von mir) dilettantisch digitalisiert:
Sendepause mit Testbild
Ich lass einfach mal übers Wochenende nur ein Bild hier, da ich die nächsten Tage woanders als im Internet sein werde. Leider aber auch nicht da, wo das Foto aufgenommen wurde. Das war in der durchgentrifiziertesten Gegend Tel Avivs, zugleich dessen Keimzelle, sozusagen. Ein Musterbeispiel, wie aus Urban Decay in wenigen Jahren Immobiliengold geworden ist. Aber der älteste Kiosk des Kiezes, an dem dieses Piece zu finden ist, steht halt immer noch, und zwar mit den Spuren der Geschichte, im Gegensatz zum schick renovierten, angeblich ältesten Kiosk der Stadt am Rothschild Boulevard. So, jetzt hab ich schon wieder mehr geschrieben, als ich wollte. Deswegen noch schnell der Kiosk in Gänze und dann ist Schluss.
Momentaufnahmen
Thomas de Maiziere hat gesagt, wir sollen nicht soviel ins Internet stellen. Ha! (In memoriam Mrs. K) Sowieso ein entlarvendes Interview: „Es ist eine staatliche Aufgabe, Angriffe auf das Internet – von wem auch immer – besser zu schützen als bisher.“
Als ich im letzten Sommer wieder zurück nach Berlin kam, entdeckte ich das erste mal die Gegend um den Chamissoplatz. Dieser liegt von mir aus gesehen jenseits der Bergmannstrasse und gehörte daher nicht mehr wirklich zu „meinem“ Kiez, der ist in dieser Richtung eigentlich bei der Marheinekehalle zu Ende. Klar fahr ich auch mal zum Tempelhofer Feld oder zum Kreuzberg – aber die kleinen Nebenstrassen auf dem Weg dorthin hab ich meist links (bzw. rechts) liegen gelassen. Ich konnte mich nur daran erinnern, dass es dort damals schon relativ schick aussah, Ökobürgertum, welches man eben auch in der Markthalle oder der Bergmannstrasse traf. Mein ehemaliger Chef zog von Schöneberg hier her.
Nun lud mich also ein alter Freund ein, ihn bei einem Konzert im Wasserturm zu besuchen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich fragte „Wieso spielt ihr denn im Prenzlauer Berg?“ – Ich wusste wirklich nichts von einem Wasserturm in Kreuzberg. Mir wurde erklärt, dass es sich um ein Jugendzentrum handelt, und jener alte Freund hatte dort vor langer Zeit, in seiner Jugend eben, die ersten musikalischen Gehversuche unternommen. Die Veranstaltung jetzt wäre so eine Art Klassentreffen, viele von denen, die hier vor Jahrzehnten begannen, würden sich treffen und Konzerte geben. Grund genug für mich, mir das mal näher anzuschauen.
Da ich zu früh war, drehte ich ein paar Extrarunden, auch um etwas Essbares vor dem erwartbaren Alkoholkonsum in petto bzw. in ventro zu haben. So kam ich auch zweimal an folgendem Haus vorbei, und da das Motiv so verlockend und die Zeit noch da war, versuchte ich mit meinem altertümlichen Mobiltelefon ein paar Fotos zu machen:
Man beachte die Korrespondenz zwischen den aufgemalten Sprüchen und dem aufgehängtem Banner. Im Hauseingang gab es dann noch ein paar weiterführende Informationen:
Bisher hab ich den Astronauten nicht getroffen, sonst hätte ich ihn gefragt. Die Konzerte waren dann insgesamt so lala, was auch an der Akustik des mit Kreuzrippengewölbe versehenen Saales lag. Dafür waren die Gespräche drumherum umso besser: Einer der Sänger erzählte mir von seiner Schauspielerkarriere und seinen Drehs mit Bruno S. und Rummelsnuff. Mit letzterem konnte ich nun gar nichts anfangen, wer bitte? Er beschrieb ihn mir ausführlich: aus dem Osten, eher so Elektro-Volksmusik, Bodybuilder. Ich meinte, dass das sehr nach Stumpens kleinem Bruder klingt. Mit Knorkator konnte der Sänger nun wieder nichts anfangen, was mich etwas ungläubig zurückliess. (In der Zwischenzeit haben sowohl Rummelsnuff als auch die meiste Band der Welt neue Werke auf den Markt geworfen und sind mir daher öfter im Radio über den Weg gelaufen.)
Ein paar Wochen später war ich auf einer Party ein Stockwerk über mir. Dort fiel mir ein Typ auf, der wiederum der kleine Bruder von Rummelsnuff hätte sein können. War er aber nicht. Dafür hatte er eine Kutte an, auf der ein großer „Sons of Kreuzberg“-Aufnäher pappte. Das fand ich lustig, da in der Stammkneipe meiner zwischenzeitlichen Heimat ebenfalls das „Sons of Anarchy“-Logo -abgewandelt mit Fussball-Lokalkolorit – getragen wurde. Bei der Kreuzberger Variante ging es allerdings nicht nur um ein lustiges Bekleidungsstück, sondern um einen Film. Was er und meine (nunmehr ehemaligen) Nachbarn, die die Musik zum Film machen wollen, da so erzählten, klang recht spannend. Das Crowdfunding scheint aber erst mal nicht geklappt zu haben, schade.
In der Weihnachtszeit, als noch kein Winter war, stand ich dann mit offenem Mund staunend auf dem U-Bahnhof vor folgendem Plakat. Das Foto ist deutlich verwackelt, dewegen in der Vorschau nur klein und mit Transkription drunter:
Der Berliner Theaterclub präsentiert Axel Zwingenberger. Und wie! „Die heißeste Musik, die für das Klavier je erfunden (!) wurde.“ Daniel Düsentrieb lässt grüssen. Und weiter: „Rollende Bässe, die Dynamik eines fauchendes Eisenbahnzuges [sind die dynamischer als die stillen, oder die brüllenden, oder die schnurrenden?], Sehnsuchtsvolle Bluesklänge, die ferne Erinnerungen heraufbeschwören. Das Publikum ist in den Bann gezogen, ein faszinierender, brillanter Abend mit Witz und Perfektion!“
Diese um kein Adjektiv verlegene PR-Sprache und das Plakat an sich liessen in mir – es war schliesslich auch noch Weihnachten – ein wohliges „dit is Balin“-Gefühl aufkommen, ich weiss auch nicht genau, warum. Es hätte mich aber nicht gewundert, wenn auf einmal Uli Zelle und Harald Juhnke Arm in Arm die Treppe rauf gekommen wären.
Das neue Berlin, und zwar der gute Part davon, begegnete mir, als ich vor Kurzem auf der Suche nach einem neuen Vorderrad (das alte wurde mir – wer hätte sowas vermutet – auf dem Tommihaushinterhof geklaut) durch die Dresdener Strasse lief. Dort befindet sich nämlich eine Station des „Witchhunt“-Projekts von Various & Gould, und zwar schon seit letztem November, das war mir völlig durch die Lappen gegangen bis dahin:
Als kleine Entschädigung, dass mir dieses Street-Art-Projekt mehr als einen Monat verborgen blieb (kleine Erinnerung, auch an mich selbst, damit das nicht wieder vorkommt: Unbedingt noch zu den Graphic Days gehen!), ging ich just an dem Tag hier vorbei, an dem die Freilassung von Nadeschda Tolokonnikowa (ich muss bei dem Namen immer irgendwie an die Tokoloshes von Madam&Eve denken…total off topic, schon klar) bekannt gegeben wurde. Stimmt zum Glück nicht mehr ganz, dachte ich bei mir, als ich den letzten Satz der Infotafel unter dem Bild las:
Da mag ich eigentlich gar nichts weiter sagen, schon gar nicht zu Julia Engelmann. Muss ich aber. Pünktlich zwanzig Jahre nach seinem Auftauchen hierzulande macht der Begriff SlamPoetry also mal wieder eine größere Runde. Ich hatte ja schon am Rande darauf hingewiesen, dass dieses Thema mir eigentlich am Herzen liegt, aber es von Anfang an eine enttäuschte Liebe war, sozusagen. Ich hielt es da mit den Altrockern des SB, die natürlich auch nicht viel besser und ja überhaupt eigentlich Schuld dran waren. Wie Hadayatullah Hübsch vor zehn Jahren – auf dem ersten Slam-Poetry-Peak – schon sagte: „Früher gab es das Sechs-Tage-Rennen, da führten die Kerle ihre Frauen aus, tranken Bier und haben Bockwurst gegessen, und nebenbei sind ein paar Leute Rad gefahren, was kaum beachtet wurde. So ist Slam Poetry heute.“ Man kann es machen wie Nadia und Charlott von der Mädchenmannschaft, wie der Doktor oder wie Volker Strübing. Der hat nicht nur die beste Überschrift zum Thema, sondern auch das beste Resumee:
„Ich hoffe, die ganze Sache legt sich bald wieder. Und weder Julia noch der Poetry Slam an sich tragen irgendwelche Blessuren davon.
Eine Konsequenz der ganzen Sache wird sicher sein, dass man, wenn man sagt, man trete manchmal bei Slams auf, nicht mehr gefragt wird, was das sei („Irgenddwas mit Rap, oder?“). Stattdessen werden die Leute wissend nicken und sagen: „Ah ja, du machst sowas wie Julia Engelmann!“
PS: Herrje, ich hatte ja keinen blassen Schimmer (und Johnny Haeusler gefällt mir so gut wie lange nicht mehr). Nadia hat auch noch einen sehr guten Text nachgeschoben. Damit ist das Thema hoffentlich erledigt. Warum zur Abwechslung nicht mal in den nächsten Tagen eine schöne, klassische Rezension zu „Arbeit und Struktur“ lesen, oder etwas darüber, wie der Dings die Bums an den Haaren gezogen hat? Ich bin dann erst mal wieder weg…